Mögliche Umweltschäden durch Ammoniak in der Energiewirtschaft
Studie: Umweltgefahren von Ammoniak als Transportmittel für grünen Wasserstoff werden zu wenig bedacht
Grund: Bei schlechter Handhabung könnten große Mengen umweltschädlicher Gase entweichen, mit Folgen fürs Klima und den Stickstoffkreislauf
Forschende: Studie weist auf wichtigen Punkt für ein Ammoniaksystem hin, ist aber ein Worst-Case-Szenario, das so nicht eintreten muss
Wasserstoff in Form von Ammoniak (NH3) zu transportieren, könnte umwelt- und klimaschädlicher sein als bisher berücksichtigt. Das ist das Ergebnis einer Studie, die am 6. November 2023 von einem US-amerikanischen Forschungsteam im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Bei schlechter Handhabung könnten bei der Produktion, der Rückumwandlung des Ammoniaks in Wasserstoff und Stickstoff (Cracking) und bei unvollständiger Verbrennung in großem Maße reaktive Stickstoffverbindungen wie NH3, Stickoxide (NOx) und Lachgas (N2O) entweichen.
Leiterin der Gruppe "Energiepotenziale und Versorgungspfade" am Institut für Energie- und Klimaforschung – Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3), Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ), Jülich
Methodik der Studie
„Die Studie betrachtet ein angenommenes Szenario für mögliche zukünftige grüne Ammoniaknachfragen und benennt die getroffenen Annahmen transparent. Die Autoren beschreiben die potenziellen Umweltauswirkungen sehr gut und behandeln davon in dieser Studie die Treibhausgasemissionen. Bezüglich der Prozesskette von der Produktion bis zur Nutzung des Ammoniaks betrachten die Autoren die Emissionen von zwei wesentlichen Prozessschritten, der Haber-Bosch Synthese zur Produktion von Ammoniak und der Verbrennung in Kraftwerken oder als Kraftstoff. Wie die angenommenen Emissionsfaktoren hergeleitet wurden, bleibt teilweise unklar. Diese bewegen sich aber in realistischen, wenn nicht leicht optimistischen Bereichen. Mögliche Emissionen der anderen Prozessschritte werden bewusst nicht betrachtet, aber transparent erwähnt und würden die Aussage der Studie nur weiter unterstreichen.“
„Auch wenn die Verbrennung von Ammoniak in Kraftwerken und als Kraftstoff durchaus in der wissenschaftlichen Literatur diskutiert wird, sehen wir dies eher kritisch. Zum einen, da für Kraftwerke, die in Szenarien vor allem dem Ausgleich volatiler erneuerbarer Energien dienen, dann noch eine saisonale Speicherung von Ammoniak erfolgen müsste. Dazu, welche technischen Beschränkungen, Risiken und Kosten damit einhergehen, können wir aktuell keine belastbare Aussage treffen, aber das Risiko für Kontaminierungen von Grundwasser ist hierbei nicht zu vernachlässigen. Zum anderen sind bei der Nutzung als Kraftstoff mit oft unvollständiger Verbrennung aufgrund von Teillastbetrieb vor allem die gesundheitlichen Risiken insbesondere auch für den Straßenverkehr entscheidend, so dass wir diese Verwendung ebenfalls kritisch sehen. Aber selbst wenn der Nutzungspfad stattdessen ausschließlich über das Cracking (Umwandlung des Ammoniaks zurück zu Wasserstoff, Anm. d. Red.) zurück zum grünen Wasserstoff verlaufen würde, wären die Kernaussagen der Studie weiterhin valide.“
Technische Lösungen gegen Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„Viele der genannten Alternativen haben laut der Studie nur einen niedrigen TRL (Technology Readiness Level) (siehe auch folgendes SMC-Factsheet zu TRL: [I], Anm. d. Red.). Das heißt, es ist unklar, ob und wann diese im Markt verfügbar wären, was recht wahrscheinlich und je nach Technologieentwicklung für einen Hochlauf eines Ammoniaksystems zu spät käme.“
Regulierung von Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„Wenn man Ammoniakemissionen regulieren wollte, müsste man diese erfassen können. Da laut Studie ein Ammoniakaustritt aber nur wenige Stunden messbar ist, wäre eine nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich hohe Auflösung für die globale Erfassung nötig, da der geplante Ammoniakeinsatz nicht zu kontinuierlichen oder zentral auftretenden Emissionen führen würde. Eine derartige Emissionserfassung erscheint uns eher unwahrscheinlich oder wäre mit massiven Kosten verbunden.“
Alternativen zu Ammoniak als Transportmittel
„Eigentlich wäre nur der direkte Wassersstoffpfad eine Alternative und hierbei für den globalen Austausch insbesondere der Flüssigwasserstoff. Dieser Pfad wird in der Studie mit Hinweis auf Kosten und mögliche Treibhausgaseffekte verworfen. Bei den Kosten zeigen aktuelle Berechnungen jedoch, dass dies für weite Transportrouten perspektivisch die günstigste Transportoption werden kann. Die möglichen Treibhausgaseffekte von Wasserstoffemissionen sind nach unserem Kenntnisstand untergeordnet und derzeit aber noch Teil der Forschung.“
