Angekündigte US-Zölle auf Medizinprodukte
USA will Zölle auf Medizinprodukte auf 100 Prozent heben
als einer der wichtigsten Abnehmer für Arzneimittel-Exporte hätten US-Zölle gravierende Auswirkungen auf deutsche Lieferketten
laut Experten zielen die Zölle auf einige Hersteller ab, das Schadenpotenzial für europäischen Pharmastandort könnte groß ausfallen
Auf der Plattform Truth Social kündigte US-Präsident Donald Trump an, die Zölle auf Arzneimittelprodukte ab dem 1. Oktober auf 100 Prozent anzuheben. Bereits im April plante er, die Zölle auf pharmazeutische und medizinische Produkte zu erhöhen [I]. Firmen könnten diese Zölle umgehen, wenn sie bereits in den USA Produktionsstätten besäßen, gerade bauen würden oder dies planen. Das Vorhaben steht im Widerspruch zu den bisherigen Handelsabsprachen zwischen den USA und der Europäischen Union, in denen eine Obergrenze von 15 Prozent vereinbart ist.
Das SMC bat Forschende darum, Ihre Einschätzungen vom April zu aktualisieren und die Forderung von 100-Prozent-Zöllen, deren Folgen und mögliche Gegenmaßnahmen einzuschätzen.
Professor für internationale Beziehungen, Technische Universität München (TUM)
Einordnung der aktuellen Lage
„Die von der US-Regierung im April angekündigte intensive Prüfung aller Medikamente sowie medizinischer Geräte und Instrumente – und gegebenenfalls anderer Produkte, die für die Gesundheitsversorgung der US-Bürger wichtig sind – ist allem Anschein nach noch nicht abgeschlossen. Daher gibt es in der Branche noch große Unsicherheiten. Mit den neuesten Maßnahmen fokussiert sich die Trump-Regierung zunächst einmal auf Medikamente, für die es noch gültige Patente gibt. Auch diesmal sind die Details noch völlig unklar, aber die Zielscheibe sind wohl nicht einzelne Medikamente, sondern einzelne Hersteller. Mit Strafzöllen von 100 Prozent sollen alle Hersteller belegt werden, die nicht neue Produktionsstätten in den USA bauen. Ob bereits bestehende Produktionsstätten und andere Investitionen ausländischer Hersteller in den USA dabei berücksichtigt werden oder nur ‚neue‘ Investitionen, ist noch nicht klar. Auch nicht, wie US-Tochterfirmen nicht-amerikanischer Firmen behandelt werden.“
„Grundsätzlich muss man damit rechnen, dass die Trump-Regierung für alle Produkte, bei denen Sie argumentieren kann, dass Importe die Unabhängigkeit der USA gefährden, jederzeit Zölle auf ein derart hohes Niveau anheben kann, dass Importe einfach zu teuer werden.“
„Wie umfangreich die Importe in einer Produktsparte sein müssen, um nach Trumps Meinung die Unabhängigkeit der USA zu gefährden, hat er uns noch nicht verraten. Es wird aber erwartet, dass davon ein Großteil der Medizinprodukte auf dem US-amerikanischen Markt betroffen sein wird, denn viele Medizinprodukte haben multinationale Lieferketten.“
Auswirkungen auf globale Lieferketten
„Die Außenwirtschaftspolitik der USA unter Trump stellt auch in der pharmazeutischen Industrie und in der Medizinprodukt-Branche die Weltwirtschaft auf den Kopf. Das hat erhebliche Nebeneffekte auch jenseits des transatlantischen Handels.“
„Eine in den vergangenen Jahren rapide wichtiger werdende Quelle der USA für medizinische Geräte und Instrumente ist China. Chinesische Produkte will Trump mithilfe von Zöllen praktisch völlig aus dem US-Markt herausdrängen. Daher muss man damit rechnen, dass chinesische Hersteller jetzt dringend in anderen Teilen der Welt nach Absatzmärkten suchen werden, eventuell mithilfe von durch die chinesische Regierung staatlich subventionierten Preisen. Der massive Preisanstieg im amerikanischen Markt würde dann vorübergehend zu einem Preisverfall in anderen Märkten führen. Es ist natürlich kurzfristig vorteilhaft, wenn man für ein Produkt weniger bezahlen muss. Das würde aber den fairen Wettbewerb auf den Märkten weltweit gefährden – auch in Europa und in Deutschland.“
