Abschlussbericht Cannabis in der Medizin
BfArM-Abschlussbericht Cannabis in der Medizin veröffentlicht
starker Fokus auf Schmerztherapie und Unterfassung bei Hausärzten und Cannabisblüten
Limitationen schränken Aussagekraft zur Kostenerstattung durch die Kassen teils stark ein
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat am 06.07.2022 seinen Abschlussbericht zur Begleiterhebung von Cannabis in der Medizin veröffentlicht (siehe Primärquelle). Mit der Erhebung war das BfArM 2017 beauftragt worden, als der Bund die Möglichkeit zur Verschreibung von Cannabisarzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtlich verankert hatte. Ärztinnen und Ärzte waren seitdem dazu verpflichtet, anonym Daten zur Therapie mit Cannabisarzneien zu melden, zum Beispiel die jeweilige Erkrankung des Patienten, die Dosierung, Wirkung und die Nebenwirkungen. Die Begleiterhebung dient vor allem dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Entscheidungsgrundlage für eine mögliche Kostenübernahme weiterer Therapieansätze mit Cannabinoiden.
Chefarzt der Abteilung Palliativmedizin und Leiter der Sektion Schmerztherapie, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Jena, sowie Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
„Aufgrund der offenbar fehlenden Repräsentativität – nur 16.800 Datensätze bei wohl mehr als 70.000 Behandlungsfällen laut Kassendaten sowie 52 Prozent Anästhesisten (=Schmerzexperten) in der Begleiterhebung, obwohlim Alltag aber Allgemeinmediziner die häufigsten Verschreiber sind – sind Aussagen zu Effektivität und Nebenwirkungen nicht wirklich möglich. Wie die Autoren auch schreiben: Es ist an der Zeit, dass die medizinische Zulassung und Erstattung durch die Solidargemeinschaft von Cannabinoiden auf der Basis hochwertiger Studien erfolgt – wie bei allen anderen Medikamenten – und das derzeitige Prozedere eine Übergangslösung bleibt.“
Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie sowie Leiterin der Arbeitsgruppe „Tourette“, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
„Die Aussagekraft des Berichts ist leider extrem gering. Es steht wenig Neues drin, das wir nicht vorher schon wussten. Der Datensatz ist unvollständig und die Methoden schwach, was die Autoren ja auch selbst stets betonen. Das Wichtigste in meinen Augen ist aber, dass der Bericht klar zeigt, bei welchen Indikationen die Krankenkassen die Kosten für Cannabisarzneien übernehmen. Und dies ist sehr eindeutig vor allem in der Schmerztherapie der Fall. In dem Bericht wird suggeriert, Cannabisarzneien seien Schmerzmittel. Richtig ist aber: Drei Viertel aller Anträge, die bewilligt werden, entfallen auf den Bereich Schmerz. Kostenübernahmeanträge etwa bei psychiatrischen Indikationen werden hingegen sehr häufig abgelehnt – mit der Begründung, die Leiden seien nicht schwerwiegend genug, es stünden andere Therapien zur Verfügung oder es fehle an Evidenz für die Behandlung. Dies ist der Grund, warum psychiatrische Erkrankungen – aber auch viele andere Störungen – in dem Bericht nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Selbst in meiner Spezialambulanz werden in jüngster Zeit fast alle Kostenübernahmeanträge abgelehnt, während vergleichbare Anträge in der Vergangenheit bewilligt wurden. Diese Praxis führt natürlich auch bei meinen Kolleg:innen zu einem gewissen Lerneffekt: Werden für eine bestimmte Indikation mehrere Anträge in Folge abgelehnt, dann stellt man irgendwann hierfür keinen Antrag mehr. Dieses Wissen, dass in der Begleiterhebung nur die Daten erfasst werden, für die zuvor von den Krankenkassen eine Kostenübernahmezusage erteilt wurde, muss bei der Interpretation der Ergebnisse stets berücksichtigt werden, um Fehlbewertungen zu vermeiden.“
