Neue EU-Regeln für die Züchtung geneditierter Pflanzensorten
geleakter Regulierungsvorschlag der EU-Kommission sieht Deregulierung von Pflanzenzüchtungsverfahren bei Zuhilfenahme bestimmter „neuer gentechnischer Methoden“ vor
derartige Sorten fielen künftig nicht mehr unter die GVO-Regulierung, müssten lediglich eine substanzielle Ähnlichkeit mit konventionell gezüchteten Pflanzen aufweisen
Pflanzenforschende begrüßen den Vorschlag, Forschende aus dem Bereich Umweltschutz sehen die Kriterien für die Deregulierung kritisch
Am 5. Juli will die Europäische Kommission nach langen internen Diskussionen einen umfassenden Vorschlag zur Deregulierung von gentechnisch veränderten Pflanzen vorlegen, die mit neueren Methoden der Gentechnik – sogenannten new genomic techniques (NGT) – hergestellt wurden. Zu diesen Methoden zählen etwa Verfahren der Genomeditierung wie CRISPR/Cas oder TALEN, mit denen präzise Eingriffe am Erbgut vorgenommen werden können. Ein während des internen Abstimmungsverfahren zwischen den Direktionen der EU-Kommission geleakter Entwurf des Vorschlags [I] nimmt eine Vielzahl von NGT-Pflanzensorten aus der bestehenden strengen Zulassung für gentechnisch veränderte Pflanzen heraus, sofern diese keine artfremden Erbanlagen enthalten und zudem als substanziell gleichwertig mit konventionell gezüchteten Pflanzen eingestuft werden können.
Geschäftsführender Direktor des Botanischen Instituts und Inhaber des Lehrstuhls Molekularbiologie und Biochemie der Pflanzen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
„Zumindest die geleakte Version des Vorschlags ist wirklich salomonisch, da sie versucht, die Interessen aller zu berücksichtigen. Auf der eine Seite wird Rücksicht auf die Biobranche genommen, indem der Einsatz der neuen Züchtungstechnologien dank eines Registers bei Bioprodukten verboten bleibt. Auch wird auf die Bedenken der NGOs Rücksicht genommen, da Herbizid-resistente Pflanzen von der Regelung ausgenommen und als GMOs klassifiziert werden. Anderseits sind bei Futter- und Nahrungspflanzen alle Änderungen mit den neuen Züchtungstechnologien erlaubt, die auch natürlich entstanden sein könnten wie zum Beispiel auch chromosomale Inversionen. Das ist eine sehr gute und hier auf rein wissenschaftlichen Kriterien beruhende Klassifizierung. Auch die Beschränkung auf 20 Nukleotide ist wissenschaftlich folgerichtig, da schon rein statistisch bei der Größe der Pflanzengenome nur Sequenzabfolgen mit mehr als 20 Basen als fremd klassifiziert werden können.“
„Wenn der Regulationsvorschlag am 5. Juli so kommt, wäre das ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung, für die europäische Wissenschaft wie auch für die Züchter. Es wäre ein ganz wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft in Europa mit weniger Pestizideinsatz und Kulturpflanzen, die dem Klimawandel besser standhalten könnten.“
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
„Wie die Kommission selbst festgestellt hat, ist das derzeit geltende Gentechnikgesetz in der EU nicht mehr zeitgemäß. Es ignoriert den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn der vergangenen 20 Jahre und unterbindet jeglichen pflanzenzüchterischen Fortschritt mit neuen genomischen Techniken. Obwohl das Gesetz nur für die EU gilt, bremst es wichtigen Fortschritt auch in anderen Regionen. Eine solch antiquierte Gesetzgebung können wir uns vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen nicht länger leisten. Neue genomische Techniken können helfen, die Landwirtschaft ertragreicher, umweltfreundlicher und klimaangepasster zu machen.“
„Der Reformentwurf ist aus wissenschaftlicher Sicht sehr zu begrüßen. Gen-editierte Pflanzen, die keine artfremden Gene enthalten, werden von den strengen Regeln des Gentechnikrechts ausgenommen. Das ist konsequent, weil es sich hierbei um kleine genetische Veränderungen handelt, die prinzipiell auch durch natürliche Mutationen entstehen könnten. Diese Pflanzen sind genauso sicher wie konventionell gezüchtete. Dennoch trägt der Kommissionsvorschlag auch den gesellschaftlichen Vorbehalten Rechnung. Größere genetische Veränderungen unterliegen weiterhin einer strengeren Regelung. Zudem muss das Saatgut aller Gen-editierten Sorten gekennzeichnet werden, sodass Bäuerinnen und Bauern die Wahl haben. In der Biolandwirtschaft bleiben diese Sorten auf Wunsch der Bioverbände verboten.“
„Bei einer effizienten Umsetzung der Reform könnten relativ rasch die ersten interessanten Gen-editierten Sorten zur Anwendung kommen. Weit entwickelt sind zum Beispiel Weizen und Kartoffeln mit eingebauter Pilzresistenz, wodurch die Behandlung mit Fungiziden drastisch gesenkt werden kann. Aber auch trocken- und hitzetolerantere Sorten sind in der Entwicklung. Die Reform würde nicht nur die Zulassung, sondern auch die Forschung und das Testen im Feld deutlich erleichtern, sodass eine große Innovationsdynamik zu erwarten ist. Vorteil einer vereinfachten Regulierung ist auch, dass nicht nur große Konzerne, sondern auch kleinere Unternehmen und Institute Gen-editierte Sorten auf den Markt bringen können. Mehr Vielfalt ist gut für die Nachhaltigkeit.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Physiologie und Zellbiologie, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben
Auf die Frage, wie die im Annex 1 aufgeführten Äquivalenz-Kriterien für NGT-1 einzuschätzen sind:
„Auch Methoden der konventionellen Pflanzenzüchtung können zu solchen genetischen Veränderungen führen, wie sie in den Punkten 1 bis 5 im Annex I aufgeführt sind. Es ist deshalb fachlich sinnvoll und aus gesetzgeberischer Sicht konsequent, NGT-Pflanzen mit vergleichbaren genetischen Veränderungen ebenso von der Regulierung nach Gentechnik-Recht auszunehmen. Nichtsdestotrotz unterliegen die so gezüchteten neuen Pflanzensorten weiterhin der Sortenprüfung und -zulassung nach dem normalen Sortenrecht und sind durch den Prozess der Überprüfung, ob sie in NGT-Kategorie 1 oder 2 fallen, auch weiterhin strenger reguliert als Sorten aus konventioneller Zucht.“
„Kurz: Die vorgeschlagenen Äquivalenzkriterien für Genom-editierte Pflanzen spiegeln ziemlich genau solche Mutationen wider, wie sie in der Natur und in konventionell gezüchteten Pflanzen auch vorkommen.“
„Das Kriterium, dass bis zu 20 genetische Veränderungen mittels NGT durchgeführt werden können, dürfte für die allermeisten Anwendungen keine große Hürde sein. Fraglich ist allerdings, wie dieses Kriterium in Bezug auf Genfamilien ausgelegt wird. So wird international beispielsweise an einem glutenfreien Weizen gearbeitet [1]. Dafür müssen ungefähr 100 Mitglieder einer Genfamilie, die für die Glutenproduktion verantwortlich sind, abgeschaltet werden. Sollte jede dieser Abschaltungen als individuelle Modifikation gelten, würden solche Anwendungen nicht in Kategorie 1 fallen.“
„Die Punkte 1-5 spiegeln wider, dass die Empfehlungen der Wissenschaft zur Regulierung von NGT deutlich in den Reformvorschlag der EU-Kommission eingeflossen sind [2]. Die nach aktuellem Stand der Technik gängigsten Anwendungen von Gen-Editierung mit Techniken wie CRISPR/Cas werden damit ermöglicht. Eingeschränkt ist weiterhin der Gentransfer aus nicht-kreuzbaren Arten (Transgenese), während die Übertragung von Genen aus Pflanzenarten, mit denen auch auf klassischem Wege gekreuzt werden kann (Cisgenese), mit in die Kategorie 1 fallen. Damit wäre es für Forschung und Züchtung möglich, beispielsweise ein Gen aus einer Wildgerste in die Kulturgerste zu übertragen.“
„Kurz: Den vorgeschlagenen Kriterien liegt die langjährige Erfahrung aus wissenschaftlichen Untersuchungen zugrunde, dass von derartigen Mutationen kein erhöhtes Risiko für Mensch und Umwelt im Vergleich zu konventionellen Züchtungen ausgeht.“
Auf die Frage, wie sich die Grenze von 20 Nukleotiden in Punkt 1 des Annex 1 begründet:
„Die Angabe von 20 Nukleotiden stammt aus dem Jahr 2012 aus einer Stellungnahme der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS), einem wissenschaftlichen Gremium zur Bewertung gentechnischer Arbeiten in Deutschland [3]. Seitdem gilt sie als Faustzahl für die Größe von genetischen Veränderungen, die auch in natürlichen Populationen innerhalb einer Art häufig auftreten und als sicher angenommen werden können.“
„Sie geht zurück auf eine Studie aus dem Jahr 2011, in der erstmals über 80 unterschiedliche Individuen der Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) aus unterschiedlichen Herkünften genetisch untersucht wurden [4]. Dabei wurden relativ häufig genetische Variationen zwischen den Individuen gefunden, die in ihrer Größe in diesem Bereich bis 20 Nukleotide lagen. Aus neuen Studien mit moderneren Sequenzierverfahren wissen wir aber heute, dass solche Sequenzunterschiede auch häufig deutlich größer sind als die damals beobachteten 20 Nukleotide.“
„Da die Grenze von 20 Nukleotiden nur für zufällige Insertionen (also Integrationen von Nukleotiden) besteht und diese bei Genomeditierungsverfahren wie CRISPR sehr selten sind und auch dann meist nur ein bis zwei Nukleotide umfassen, ist dieser Richtwert dennoch weiterhin fachlich vertretbar.“
„Kurz: Die Begrenzung auf 20 Nukleotide erlaubt auch recht sicher Gen-editierte von klassischen transgenen Pflanzen zu unterscheiden, weil zur Transgenese (Einbringung artfremder Gene) längere Sequenzen notwendig sind.“
„Einen ausführlichen Überblick über die bisher veröffentlichten Anwendungsbeispiele gibt die Datenbank von EU-SAGE [5]. Diese listet aktuell über 770 publizierte Studien mit landwirtschaftlich relevanten Anwendungen in über 60 unterschiedlichen Kulturpflanzenarten auf. Die Bandbreite dieser Anwendungen umfasst praktisch alle denkbaren Zuchtziele, von Krankheitsresistenzen über Anpassung an klimatischen Stress bis hin zu verbesserten Inhaltstoffen der pflanzlichen Produkte. Ein konkretes Beispiel aus unserer eigenen Forschung ist eine Virus-Resistenz in Gerste, die wir durch das gezielte Abschalten eines Anfälligkeitsgens mithilfe der ‚Genschere‘ CRISPR erreicht haben [6].“