Auswirkungen auf Deutschland
„In den vergangenen Jahren haben die USA aus Deutschland Arzneimittel im Wert von mindestens 15 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr sowie medizinische Instrumente im Wert von drei bis vier Milliarden importiert; dazu kommen andere medizinische Produkte im Wert von mindestens zwei weiteren Milliarden. Deutschland ist somit seit Jahren für die USA das zweit- oder drittwichtigste Ursprungsland von dem, was jetzt als Medizinprodukte bezeichnet wird. Da geht es nahezu um die gesamte Palette von verschreibungspflichtigen und nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten sowie vergleichsweise einfachen Produkten wie chirurgischen Instrumenten bis zu raffiniertester Hochtechnologie für die medizinische Diagnose und Behandlung.“
„Fast alle diese Produkte müssen schon lange verzollt werden, aber bisher waren die Zölle viele Jahre lang zumeist nur noch minimal. Stabile Zölle von durchschnittlich wenigen Prozent sind immer noch ein Kostenfaktor, aber für die allermeisten Produkte kein erhebliches Handelshemmnis. Die 15 Prozent, mit denen alle Importe aus Europe jetzt belegt werden, habe die Kosten bereits ganz erheblich erhöht; die Drohung, den amerikanischen Wirtschaftsraum durch immens hohe Zölle noch weiter vom Rest der Welt abschotten zu wollen, schafft weitere Unsicherheiten.“
Auswirkungen auf die USA
„Es scheint zunächst darum zu gehen, Investitionen in den USA zu forcieren; ob das letztlich die Gesundheitsversorgung der USA verbessert oder auch nur international unabhängiger macht, ist unklar.“
Betroffene Medizinprodukte
„Genau genommen wissen wir noch nicht, welche Produkte im Detail betroffen sein werden. Auf jeden Fall werden von der US-Regierung Medikamente sowie medizinische Geräte und Instrumente als ,Medizinprodukte‘ eingestuft, aber es können wohl auch alle anderen Produkte darunterfallen, die für die Gesundheitsversorgung der US-Bürger wichtig sind. Diese ,Medizinprodukte‘ sind zunächst einmal von den neuen US-Einfuhrzöllen ausgenommen, sollen aber jetzt einer intensiven Prüfung unterzogen werden, um eventuelle Abhängigkeiten des US-Gesundheitssystems von ausländischen Herstellern oder Zulieferern zu identifizieren.“
„Für alle Produkte, für die die Trump-Regierung dann zu dem Schluss kommt, dass eine hohe Import-Quote die Unabhängigkeit der USA gefährdet, sollen derart hohe Zölle verlangt werden, dass die USA mittelfristig alle diese Dinge im eigenen Land herstellen, weil die Importe aufgrund der Zölle einfach zu teuer werden.“
„Wie umfangreich die Importe in einer Produktsparte sein müssen, um nach Trumps Meinung die Unabhängigkeit der USA zu gefährden, hat er uns noch nicht verraten. Es wird aber erwartet, dass davon ein Großteil der Medizinprodukte auf dem US-amerikanischen Markt betroffen sein werden, denn viele Medizinprodukte haben sehr multinationale Lieferketten.“
Auswirkungen auf globale Lieferketten
„Eine in den letzten Jahren rapide wichtiger werdende Quelle der USA für medizinische Geräte und Instrumente ist China. Chinesische Produkte will Trump ja mithilfe von Zöllen praktisch völlig aus dem US-Markt herausdrängen. Daher muss man damit rechnen, dass chinesische Hersteller jetzt dringend in anderen Teilen der Welt nach Absatzmärkten suchen werden, eventuell mithilfe von durch die chinesische Regierung staatlich subventionierten Preisen. Der massive Preisanstieg im amerikanischen Markt würde dann vorübergehend zu einem Preisverfall in anderen Märkten führen. Es ist natürlich kurzfristig vorteilhaft, wenn man für ein Produkt weniger bezahlen muss. Das würde aber den fairen Wettbewerb auf den Märkten in aller Welt gefährden – auch in Europa und in Deutschland.“