„Richtig ist zwar, dass die Datenlage für die Wirksamkeit Cannabis-basierter Medikamente bei psychiatrischen Erkrankungen bis heute gering ist. Allerdings können wir vielen unserer Patient:innen nur begrenzte Therapieangebote machen. So ist etwa für die Behandlung von Tics (meist kurze Bewegungen oder Lautäußerungen, die oft in rascher Abfolge und ohne ersichtlichen Bezug zur aktuellen Situation wiederholt werden; Anm. d. Red.) überhaupt nur ein einziges Medikament offiziell zugelassen, welches heute wegen schwerwiegender Nebenwirkungen gar nicht mehr empfohlen wird. Es ist daher sehr bedauerlich, dass die Krankenkassen durch eine Ablehnung der Kostenübernahmen neue, innovative Therapien verhindern.“
Auf die Frage, wie es zu bewerten ist, dass offenbar vor allem jungen Männern häufig Cannabisblüten verschrieben werden, die einen deutlich höheren THC-Gehalt haben als Fertigarzneien:
„Hierbei muss man auch berücksichtigen, dass Cannabisblüten tendenziell eher von jüngeren Personen benutzt werden, da diese Art der Therapie gewisse kognitive Fähigkeiten und ein manuelles Geschick erfordern. Älteren Menschen mit schweren Erkrankungen fällt es einfach schwerer, die richtigen Dosen abzuwiegen und in die Verdampfer einzufüllen. In dem Bericht wird zudem suggeriert, Cannabisblüten machten eher abhängig als andere Cannabisarzneimittel. Dies wird immer wieder gemutmaßt, obwohl es keine Daten gibt, die diese These stützen. Interessant ist, dass in dem Bericht festgestellt wird, dass Cannabisblüten seltener zu Nebenwirkungen führen, dies aber mit dem jüngeren Alter der Patient:innen erklärt wird, statt zu diskutieren, dass Blüten eventuell tatsächlich besser verträglich und besser dosierbar sind.“
„Uns fehlen weitere klinische Studien zur Wirksamkeit von Cannabisarzneien. Die Pharmaindustrie ist hier bei der Finanzierung aber sehr zurückhaltend. Daher muss eine Förderung durch den Bund erfolgen. Nur so können wir Daten gewinnen, die uns verlässliche Aussagen über die Wirksamkeit von Cannabisarzneien liefern.“
Fachanwalt für Medizinrecht und Honorar-Professor an der Juristischen Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen
„Das BfArM hat es so gut gemacht, wie es unter den Bedingungen möglich war. Es war klar, dass dieser Bericht keine klinische Studie ersetzen kann und die Daten zeigen ja auch, dass es erheblichen Forschungsnotstand gibt.“
„Das Interessante an dem Bericht ist, dass sich vergleichsweise wenig Ärzte beteiligt haben. Das hat auch damit zu tun, dass wir hier eine zusätzliche Schwierigkeit haben: die Stigmatisierung von Cannabis. Viel zu lange wurde Cannabis ausschließlich als Droge klassifiziert und der Konsum beziehungsweise der Anbau strafrechtlich verfolgt. Es gibt nur wenige Ärzte, die über ausreichend medizinische Expertise verfügen mit Cannabis zu therapieren – wie sollte das auch anders sein. Dazu kommt, dass es für Ärztinnen und Ärzte einen hohen Aufwand bedeutet, Cannabis zu verschreiben. Mit der Vor- und Nachbereitung eines Antrags sind die Ärzte nicht selten monate- manchmal sogar jahrelang immer wieder gefordert, auf Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes zu reagieren, ihre Therapien den Gerichten zu erläutern und Stellungnahmen für die Anwält*innen zu verfassen. Das wird den Ärzten nicht bezahlt – und das nervt sie.“
„Ein weiteres Problem ist, dass die Krankenkassen ein immer klareres Regime entwickeln: Cannabisblüten sind ganz unbeliebt. Die Kassen möchten lieber synthetische Cannabisprodukte. Verordnungen werden am ehesten in der Schmerztherapie zugelassen; sehr selten dagegen zum Beispiel bei ADHS oder posttraumatischen Belastungsstörungen, beides aber häufige Krankheitsbilder bei den Patienten, die Cannabis benötigen. Ich vertrete knapp ein Dutzend ehemaliger Soldaten, die psychische Störungen entwickelt haben. Und Cannabis hilft ihnen.“
Auf die Frage, wie es zu bewerten ist, dass offenbar vor allem jungen Männern häufig Cannabisblüten verschrieben werden, die einen deutlich höheren THC-Gehalt haben als Fertigarzneien:
„Es wird ja suggeriert, dass sich hier Kiffer ein Rezept abholen. Das halte ich in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle für unzutreffend. Es gibt gute Gründe, auf Blüten zu setzen und nicht auf synthetisierte Cannabisprodukte (die auch ihren Sinn haben). Blüten wirken anders und in etlichen Fällen auch besser. Für dieses Phänomen gibt es bisher nur wenige Antworten, aber es gibt ja auch viel zu wenig Forschung.“
„Im Rahmen der Debatte zur Legalisierung von Cannabis, kommen die Patienten, die Cannabis als Medizin brauchen, oftmals zu kurz. Diese Menschen brauchen viel Cannabis. Für sie ist das ein Medikament und kein Genussmittel. Der Bericht des BfArM soll Grundlage für eine Cannabis-Richtlinie des G-BA abgeben. Wenn der sich die Anti-Blüten-Haltung zu eigen machte, wäre das fatal. Ich sehe die Vorteile in der Standardisierung der Einnahmen. Aber das ist auch mit den Blüten in den Griff zu bekommen. Und auch die Nebenwirkungen von Cannabis – insbesondere auch in Blütenform, sind gering, sie liegen im Bagatellbereich, ganz im Gegensatz zu den Symptomen der Erkrankungen, an denen die Patienten leiden.“
„Wenn man die Diskussion um die Freigabe von Betäubungsmitteln für Zwecke der Selbsttötung betrachtet, steuern wir auf das Paradoxon zu, dass jeder Anspruch haben soll, sich qualifiziert beraten zu lassen, wie er sich mit Betäubungsmitteln selbst oder mit ärztlicher Hilfe töten kann. Aber eine flächendeckende Struktur, die ermöglicht, dass sich jeder Patient qualifiziert, beraten lassen kann, wie ihm Cannabis helfen kann und wie er es bekommen kann, das geht nicht.“
Professorin für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin und Senior Scientist, Universitätsmedizin Göttingen
„Es ist positiv, dass es eine Untersuchung des BfArM zu den durchgeführten Verordnungen von Cannabisarzneimitteln gibt, die, wie intendiert, zu klinischen Placebo-kontrollierten, aber auch experimentellen Forschungsvorhaben inspiriert. Aber die Frage bleibt, wer diese Forschungsvorhaben finanziert. Wichtig ist, dass es wissenschaftliche, nicht finanziell und interessensgeleitete unabhängige Forschungsprogramme gibt, die derartige Forschungen finanziell unterstützen. Leider ist dies aktuell nicht der Fall.“
„Es ergeben sich aus dem Bericht viele für die Praxis relevante Fragen, die teils auch für künftige Forschungen interessant sein können: So bleibt zum Beispiel in dem Bericht völlig offen, inwieweit es auch zu einer Entwicklung von missbräuchlichem oder abhängig machendem Konsum als Nebenwirkung der Cannabisarzneien gekommen sein könnte. Es gibt ferner keine Daten zu psychischen Komorbiditäten wie Angst und depressive oder psychotische Erkrankungen, auch nicht zu Komorbiditäten mit anderen Suchterkrankungen wie solchen bedingt durch Tabak, Alkohol oder zu Opioid-bedingten Störungen. Diese Fragen sind vor allem für die Patienten, die Cannabisblüten verordnet bekommen haben, besonders interessant.“
„In dem Bericht wird sehr deutlich, dass die Anästhesisten und die Ärzte mit dem Zusatztitel ,Schmerzmedizin‘ Cannabisarzneimittel am häufigsten und weniger Blüten verordneten, und gleichermaßen Daten in die Studie eingegeben haben. Aber es wird auch deutlich, dass die zweithäufigste Cannabisarzneien verordnende Gruppe der Allgemeinmediziner deutlich weniger Meldungen vorgenommen hat, aber gleichzeitig am meisten Cannabisblüten verordneten. Da wäre zum Beispiel auch interessant zu wissen, welche der Allgemeinmediziner hier eine Zusatzbezeichnung ,Suchtmedizinische Grundversorgung‘ hatten.“
„Der zweithäufigste Grund für die Beendigung der Therapie war dem Bericht zufolge das Versterben des Patienten. Hier wäre die Todesursache interessant. Handelt es sich hierbei vor allem um Palliativpatienten? Das bleibt unklar.“
„Patienten, denen Cannabisblüten verordnet wurden, scheinen nach der Untersuchung trotz der sehr hohen THC-Konzentrationen von fast 250 Milligramm weniger Nebenwirkungen aufzuweisen, sodass dies deutlich tolerantere Patienten sein müssen, vielleicht sogar Patienten mit sehr viel Vorerfahrung. Allerdings wurden in der Untersuchung wie zuvor dargelegt ein potenziell schädlicher oder abhängiger Konsum nicht erfragt. In dem Bericht wird ein möglicherweise THC-antagonisierender Effekt von Cannabidiol diskutiert. Aus der Grundlagenforschung jedoch gibt es hierfür keine deutliche Evidenz. Demnach können THC-Intoxikationen nicht durch Cannabidiol antagonisiert werden.“
„Grundsätzlich ist nicht bekannt, wie viele Patienten sich womöglich zusätzlich bei weiteren Ärzten in Behandlung begeben haben oder sich nebenher auf dem Schwarzmarkt mit Cannabis oder anderen Substanzen versorgt haben.“
„Interessant ist auch der sehr hohe Anteil der gleichzeitigen Verordnung von Cannabisarzneien und Opioiden wohl im Rahmen der Schmerztherapie. Hier sollte für die Diskussion ergänzt werden, dass THC oder Cannabidiol den Opioid-Abbau über pharmakokinetische Wechselwirkungen verhindern oder zumindest stark mindern können, was bei einer Kombinationstherapie stets berücksichtigt werden sollte.“
Leiter Schmerzmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen
„Der Bericht hat vor allem zwei Kernprobleme: Aufgrund der kleinen, unvollständigen Stichprobe der tatsächlichen Verordnungen entspricht er nicht der gesamten Verordnungsrealität. Wir haben hier womöglich zudem eine Positivauswahl motivierter und qualifizierter Ärzte, die auch dokumentieren, was zu besseren Ergebnissen beitragen könnte. Auch beruht der Bericht nur auf Einschätzungen der behandelnden Ärzt*innen, was ein schwer zu definierender Bias ist. Es ist unklar, wie valide die rückblickende Fremdbeurteilung von Wirkungen und Nebenwirkungen zu bewerten ist.“
„Für die Schmerztherapie liefert der Bericht einige wichtige allgemeine Botschaften. Schmerz ist die wichtigste Indikation, dahinter verbirgt sich aber eine Vielzahl von Diagnosen, mit letztlich zum Teil kleinen Fallzahlen, wie zum Beispiel für das Fibromyalgiesyndrom. Daraus lassen sich kaum weitere Schlüsse für die Klinik ableiten, da wir wenig Spezifisches über diese Patienten erfahren, insbesondere auch nicht, warum ihre Erkrankung schwerwiegend war. Die meisten Patienten erhielten Dronabinol, Sativex oder Extrakte mit sehr moderaten Dosierungen von 10 bis 15 Milligramm THC pro Tag. Dass Schmerz die Indikation ist, die wahrscheinlich am häufigsten von den Kassen akzeptiert wird, verleitet natürlich dazu, den Einsatz von medizinischem Cannabis auch vornehmlich im Bereich Schmerz zu begründen. Antragssteller neigen jetzt oder in Zukunft vielleicht eher dazu, einen Antrag im Bereich Schmerz zu stellen. Einige unserer Patienten wurden zum Beispiel von ihrem Psychiater geschickt mit der Bitte, ob wir nicht einen Antrag stellen können. Hier braucht es bessere übergeordnete Abstimmungen und gemeinsame Behandlungskonzepte.“
„Grundsätzlich ist anzumerken, dass es im Bereich des medizinisch verwendeten Cannabis keine zufriedenstellende Evidenz gibt. Es sind für viele Mittel keine Studien gemacht worden, vor allem keine Studien zu den Extrakten. Bisher lassen die Hersteller hier wenig Interesse erkennen, entsprechende Untersuchungen zu starten.“
Auf die Frage, wie es zu bewerten ist, dass offenbar vor allem jungen Männern häufig Cannabisblüten verschrieben werden, die einen deutlich höheren THC-Gehalt haben als Fertigarzneien:
„Ich teile hier die Sorge des BfArM. Viele Patienten, die primär Blüten wollen, haben in der Regel subjektive positive Vorerfahrungen damit, leiden aber oft auch an psychiatrischen Komorbiditäten, sodass die Indikationsstellung und Gesamtbehandlung oft schwierig sind. Sie sind oft schon an höhere Dosen gewöhnt. Allerdings sehe ich auch im klinischen Alltag, dass nicht alle Patienten, die Cannabisblüten verwenden, hohe Dosen brauchen. Die hohe Tagedosis von 249 Milligramm THC mit Blüten gilt nicht für alle Patienten. Viele kommen mit weniger aus. Ein Problem bei der Einschätzung sind die häufig notwendigen Wechsel der Blütensorten, was auch an der noch instabilen Verfügbarkeit liegt.“
Direktor der Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn
„Ich hatte von dem Bericht eigentlich wenig erwartet. Von daher ist es schon interessant, dass ein großer Datensatz zur Auswertung zusammenkam. Die Aussagekraft ist natürlich stark eingeschränkt, weil dieser Bericht nur einen Teil davon abbildet, was verordnet wurde.“
„Wir hatten von Anfang das Gefühl, dass wir nicht wissen, warum Cannabisblüten so gehypt wurden und es ist immer noch nicht wirklich klar, welchen Vorteil die Blüten, bei denen die Hauptwirkstoffe mit einer Vielzahl von anderen Substanzen vorliegen, bieten. Die Blüten erzeugen dem Bericht zufolge nicht weniger Nebenwirkungen als andere Cannabismedikamente. Auch wird die Wirksamkeit von den Behandlern als sehr hoch beschrieben. Das ist aber keine klinische Studie, und wir wissen nicht, ob das einen systematischen Fehler hat, also ob nur gemeldet wird, wenn es funktioniert. Als Therapeut sieht man ja gern mal einen guten Effekt. Daraus kann man deshalb nur wenig zur Wirkung von Cannabis schließen. In der Schmerztherapie können mit Cannabis durchaus Erfolge erzielt werden, wobei hier nie sehr eindeutig klar wird, ob durch das Cannabis tatsächlich der Schmerz gelindert wird oder der euphorisierende Effekt so manches übertüncht.“
„Zu kritisieren ist, dass es keine Zahlen zur Abhängigkeit in dem Bericht gibt. Zudem wird grundsätzlich nicht so recht klar, dass Cannabis kein harmloses Medikament ist. Es ist kein Allheilmittel, dass man breitflächig unter die Leute streuen sollte.“
„Wir benutzen in der Klinik Cannabis, vornehmlich Dronabinol, obwohl es ein lausiges Medikament ist. Für Übelkeit oder Appetitslosigkeit gibt es etwa viel bessere Arzneien. Viele unsere Patienten brechen die Cannabistherapie ab aufgrund der Nebenwirkungen wie Müdigkeit. Aber wenn ich einen Krebspatienten habe, der selbst schon an Schmerzen, Appetitmangel und Übelkeit leidet, kann ich ihm drei Medikamente verabreichen oder ich versuche es mit Cannabis. Insbesondere bei Palliativpatienten werde ich nicht zum Moralapostel. Da ist mir schon klar, dass ich mit Cannabis vermutlich wenig an der Schmerzleitbahn bewirke, sondern dass bei den Patienten die euphorische Wirkung im Vordergrund stehen kann. Wobei man hier auch klar sagen muss, dass viele Patienten, vor allem ältere, diese Wirkung gar nicht schätzen.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (06.07.2022): Abschlussbericht der Begleiterhebung nach § 31 Absatz 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Verschreibung und Anwendung von Cannabisarzneimitteln.
Prof. Dr. Winfried Meißner
Chefarzt der Abteilung Palliativmedizin und Leiter der Sektion Schmerztherapie, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Jena, sowie Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.
Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl
Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie sowie Leiterin der Arbeitsgruppe „Tourette“, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Dr. Oliver Tolmein
Fachanwalt für Medizinrecht und Honorar-Professor an der Juristischen Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke
Professorin für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin und Senior Scientist, Universitätsmedizin Göttingen
Prof. Dr. Frank Petzke
Leiter Schmerzmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen
Prof. Dr. Lukas Radbruch
Direktor der Klinik für Palliativmedizin, Universitätsklinikum Bonn