Weltweit erste Blasentransplantation am Menschen durchgeführt
bei schweren Krebserkrankungen kann eine Entfernung der Blase notwendig sein
die Transplantation der Blase galt bislang als zu kompliziert, zumal das Organ nicht überlebenswichtig ist
Fachleute werten den ersten Eingriff als Nischentherapie, herkömmliche Verfahren seien Stand jetzt risikoärmer
Die Transplantation von Organen wie Herz, Niere oder Leber ist seit Jahrzehnten etabliert. Die Harnblase hingegen blieb bislang außen vor. Ein Team der Keck School of Medicine der University of Southern California und der University of California hat nun die erste menschliche Blasentransplantation durchgeführt (siehe Primärquelle). Der Eingriff erfolgte bereits am 4. Mai, wurde aber erst jetzt durch die Universitäten publik gemacht.
Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Umsetzung
„Das ist zunächst einmal ein sehr interessanter Eingriff. Und Inderbir Gill ist in den USA auch ein sehr profilierter Operateur. Der Grund, warum man bisher keine Blasentransplantationen flächendeckend durchführt, ist einfach, dass die Blase kein überlebenswichtiges Organ ist. Seit den 70er- und 80er-Jahren gibt es etablierte Verfahren, die Blase zu ersetzen. In erster Linie arbeitet man hier mit Dünndarmgewebe, das man zur Blase umfunktioniert. Das ist vor allem bei Krebspatienten gängig. Die Reservoirfunktion der Blase können wir damit und mit anderen Verfahren sehr gut wiederherstellen.“
Schwierigkeiten
„Die Blasentransplantation ist zudem sehr kompliziert. Die Blase verfügt über mindestens sechs kleine Arterien und der venöse Abstrom erfolgt auch über mehrere Gefäße. Daher ist es nicht so einfach, die Blase anzuschließen. Das ist technisch sehr anspruchsvoll. Zudem hat die Blase ja nicht nur eine Speicherfunktion. Eine gesunde Blase kann sich auch durch neuronale Befehle zusammenziehen und entleeren. Ob dies zum Beispiel auch mit einer transplantierten Blase möglich ist, ist noch unklar und muss sich jetzt zeigen. Beim Verfahren mit Dünndarmgewebe haben wir das Problem auch und die Patienten können dann zum Beispiel durch Anspannen des Bauchs ihre Neoblase entleeren. Bei Männern klappt das oft sehr gut. Bei Frauen ist der Schließmuskel häufig zu kräftig, sodass die Patientinnen die Neoblase selbst mit einem Katheter entleeren müssen.“
Ausblick
„Ich denke, dass derlei Eingriffe eine absolute Nische bleiben werden. Es wird in absehbarer Zeit keine Wartelisten für Harnblasen geben. Das sehe ich nicht. Der Einsatz eines fremden Organs geht ja auch immer mit einer starken Immunsuppression einher. Und diese ist Stand jetzt für ein nicht überlebenswichtiges Organ in den allermeisten Fällen nicht zu rechtfertigen. Die Kapazitäten für Spenderorgane wären hier kein Problem, aber im Vergleich zu den Nebenwirkungen gängiger Verfahren wäre die Transplantation nicht sinnig. Von vergleichbaren Nischeneingriffen wie der Penistransplantation wissen wir, dass die Endergebnisse auf lange Sicht nicht sehr gut sind. Die Blasentransplantation wird als einzelne Transplantation keinen Sinn machen. Als kombinierter Eingriff zusammen mit einer Nierentransplantation – so wie jetzt in den USA durchgeführt – wäre das in hochselektionierten Einzelfällen denkbar, aber nicht systematisch.“
Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
Umsetzung
„Grundsätzlich ist die Idee derartiger Eingriffe nachvollziehbar, aber es handelte sich in diesem Fall um einen dialysepflichtigen Patienten mit einer kleinkapazitären, also funktionslosen Blase ohne Füllungsvolumen, das heißt, die Nierentransplantation stand im Vordergrund. Die Niereninsuffizienz war offensichtlich ausgelöst durch Nierentumore, die die Entfernung beider Nieren erforderlich machte und offensichtlich hatte der Patient zusätzlich Blasenkarzinome, die durch repetitive Geweberesektionen aus der Blase behandelt wurden, die letztlich die Blasenkapazitätsminderung auslösten. Es ist also insgesamt eine sehr seltene Kombination zweier Krebserkrankungen, die nicht üblich ist.“
Risiken des Eingriffs
