Der Weg der Vogelgrippe in die Antarktis
Studie charakterisiert erste Vogelgrippe-Fälle in der Antarktis
das Virus trifft dort auf ungeschützte Populationen und könnte verheerende Auswirkungen auf das Ökosystem haben
laut Forschenden liefert die Studie wichtigen Beitrag zum Verständnis der Situation
Die Vogelgrippe hat die Antarktis erreicht. Die ersten toten Vögel wurden im Februar 2024 am Kap Primavera auf der Antarktischen Halbinsel gefunden [I]. Nun veröffentlichten britische Forschende erste Analysen im Fachjournal „Nature Communications“, die den Weg des Virus von Südamerika Richtung Antarktis nachzeichnen (siehe Primärquelle).
Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik sowie Leiter des WOAH, FAO und Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza (AI) / Geflügelpest, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems
Mehrwert der Studie
„Die Daten zeigen erstmals den Einbruch des hochpathogenen aviären Influenzavirus H5N1 der Klade 2.3.4.4b in die Fauna subantarktischer Inselgruppen (Südgeorgien und Falklands/Malvinas), wo Wildvogel- und Robbenpopulationen im Herbst 2023 betroffen waren. Zu dieser Zeit waren die Auswirkungen der Infektionen auf Populationsebene begrenzt; nur wenige Todesfälle verschiedener Vogelspezies und von See-Elefanten beziehungsweise Südamerikanischen Pelzrobben konnten in Verbindung mit HPAIV Infektionen gebracht werden.“
„Genetische Analysen der Viren zeigten, dass es sich um Vertreter des Genotyps B3.2 handelt, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über migrierende Wildvogelarten vom südamerikanischen Kontinent eingetragen wurden. Adaptive Mutationen, die eine Anpassung an Säugetiere signalisieren, spielten bei den Viren aus der Subantarktis bislang nur eine marginale Rolle.“
Mögliche Auswirkungen einer Epidemie in der Antarktis
„Während im Herbst 2023 die Auswirkungen des erstmaligen Viruseintrags begrenzt blieben, deuten die Autoren an, dass eine weitere Verbreitung in der Subantarktis und auf dem antarktischen Kontinent in den Folgejahren schwerwiegendere Auswirkungen auf die dortigen Vogel- und Säugerpopulationen entfalten könnte. Aufgrund der zirkumpolaren Wanderwege (die Verbreitung von Arten innerhalb einer oder mehrerer Klimazonen rund um den Erdball; Anm. d. Red.) einiger Vogelarten können auch die bislang von HPAIV H5N1 verschonten Regionen Australiens und Neuseelands betroffen werden.“
„Das FLI war im März/April 2024 mit einer Wissenschaftlerin an einer multinationalen Expedition zur Antarktischen Halbinsel beteiligt [1]. Ergebnisse dieser Studien, die die Südsommersaison 2023/24 reflektieren, werden zurzeit zur Veröffentlichung vorbereitet.“
Veterinär in der Forschungssektion Benthosökologie, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Einfluss des Klimawandel auf das Ökosystem Antarktis
„Der Klimawandel hat bereits zu Bestandsveränderungen einzelner Pinguinarten wie Adélie-, Esels-, und Zügelpinguinen im Gefolge von Veränderungen im Nahrungsnetz geführt. Auch bei den Kaiserpinguinen werden Bestandsverschiebungen entlang der Schelfgebiete im Südlichen Ozean beobachtet. Für Robben kann man aufgrund der Datenlage keine so generalisierende Aussage machen, auch wenn in einzelnen Beständen Veränderungen im Tauchverhalten der Tiere einhergehend mit Veränderungen der Meerestemperatur nachgewiesen sind. Insgesamt verlagern sich Gebiete besonderer ökologischer Relevanz im Zuge des Klimawandels weiter nach Süden, sodass den hochantarktischen Schelfgebieten zunehmend auch Bedeutung als Refugien zukommt. Diese in Meeresschutzgebieten vor zusätzlichen anthropogenen Stressoren zu schützen, ist daher ebenso wichtig, wie die weitere Mitigation des Klimawandels.“