„Insofern adressiert die Studie einen wichtigen, sehr kritischen Punkt eines potenziellen Ammoniaksystems.“
Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
Vorteile von Ammoniak
„Grüner Ammoniak ist ein vielversprechender Energieträger, der es ermöglicht, aus weit entfernten Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte erneuerbare Energien zu ‚ernten‘. So kann einerseits über wertebasierte Energiepartnerschaften Wertschöpfung in den globalen Süden gebracht und andererseits unsere Versorgungssicherheit mit grüner Energie samt Klimaschutz gewährleistet werden.“
„Ein weiterer Vorteil ist die Wandlung von grünem Ammoniak in Düngemittel, welcher in den Ländern des globalen Südens zur Ernährungssicherung dienen kann. Diese direkte Nutzung ist einer reinen Nutzung als Wasserstoffträger samt Rückformung in reinen Wasserstoff in jedem Falle vorzuziehen, da effizienter und technisch ausgereift.“
Technische Lösungen gegen Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„In der Herstellung ist grüner Ammoniak wesentlich einfacher als andere E-Fuels wie grünes Methanol oder Flugkerosin, da der nötige Stickstoff aus der Luft viel einfacher zu gewinnen ist als CO2. Dazu gibt es weltweit über 150 Häfen, welche Ammoniak als Gut abwickeln. Die Handhabung von Ammoniak ist also ein lange etablierter Industriestandard. Zentral dabei ist die Einhaltung von technischen Standards zur Gewinnung, dem Transport und der Nutzung von Ammoniak. Hier spielen die in der Studie angesprochenen Ammoniak-Lecks eine zentrale Rolle. Allein aus Sicherheitsgründen liegt jedoch auch bei allen Akteuren in der Wertschöpfungskette das Interesse sehr hoch, diese Lecks zu vermeiden.“
Regulierung von Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„Vor diesem Hintergrund ist die Studie einzuordnen: die Annahmen sind Worst Case Betrachtungen, welche auf die Thematik hinweisen sollen. Ähnliche Studien gab es für LNG, Erdgas oder sogar reinen Wasserstoff, welche ebenfalls im Worst Case nahelegten, ganz von der Nutzung von LNG und Erdgas abzulassen. Das Worst-Case-Szenario ist in der Realität nicht absehbar, weshalb über geeignete Regulation und Prüfungen sicherzustellen ist, dass national wie international alle Standards zu Technik und Umwelt eingehalten werden.“
Fachgebietsleitung Sustainable Technology Design, Universität Kassel
Methodik der Studie
„Ich halte die Studie für methodisch klar strukturiert und gut nachvollziehbar. Sie ist inhaltlich sehr gut recherchiert und hat eine sehr aktuelle Quellenlage.“
„Die Studie untersucht den Fall einer (zukünftigen) globalen Energiewirtschaft, die zu etwa 15 Prozent auf Wasserstoff beruht, der wiederum zu rund 20 Prozent in Form von Ammoniak transportiert wird. Diese Anteile von Wasserstoff und Ammoniak liegen aus meiner Sicht eher am oberen Rand einer zu erwartenden Entwicklung, sind aber durchaus realistisch und entsprechen den Erwartungen vieler Klimaneutralitäts-Szenarien.“
„Allerdings geht die Studie davon aus, dass sich der weltweite Energieeinsatz von heute knapp 600 Exajoule auf 1000 Exajoule fast verdoppeln wird. Diese Annahme ist aus meiner Sicht eher ein Extremszenario. So geht zum Beispiel die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem aktuellen Special Report ‚Net Zero by 2050‘ [1] davon aus, dass der globale Primärenergieeinsatz im Trend (dem sogenannten Stated Policy Scenario) bis 2050 auf circa 750 Exajoule ansteigen wird, im Rahmen eines Advanced Policy Scenario dagegen nur auf etwa 680 Exajoule. Im – meines Erachtens politisch anzustrebenden – Net-Zero-Emissions-Szenario sinkt der globale Primärenergieeinsatz unter anderem aufgrund der höheren Effizienz eines stark elektrifizierten Energiesystems sogar um circa 7 Prozent auf etwa 550 Exajoule. Allein dieser Unterschied bedeutet, dass die Abschätzungen der Studie tendenziell einen sehr hohen oberen Bereich der möglichen Stickstoffemissionen der Ammoniakwirtschaft darstellen.“
„Das bereits erwähnte Net-Zero-Emissions-Szenario der IEA geht für das Jahr 2050 von einem Einsatz von circa 30 Exajoule Wasserstoff aus, das heißt ungefähr 20 Prozent des von den Studienautoren angenommenen Volumens. In diesem Fall würden auch die potentiellen Emissionen von reaktivem Stickstoff maximal ein Fünftel der in der Studie abgeschätzten Werte betragen.“