Auf die Frage, wie die im Annex 3 gelistete Nachhaltigkeitskriterien einzuschätzen sind:
„Diese Kriterien sollen als Anreiz für eine vereinfachte Zulassung von NGT-Pflanzen gelten, die aufgrund der vorgenommenen Veränderungen nicht in Kategorie 1 fallen und deshalb weitgehend nach dem bestehenden Gentechnik-Recht reguliert werden.“
„Die relativ allgemein formulierten Nachhaltigkeitskriterien – von Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitserreger oder klimatischen Stress über bessere Inhaltsstoffe, Ressourceneffizienz, Ertragspotenzial- und Stabilität bis hin zur Lagerfähigkeit – ermöglichen zahlreiche sinnvolle Anwendungen von NGT in der Pflanzenzüchtung. Die aufgeführten Kriterien zählen auch jetzt schon zu den wichtigsten Zielen der Pflanzenzüchtung und tragen zu den Nachhaltigkeitszielen wie einem verringerten Ressourcenverbrauch und weniger Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln bei. Es ist darum richtig, diese Kriterien auch für die vereinfachte Zulassung von Kategorie-2-NGT-Pflanzen heranzuziehen.“
„Herbizidtoleranzen/-resistenzen an dieser Stelle auszuschließen, ist deshalb sinnvoll, weil dadurch Anbausysteme, die auf Herbizideinsatz angewiesen sind, nicht gefördert werden. Das würde sonst im Widerspruch stehen zu den Reduktionszielen und alternativen Pflanzenschutzkonzepten, wie sie in der Farm-to-Fork-Strategie der EU vorgesehen sind.“
„Kurz: Interessant und sinnvoll ist, dass mit dem Ausschluss von Herbizidtoleranzen (selbst für NGT-1-Pflanzen, die nur einer Anzeige bedürfen) ein Zulassungskriterium eingeführt wird, das ein gesellschaftspolitisches Ziel verfolgt, nämlich unsere Landwirtschaft nachhaltiger zu machen.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit:
Prof. Dr. Nicolaus von Wirén
Leiter der Abteilung Physiologie und Zellbiologie, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben
Direktor, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
„Bezüglich Annex III: Es ist zu begrüßen, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, nämlich die Regulierung von Merkmalen statt von Technologie. Ich selber bin nicht gegen Herbizid-tolerante Nutzpflanzen, habe in der öffentlichen Diskussion aber immer folgendes betont: Wenn der Gesetzgeber Herbizid-tolerante Nutzpflanzen auf unseren Äckern vermeiden möchte, ist der richtige Weg nicht ein Verbot von GVO/Genom Editierung, sondern die Regulierung dieses spezifischen Merkmals. Ich finde daher im Prinzip den Ausschluss von Herbizidtoleranz nachvollziehbar. Die Inkonsistenz, die bleibt, ist, dass es inzwischen nicht-GVO/Genom-editierte Nutzpflanzen auf dem EU-Markt gibt, die Herbizid-tolerant sind. Konsequenterweise müssten diese auch reguliert werden.“
„Die Grenze von 20 genetischen Modifikationen ist willkürlich, aber als praktische Grenze tolerabel. Für mich als Grundlagenwissenschaftler sehe ich die ‚Targeted substitution of an endogenous DNA sequence with a contiguous DNA sequence existing in the breeder’s gene pool‘ als sehr positiv. Das würde uns den Austausch von Allelen erlauben, welches ein Ansatz ist, den wir bei Feldversuchen anstelle des simpleren Ausschaltens (knock-out) von Genen sehr gerne verfolgen würden.“
Wissenschaftlerin am Institut für Integrative Biologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, und Vorsitzende des European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), Schweiz
„Der Vorschlag der EU-Kommission ist wissenschaftlich inakzeptabel. Im Wesentlichen wurde keine der wissenschaftlichen Kritiken, einschließlich ihrer unterstützenden wissenschaftlichen Belege, die der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und den Vertretern der Kommission schriftlich und in Sitzungen vorgelegt wurden (zum Beispiel [7] oder [8]), berücksichtigt, geschweige denn in ihren Vorschlag aufgenommen oder behandelt. Kritischer wissenschaftlicher Sachverstand wurde vollständig ignoriert. Der Vorschlag folgt ausschließlich dem wissenschaftlichen Verständnis einer einzigen Interessengruppe – den interessengeleiteten Vertretern der Gentechnik – und ist damit als einseitig einzustufen.“
„Nach meiner Interpretation ist sozusagen alles möglich, so lange nicht eine ominöse 20-Nukleotid- Grenze pro Gen überschritten wird. Aber selbst diese ominöse Grenze wird aufgeweicht und lässt Interpretationsspielraum zu durch Zusätze wie ‚any number of nucleotides‘. Von Deletion, über Substitution, Inversion (Umkehr) bis hin zur ‚Insertion‘ – was Einbringen neuer, potenziell art-fremder Gene heißt –, solange die Nukleotidsequenzen aus irgendeinem, ebenfalls undefinierten und potenziell unbegrenzten ‚breeder’s gene pool‘ kommen. Und selbstverständlich kann alles auch gleichzeitig und addiert durchgeführt werden – eine unbegrenzte Anzahl an Nukleotiden ‚gelöscht‘ und umgekehrt werden und simultan neue Sequenzen für neue Eigenschaften eingeführt werden. Sprich, die Bedingungen sind völlig schwammig, praktisch auch kaum überprüfbar ohne Sequenzierungen und weit offen für Interpretation.