Folgen für das Ökosystem Antarktis
„Hier arbeitet die Publikation heraus, dass die Wildtierpopulationen in der Antarktis bereits mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sind. Hierzu gehören unter anderem die Zunahme invasiver Arten, Langleinenfischerei, Krillfischerei und ein rascher Klimawandel. Besonders die langlebigen Arten wie die Albatrosse sind eher weniger resilient gegenüber einem schnellen Anstieg der Sterblichkeit in den Populationsgebieten. Krankheitsausbrüche mit hoher Sterblichkeit stellen für gefährdete Seevogelpopulationen daher einen zusätzlichen kritischen Faktor dar.“
Mögliche Auswirkungen einer Epidemie in der Antarktis
„Bei den Robben ist die Prognostik der epidemiologischen Ausbreitungsdynamik unklar. Zwar sind Robbenarten, die sich in großen Kolonien zusammenfinden von hohen Mortalitäten besonders betroffen; es ist aber vor allem auch der Zeitpunkt des Viruskontaktes entscheidend. So konnten im Verlauf der Epidemie erhebliche Letalitätsunterschiede beobachtet werden, die in der Fortpflanzungsperiode hoch, in der Zeit des Haarwechsels aber gering waren, obwohl die Tiere in gleicher Weise dicht aggregierten. Die Packeisrobben dagegen dürften aufgrund ihrer dispersen Verteilung in den weitläufigen Packeisgebieten des Südlichen Ozeans weniger betroffen sein; aber auch sie haben potenziell Kontakt zu Vögeln, die als Vektoren infrage kommen.“
„Für die antarktischen Robbenbestände sind Prognosen über Auswirkungen auf das Ökosystem insgesamt schwierig, da Bestandserhebungen aus früheren Jahren mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind und Bestandsabschätzungen nicht selten Spannweiten einer Größenordnung aufweisen. Eine unmittelbare Beurteilung etwaiger Trends in den Populationen als Folge einer erhöhten Mortalität ist daher nicht möglich, es sei denn diese überstiegen die Unsicherheiten bei Weitem. Demografische Entwicklungen sind zudem langwellig und unmittelbare Auswirkungen aus nur einer Saison schwer messbar.“
„Die Publikation unterstreicht damit auch implizit die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen und ihr rasches Erscheinen hilft für die Einschätzung der Auswirkungen in der bevorstehenden antarktischen Sommersaison 2024/25.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bacteriology, Host Pathogen Interaction & Diagnostics, Universität Wageningen, Niederlande
Mehrwert der Studie
„Im vergangenen Jahr gab es mehrere Quellen, die über das Auftreten der hoch pathogenen Vogelgrippe H5N1 in der Antarktis berichteten. Bisher fehlten jedoch wissenschaftliche, von Fachleuten geprüfte Daten. Die Studie zeigt die Einschleppung und Ausbreitung der Vogelgrippe H5N1 bei mehreren Vogel- und Säugetierarten in Südgeorgien, im Bereich der antarktischen Konvergenz (Zone, in der kaltes, nordwärts fließendes Oberflächenwasser der Antarktis auf südwärts fließendes wärmeres Oberflächenwasser aus dem Norden trifft; Anm. d. Red.). Darüber hinaus weist die Studie auf zwei unabhängige Einschleppungen hin – eine auf den Falklandinseln und die zweite nach Südgeorgien –, wobei Zugvögel vom Festland die wahrscheinlichste Quelle darstellen.“
Aktualität der Daten
„Die Daten der Studie stammen aus der vorangegangenen Brutsaison und belegen die Einführung und frühe Ausbreitung des Virus. Im weiteren Verlauf der Brutsaison scheint die Sterblichkeit in den Vogelkolonien begrenzt gewesen zu sein. Darüber liegen jedoch nur wenige Informationen vor. Die Sorge gilt nun der neuen Brutsaison, die auf der südlichen Halbkugel bevorsteht.”
