mRNA-Impfstoffe beeinflussen womöglich Proteinbildung
mRNA-Impfstoffe können die Bildung unerwünschter Proteine begünstigen
derlei „ribosomales Frameshifting“ kommt jedoch auch natürlich in der Zelle vor
ungewollte Proteine und Peptide werden rasch abgebaut und sind laut Forschenden ungefährlich
mRNA-Impfstoffe können die Bildung unerwünschter Proteine begünstigen. Das zeigen Forschende in einer Studie im Fachblatt „Nature“ (siehe Primärquelle). Therapeutische mRNAs werden in Impfstoffen meist modifiziert, um die Stabilität zu erhöhen und die Wahrscheinlichkeit eines Immunangriffs gegen die mRNA zu verringern. Derlei Anpassungen können jedoch auch zum sogenannten ribosomalen Frameshifting führen, heißt es in der Studie. Normalerweise liest das Ribosom beim Menschen bei der Translation die mRNA in aufeinanderfolgenden Gruppen von drei Nukleotiden und übersetzt diese in die entsprechenden Aminosäuren, die letztlich ein Protein bilden. Beim ribosomalen Frameshifting verschiebt sich das Leseraster der Ribosomen, was zu einer veränderten Übersetzung führt – und damit zu abnormalen Proteinen oder Peptiden. In der Zelle kommt es ganz natürlich in seltenen Fällen zu solchen Frameshifts. Sie sind ein regulärer Teil einiger genetischer Mechanismen.
Direktorin der Abteilung Physikalische Biochemie, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), Göttingen
Natürliches ribosomales Frameshifting
„Wir müssen verstehen, wie viel von dem Transframe-Peptid synthetisiert wurde und wie immunogen es ist. Die Autoren des Papers geben keine Antwort auf die erste Frage, da sie ihre Daten nicht quantifizieren, aber wenn man sich ihre Daten ansieht, sind die Mengen des Produkts sehr gering. Solche Produkte können in der Zelle auch ohne Impfung vorkommen, und die Zelle ist gut gerüstet, sie zu entfernen. Diese verkürzten Peptide werden sofort abgebaut. Bei einigen Viren ist dieses Frameshifting sehr stark zu beobachten. Das Virus bastelt die mRNA so, dass das Ribosom bei bestimmten Sequenzen stockt; und wenn das Ribosom langsam wird, kommt es eher zu Frameshifts.“
Zum Studiendesign
„Nichtsdestotrotz zeigt die Arbeit, dass es sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen eine Immunreaktion auf Transframe-Peptide gibt. Andererseits heißt es in der Studie eindeutig, dass die Patienten keine nachteiligen Auswirkungen der Impfung hatten. Es liegt auf der Hand, dass man auf der Grundlage sehr kleiner Kohorten (wie in dieser Arbeit) keine Schlussfolgerungen ziehen sollte und dass weitere Studien speziell auf die potenziellen Auswirkungen solcher Transframe-Peptide ausgerichtet sein sollten. Und wie bereits erwähnt: Die Frequenz des Frameshiftings ist in diesem Setting extrem niedrig. Ich würde sogar sagen, dass es nahe der natürlichen Wahrscheinlichkeit liegt. Die Autoren haben diese +1 Peptide sehr gezielt bestimmt, gesucht und gefunden. Aber was die Zelle sonst so auf natürlichem Wege macht, haben sie nicht verglichen.“
Weiterentwicklung der mRNA-Impfstoffe
„Derzeit gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass durch Impfung erzeugte ,frameshifted products‘ beim Menschen mit unerwünschten Wirkungen in Verbindung gebracht werden. Wenn jedoch die Produktion so eingestellt werden kann, dass Frameshifting vermieden wird, sollte dies für die künftige Nutzung der mRNA-Technologie auf jeden Fall geschehen. Die Autoren dieser Arbeit schlagen vor, synonyme Mutationen an sorgfältig ausgewählten Stellen einzuführen, an denen ihrer Meinung nach Frameshifting auftritt. Dies ist eine mögliche, aber riskante Strategie, da synonyme Kodons allein schon zu nachteiligen Auswirkungen führen können, zum Beispiel auf die Produktion oder Immunogenität der Proteinprodukte. Natürlich sollten all diese Strategien sorgfältig geprüft und in künftigen Experimenten getestet werden.“
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Immunreaktion auf modifizierte mRNA-Impfstoffe