Auswirkungen auf Deutschland
„Fast alle diese Produkte müssen schon lange verzollt werden, aber bisher waren die Zölle viele Jahre lang zumeist nur noch minimal. Stabile Zölle von durchschnittlich von wenigen Prozent sind immer noch ein Kostenfaktor, aber für die allermeisten Produkte kein erhebliches Handelshemmnis. Die 15% mit denen alle Importe aus Europe jetzt belegt werden, habe die Kosten bereits ganz erheblich erhöht; die Drohung, den amerikanischen Wirtschaftsraum durch immens hohe Zölle noch weiter vom Rest der Welt abschotten zu wollen, schafft weitere Unsicherheiten.“
Auswirkungen auf die USA
„Fast alle diese Produkte müssen schon lange verzollt werden, aber bisher waren die Zölle viele Jahre lang zumeist nur noch minimal. Stabile Zölle von durchschnittlich von wenigen Prozent sind immer noch ein Kostenfaktor, aber für die allermeisten Produkte kein erhebliches Handelshemmnis. Die 15 Prozent mit denen alle Importe aus Europe jetzt belegt werden, habe die Kosten bereits ganz erheblich erhöht; die Drohung, den amerikanischen Wirtschaftsraum durch immens hohe Zölle noch weiter vom Rest der Welt abschotten zu wollen, schafft weitere Unsicherheiten.“
„Kurzfristig ist eine Abschottung eigentlich nicht möglich, denn es geht ja keineswegs nur um fertige Produkte, sondern auch um Rohstoffe und Zwischenprodukte, die von amerikanischen Herstellern für ,Made-in-USA‘-Produkte benötigt werden. Nach glaubwürdigen Schätzungen importiert die amerikanische pharmazeutische Industrie etwa 70 Prozent ihrer Inputs. Diese mit US-Produkten zu ersetzen, ist kurzfristig gar nicht möglich, und auch mittelfristig wird das die Kosten empfindlich in die Höhe treiben.“
„Der Schaden, der aufgrund der Zollpolitik der USA für die USA und den Rest der Welt zu erwarten ist, geht aber weit über die Preise hinaus. Die USA waren bisher ein äußerst berechenbarer Partner – auch beim Handel mit Medizinprodukten einschließlich der Pharmazeutika, von denen der Rest der Welt eine große Menge in den USA einkauft. Viele Länder haben im internationalen Finanzwesen, bei Internet und Telekommunikation, sowie bei der internationalen Sicherheit einen hohen Grad der Abhängigkeit von den USA in Kauf genommen. Dies galt auch für Medikamente und andere medizinische Produkte, wobei wir beim Zugang zu Medizinprodukten seit der COVID-Pandemie wahrscheinlich alle besonders sensibilisiert sind.“
„Man hat eine hohe Abhängigkeit von den USA in Kauf genommen, weil es eine gegenseitige Abhängig gab (nicht ausgeglichen, aber beidseitig), und weil die USA sich über Jahrzehnte den Ruf erworben hatten, solche Abhängigkeiten nicht auszunutzen – zumindest nicht befreundeten Staaten gegenüber. Trumps Zollpolitik zerstört dieses Vertrauen und diese Berechenbarkeit. Eine USA, die sich völlig unabhängig macht, selbst von den eigenen Verbündeten, ist eine wirtschaftliche und politische Gefahr für alle, die von amerikanischen Herstellern oder vom Zugang zu den Märkten der USA abhängig sind.“
Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Einordnung der aktuellen Lage
„Auch wenn die Drohung sehr kurzfristig kommt, kann Donald Trump – wie angekündigt – Zölle in Höhe von 100 Prozent auf Importe von Markenmedikamenten solcher Hersteller, die nicht in den USA produzieren, zum 1. Oktober 2025 einführen. Die jüngste Handelsvereinbarung mit der EU, die Zölle auf Importe aus der EU in die USA generell auf maximal 15 Prozent begrenzen sollte, ist bislang lediglich eine Absichtserklärung. Mittel- bis langfristig erscheint es allerdings fraglich, ob Trumps Zollpolitik vor amerikanischen Gerichten Bestand haben wird, da die amerikanische Verfassung die Steuer- und Zollpolitik in die Hände des Kongresses gelegt hat, nicht in die Kompetenz des Präsidenten.“
