Bundesrat verabschiedet Klinikreform – Reaktionen aus der Versorgungsforschung
Bundesrat verabschiedet umstrittene Klinikreform
Forschende sehen wichtigen Schritt zur Neugestaltung der Versorgung
perspektivisch mehr Behandlungsqualität und Spezialisierung zu erwarten
Der Bundesrat hat die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verabschiedet. Konkret ging es um das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), das der Bundestag Mitte Oktober beschlossen hatte. Im Vorfeld waren die Fronten zwischen Bundesgesundheitsministerium und den Ländern verhärtet. Einige Länder drohten damit, das Gesetz durch einen Vermittlungsausschuss zu blockieren, um strittige Punkte doch noch anzusprechen. Dazu kam es nun nicht.
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Deutschland hat gezeigt, dass es selbst in dem extrem schwierigen Umfeld des Gesundheitswesens reformieren kann. Das ist eine ganz, ganz wichtige Nachricht für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft. Die Reform wird schrittweise die Qualität der Versorgung durch Zentralisierung und weniger Gelegenheitsversorgung steigern. Für die Patientensicherheit und Qualität ein ganz wichtiger Schritt nach vorne, vor allem in der Krebsmedizin. Akut fließt ab dem 01.01.2025 mehr Geld an die Kliniken, das dringend benötigt wird. Besonders attraktiv könnte die Umwandlung kleiner Kliniken in sektorenübergreifende Versorgungsformen werden, das sogenannte Level 1i, auch das kann ab 1.1.2025 starten. Für die Mitarbeiter wird die Einführung der Vorhaltevergütung eine Entlastung im Hamsterrad werden.“
„Drei Fachärzte sind ein absolutes Minimum in den Leistungsgruppen. Wenn wir die Qualität weiter steigern wollen, brauchen wir eine ärztliche Personalbemessung, die im Gesetz bereits angelegt ist. Mit Augenmaß. Was im Moment aus Qualitätssicht aber am meisten schmerzt, ist die fehlende Notfallreform, denn da beginnt bei vielen Patienten der Weg.“
„Grundsätzlich ist das KHVVG ein guter Kompromiss, auch wenn die drei Stufen der Versorgung, die sogenannten Level, nicht abgebildet wurden. Diese drei Stufen mit klarer Zuweisung bestimmter Leistungen zu bestimmten Versorgungsstufen ist ein Schlüssel zur Verbesserung der Qualität, aber auch für die Vorbereitung auf kommende Gesundheitskrisen.“
„Deutschland braucht eine umfassende Gesundheitsreform, denn die Kosten drohen vollkommen aus dem Ruder zu laufen mit unkontrolliert steigenden Sozialabgaben und damit Lohnnebenkosten. Daher steht für mich ganz oben auf der Liste: Pflegekompetenz mit eigenständiger Behandlung, die Notfallreform, ein echtes Primärarztsystem, die Förderung von Prävention und eine einheitliche digitale Sprache, damit wir das Gesundheitswesen endlich durchdigitalisieren können. Nicht zu unterschätzen wäre eine Entbürokratisierung beim Thema Krankenhausbau, der ein Schlüssel in der Transformation wird.“
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Das Ampel-Aus und die vorzeitigen Neuwahlen dürften sich für das Schicksal der Krankenhausreform im Bundesrat positiv ausgewirkt haben. Die Länder standen jetzt nämlich vor einer Alles-oder-Nichts-Entscheidung: Hätten sie das Gesetz gestoppt, wäre es in dieser Legislaturperiode mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit endgültig gescheitert – und es wären ihnen die erheblichen kurzfristigen Finanzmittel für ihre Krankenhäuser entgangen, die das Gesetz auch enthält. Daher mussten sie das Gesetz so akzeptieren, wie es vom Bundestag beschlossen worden war. Wäre mehr Zeit für ein Verfahren im Vermittlungsausschuss gewesen, hätten die Länder sicherlich versucht, die Qualitätsvorgaben des Gesetzes noch mehr aufzuweichen, als es jetzt ohnehin schon in den Verhandlungen in den letzten Monaten zwischen Bund und Ländern passiert ist. Damit liegt jetzt jedenfalls ein Rahmen für die künftige Krankenhausstruktur vor, der Ländern und Krankenhäusern nun auch eine gewisse Orientierungssicherheit bietet.“
„Dieses Ergebnis ist umso erfreulicher, als im Kern ja gar kein Streit besteht, dass eine Reform mit der Zielrichtung, die Qualität der Versorgung zu verbessern, die ökonomischen Daumenschrauben zu lockern und Bürokratie abzubauen, notwendig ist. Allerdings sind die Beharrungskräfte in den Ländern groß – sie wollen weder ihre Planungshoheit gefährden noch die Schließung einzelner Häuser verantworten. Deshalb war es besonders wichtig, dass das Gesetz nach wie vor Strukturvorgaben enthält, an denen sich die Länder orientieren müssen und von denen sie nicht abweichen können. Allerdings bedarf es noch konkretisierender Rechtsverordnungen, denen der Bundesrat zustimmen muss – auf dieser Ebene werden die Verhandlungen mit den Ländern also weitergehen müssen. Außerdem ist es natürlich denkbar, dass der nächste Bundestag einzelne Regelungen des Gesetzes wieder ändert. Ein grundsätzliches Zurückrudern ist allerdings nicht mehr denkbar.“
„Die wesentliche Rolle haben nun zunächst die Krankenhäuser und ihre Träger selbst, die sich überlegen müssen, wie sie sich auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen können. Dabei wird es sicherlich auch um Standortschließungen und Zusammenlegungen gehen – aber der Erhalt aller Standorte wäre schon wegen fehlenden Personals mittel- und langfristig nicht mehr möglich gewesen. Insoweit macht der nun notwendige Transformationsprozess nur Probleme transparent, die auch ohne die Reform aufgetreten wären.“