Vermutlich umfasst dies fast sämtliche Anwendungen, die im Moment mittels aller Gentechniken möglich sind und bedeutet de facto, dass nicht-rückverfolgbare, nicht gekennzeichnete und nicht auf ihre Sicherheit getestete gentechnisch veränderten Pflanzen nach Belieben auf europäische Äcker, Gärten und letztendlich auch auf die Teller der Konsumierenden gelangen werden. Das ist nicht mehr die Einführung der Gentechnik durch die Hintertür, sondern das ist der Einlass durch ein großes, breites Vordertor. Damit wäre die Haftung für mögliche Schäden auf die Bürger und Bürgerinnen abgewälzt und es mit der Wahlfreiheit der Konsumierenden vorbei, wohingegen die Profite sich auf wenige Akteure konzentrieren würden. Der Traum einer jeden Industrie.“
„Etwas überraschend ist dieser offenbar unerschütterliche Glaube dann doch schon, wonach die DNA ein programmierbarer Code ist und Organismen die Summe ihrer ‚DNA-codierten‘ Teile darstellen, die nach Belieben menschlichem Design unterworfen werden können. In dieser Vision wird behauptet, dass die phänotypischen Manifestationen von bestimmten Eigenschaften durch bestimmte DNA-Sequenzen vorhersagbar sind – und zwar in jedwedem Genom- und Umwelt-Kontext. Dieser Glaube ist derart tief verankert, dass die Kommissionäre und ihre wissenschaftlichen Berater sich befugt fühlten, einen neuartigen Begriff zu erfinden – die ‚predictable DNA‘ (Annex I) (‚vorhersagbarer DNA‘) – der die Grundlage für das Verständnis der Kommission von ‚Ähnlichkeit‘ darstellt. Wissenschaftliche Beweise für die Existenz von ‚predictable DNA‘ müssen nicht geliefert werden: Es gibt sie, weil sie es sagen.“
„Vermutlich werden praktisch alle Anwendungen, die momentan in den Gentechniklaboren der Firmen und Universitäten entwickelt werden, in die erste Kategorie fallen, die so breit und weit definiert ist – auch durch die Referenz zum ‚breeder’s gene pool‘ (was immer das umfassen soll in den Augen der Kommission und ihrer Berater) –, dass es zurzeit außerhalb dessen liegt, was die Gentechnik technisch leisten kann, um GV-Pflanzen höherer Kategorien überhaupt herzustellen.“
Auf die Frage, wie sich die Grenze von 20 Nukleotiden in Punkt 1 des Annex 1 begründet:
„Es gibt keine belastbaren wissenschaftlichen Belege oder Begründungen für eine willkürliche Grenze von 20 Nukleotiden. Genetisch beeinflusste Veränderungen mit gravierenden Konsequenzen können bei allen Organismen durch jedwede gentechnische Manipulation – wie Substitution, Deletion oder Duplikation einzelner Basenpaare – in einzelnen Genen (monogene Eigenschaften) oder durch Insertion von Basenpaaren ausgelöst werden. Wieso eine magische Zauberzahl von 20 Nukleotiden für ‚sichere‘ Manipulation von Genen gelten soll, hat nichts mit Wissenschaft zu tun und ist schlicht Gegenstand von politischen Verhandlungen, wie die eckige Klammer um die Zahl 20 auch eindeutig zeigt. Es gibt schlicht keine ‚sichere‘ Zauberzahl. Der Kontext ist entscheidend dafür, welche genbeeinflussten Veränderungen zu welchen Konsequenzen führen. So fanden Forscher an der Uni Zürich beispielsweise kürzlich, dass eine Mutation in einem einzigen Gen die Chemie der Versuchspflanze (Arabidopsis thaliana) in einem laborbasierten Modell-Ökosystem derartig verändern konnte, dass das Modellnahrungsnetz bestehend aus zwei pflanzen-saugenden Blattlausarten und einer parasitoiden Kleinwespe entweder florierte oder zusammenbrach [9]. Das heißt auch einfache, gen-beeinflusste Veränderungen können zu großen Auswirkungen in den nachgeschalteten Systemen führen. Wann, wo und wie sie das tun werden, kann niemand, trotz vermeintlich ‚vorhersagbarer (predictable) DNA‘, vorhersagen.“
Auf die Frage, welche konkreten NGT-Pflanzensorten bereits existieren, die für die deutsche/europäische Landwirtschaft besonders interessant sind:
„Die sogenannten ‚neuen‘ Genomtechniken sind bereits Jahrzehnte alte Methoden, einige sind sogar älter als der von der EU-Kommission willkürlich gewählte Zeitrahmen, nämlich das Jahr 2001, in dem die bestehenden GVO-Vorschriften verabschiedet wurden. TALENS, ZINC-Finger, ODM und definitiv die Cis-Genetik reichen alle deutlich weiter zurück als 2001 und damit ins vergangene Jahrhundert. Selbst die am meisten gepriesenen Techniken, die unter CRISPR/Cas zusammengefasst werden, liegen inzwischen auch schon mehr als ein Jahrzehnt zurück. Das sind alles (ur-) alte Techniken, wenn man sie an dem Technologiestandard misst, mit dem sich die Gentechnik so gerne gleichsetzt: den IT-Technologien. Dies belegen alleine schon die sorgsam gewählten Begrifflichkeiten aus dem IT-Bereich, wie ‚copy, paste, delete‘, DNA ‚code‘, ‚Programmierung‘ von Genen und das vielzitierte ‚Editing‘. Bei all diesen Techniken wurden deren vermeintlich schnelle Eingriffs- und Entwicklungsmöglichkeiten vollmundig beworben und neuartige, maßgeschneiderte Organismen vom Laufband versprochen, die in allerlei problematischen Umwelten prächtig gedeihen sollten. Doch trotz schier unlimitierter Finanzierung sowohl im privaten als auch öffentlichen Sektor lassen die versprochenen Wunderpflanzen seit Jahrzehnten auf sich warten, auch oder gerade in jenen Weltregionen, in denen sie von keinen vermeintlich restriktiven Regulierungen in ihrer Entfaltung begrenzt werden. Unzählig viele stehen in Laboren und Gewächshäusern, wenige schaffen den Sprung ins Feld und nahe Null auf den Markt, nach vielen Jahren der Entwicklung. So zum Beispiel die GABA-Tomate in Japan, die laut ihrer Entwickler 15 Jahre gebraucht und Millionen gekostet hat, und von der niemand so recht weiß, wer sie wo anbaut und in welchem Umfang. Und vollständig unbekannt ist, ob sie ihre beworbene Wirkung – den Blutdruck zu senken – auch tatsächlich messbar erzielt und demnach für Menschen mit Hypotonie eher ungeeignet ist.“