Einfluss auf die Produktionsstandort Deutschland und Europäische Union
„Das erklärte Ziel von Donald Trump ist, die Produktion von Medikamenten aus anderen Ländern in die USA zu verlagern, was bei Markenmedikamenten vor allem europäische Pharmaunternehmen betrifft. Von den neuen Zöllen sollen daher jene Hersteller ausgenommen sein, die bereits in nennenswertem Umfang in den USA produzieren oder dort jetzt in neue Produktionsstandorte investieren. Für andere Länder kann sich das negativ auswirken. So wurde jüngst bereits von einem starken Rückgang der Neuinvestitionen in die Pharmaproduktion im Vereinigten Königreich berichtet, was auf die Verunsicherung der Investoren durch die aggressive und hektische Zollpolitik des amerikanischen Präsidenten zurückzuführen sein kann. Auch in der EU und in Deutschland ist mit einem Ausbleiben von Neuinvestitionen oder sogar mit einem Rückgang der Produktionskapazitäten zu rechnen, sollte Donald Trump sein Ziel erreichen.“
Mögliche Gegenmaßnahmen
„Gegenzölle auf amerikanische Pharmaimporte in die EU wären keine gute Strategie der Europäer, weil das ja die Kosten ihrer eigenen solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme weiter in die Höhe treiben würde. Es braucht andere Strategien und Anreize, um Produktionskapazitäten und pharmazeutische Forschung und Entwicklung in der EU zu halten, wobei man die Erfahrungen mit der ‚Innovative Medicines Initiative‘ (INI) auswerten sollte – eine langfristige Public-Private Partnership auf europäischer Ebene, die vor ein paar Jahren in die ‚Innovative Health Initiative‘ umgewandelt wurde. Diese Initiative müsste weiterentwickelt und möglicherweise erheblich ausgeweitet werden. Andernfalls könnte eine steigende Abhängigkeit patentgeschützter Medikamentenimporte aus den USA dazu führen, dass EU-Mitgliedsländer künftig viel höhere Preise auf neuartige beziehungsweise patentgeschützte Markenmedikamente zahlen müssen. Dies könnte die finanzielle Stabilität europäischer Gesundheitssysteme gerade in Zeiten einer rapiden Bevölkerungsalterung gefährden. Donald Trump hat bereits vor einiger Zeit erklärt, dass er die Medikamentenpreise in den USA, die heute zu den höchsten der Welt gehören, drastisch senken möchte und dass andere Länder stattdessen mehr bezahlen sollen, vor allem die Europäer. Um dies zu erreichen, könnte er Exportzölle auf amerikanische Medikamentenexporte in die EU einführen, nachdem der Großteil der europäischen Produktion von Markenmedikamenten in die USA abgewandert und die Marktmacht der Amerikaner dadurch stark gestiegen ist.“
Bedeutung von Importen
„Die Zollpolitik der US-amerikanischen Regierung von Donald Trump ist nur schwer zu prognostizieren. Sie beruht nicht auf rationalen Überlegungen zum Wohle der Menschen in den USA, sondern auf der naiven und falschen Vorstellung, dass der internationale Handel ein Nullsummenspiel ist und dass die USA gewinnen, wenn sie Importe aus anderen Ländern verringern. In Wahrheit können Importe nicht nur Kosten im importierenden Land senken helfen, sondern auch die Auswahlmöglichkeiten der Konsumenten erheblich erweitern. Im Gesundheitswesen heißt dies, dass internationaler Handel unter anderem durch eine stärkere Ausnutzung steigender Skalenerträge in Forschung, Entwicklung und Produktion lebensrettender Medikamente viel mehr von diesen Medikamenten verfügbar macht. Das ermöglicht im Prinzip in allen Ländern schwer erkrankten Menschen größere Überlebenschancen und im Falle chronischer Erkrankungen eine bessere Lebensqualität.“