Gesundheitspolitischer Sprecher, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Kurzfristig wird man nun in der Patientenversorgung noch nicht viel spüren. Dazu sind erst einmal eine Menge Strukturanpassungen nötig, die Zeit in Anspruch nehmen. Perspektivisch werden wir jetzt nach der Bundesratsentscheidung eine größere Schwerpunktbildung erleben, besonders bei spezialisierten Leistungen wie zum Beispiel in der Onkologie und in der Endoprothetik.“
„Es stehen im kommenden Jahr noch Rechtsverordnungen zu den neu einzuführenden Leistungsgruppen an. Auch sind noch einige technische Details des neuen Vergütungssystems, das an diese Leistungsgruppen andockt, zu klären. Die wichtigste Aufgabe wird aber sein, in den Regionen die Krankenhauskapazitäten an das neue Zielbild anzupassen. Dazu sind Investitionen und personelle Veränderungen nötig.“
„Die Zielrichtung des KHVVG stimmt. Auch dass Investitionen einen hohen Stellenwert erhalten, ist wichtig. Denn ohne diese wären Strukturanpassungen kaum möglich. Die Einführung der Vorhaltefinanzierung wird jedoch ziemlich komplex und uns noch vor Herausforderungen stellen.“
„Nach der Neuwahl wird man sich noch um einige technische Details der Reform kümmern müssen. An der einen oder anderen Stelle sehe ich hier Bedarf zur Nachjustierung. Zudem sollten die nun nicht mehr in Kraft getretene Notfallreform sowie das Pflegekompetenzgesetz wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden. Außerdem sollten wir über den Tellerrand der stationären Versorgung blicken und den Patientenpfad ohne die tradierten Brüche an der ambulant-stationären Sektorengrenze ausgestalten; dabei geht es auch um eine bessere Patientensteuerung, unterstützt durch die elektronische Patientenakte. Schließlich brauchen wir dringend einen Bürokratieabbau und mehr Gestaltungsfreiheit, die mit klarer Ergebnisverantwortung einher gehen muss.“
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirats des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Unmittelbar gibt es nun etwas mehr Geld, das den Krankenhäusern auch kurzfristig hilft. Im Mittelpunkt stehen allerdings bei Weitem die perspektivischen Änderungen durch, erstens, zielgenauere Zuweisung des Leistungsspektrums aufgrund von Mindestanforderungen an Personal und technische Ausstattung pro Leistungsgruppe sowie, zweitens, der ebenfalls auf Leistungsgruppen beruhenden Vorhaltefinanzierung. Sofern die Leistungsgruppenzuweisung durch die Bundesländer wie im Gesetz vorgesehen umgesetzt wird, kommt es dann tatsächlich zur intendierten Umgestaltung der Krankenhauslandschaft. Zu erwartende Effekte sind: weniger unnötige stationäre Behandlungen, dafür aber bessere Qualität für die Patienten, die wirklich stationär versorgt werden sollten, unter anderem durch mehr Personal pro verbleibenden Fall, aber auch Stabilität für den neugestalteten Krankenhaussektor.“
„Möglich wird all dies nur, wenn die Bundesländer die Reform auch konsequent umsetzen, das heißt, Leistungsgruppen auch tatsächlich an weniger Standorte als heute zuweisen. Diese Umsetzung ist die gravierendste Hürde – denn ganz klar, wenn dies nicht stattfindet – also jedes Krankenhaus alle Leistungen zugewiesen bekommt, die es heute erbringt – wird sich gar nichts ändern.“
„Der Vorschlag der Regierungskommission war noch wesentlich stringenter und hätte zu einem noch besseren und nachhaltigeren Ergebnis geführt, insbesondere durch die einheitliche Stufeneinteilung der Krankenhäuser mit den Anforderungen zum Beispiel an die ärztliche Verfügbarkeit außerhalb der Kernarbeitszeiten. Allerdings zeigen die Veränderungen auch, wie weit das BMG, insbesondere in Person des Gesundheitsministers, den verschiedenen Akteuren, insbesondere den Ländern, entgegengekommen ist.“
„Zum einen muss die Krankenhausreform nun wirklich konsequent weiterverfolgt werden, das heißt, ich hoffe nicht, dass es zuerst darum geht, sie – bevor sie umgesetzt wurde – schon wieder abzuschwächen, etwa durch das Einräumen von nach unten abweichenden Qualitätsanforderungen. Dann muss es darum gehen, wichtige ergänzende Reformen zu verabschieden; hier ist insbesondere an die Notfallreform zu denken. Denn sie ist ganz relevant zur Neuordnung des Zugangs zu Krankenhäusern, das heißt, dass Notfälle in Notaufnahmen nicht zu unnötigen stationären Fällen führen.“
„Rechtsgutachten und Vorträge für zahlreiche Akteure in Politik und Gesundheitswesen.”
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Leitender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Prof. Dr. Stefan Huster
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Prof. Dr. Boris Augurzky
Gesundheitspolitischer Sprecher, RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, und derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Prof. Dr. Reinhard Busse
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirats des Bundesgesundheitsministeriums sowie derzeit Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung