Biomarker zur frühen Erkennung von Alzheimer
Biomarker in Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit bildet Tau-Ablagerungen bei Alzheimer ab
dieser könnte breit eingesetzt werden und die teure PET-Diagnose ablösen
laut Experten kann der Biomarker in der Forschung eingesetzt werden, für die Früherkennung von Erkrankten braucht es weitere Untersuchungen
Ein Biomarker aus der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit von Alzheimer-Erkrankten bildet den Zustand der Tau-Protein-Ablagerungen im Gehirn ab und könnte potenziell das aufwendige und teure Bildgebungsverfahren einer Positionen-Emissions-Tomografie (PET) zur Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung ersetzen. Ein internationales Forschungsteam veröffentlichte am 13.07.2023 ihre Daten für den Biomarker MTBR-tau243 im Fachjournal „Nature Medicine“ (siehe Primärquelle).
Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Rostock/Greifswald, und Leiter der Sektion für Gerontopsychosomatik und demenzielle Erkrankungen an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universitätsmedizin Rostock
„Die Daten für MTBR-tau243 wurden in zwei unabhängigen Kohorten von Personen mit Demenz bei Alzheimer-Krankheit (AD) und Vorstadien der AD-Demenz mit 448 beziehungsweise 219 Teilnehmern untersucht. Der neue Tau-Marker war stärker mit den Ergebnissen der Tau-PET-Untersuchung assoziiert als die früheren Phospho-tau-Marker im CSF. Zugleich war die Korrelation des neuen MTBR-tau243-Markers mit Amyloid-Markern im Liquor geringer als die Korrelation der früheren Phospho-tau-Marker. Die früheren Phospho-tau-Marker bilden besser die Amyloid-Beladung als die Tau-Beladung ab, während die Werte des neuen MTBR-tau243-Markers stärker die Tau- als die Amyloid-Beladung repräsentieren.“
„Wesentliche Ergebnisse wurden in beiden Kohorten unabhängig voneinander bestätigt. Damit wurde eine wichtige Forderung an aktuelle klinische Studien erfüllt, sodass die Befunde belastbar erscheinen. Auch die Zunahme des neuen Markers über die Zeit war stärker in der Tau-PET-positiven Gruppe als für die früheren Phospho-tau-Marker als Hinweis, das MTBR-tau243 die Progression der Tau-Pathologie bei AD besser abbildet als die früheren Phospo-tau-Marker. Auch war MBTR-tau243 zur Baseline stärker mit der kognitiven Verschlechterung in einem globalen Test assoziiert als die früheren Phospho-tau-Marker, aber weniger stark als Tau-PET. Die Vorhersage der kognitiven Leistung beschränkte sich in der Studie aber auf einen einzigen Test und die Daten nur einer einzigen Kohorte, sodass hier weitere Studien abzuwarten bleiben.“
Auf die Frage, wofür der Biomarker MTBR-tau243 am wahrscheinlichsten Anwendung finden wird:
„Der Marker würde aktuell Anwendung in der Forschung finden. Der neue Assay (Untersuchung zum Nachweis von MTBR-tau243 im CSF; Anm. d. Red.) ist noch nicht für die klinische Anwendung zugelassen. Hauptnutzen wäre in der Forschung die Identifikation von Personen, die in eine Behandlungsstudie zu neuen Therapieverfahren bei AD eingeschlossen werden sollen, bei denen ein Tau-zentrierter Wirkmechanismus geprüft wird. Eine weitere sehr plausible Anwendung wäre die Prüfung der Effekte einer Tau-zentrierten Behandlung auf die Tau-Beladung des Gehirns, allerdings eher bei beginnend symptomatischen als bei gänzlich präklinischen Personen. Grund dafür ist, dass MTBR eher bei etwas fortgeschrittener AD-Pathologie veränderungssensitiv zu sein scheint, aber immer noch in einem Stadium vor der Demenz. Dies könnte auch mit Tau-PET erfolgen, allerdings zu deutlich höheren Kosten, sodass MTBR-tau243 hier eine Alternative sein könnte.“
„Weiterhin ist MTBR-tau243 ein potenziell interessanter Marker, um den Zusammenhang von Amyloid- und Tau-Pathologie beim Menschen genauer zu untersuchen. Tau-Pathologie ist zum einen eine pathologische Veränderung, die eine Folge einer primären Amyloid-bezogenen Schädigung der Nervenzellen darstellt. Zugleich kommt eine gewisse Tau-Pathologie in bestimmten Hirnregionen insgesamt im Alter häufig vor; eine zusätzliche Amyloid-Pathologie begünstigt dann die Ausbreitung der Tau-Pathologie im gesamten Gehirn und diese befördert dann wiederum die Amyloid-Ablagerung. Diese unterschiedlichen Anteile der AD-bezogenen Tau-Pathologie – entweder als Folge von Amyloid oder als primäre Tau-Pathologie –, deren Ausbreitung durch Amyloid begünstigt wird, könnten durch eine kombinierte Erfassung der unterschiedlichen Tau-Marker untersucht werden. Die früheren Phospho-tau-Marker repräsentieren eher die Folge von Amyloid und MTBR-tau243 repräsentiert eine von Amyloid teilweise unabhängige Tau-Pathologie.“
Auf die Frage, inwiefern dieser Biomarker den Einsatz von Lecanemab (Leqembi) ermöglichen könnte:
„Aktuell besteht kein Zusatznutzen des neuen Assays für den Einsatz von Lecanemab. Die Gabe von Lecanemab in den USA ist an den Nachweis von Amyloid gebunden, nicht an den Nachweis von Tau. Aktuell gibt es auch keine Daten, ob der Nachweis von erhöhten MTBR-tau243-Werten im Liquor ein besseres Ansprechen auf Lecanemab vorhersagen kann. Eine solche Frage könnte geklärt werden, indem Patienten, die mit Lecanemab behandelt werden, im Falle einer Zulassung in Europa in eine Registerstudie eingeschlossen werden. Ein solches Register würde die Biomarkerwerte im Liquor und den Verlauf der kognitiven Veränderungen erfassen und es erlauben, die Frage zu klären, ob MTBR-tau243 oder andere Biomarker, wie zum Beispiel NFL, ein besseres Ansprechen auf Lecanemab vorhersagen oder nicht.“
„Die Ausbreitung der Tau-Pathologie im Gehirn wird durch Amyloid begünstigt und führt wiederum zu vermehrter Amyloid-Ablagerung. Dieser Teufelskreis kann durch die Reduktion von Amyloid, aber theoretisch auch durch Reduktion von Tau gebremst werden, idealerweise sogar durch eine Kombination beider Ansätze. Der primäre Nutzen der MTBR-tau243-Marker wird in der verbesserten Forschung zu Tau-zentrierten Therapieansätzen durch Auswahl der Probanden und Erfassung Tau-spezifischer Behandlungseffekte liegen.“
Leiter des "UK Dementia Research Institute", University College London (UCL), Vereinigtes Königreich
„Bei Alzheimer lagern sich Beta-Amyloid (Abeta) und Tau-Proteine in Form von Plaques und Neurofibrillenbündeln – sogenannten Tangles – im Gehirn ab, oft viele Jahre bevor sich kognitive Defizite bemerkbar machen. Schätzungsweise 10 Prozent der 60-Jährigen und 20 Prozent der 70-Jährigen weisen bereits Abeta-Ablagerungen im Gehirn auf. Die aktuellen therapeutischen Ansätze zielen auf Abeta und Tau ab, wobei allgemein angenommen wird, dass eine frühe Intervention – bevor ein signifikanter Verlust von Nervenzellen und kognitive Beeinträchtigungen auftreten – am wirksamsten ist.“
„Um diese frühen Stadien der Krankheit zu identifizieren, wurden in den letzten Jahren Biomarker entwickelt, die Abeta und Tau im CSF, und neuerdings sogar im Blut, nachweisen können. Sie ermöglichen eine frühe Diagnose und könnten dazu beitragen, neue Therapien in diesem frühen Stadium zu testen. Trotz guter Marker für Abeta und einige Formen von Tau, insbesondere phosphoryliertes Tau, zeigte sich jedoch, dass diese eher die Abeta-Pathologie als Tangles reflektieren.“
„Die Gruppe um Randall Bateman (Letztautor der aktuellen Studie; Anm. d. Red.) hat erstmals vor einiger Zeit einen Marker namens MTBR-tau243 vorgestellt, der spezifisch Tangles detektiert, mit kognitiven Defiziten korreliert und unabhängig von Abeta agiert [II]. Die aktuelle Studie hat nun die Aussagekraft dieses Markers in einer größeren Patientenkohorte von über 650 Personen bestätigt. Die Qualität dieser Studie ist bemerkenswert, die Daten robust und überzeugend. Besonders für klinische Studien, in denen neue Therapien gegen Tangles getestet werden, könnte dieser Marker enorm nützlich sein. Er würde es ermöglichen zu überprüfen, ob die Therapien tatsächlich Tangles im Gehirn reduzieren – ohne die Notwendigkeit teurer und zeitaufwendiger PET-Untersuchungen. Zudem wird es interessant sein zu sehen, ob die gerade zugelassenen Abeta-Therapien, wie beispielsweise Lecanemab, den Anstieg von MTBR-tau243 und somit das Auftreten von Tangles verhindern oder sogar reduzieren können, da Abeta allgemein als entscheidender Faktor für die Entstehung von Tangles (die eng mit Symptomen korrelieren) angenommen wird. Ob es in Zukunft möglich sein wird, MTBR-tau243 auch im Blut zu bestimmen, bleibt eine technische Herausforderung und ist, soweit ich das verstehe, nicht trivial.“
„In der klinischen Praxis könnten solche Marker auch für andere neurodegenerative Erkrankungen, die durch Tangles charakterisiert sind – sogenannte Tauopathien – von Interesse sein. Für diese Krankheiten fehlen derzeit noch weitgehend Biomarker, und eine Diagnose wird oft erst gestellt, wenn die klinischen Symptome bereits weit fortgeschritten sind. Entsprechende MTBR-Tau-Spezies wurden bereits in einer früheren Studie identifiziert [1].“
„Ich habe keine nennenswerten Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Horie K et al. (2023): CSF MTBR-tau243 is a specific biomarker of tau tangle pathology in Alzheimer’s disease. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-023-02443-z.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Horie K et al. (2022): CSF tau microtubule-binding region identifies pathological changes in primary tauopathies. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-022-02075-9.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (2016): S3-Leitlinie „Demenzen“. AWMF-Register Nr. 038-013.
[II] Horie K et al. (2021): CSF tau microtubule binding region identifies tau tangle and clinical stages of Alzheimer's disease. Brain. DOI: 10.1093/brain/awaa373.
[III] U.S. Food and Drug Administration (06.07.2023): FDA Converts Novel Alzheimer’s Disease Treatment to Traditional Approval. Pressemitteilung der Behörde.
Prof. Dr. Stefan Teipel
Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Rostock/Greifswald, und Leiter der Sektion für Gerontopsychosomatik und demenzielle Erkrankungen an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, Universitätsmedizin Rostock
Marc Busche
Leiter des "UK Dementia Research Institute", University College London (UCL), Vereinigtes Königreich