Mögliche Zölle auf Arzneien
„Medikamente waren zunächst ausgenommen von Donald Trumps kürzlich eingeführten, angeblich ,reziproken‘ Zöllen in Höhe von pauschal zehn Prozent auf Importe aus EU-Ländern und aus den meisten anderen Ländern (mit Ausnahme Chinas, dessen Exporte in die USA aktuell mit einem Satz von 145 Prozent verzollt werden). Nicht-pharmazeutische Medizintechnik dagegen war nicht ausgenommen. Für diese Medizinprodukte, bei denen deutsche Unternehmen sehr innovativ und exportstark aufgestellt sind, wird seitens der USA bereits der zehnprozentige Basiszoll auf Importe aus der EU erhoben.“
„Für Medikamente hat die amerikanische Regierung jetzt eine Untersuchung der Importe angekündigt, die eine 21-tägige Frist für öffentliche Kommentare Betroffener eröffnet und letztlich darauf abzielt, die Einführung von Sonderzöllen auf pharmazeutische Importe in die USA mit einer Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit zu begründen. Im Gespräch sind Sonderzölle auf Medikamente in Höhe von 10 bis 25 Prozent beziehungsweise so hoch, dass das Ziel der amerikanischen Regierung erreicht wird, pharmazeutische Unternehmen zur Verlagerung erheblicher Produktionsanteile in die USA zu bewegen.“
Globale Auswirkungen
„Dies wird weltweite Auswirkungen haben, vor allem aber in den USA. Dabei muss man unterscheiden zwischen kurz- und langfristigen Auswirkungen sowie zwischen zwei Gruppen von Medikamenten: innovativen patentgeschützten Marken-Medikamenten, die neben den USA vor allem in der EU hergestellt werden, und den sogenannten Nachahmer-Medikamenten beziehungsweise Generika mit abgelaufenem Patentschutz, die überwiegend in Indien und China hergestellt und von dort in die ganze Welt exportiert werden.“
„Bei Marken-Medikamenten gewährt der Patentschutz den Anbietern oft erhebliche Preissetzungsmacht, wie es die ökonomische Monopoltheorie vorhersagt. Somit ist es denkbar, dass die Zölle zu einem großen Teil zunächst von den Anbietern absorbiert, also nicht eins zu eins auf die Preise aufgeschlagen werden, um bestehende Lieferverträge mit privaten Krankenversicherungen oder Medicare und Medicaid in den USA zunächst weiter zu erfüllen. Allerdings könnten die bereits heute oft erheblichen privaten Zuzahlungen amerikanischer Patient*innen für diese Medikamente steigen, je nachdem wie deren Verträge mit ihren privaten Krankenversicherungen im Detail gestaltet sind.“
„Generikahersteller dagegen haben oft nur sehr geringe Margen und müssen die Zölle daher eins zu eins weitergeben oder werden längerfristige Lieferverträge, in denen die Preise festgelegt sind, vielleicht nicht mehr oder nicht mehr vollständig bedienen. Dadurch werden sich Lieferengpässe, von denen in den USA zurzeit bereits circa 270 Medikamente akut betroffen sind, wahrscheinlich verschärfen. Auf dem europäischen Markt dagegen könnte die Umleitung von Generika-Exporten aus Indien und China, die bislang in die USA gingen, bestehende Lieferengpässe möglicherwiese entschärfen.“
Verlagerung von Produktionsstandorten
„Kurzfristig wird die US-Regierung ihr Ziel, erhebliche Produktionsanteile in die USA zu verlagern, kaum erreichen. Dazu sind die etablierten Produktionsabläufe und die internationale Arbeitsteilung in diesem Sektor zu komplex. Sollte die Produktionsverlagerung aber mittel- und langfristig passieren, könnte ein Großteil aus der EU in die USA erfolgen. Das könnte den Produktionsstandort EU im Bereich Pharmaka erheblich schwächen. Zurzeit wird circa die Hälfte aller patentgeschützten Marken-Medikamente in den USA hergestellt und rund 35 Prozent in der EU. Der Weltmarkt für Generika dagegen wird von Indien und China dominiert. Rein ökonomisch betrachtet wäre eine Produktionsverlagerung von Generika in die USA oder in die EU kaum sinnvoll, dazu sind die Kostenvorteile in Indien und China zu groß.“