„Im Gegenteil, eine der wenigen sogenannten ‚gen-editierten‘ Nutzpflanzen, die es tatsächlich auf den Markt geschafft hat und auf nennenswerten Flächen angebaut wurde – eine Sojabohne mit veränderter Fettsäurezusammensetzung der Firma Calyxt – wurde nach sehr wenigen Jahren des Anbaus 2021 wegen enttäuschender Erträge vom Markt genommen.“
Auf die Frage, wie die im Annex 3 gelistete Nachhaltigkeitskriterien einzuschätzen sind:
„Die Liste im Annex 3 umfasst die übliche Wunschliste, die schon immer von der Gentechnik versprochen und bis heute kaum geliefert wurde. Manches liest sich auch wie eine Wunschliste für den Weihnachtsmann, zum Beispiel ‚Tolerance/resistance to abiotic stresses, including climate adaptation‘. Die komplexen, in permanenter Wechselwirkung stehenden Netzwerke von hunderten von Genen, die einen Organismus – egal ob Pflanze, Tier, Mensch oder Mikrobe – zu den ungeheuren Anpassungsleistungen befähigen, die er permanent erbringt, sind nicht nur jenseits der technischen Möglichkeiten der Gentechnik, sondern auch jenseits unseres Verständnisses dieser Zusammenhänge, was meiner Meinung nach immer noch die Grundlage für zielführendes Eingreifen ist.“
„Die Steigerung von Ernteerträgen (immer Umwelt- und Sorten-abhängig, was immer mehr als nur eine Eigenschaft ist) unter lediglich geringerem Einsatz von ‚Inputs‘ ist kaum nachhaltig an sich, sondern nur etwas weniger schädlich – vielleicht. Auch ein reduzierter Einsatz von Agrartoxinen und synthetischen Düngern zerstört immer noch Bodenleben und Biodiversität. Eindeutig nachhaltig ist lediglich die Unterlassung von derartigen Inputs, was interessanterweise kein Nachhaltigkeitsziel/-eigenschaft ist. Eigenschaften der Punkte 3 (improved quality or nutritional characteristics) und 6 (improved storage performance) haben ebenfalls kaum etwas mit ökologischer Nachhaltigkeit zu tun, und viel mit Vermarktung, Transport und shelf life. Hingegen ist es zu begrüßen, dass Herbizid-resistente Nutzpflanzen von der Deregulierung ausgenommen werden sollen. Bei Herbiziden ist es offensichtlich angekommen, dass ein proklamierter reduzierter Einsatz alleine nicht nachhaltig ist. Bleibt zu wünschen, dass dies auch bald für alle anderen Agrartoxine gelten wird.“
Leiter des Instituts Biochemie der Pflanzen, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
„Die Äquivalenz von NGT-Pflanzen mit herkömmlich gezüchteten Pflanzen entspricht dem Konsens der Empfehlungen zahlreicher unabhängiger Akademien, Wissenschaftsverbände und Forschungsinstitute. Die Notifizierung stellt Transparenz her, ebenso die vorgesehene Kennzeichnung der Saatgutverpackung. Die Zulassung würde künftig durch das Bundessortenamt nach dem etablierten Verfahren der Sortenzulassung erfolgen, das eine mehrjährige Prüfung der Eigenschaften an vielen Standorten vorsieht, ebenso wie eine Prüfung von Inhaltstoffen. Damit erfolgt das Zulassungsverfahren nach eigenschaftsbasierten Kriterien, nicht mehr nach Kriterien, die sich auf die Züchtungsmethodik beziehen.“
„Im Vergleich zu herkömmlichen Züchtungsverfahren, insbesondere im Vergleich zur Zufallsmutagenese durch ionisierende Strahlung oder Chemikalien, sind 20 Modifikationen sehr wenig – bei der Zufallsmutagenese ist mit vielen tausenden Sequenzänderungen zu rechnen. Ob die Obergrenze von 20 Modifikationen zu Limitationen führt, muss die Erfahrung zeigen. Gegebenenfalls wird man die Regelungen in einigen Jahren nochmals nachjustieren und nach oben anpassen müssen.“
„Forschende und Züchtungsfirmen können nun gezielt genetische Varianten aus dem Genpool einer Art kombinieren, ohne dabei unerwünschtes genetisches Material in das Produkt einzubringen (wie es bei herkömmlichen Kreuzungen der Fall wäre). Damit lässt sich der Züchtungsprozess beschleunigen und auch schneller herausfinden, ob bestimmte genetische Varianten in der Tat die erwartete Eigenschaft hervorbringen. Ebenso lassen sich nun genetisch streng gekoppelte unerwünschte und erwünschten Eigenschaften (wenn Gene sehr nahe beieinander auf einem Chromosom liegen) voneinander trennen.“
„Mit Hilfe von 20 Modifikationen lassen sich wesentliche Domestizierungseigenschaften in Vorläufer von Kulturarten einbringen und damit neue genetische Diversität in die Kultursorten geholt werden. Der Domestizierungsprozess neuartiger Nutzpflanzen, die zum Beispiel als Zwischen- oder Eiweißfrüchte genutzt werden können, lässt sich beschleunigen und damit die Vielfalt auf unseren Feldern erhöhen.“
„Für Forschende ergeben sich nun neue Möglichkeiten, die Funktion von genetischen Varianten in der Anpassung an bestimmte Umweltsituationen experimentell im Freiland zu überprüfen. Das Fehlen dieser Möglichkeit war eine erhebliche Einschränkung der Forschung, die ein tieferes Verständnis von Genomen und genetischer Variation behindert hat. Gerade aus Sicht der Grundlagenforschung sind die vorgeschlagenen Änderungen sehr zu begrüßen.“
„Als Einschränkung verbleibt, dass Sequenzen außerhalb des Genpools einer Art nicht genutzt werden können.“
Auf die Frage, wie sich die Grenze von 20 Nukleotiden in Punkt 1 des Annex 1 begründet:
„Die Grenze von 20 Nukleotiden geht nach meiner Kenntnis darauf zurück, dass Substitutionen und Insertionen dieser Länge relativ häufig in Genomen der gleichen Art beobachtet wurden (Arbeiten von Professor Weigel, MPI Tübingen). Sie ist also ein evidenzbasiertes Kriterium. Jedoch wurden damals sogenannte ‚short read‘-Technologien eingesetzt, was die Auffindung von längeren Substitutionen oder Insertionen erschwerte. Nach heutigem Stand des Wissens würde man eher eine weitere Grenze ziehen. Es ist aber sicherlich sinnvoll, nun erst mal mit der Grenze von 20 Nukleotiden zu arbeiten, damit Erfahrung zu sammeln und in einigen Jahren auf Basis dieser Erfahrungen die Grenze für Substitutionen und Insertionen anzupassen. Die sehr konservative ‚Grenzziehung‘ dient, ebenso wie die Registrierung von NGT-Sorten, sicherlich auch der Vertrauensbildung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.“
„Nach meinem Verständnis des Textes bezieht sich die Grenze von 20 Nukleotiden auf Insertionen und Substitutionen jeglicher Art, auch auf Sequenzen, die so nicht im Genpool der Art vorkommen. Für Sequenzen, die im Genpool der Art vorkommen, gilt diese Grenze nicht – zumindest verstehe ich den Text von Punkt 3 so. Das macht durchaus Sinn, da Sequenzen innerhalb des Genpools einer Art auch durch klassische Züchtung neu kombiniert werden können – das ist schließlich das Prinzip der Züchtung.“
„Es gibt bereits über 700 Pflanzensorten, die mit Hilfe der NGT erzeugt wurden, von denen viele auch für die europäische Landwirtschaft interessant sind. Hierzu gehören insbesondere Sorten, die resistent gegen diverse Pilzkrankheiten sind, dadurch Erträge sichern und den Verbrauch von Fungiziden reduzieren. Eine vollständige Übersicht findet sich hier [10].“
„Gerade im Obst- und Weinbau werden sehr viele Fungizide eingesetzt – 75 Prozent des Fungizideinsatzes in Deutschland erfolgt im Weinbau. Daher bieten Pilzresistenzen erhebliche Nachhaltigkeitsvorteile. Auch im biologischen Landbau werden Fungizide wie zum Beispiel das toxische Metall Kupfer eingesetzt, daher könnte auch der biologische Landbau sehr von pilzresistenten Sorten profitieren.“
„Im Weizen lassen sich mit Hilfe von NGT Resistenzen gegen Mehltau und Rostpilze erzeugen, was wiederum Erträge sichert und Fungizide vermeidet.“
„Die Nutzung von NGT außerhalb Europas kann durchaus auch Vorteile für europäische Verbraucher bringen. So kann mit Hilfe der NGT der Arsen- und Cadmium-Gehalt von Reis gesenkt werden. Die bei uns häufig verzehrten Reiskekse enthalten oft relativ hohe Arsenkonzentrationen, da Reis natürlicherweise viel Arsen aufnimmt. Die Beladung der Reiskörner mit Arsen kann man durch NGT unterbinden und damit ein weniger belastetes Produkt für die Verbraucher anbieten.“
„Die in Annex 3 gelisteten Nachhaltigkeitskriterien sind nachvollziehbar und umfassend. Es fehlen jedoch einige Kriterien, die für neuartige Anbausysteme mit potenziellen Nachhaltigkeitsvorteilen relevant wären. Hierzu gehören zum Beispiel die Eignung für Mischkulturen, die Vereinbarkeit mit Agri-Photovoltaik, Eignung für Agroforstsysteme, Eignung für neuartige, vielfältigere Fruchtfolgen und so weiter. Solche Eigenschaften könnten sich unter den recht allgemein formulierten Eigenschaften im Annex wiederfinden, es wäre jedoch gut, ausdrücklich auch solche bislang weniger beachtete Anbauformen mit einzubeziehen. Ebenso nicht genannt ist die de novo Domestizierung (Domestizierung im Schnellverfahren, bei der mittels NGT ursprüngliche, wilde Sorten mit den ausschließlich relevanten Eigenschaften für die Kultivierung angepasst werden; Anm. d. Red.), die sollte meiner Meinung nach auch in diesem Kontext genannt werden.“
„Den Ausschluss von Herbizidresistenzen halte ich für nachvollziehbar, wenn auch nur schwerlich rational begründbar. Durch Kombination von Saatgut und Herbiziden könnten Abhängigkeiten entstehen, die zum Nachteil der Landwirtschaft sein könnten. Letztlich dient der Ausschluss von Herbizidresistenzen einer klaren Definition von Nachhaltigkeitskriterien und ist insofern zu begrüßen.“
Gruppenleiter im Department for Molecular Plant Biology (DBMV), Universität Lausanne, Schweiz, Schweiz
„Im Großen und Ganzen kann man den Regulationsvorschlag nur begrüßen, da er zum ersten Mal eine produktbasierte Bewertung von genom-editierten Pflanzen in Aussicht stellt.“
Auf die Frage, wie das Kriterium zu bewerten ist, dass bis zu 20 genetische Modifikation durchgeführt werden können:
„Das wichtigste agronomische Merkmal, der Ertrag, setzt sich aus einer Vielzahl von Merkmalen zusammen (zum Beispiel Korngröße, Kornanzahl, Krankheitsresistenz, Stresstoleranz und so weiter). Viele dieser Merkmale werden wiederum durch dutzende Gene beeinflusst. Daher werden in der konventionellen Züchtung hunderte oder sogar tausende Genmutationen neu kombiniert, um einzelne Merkmale neu anzupassen. Genetische Modifikationen, die durch NGT direkt im Genom hervorgerufen werden, sind nichts Weiteres als Mutationen. Daher wäre es wünschenswert, wenn es keine Obergrenze an genetischen Modifikationen geben würde.“
Auf die Frage, welche Möglichkeiten die Punkte 1-5 im Annex 1 eröffnen:
„Die Formulierung ist etwas komplex, doch scheinen kaum Einschränkungen zu verbleiben, solange die Gene und Mutationen auch prinzipiell durch Kreuzung (‚in breeders’ gene pool‘) übertragen werden könnten. Zum Beispiel sollte Punkt 5 das Einbringen eines kompletten Resistenzgens von mehreren tausend Nukleotiden aus dem Wildapfel in einen Kulturapfel ohne aufwändige Zulassung ermöglichen, da dies prinzipiell auch durch Kreuzung machbar wäre.“
Auf die Frage, wie sich die Grenze von 20 Nukleotiden in Punkt 1 des Annex 1 begründet:
„Spontane Mutationen, die durch natürliche Einflüsse wie UV-Strahlung oder fehlerhafte DNA-Replikation entstanden sind und durch den Menschen währen der Domestizierung und Züchtung selektiert wurden, kennen keine numerische Obergrenze an Nukleotiden. Ich kann die Grenze von 20 Nukleotiden daher nicht ganz nachvollziehen. Bestenfalls ist es eine Entscheidung basierend auf einer etwas älteren Ansicht von genomischer Diversität. Bis vor circa fünf bis zehn Jahren war man oftmals der Ansicht, dass sich verschiedene Individuen einer Pflanzenart (oder Tierart) hauptsächlich durch kleine Mutationen, sogenannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs, die Mutationen eines Nukleotids) und Insertionen/Deletionen von eins bis 50 Nukleotiden unterscheiden. Allerdings haben die Fortschritte in der Genomsequenzierung in den vergangenen Jahren gezeigt, dass viele Merkmale durch viel größere Mutationen, sogenannte Strukturelle Varianten (SVs), hervorgerufen werden, welche tausende Nukleotide lang sein können. Zum Beispiel kommt es in der Natur oftmals zur Verdopplung von Genen, welche dann eine mehrere tausend Nukleotide lange Insertion zur Folge hat. Solche Genduplikationen wurden auch durch den Menschen während der Domestizierung von Pflanzen selektiert aber würden eine besondere Zulassung benötigen, falls sie durch Genomeditierung in anderen Sorten der gleichen Art hervorgerufen werden würden. Eine Obergrenze von 20 Nukleotiden ist deshalb wissenschaftlich nicht nachvollziehbar und ich würde mich gegen eine Obergrenze für DNA-Fragmente aussprechen.“
Auf die Frage, welche konkreten NGT-Pflanzensorten bereits existieren, die für die deutsche/europäische Landwirtschaft besonders interessant sind:
„Hierzu kann ich sie auf ein Fact Sheet [11] mit Beispielen hinweisen, das die Schweizer Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) mit meiner Beteiligung vor Kurzem veröffentlicht hat. Besonders Krankheitsresistenzen könnten relativ unkompliziert durch Genomeditierung in verschiedene Sorten eingebracht werden. Krankheitsresistenzen sind besonders interessant, da sie oft durch wenige oder sogar einzelne Gene kontrolliert werden. Außerdem bringt der Klimawandel neue Krankheitserreger in unsere Breitengrade und macht Pflanzen anfälliger für klimabedingte Stressfaktoren (Hitze, Trockenheit, Starkregen und so weiter). Darüber hinaus verlangt die Gesellschaft einen verringerten Einsatz von Pestiziden. Beispiele für mögliche Anwendungsfälle wären Weizen und Reben mit Resistenz gegen Mehltau, Tomaten mit Resistenz gegen das Jordanvirus und Kartoffeln mit Resistenz gegen Kraut- und Knollenfäule.“
Auf die Frage, wie die im Annex 3 gelistete Nachhaltigkeitskriterien einzuschätzen sind:
„Meiner Ansicht nach sind die Kriterien gut gewählt, da sie alle auf eine Reduktion des Inputs und/oder des Verlusts abzielen. Die Nachhaltigkeit von Herbizidresistenzen in Verbindung mit Direktsaat ohne Bodenbearbeitung wird heiß diskutiert. Hierzu wäre die Expertenmeinung einer Agronomin gefordert.“
Leiterin des Fachgebiets „Bewertung Synthetische Biologie, Vollzug, Gentechnikgesetz“, Bundesamt für Naturschutz, Bonn
Das Statement basiert auf dem Pressehintergrund „14 Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Gentechnik“ des Bundesamtes für Naturschutz.
„Zentral für die Regulierung ist nicht die Frage, ob bestimmte Neue Gentechniken (NGT) ähnlich zur Zucht sind, sondern ob mit der gentechnischen Veränderung potenziell Risiken verbunden sind. NGT haben ein großes Potential, Pflanzen zu verändern, und dies ist mit potenziellen Risiken verbunden. Im Vergleich mit konventioneller Züchtung wird deutlich, dass mit NGT Veränderungen zahlreicher und schneller vorgenommen werden können. Selbst ein präziser Eingriff mit NGT kann, ohne dass zusätzliche Gene eingefügt werden, die Eigenschaften von Organismen stark verändern. Durch NGT ist erstmalig das ganze Erbgut gleichermaßen und sehr schnell für gentechnische Veränderungen verfügbar. Dadurch können die neuen gentechnischen Verfahren eine wesentlich höhere Wirkmächtigkeit haben als herkömmliche Züchtungstechniken. Potenziell negative Auswirkungen auf Natur und Gesundheit können nur erkannt werden, wenn entsprechend dem Vorsorgeprinzip eine Risikoprüfung sichergestellt wird. Regulierung ist hier demnach als Chance zu verstehen und nicht als Verhinderung.“
„Die Anwendung von NGT kann zum Beispiel zu unbeabsichtigten genomischen Veränderungen führen. Auch geringfügige genetische Veränderungen können große Auswirkungen haben. Darüber hinaus sind mögliche Risiken zukünftiger Produkte und Pflanzeneigenschaften heute noch nicht absehbar und werden auch bei den heute verfügbaren Pflanzen erst im Anbau umfassend sichtbar werden. Wenn diese Techniken hintereinander immer wieder angewendet und damit die Funktionen mehrerer verschiedener Gene verändert werden (‚multiplexing‘), hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Pflanze. Das Einfügen neuer Eigenschaften in eine Pflanze birgt immer das potenzielle Risiko, zu negativen Auswirkungen auf Ökosysteme und die biologische Vielfalt zu führen. Sollte es beispielsweise gelingen, eine trockenresistente Feldfrucht zu entwickeln, so könnte diese invasiv werden, weil sie auf einmal Habitate besiedeln könnte, in denen sie vorher nicht überleben konnte.“
„Für Pflanzen mit verändertem Umweltverhalten besteht die Möglichkeit, dass sie sich durch eine höhere Fitness leichter verbreiten und andere Arten verdrängen. Es könnten auch gezielt Areale für die Landwirtschaft neu erschlossen werden, die bisher hierfür nicht zugänglich waren. Damit könnten regionale, an extreme Wetterbedingungen angepasste Ökosysteme geschädigt werden. Ein weiteres Beispiel ist die Schädigung von Insekten und anderen Tieren durch Wirkstoffe, die von insektizid wirkenden gentechnisch veränderten Pflanzen produziert werden. Solche Substanzen werden vor allem durch neu eingefügte artfremde Gene exprimiert, also abgelesen und gebildet (Transgenese), eine Übertragung aus verwandten Pflanzen ist aber nicht grundsätzlich auszuschließen (Cisgenese).“