„Die Nierentransplantation allein ist schon mit einem relativ hohen Risiko verbunden, weil man neben den operativen Risiken natürlich danach eine Immunsuppression benötigt. Wenn man gleichzeitig eine Blase zur Harnableitung transplantiert, erhöht man das Gesamtrisiko auch für die gerade neu transplantierte Niere erheblich. Bislang wurden bei diesen Patienten im Vorfeld Ersatzblasen operiert, in die man dann den Urin der Transplantatniere eingeleitet hat. Dies hat den Vorteil, dass man zum Zeitpunkt der Nierentransplantation bereits eine funktionierende Harnableitung aus eigenem Gewebe hat. Bei einer zusätzlichen Blasentransplantation riskiert man neben operativen Komplikationen (Funktionsfähigkeit der Gefäße, die die transplantierte Blase versorgen) auch eine Fehlfunktion durch die notwendige Immunsuppression.“
„Zudem weiß man nicht, wie die Nervenversorgung der transplantierten Harnblase funktioniert. Dies war bei allen künstlichen Blasen immer schon das Problem, ein Speicherorgan neu zu gestalten ist relativ leicht und erfolgt üblicherweise über körper-eigene Darmabschnitte, die speziell konfiguriert werden. Die willentliche Entleerung dieses Organs erfordert aber eine gute Nervenversorgung, die man üblicherweise nicht herstellen kann, auch nicht bei einer transplantierten Harnblase. Entleert die Blase aber nicht korrekt, ist damit die Nierenfunktion der Transplantatniere gefährdet. Dies ist auch das Problem bei Dünndarmblasen, bei denen man häufig den Urin durch einen Katheter aus der Blase entnehmen muss, um keine Restharnbildung mit Infektionsrisiko und Nierenfunktionsstörung zu riskieren. Insgesamt handelt es sich also im aktuellen Fall um einen rein experimentellen Ansatz ohne entsprechende Nachsorgedaten.“
Bisherige Ansätze
„Es ist es schwer, das komplizierte System der Harnblase mit 99 Prozent Speicherfunktion und einem Prozent Entleerungsfunktion zu imitieren. Dies gelingt auch mit den üblichen Ersatzblasen aus Dünndarm nicht. Seit über 30 Jahren versucht man auch, künstliche Blasen aus Stammzellen herzustellen, auch dies scheiterte bislang an der nerval gesteuerten Entleerung, die man nicht so einfach imitieren kann. Dies wird auch bei der transplantierten Blase das Hauptproblem darstellen. Ein Speicherorgan herzustellen, ist vergleichsweise einfach und erfolgt ohne Immunsuppression am besten über eine Dünndarm-Ersatzblase. Die Entleerung kann man aber bislang durch kein operatives Verfahren so steuern, wie dies bei einer normalen eigenen Blase über die Nervenversorgung ermöglicht wird.“
Ausblick
„Wenn man das Problem der Entleerung lösen könnte, wäre die Blasentransplantation grundsätzlich ein gangbares Verfahren, auch für Patienten, die nicht dialysepflichtig sind, sondern ihre Blase wegen eines Blasenkarzinoms verlieren müssen. Aber im Unterschied zu den üblichen Dünndarmersatzblasen würde eine transplantierte Blase immer eine Immunsuppression erfordern, die dann ja das Tumorrisiko für alle Organe des Körpers erhöht. Dies war auch immer der Grund, lieber aus körpereigenem Gewebe eine Ersatzblase zu formen, als eine fremde Blase nur unter Immunsuppression einnähen zu können.“
„Grundsätzlich sehe ich eher Bedenken, die Immunsuppression unnötigerweise in Kauf zu nehmen. Bei diesem beschriebenen Patienten wäre dies ja ohnehin erforderlich gewesen, weil er ja eine Transplantatniere mit Immunsuppression erhalten hätte. Bei Patienten ohne gleichzeitige Nierentransplantation ist das Einsetzen einer Transplantatblase mit Immunsuppression eigentlich nicht verantwortbar. Grundsätzlich gibt es vor allem im Vorfeld viele Möglichkeiten, die Blase auch bei Tumorbefall zu erhalten, dies hängt von der Aggressivität des Blasenkarzinoms ab. Kritisch anmerken muss man, dass bei oberflächlichen, nicht aggressiven Tumoren zu häufig Gewebe auch des Muskels der Harnblase durch eine sogenannte transurethrale Resektion entfernt wird. Dies ist oft nicht erforderlich und kann zum Beispiel durch Lasertherapie oberflächlicher Tumore vermieden werden. Dass – wie im beschriebenen Fall – eine nicht-funktionelle Blase nach multiplen Resektionen oberflächlicher Blasenkarzinome resultiert, ist schon kritisierbar und vermeidbar.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Keck Medicine of USC (19.05.2025): USC, UCLA team up for the world’s first-in-human bladder transplant. Pressemitteilung.
Prof. Dr. Johannes Huber
Ärztlicher Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. Peter Albers
Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Düsseldorf