„Sollte die US-amerikanische Regierung ihre merkantilistische ,America first‘-Politik mit hohen Zöllen auf Medikamente tatsächlich durchsetzen, würde das die komplexen globalen Lieferketten schwer beschädigen, die seit der Einführung des Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) im Rahmen der Welthandelsverträge im Jahr 1995 entstanden sind. In diesen sind auch die Hersteller von Marken-Medikamenten in den USA und der EU oft auf Zulieferer aus anderen Teilen der Welt, unter anderem auch aus Indien und China angewiesen – zum Beispiel bei aktiven Wirk- oder Zusatzstoffen für Medikamente. Die Beschädigung globaler Lieferketten würde die Kosten der Produktion für alle Pharma-Anbieter erhöhen und die Anreize für die Entwicklung neuer Medikamente deutlich schwächen.“
Mögliche Gegenmaßnahmen der EU
„Dazu würde auch die Fragmentierung globaler Märkte für Medikamente beitragen, die die US-amerikanische Regierung offenbar beabsichtigt und die sich weiter verschärfen würde, wenn die EU mit Gegenzöllen reagieren würde. Die Europäer stecken in einem Dilemma. Die Mitgliedsländer der EU verfolgen das Ziel, allen in der EU lebenden Menschen gleichen Zugang zu einer leistungsfähigen modernen Medizin zu ermöglichen und haben dazu solidarisch finanzierte Gesundheitssysteme geschaffen, die unter anderem auch den Großteil der Kosten für Medikamente tragen. Schon deshalb sollte die EU von Gegenzöllen auf Medikamente Abstand nehmen, die ja die Kosten für ihre eigenen Gesundheitssysteme nur weiter erhöhen würden.“
Ausblick
„Möglicherweise kann es in den USA noch ein Umdenken geben, wenn die dort jetzt begonnene öffentliche Debatte der Regierung verdeutlicht, dass die Amerikaner*innen selbst voraussichtlich den größten Schaden durch Einführung von Sonderzöllen auf Medikamenten-Importe haben werden: Steigende private Zuzahlungen für Medikamente könnten insbesondere zig Millionen chronisch Erkrankte hart treffen. Lieferengpässe und Ausfälle bei Generika betreffen vor allem Menschen, die auf Injektionen angewiesen sind und/oder stationär behandelt werden. Mittel- und langfristig können steigende Ausgaben für Medikamente auch erhebliche Erhöhungen der Prämien und Zuzahlungen zur Folge haben, die private Krankenversicherungen verlangen. Zudem könnten steigende Ausgaben nicht zuletzt auch die staatlichen Programme der Gesundheitsversorgung alter Menschen (Medicare) und armer Menschen (Medicaid) finanziell destabilisieren. Letzteres würde unter anderem Familien mit Kindern in den USA hart treffen. Eine Schwächung der Anreize zur Entwicklung neuer Medikamente, die die von der US-amerikanischen Regierung angedrohten Sonderzölle bewirken können, würde langfristig in den USA und weltweit eine wichtige Quelle von Wohlfahrtsgewinnen und Wirtschaftswachstum schwer beschädigen.“
Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences
Einordnung der aktuellen Lage
„Angesichts der Tatsache, dass die Trump-Administration Zölle als zentrales Instrument ihrer Außen- und Handelspolitik begreift und zu Beginn des Jahres 2025 den langjährigen Konsens aufgekündigt hat, Arzneimittel von Zöllen auszunehmen, ist diese Ankündigung grundsätzlich ernst zu nehmen.“