„NGT-Pflanzen lassen sich nicht generell nach ihrem Risiko kategorisieren. Einerseits könnten die angewandten Methoden unbeabsichtigte Veränderungen hervorrufen und andererseits korrelieren Menge und Art der DNA-Veränderung nicht mit dem Phänotyp. Beispielsweise kann ein Gen aus einer verwandten Art in dem neuen genetischen Kontext andere Eigenschaften entwickeln. Auch die Art und der Umfang der Veränderung sind nicht geeignete Kategorien, um per se von einem geringen Risiko auszugehen. Eine fallspezifischen Risikobewertung ist deshalb notwendig; das heißt potenzielle Risiken in der Pflanze und für Ökosysteme, Biodiversität und die menschliche Gesundheit werden untersucht.“
„Das Bundesamt für Naturschutz hat rechtlich prüfen lassen, ob und inwieweit andere Regelungsregime neben dem Gentechnikrecht dazu geeignet sind, mögliche Umweltrisiken der durch neue Techniken entstandenen Organismen zu kontrollieren. Der Verfasser analysiert unter anderem das Saatgutrecht, das europäische Lebens- und Futtermittelrecht sowie das Pflanzenschutzmittel- und Sortenschutzrecht und zeigt dabei eklatante Regelungslücken auf. Denn weder einzeln noch in der Gesamtschau sind die untersuchten Rechtsgebiete in der Lage, eine dem Gentechnikrecht vergleichbare Kontrolle möglicher Umweltauswirkungen aufzufangen und es würde zudem zu einer Zersplitterung der Zuständigkeiten führen [12].“
„Ich habe keine geschäftlichen Verfechtungen mit europäischen Züchtungsunternehmen, also keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Detlef Weigel ist an der Firma Computomics beteiligt, die Pflanzenzüchter berät. Detlef Weigel berät außerdem die KWS SE, einen weltweit tätigen Pflanzenzüchter und Saatguthersteller.“
„Wir nutzen die Genomeditierung in unserer Grundlagenforschung. Die vorgesehenen Änderungen der Regulierung würden uns Freilandversuche ermöglichen, die wir bislang in der gewünschten Form nicht durchführen können. Daher würde unsere Forschung durch die neuen Regelungen gewinnen.“
„Ich benutze NGT in meiner Forschungsarbeit, welche ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Ich würde eine Gleichsetzung von konventionell gezüchteten und genom-editieren Pflanzen begrüßen, da dies meiner Forschungsgruppe die Versuchsbedingungen mit NGT im Freiland erleichtern würde und wir so den Nutzen der Pflanzen besser testen könnten.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Sánchez-León S (2017): Low-gluten, nontransgenic wheat engineered with CRISPR/Cas9. Plant Biotechnology Journal. DOI: 10.1111/pbi.12837.
[2] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina et al. (2019): Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU. Stellungnahme.
[3] Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (2012): Neue Techniken für die Pflanzenzüchtung. Stellungnahme.
[4] Cao J et al. (2011): Whole-genome sequencing of multiple Arabidopsis thaliana populations. Nature Genetics. DOI: 10.1038/ng.911.
[5] European Sustainable Agriculture Through Genome Editing (EU SAGE): Genome Search.
[6] Leibniz Institute of Plant Genetics and Crop Plant Research (IPK) (02.11.2022): IPK researchers use Cas9 gene scissors to establish new resistances of winter barley to viruses. Pressemitteilung.
[7] European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER) et al. (2021): Scientific Critique of Leopoldina and EASAC Statements on Genome Edited Plants in the EU.
[8] Wilson AK (2021): Will gene-edited and other GM crops fail sustainable food systems? Rethinking Food and Agriculture. New Ways Forward. DOI: 10.1016/B978-0-12-816410-5.00013-X.
[9] Barbour MA (2022): A keystone gene underlies the persistence of an experimental food web. Science. DOI: 10.1126/science.abf2232.
[10] European Sustainable Agriculture Through Genome Editing (EU SAGE): Traits related to biotic stress tolerance.
[11] Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) (2023): Neue Züchtungstechnologien: Anwendungsbeispiele aus der Pflanzenforschung. Bericht.
[12] Bundesamt für Naturschutz (15.11.2017): Gutachten: Keine ausreichende Kontrolle Neuer Techniken außerhalb des Gentechnikrechts. Pressemitteilung der Behörde.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] ARC (15.06.2023): Leak – Draft NGT Regulation and Impact Assessment revealed. Agricultural and Rural Convention – ARC2020.
Prof. Dr. Holger Puchta
Geschäftsführender Direktor des Botanischen Instituts und Inhaber des Lehrstuhls Molekularbiologie und Biochemie der Pflanzen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
Prof. Dr. Matin Qaim
Professor für Agrarökonomie und Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Dr. Robert Hoffie
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Physiologie und Zellbiologie, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben
Prof. Dr. Detlef Weigel
Direktor, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
Dr. Angelika Hilbeck
Wissenschaftlerin am Institut für Integrative Biologie, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Zürich, und Vorsitzende des European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER), Schweiz
Prof. Dr. Andreas Weber
Leiter des Instituts Biochemie der Pflanzen, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Sebastian Soyk
Gruppenleiter im Department for Molecular Plant Biology (DBMV), Universität Lausanne, Schweiz, Schweiz
Dr. Margret Engelhard
Leiterin des Fachgebiets „Bewertung Synthetische Biologie, Vollzug, Gentechnikgesetz“, Bundesamt für Naturschutz, Bonn