Mögliche Auswirkungen einer Epidemie in der Antarktis
„Die potenziellen Auswirkungen auf die antarktischen Vogelpopulationen könnten massiv sein. Viele der Arten sind koloniebrütende Vogelarten. Die enge Interaktion während dieser Jahreszeit kann zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit führen, ähnlich dem Massensterben, das bei den vom Virus betroffenen europäischen Brandseeschwalbenpopulationen im Jahr 2022 zu beobachten war. Dies ist besonders für die langlebigen Seevogelarten eine Herausforderung, da sie nur relativ wenige Küken hervorbringen und eine rasche Erholung der Population erschweren.“
Professor für vergleichende Pathologie, Abteilung für Virowissenschaften, Erasmus Universitätsklinikum Rotterdam, Niederlande
Mehrwert der Studie
„Das hochpathogene aviäre Influenzavirus (HPAI) vom Subtyp H5N, das vor etwa 20 Jahren von kommerziellen Geflügelfarmen in Asien auf Wildvögel übergriff, hat sich in Europa, Afrika sowie Nord- und Südamerika ausgebreitet. In dieser Studie werden jedoch erstmals HPAI-Viren des Typs H5N1 in subantarktischen und antarktischen Regionen nachgewiesen.“
„Darüber hinaus bringen die Ergebnisse eine Infektion mit dem H5N1-HPAI-Virus mit einer erheblichen Sterblichkeit bei mehreren Wildtierarten in diesen Regionen in Verbindung. Insbesondere wurde das H5N1-HPAI-Virus bei acht Arten von Wildvögeln und Säugetieren auf den Falklandinseln (Islas Malvinas) und Südgeorgien (Islas Georgia del Sur) nachgewiesen. Bei diesen Arten war die Infektion mit dem H5N1-HPAI-Virus mit einer signifikanten Sterblichkeit bei südlichen See-Elefanten, antarktischen Seebären und braunen Skuas verbunden.“
„Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass die H5N1-HPAI-Viren wahrscheinlich getrennt vom südamerikanischen Festland auf die Falklandinseln (Islas Malvinas) und Südgeorgien (Islas Georgia del Sur) eingeschleppt wurden. Nach der Einschleppung nach Südgeorgien (Islas Georgia del Sur) verbreitete sich das H5N1-HPAI-Virus dann an mehreren Orten auf den Inseln, wobei es mehrere Vogel- und Säugetierarten infizierte.“
„Abschließen zeigen die Ergebnisse drei Aminosäure-Substitutionen in H5N1-Viren aus (sub)antarktischen Wildtieren, die eine Anpassung an die Replikation bei Säugetieren bewirken, aber keine Substitutionen, die mit einer Resistenz gegen antivirale Mittel verbunden sind.“
Aktualität der Daten
„Obwohl das Manuskript bereits im November 2023 eingereicht wurde, sind die Schlussfolgerungen der Autoren, dass das H5N1-HPAI-Virus das Potenzial hat, sich weiter in der Antarktis und von dort aus nach Neuseeland und Australasien auszubreiten, nach wie vor gültig. Seit November 2023 gibt es zuverlässige Berichte, dass das Virus im Februar und März 2024 bei weiteren Wildtierarten in der Antarktis nachgewiesen wurde: Adélie-Pinguin, Weißgesicht-Scheidenschnabel und Wanderalbatros [2] [3]. Die geografische Ausbreitung hat sich auch weiter südlich, auf den Südlichen Sandwichinseln und auf dem antarktischen Kontinent selbst, fortgesetzt. In Australien und Neuseeland bereiten sich die Behörden auf die Einschleppung des HPAI-Virus H5N1 entweder aus der Antarktis oder aus Asien vor, indem sie Simulationen durchführen und in Gefangenschaft lebende gefährdete Vogelarten gegen das Virus impfen [4] [5].“
„Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es keine Anzeichen für eine Anpassung des Virus an eine verstärkte Infektion von Säugetieren und folglich auch kein erhöhtes Risiko für menschliche Populationen gibt, obwohl eine angemessene genetische Analyse neuerer Viren aus der antarktischen Tierwelt noch aussteht.“
Folgen für das Ökosystem Antarktis
„Das H5N1-HPAI-Virus wird sich wahrscheinlich weiter in der antarktischen Tierwelt ausbreiten und möglicherweise die 48 Vogel- und 26 Meeressäugerarten infizieren, die in dieser Region leben. Im schlimmsten Fall könnten die negativen Auswirkungen des H5N1-HPAI-Virus auf die antarktische Tierwelt immens sein, da ihre Ansammlung in dichten Kolonien von bis zu Tausenden von Tümmlern und Hunderttausenden von Vögeln die Übertragung des Virus erleichtert und zu einer hohen Sterblichkeit führen kann. Wie in der nördlichen Hemisphäre ist es möglich, dass das H5N1-HPAI-Virus in den kommenden Jahren in der antarktischen Region verbleibt und sich in den dortigen Wildtierpopulationen unterschiedlich ausbreitet [6].“