„Bedeutsam ist dabei, dass sich die Ankündigung ausdrücklich auf patentgeschützte Arzneimittel und Markenpräparate bezieht, während Generika, also Nachahmerpräparate, die nicht mehr unter Patentschutz stehen, nicht erwähnt werden. Dies kann als Hinweis auf die Ernsthaftigkeit des Vorgehens interpretiert werden.“
„Denn auch Trump weiß, dass es bei Generika – wie beispielsweise versorgungsrelevante Antibiotika, die für die amerikanische Gesundheitsversorgung von zentraler Bedeutung sind – in den USA weder ausreichende Produktionskapazitäten gibt noch diese kurz- oder mittelfristig aufgebaut werden können.“
Produktionsstandort Deutschland und Europäische Union
„Ob die Ankündigung eins zu eins umgesetzt wird, ist aber angesichts der Erfahrungen mit früheren Zollankündigungen fraglich. Vor allem bei der praktischen Umsetzung bleiben viele Fragen offen: Gilt sie für alle Länder gleichermaßen? Was passiert mit Vorprodukten, die zwischen Europa und den USA ausgetauscht werden und für die amerikanischen Produktionsstandorte zwingend notwendig sind?“
„Ausgenommen sein sollen Unternehmen, die derzeit Produktionsstätten in den USA errichten – doch was ist mit bestehenden Standorten, die deutsche Unternehmen wie Merck, Bayer und Boehringer Ingelheim in den USA bereits betreiben? Wären diese ebenfalls von Zöllen ausgenommen, hätte die Ankündigung bei Umsetzung deutlich geringere Auswirkungen.“
„Das mögliche Schadenspotenzial für die deutsche und europäische Wirtschaft ist jedoch erheblich. Rund 60 Prozent der Arzneimittelimporte der USA stammen aus Europa – insbesondere hochpreisige und innovative Präparate, die besonders anfällig für die wirtschaftlichen Auswirkungen von Zöllen sind.“
Mögliche Maßnahmen
„Die Erfahrungen aus der letzten Zollrunde zwischen den USA und Europa im Juli dieses Jahres zeigen, dass Europa aktuell erpressbar ist, sowohl aufgrund des Ukrainekrieges als auch wegen seiner schwachen Position in der Verteidigungspolitik. Entsprechend wären starke Gegenmaßnahmen der EU nicht unbedingt zu erwarten.“
„Gleichzeitig zeigen Modellrechnungen, dass hohe Zölle auf Arzneimittel für die USA das Risiko bergen, dass sich die Verfügbarkeit verschlechtert, während die Preise gleichzeitig steigen. Darüber hinaus würden Zölle auch die Produktionskosten der amerikanischen Hersteller erhöhen. Zölle könnten sich somit rasch als ökonomischer und gesundheitspolitischer Bumerang erweisen.“
Bestehende Zölle
„Schon unter der Biden-Administration wurden im Jahr 2024 die Zölle für ausgewählte Medizinprodukte wie Spritzen und Nadeln (von 0 auf 50 Prozent) und ausgewählte Schutzprodukte (von 7,5 auf 25 Prozent) erhöht. Ziel war es bereits damals, die heimische Produktion in als kritisch eingeschätzten Lieferketten für Medizinprodukte strategisch zu stärken.“
Mögliche Zölle auf Arzneien
„Die Einführung signifikanter Zölle auf Arzneimittelimporte in die USA würde jedoch eine ganz andere Dimension darstellen. Bislang sahen internationale, auch von den USA ratifizierte Handelsabkommen vor, lebenswichtige Arzneimittel zollfrei zu stellen, um einen möglichst breiten Zugang zur Versorgung sicherzustellen. Dementsprechend fallen die durchschnittlichen Zollsätze für Arzneimittel vergleichsweise gering aus: Nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) beträgt der durchschnittliche Zollsatz in der EU 1,5 Prozent, in China 4,5 Prozent, während die USA mit 0,9 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt aller Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation liegen, der bei 4,8 Prozent liegt.“
Globale Auswirkungen