„Dies ist eine wichtige kleine Studie, die die Möglichkeit von ribosomalem Frameshifting zum Beispiel bei den derzeit verwendeten COVID-19-mRNA-Impfstoffen betrachtet. Sehr vereinfacht ausgedrückt: Die verwendete RNA (die Bauanleitung für das COVID-19-Protein, die eine schützende Impfantwort auslösen soll) in den Impfstoffen ist teilweise modifiziert, um zum Beispiel die Haltbarkeit oder Immunität gegen die RNA im Impfstoff selbst zu vermindern. Die Herstellung von Impfstoffen basierend auf sich recht schnell abbauender RNA ist in sich eine große wissenschaftliche Leistung. Die Autoren der aktuellen Studie untersuchen die Möglichkeit, dass gerade durch diese mRNA-Modifikationen bei einem kleinen Teil die RNA mit verschobenem Leserahmen abgelesen wird und dadurch ein ganz anderes Protein in der Zelle produziert wird – und daraufhin eine Immunantwort gegen dieses Protein gebildet wird. Die Struktur dieses Proteins ist dann eher zufällig und das Protein hat keine Funktion – besonders keine gefährliche! Aber es kann eine minimale Immunantwort gegen dieses sogenannte Frameshift-Protein gebildet werden. Diese Möglichkeit wird in der vorliegenden Studie plausibel dargelegt, es scheint im Tierversuch zu einer sehr geringen Produktion an Frameshift-Proteinen zu kommen. Dabei hätte ich mir gerade, weil das Thema so aktuell und für uns relevant ist, weitere und tiefergehende immunologische Analysen bei Geimpften Menschen gewünscht – die vorliegenden Daten sind interessant, sollten aber durch weitere Studien unbedingt rasch bestätigt und erweitert werden, auch da die aktuell gemessenen Immunantworten gegen das Frameshift-Protein sich an der unteren Messgrenze befinden.“
Bedeutung des Frameshifts
„Der beschriebene Effekt, wenn zutreffend, ist nicht gefährlich oder beunruhigend und hat mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch nichts mit der allgemeinen Impfreaktionen oder mit den Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen zu tun. Insgesamt sind die COVID-19-mRNA-Impfstoffe sicher und haben nur sehr, sehr selten schwere Nebenwirkungen hervorgerufen. Ein möglicher Effekt einer Frameshift-Immunantwort sollte aber bei der Entwicklung weiter mRNA-Impfstoffe zukünftig zumindest bedacht werden und im Falle von mehrfachen, saisonalen COVID-19-Booster-Impfungen weiter in wissenschaftlichen, begleitenden Studien untersucht werden – zumindest, wenn sich die aktuellen Daten bestätigen. In der Natur kennt man das Phänomen des Frameshifts zum Beispiel bei RNA-Viren wie dem HCV-Virus, auch hier spielen die geringen Immunantworten gegen die Frameshift-Proteine wohl keine pathophysiologische Rolle.“
Fazit
„Zusammenfassend: Dies ist eine wichtige und interessante erste Pilotstudie, die uns weitere Funktionsweisen der modifizierten mRNA-Impfstoffe aufzeigt, aber wir brauchen mehr Daten. Es bleibt festzuhalten, dass mRNA-Impfstoffe sicher sind und dass das Phänomen des Frameshifts an sich und in den aktuellen Impfstoffen kein klinisches Problem darstellt. Eine Frage, die rasch zu klären wäre, wäre auch, ob auch nach einer natürlich ausgeheilten COVID-19-Infektion eine geringe Immunantwort gegen das Frameshift-Spike-Protein zu messen ist. Wenn sich Menschen aufgrund dieser Studie trotzdem unwohl fühlen sollten, mit mRNA-COVID-19-Impfstoffen geboostert zu werden, gibt es gute zugelassene proteinbasierte COVID-19-Impfstoffalternativen.“
Leiterin der Forschungsgruppe „Rekodierungsmechanismen in Infektionen“, Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), Würzburg
Risiko eines ribosomalen Frameshiftings durch mRNA-Therapeutika
„Modifizierte Ribonukleotide werden häufig in therapeutischen mRNAs verwendet, um deren natürliche Tendenz zur Auslösung von Immunreaktionen zu verringern. Die Auswirkungen dieser Modifikationen auf die Genauigkeit der mRNA-Translation sind jedoch noch nicht vollständig untersucht worden. Diese Studie zeigt, dass modifizierte Nukleotide in der BNT162b2-Impfstoff-mRNA das Auftreten von +1 Frameshifting während der Translation erhöht. Dieses Frameshifting ist an bestimmte Sequenzen gebunden, die durch Modifikationen gekennzeichnet sind (wie U*U*U*U*, wobei der Stern die Modifikation darstellt).“
„Normalerweise folgt die Proteinproduktion aus mRNA einem präzisen Prozess, aber gelegentliche Fehler können zu einer Veränderung des Leserasters führen. Diese spontanen Fehler treten in der Regel in vernachlässigbarem Umfang auf. Bestimmte Modifikationen und Sequenzkontexte können jedoch die Häufigkeit dieser Ereignisse erhöhen. Wenn Frameshifting auftritt, führt dies häufig zu vorzeitigen Stoppkodons, wodurch die mRNA gezielt abgebaut wird. Die von der mRNA des Impfstoffs erzeugten +1-Rahmenprodukte werden daher wahrscheinlich schnell abgebaut und stellen somit kein großes Risiko dar. Dennoch können solche fehlerhaften Translationsereignisse die Produktion funktioneller Proteine verringern und die Wirksamkeit des Impfstoffs leicht beeinträchtigen.“
„Diese durch Frameshifting entstandenen nicht funktionalen Peptide könnten auch als kryptische Epitope dienen. Sie könnten von Immunzellen wie CD8+-T-Lymphozyten identifiziert werden, die selbst auf kleinste Mengen von Epitopen sehr empfindlich reagieren. Daher stellen nicht-kanonische Translationsereignisse zwar ein geringes Risiko dar, können aber eine Autoimmunreaktion hervorrufen und die Wirksamkeit von mRNA-Therapeutika beeinträchtigen.“
Immunität gegen Frameshift-Produkte
„Immunantworten, die durch mRNA-Impfstoffe ausgelöst werden, richten sich möglicherweise nicht nur gegen die Produkte typischer offener Leserahmen. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Stärke einer primären CD8+-T-Zell-Antwort mit der Menge der erzeugten Epitope korreliert. Daher könnten die für eine signifikante T-Zell-Aktivierung durch diese versteckten Epitope erforderlichen Expressionsmengen relativ niedrig sein.“
„Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die Übersetzungsgenauigkeit und die Immunantwort von Person zu Person und sogar von Zelle zu Zelle variieren kann. Um potenzielle Off-Target-Effekte, die eine zelluläre Immunität gegen diese Translationsprodukte auslösen, genau zu bewerten, müsste in Experimenten untersucht werden, wie das menschliche Immunsystem sowohl auf individueller als auch auf zellulärer Ebene auf diese kryptischen Epitope reagiert.“
Weiterentwicklung der mRNA-Impfstoffe
„Die Vermeidung von Translationsfehlern, die die Wirksamkeit des mRNA-Impfstoffs beeinträchtigen oder möglicherweise Autoimmunkomplikationen auslösen könnten, ist von entscheidender Bedeutung. Die Erforschung von Strategien für künftige mRNA-Therapeutika ist unerlässlich, um das Risiko von Frameshifting und anderen Übersetzungsfehlern zu minimieren. Diese Strategien können die Veränderung der Nukleotidsequenzen der mRNA beinhalten, um die gleiche Aminosäuresequenz zu erhalten, ohne Frameshifting zu verursachen.“
„Die Entwicklung von Algorithmen zur Vorhersage von Sequenzen, die ein ribosomales Frameshifting auslösen, ist eine Möglichkeit, solche Frameshift-Ereignisse in therapeutischen mRNAs zu vermeiden. Interessanterweise scheinen bestimmte Sequenzen (wie UUUU) in mRNA-Kandidaten leicht zu erkennen zu sein, während zahlreiche Sequenzen auf weniger offensichtliche Weise Frameshifting auslösen. Darüber hinaus könnten die Verbesserung der Gesamtgenauigkeit der Translation und die Anpassung der Kodon-Zusammensetzung in mRNA-Impfstoffkandidaten zusammen mit Dosierungsanpassungen ebenfalls dazu beitragen, die mit Frameshifting in mRNA-Therapeutika verbundenen Risiken zu verringern.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Mulroney TE et al. (2023): N1-methylpseudouridylation of mRNA causes +1 ribosomal frameshifting. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06800-3.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Nance KD et al. (2021): Modifications in an Emergency: The Role of N1-Methylpseudouridine in COVID-19 Vaccines. ACS Central Science. DOI: 10.1021/acscentsci.1c00197.
Prof. Dr. Marina Rodnina
Direktorin der Abteilung Physikalische Biochemie, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften (MPI-NAT), Göttingen
Prof. Dr. Julian Schulze zur Wiesch
Leitender Oberarzt der Sektion Infektiologie und Leiter des Ambulanzzentrums Virushepatologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Jun-Prof. Dr. Neva Caliskan
Leiterin der Forschungsgruppe „Rekodierungsmechanismen in Infektionen“, Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), Würzburg