„Das von Geflügel stammende H5N1-HPAI-Virus stellt einen zusätzlichen Sterblichkeitsfaktor für wild lebende Tiere dar, der sowohl zu einem erhöhten Verlust lebenden Tieren als auch zu einer potenziellen Verringerung der Populationsgrößen der betroffenen Arten in der (sub)antarktischen Region führt. Der Rückgang der Populationen ist besonders besorgniserregend für Arten wie Albatrosse, die langlebig sind und deren Lebensgeschichte von einer hohen jährlichen Überlebensrate abhängt. Der großflächige Verlust von erwachsenen Brutvögeln kann erhebliche Auswirkungen auf die Populationen haben [7].“
Mögliche Auswirkungen einer Epidemie in der Antarktis für andere Ökosysteme
„Das übersteigt mein Fachwissen. Interessant ist jedoch, dass auf der anderen Seite der Welt, in der Arktis, die Ausrottung von Walen und Walrossen um Svalvard aufgrund von Überjagung riesige Mengen an Plankton und Schalentieren für andere Meeressäuger, Polardorsch und planktonfressende Vögel verfügbar machte und so langfristige Veränderungen im Ökosystem bewirkte [8].“
„Es besteht kein Interessenkonflikt.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
„Ich arbeite mit Ashley Banyard, Ian Brown und Joe James an dem von der Europäischen Kommission finanzierten Projekt Kappa-Flu zusammen, war aber in keiner Weise an dieser Studie beteiligt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Banyard AC et al. (2024): Detection and spread of high pathogenicity avian influenza virus H5N1 in the Antarctic Region. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-024-51490-8.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2023): Vogelgrippe – eine verheerende Pandemie für Vögel und eine Bedrohung für die globale Gesundheit? Press Briefing. Stand: 10.02.2023.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Friedrich-Loeffler-Institut (05.04.2024): Internationales Wissenschaftlerteam stellt weitere Ausbreitung der hochpathogenen aviären Influenza (HPAI) in der Antarktis fest. Pressemitteilung des Instituts.
[2] ACAP (28.02.2024): High Pathogenicity Avian Influenza has spread to Wandering Albatrosses on sub-Antarctic islands. Pressemitteilung des Abkommens.
[3] Federation University (04.04.2024): International team of scientists determine further spread of HPAI in the Antarctic Peninsula region. Pressemitteilung der Universität.
[4] Australian Government: Exercise Volare (2024).
[5] The Guardian (22.08.2024): New Zealand rushes vaccination of endangered birds before deadly strain of H5N1 bird flu arrives.
[6] Offlu (21.12.2023): Continued expansion of high pathogenicity avian influenza H5 in wildlife in South America and incursion into the Antarctic region. Statement des Netzwerks.
[7] Fodd and Agriculture Organization of the United Nations (Juli 2023): Scientific Task Force on Avian Influenza and Wild Birds statement on: H5N1 High pathogenicity avian influenza in wild birds - Unprecedented conservation impacts and urgent needs.
[8] Hacquebord L (2001): Three Centuries of Whaling and Walrus Hunting in Svalbard and its Impact on the Arctic Ecosystem. Environment and History 7.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Ministerin de ciencia, innovación y universidades (25.02.2024): Científicos del Centro de Biología Molecular Severo Ochoa del CSIC confirman la presencia por primera vez en la Antártida del virus de la Gripe Aviar Altamente Patogénica. Pressemitteilung des spanischen Ministerium für Wissenschaft, Innovation und Hochschulen.
[II] Shi W et al. (2021): Emerging H5N8 avian influenza viruses. Science. DOI: 10.1126/science.abg6302.
[III] EFSA et al. (2023): Scientific report: Avian influenza overview September–December 2022. EFSA Journal. DOI: 10.2903/j.efsa.2023.7786.
[IV] EFSA et al. (2024): Avian influenza overview March–June 2024. EFSA Journal. DOI: 10.2903/j.efsa.2024.8930.
[V] ENETWILD Consortium et al. (2024): The role of mammals in Avian Influenza: a review. EFSA supporting publication 2024. DOI: 10.2903/sp.efsa.2024.
Prof. Dr. Timm Harder
Laborleiter am Institut für Virusdiagnostik sowie Leiter des WOAH, FAO und Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza (AI) / Geflügelpest, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, Greifswald-Insel Riems
Dr. Horst Bornemann
Veterinär in der Forschungssektion Benthosökologie, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
Dr. Marc Engelsma
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bacteriology, Host Pathogen Interaction & Diagnostics, Universität Wageningen, Niederlande
Prof. Dr. Thijs Kuiken
Professor für vergleichende Pathologie, Abteilung für Virowissenschaften, Erasmus Universitätsklinikum Rotterdam, Niederlande