„Die Auswirkungen von US-amerikanischen Importzöllen auf die europäische und insbesondere die deutsche Pharmaindustrie wären beträchtlich. Laut Daten der europäischen Statistikbehörde wurden im Jahr 2023 Arznei- und Pharmaprodukte im Wert von 92 Milliarden Euro in die USA exportiert. In Deutschland entfallen laut dem VFA rund 23 Prozent der Pharmaexporte auf den US-amerikanischen Markt. Modellrechnungen zeigen, dass je nach Höhe der Zölle hohe zweistellige prozentuale Rückgänge im Exportvolumen drohen. Berücksichtigt man weiter, dass zahlreiche europäische Pharmaunternehmen 40 Prozent und mehr ihres Umsatzes in den USA erzielen, wird das potenzielle finanzielle Ausmaß deutlich.“
„Und Pharmaunternehmen können auf Zölle – selbst, wenn sie es wollten – kaum kurzfristig reagieren. Der Aufbau neuer Produktionsstandorte dauert bis zu fünf Jahre, und der angekündigte Abbau regulatorischer Anforderungen in den USA dürfte dies nicht grundlegend ändern.“
„In Europa produzieren rund 1090 Standorte Arzneimittel und Wirkstoffe für die USA, darunter 167 in Deutschland. Ein nicht zu vernachlässigender Teil dieser Standorte gehört US-Konzernen, die von dort auch die USA mit Medikamenten beliefern. In vielen Fällen verfügen die USA – wie übrigens auch Europa – zudem gar nicht über ausreichende eigene Produktionskapazitäten, etwa im Bereich der Antibiotika.“
Auswirkungen auf die USA
„Unsere Modellrechnungen legen nahe, dass auch die Auswirkungen auf das US-amerikanische Gesundheitswesen beträchtlich sein könnten. Hohe Zölle und die damit verbundenen Kosten könnten in Einschränkungen bei der Verfügbarkeit resultieren – und das in einer Zeit, in der die USA, ebenso wie beispielsweise Deutschland, bereits unter Arzneimittel-Lieferengpässen leiden.“
„Gerade bei margenschwachen, aber für die Patientenversorgung sehr wichtigen Medikamenten oder deren Wirkstoffen könnte eine Belieferung wirtschaftlich nicht mehr tragfähig sein, wenn die Zollerhöhungen vollständig vom Importeur getragen werden müssen. Und aus Sicht des US-amerikanischen Gesundheitswesens erscheint auch die Alternative wenig positiv: Eine Weitergabe der Zollkosten dürfte zu signifikant steigenden Arzneimittelpreisen führen.“
Mögliche Gegenmaßnahmen der EU
„Weitgehender Konsens ist, dass Zölle auf Arzneimittel und potenzielle Gegenreaktionen darauf keine großen Gewinner hervorbringen werden. Schon jetzt dürfte die hohe Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung Unternehmen dazu veranlassen, wichtige Investitionen aufzuschieben. Zölle drohen, über Jahrzehnte gewachsene und kurzfristig nicht veränderbare Lieferkettenstrukturen und Synergien mit Forschungsstandorten zu gefährden. Für Patientinnen und Patienten könnten daraus höhere Preise bis hin zu Einschränkungen bei der Verfügbarkeit entstehen. Signifikante Einbrüche der Gewinne durch Zölle könnten zudem die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten von Arzneimitteln einschränken. Und die USA wären sehr anfällig für Gegenreaktionen: Die Hälfte der größten 20 Pharmaunternehmen der Welt sind in den USA ansässig, auch wenn ein Handelskrieg um Medikamente aus ethischen Gründen grundsätzlich abzulehnen ist.“
„Es bestehen meinerseits keine Interessenkonflikte bezüglich meiner Statements.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2025): Auswirkungen möglicher US-Zölle auf Medizinprodukte. Statements. Stand: 17.04.2025.
Prof. Dr. Tim Büthe
Professor für internationale Beziehungen, Technische Universität München (TUM)
Dr. Michael Stolpe
Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Prof. Dr. David Francas
Professor für Daten- und Lieferkettenanalyse, Hochschule Worms, University of Applied Sciences
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen meinerseits keine Interessenkonflikte bezüglich meiner Statements.“