Technische Lösungen gegen Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„In der Studie werden die verschiedenen Möglichkeiten zur Emissionsvermeidung sehr kenntnisreich aufgelistet. Diese erfordern zum Teil noch technische Entwicklungen, sind aber insgesamt im Rahmen der Entwicklung einer Ammoniakwirtschaft als realistisch umsetzbar einzuschätzen. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass der Aufbau einer Wasserstoff- beziehungsweise Ammoniakwirtschaft in dieser Größenordnung noch mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen wird.“
„Bei den Vermeidungstechnologien handelt es sich grundsätzlich zum einen um bekannte Themen der Vermeidung gasförmiger Emissionen und zum anderen um die Frage, wie das Ammoniak genutzt wird. Beim Einsatz in Brennstoffzellen sind prinzipiell sehr niedrige Emissionswerte zu erwarten. Allerdings erfordert diese Technologie vor einer kommerziellen Nutzung noch erhebliche Forschung und Entwicklung. Bei der Verbrennung von Ammoniak sind potenziell hohe Stickstoffemissionen zu erwarten. Hier ist auch aus Effizienzgründen weitere Forschung und Entwicklung erforderlich, die auch zu einer emissionsärmeren Verbrennung führen wird. Zusätzlich können die seit langem etablierten Verfahren der Rauchgasentstickung eingesetzt werden.“
Regulierung von Stickstoffemissionen aus Ammoniak
„Auch wenn ich sehr optimistisch bin, dass entsprechende Technologien für eine möglichst umweltschonende Ammoniakverwendung entwickelt werden, hängt die tatsächliche Umweltbelastung letztlich auch stark von der betrieblichen Praxis ab, das heißt, dass die Prozesse optimal geplant und betrieben werden. Hierfür ist – in Zukunft – eine entsprechende Regulierung erforderlich. Da erste Anwendungen von Ammoniak in Verbrennungsprozessen derzeit vor allem in der internationalen Seeschifffahrt vorangetrieben werden, wäre dies auch der Bereich, in dem eine solche Regelung nach Möglichkeit zuerst ansetzen sollte.“
Fazit zur Nutzung von Ammoniak
„Ammoniak kann aus heutiger Sicht als eine sehr sinnvolle Komponente einer zukünftigen klimaneutralen Energiewirtschaft angesehen werden. Seine relative und vor allem absolute Bedeutung wird aber voraussichtlich deutlich unter den von den Autoren angenommenen Werten liegen. Zudem ist es aus Energiesystemsicht wünschenswert, das beschriebene grüne Ammoniak zunächst vor allem stofflich, das heißt in der chemischen Industrie zu nutzen. Dort würde es ‚nur‘ bisher fossil erzeugtes Ammoniak ersetzen und damit deutliche Umweltvorteile generieren. Eine energetische Nutzung sollte möglichst nur mit optimierten Technologien und insbesondere in Brennstoffzellen erfolgen. Hier ist mittelfristig auch eine entsprechende politische Prioritätensetzung einschließlich eventueller Regulierung sinnvoll.“
„Mein Fazit zur Studie ist, dass sie sehr fundiert und richtig darauf hinweist, dass es zu einer globalen Ammoniakwirtschaft im großen Maßstab kommen könnte und dass diese – wenn sie technisch nicht gut umgesetzt wird – erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere den Stickstoffhaushalt und das Klima haben könnte. Die Studie zeigt aber auch, was an Gegenmaßnahmen möglich ist, um die entsprechenden Umweltbelastungen auf nahezu Null zu reduzieren. Aus meiner Sicht belegt die Studie daher, dass der Aufbau einer klimaneutralen Energiewirtschaft, die vor allem auf grünem Strom basieren wird, in der aber auch Wasserstoff und Ammoniak eine relevante Rolle spielen werden, nach wie vor sehr wichtig ist. Sie zeigt aber auch, dass – im Bereich der Ammoniakkomponente – Umweltrisiken bestehen, die proaktiv angegangen werden müssen, aber klar bewältigbar sind.“
„Uns sind keine Interessenkonflikte bekannt.“
„Keine Konflikte, Mitglied im nationalen Wasserstoffrat.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Bartagni MB et al. (2023): Minimizing the impacts of the ammonia economy on the nitrogen cycle and climate. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2311728120
Weiterführende Recherchequellen
Umweltbundesamt (2022): Kurzeinschätzung von Ammoniak als Energieträger und Transportmedium für Wasserstoff.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Internationale Energieagentur (2021): Net Zero by 2050. Report der IEA.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2022): Technology Readiness Level. Fact Sheet. Stand: 17.02.2022.
Dr. Heidi Heinrichs
Leiterin der Gruppe "Energiepotenziale und Versorgungspfade" am Institut für Energie- und Klimaforschung – Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3), Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ), Jülich
Prof. Dr. Michael Sterner
Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher FENES, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg
Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer
Fachgebietsleitung Sustainable Technology Design, Universität Kassel