Diskurs: Meta-Analysen zu Absetzsymptomen von Antidepressiva
innerhalb der Forschungsgemeinschaft herrscht Diskurs zur Aussagekraft von Meta-Analysen zu Absetzsymptomen
Einschätzung der Absetzsymptome wichtig, um Sicherheit von Antidepressiva einzuschätzen
Forschende erläutern die Schwierigkeiten bei Meta-Analysen zu Absetzsymptomen und sind sich einig, dass fehlende Langzeitstudien sowie die Zunahme an Antidepressiva-Verschreibungen bei leichten Depressionen Probleme darstellen
Wenn Patientinnen und Patienten aufhören Antidepressiva zu nehmen, kann das zu unangenehmen Symptomen führen – sogenannte Absetz- oder Entzugssymptome. Um diese systematisch zu untersuchen, hat eine Forschungsgruppe aus Deutschland vergangenes Jahr die erste Meta-Analyse zu Absetzsymptomen von Antidepressiva veröffentlicht [I]. Meta-Analysen sind statistische Verfahren, in denen mehrere Studien zur gleichen Forschungsfrage quantitativ integriert werden, um ein aussagekräftigeres Gesamtergebnis zu erzielen. Vor wenigen Wochen erschien die zweite Meta-Analyse – diesmal von einer britischen Forschungsgruppe [II]. Laut der Analysen zeigen etwa 31 Prozent der Patientinnen und Patienten Absetzsymptome, beziehungsweise 15 Prozent nach Abzug der Nocebo-Effekte. Die häufigsten sind demnach Benommenheit, Übelkeit, Schwindel und Nervosität. Wenn mehr als vier Symptome auftreten, gilt es laut der Analysen als klinisch relevantes Absetzsyndrom.
Zu diesen Meta-Analysen herrscht innerhalb der Forschungsgemeinschaft ein reger Diskurs. Gerade die Auswahl der einbezogenen Studien ist umstritten und führte zu einer Re-Analyse der zuletzt erschienenen Meta-Analyse [III]. Einige Forschende argumentieren, dass auf Basis vorher festgelegter Kriterien möglichst viel Evidenz berücksichtigt werden solle und mögliche Einflussfaktoren anschließend untersucht werden. Andere Forschende verlangen von vornherein restriktivere Kriterien für einbezogene Studien in Bezug auf Beobachtungszeiträume, Interessenkonflikte und Erfassung der Absetzsymptome. Dieser Disput verläuft in anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder den Vereinigten Staaten von Amerika teils stark polarisiert und emotional. Auch über die Wahl des Begriffs, mit dem das untersuchte Syndrom beschrieben wird, gibt es Diskussionen: Während viele Veröffentlichungen und Fachleute von Absetzsymptomen sprechen, findet ein anderer Teil die Wortwahl der Entzugssymptome dem Umstand angemessener.
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine finanziellen oder anderweitigen Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie und würde daher potentielle Interessenkonflikte für mich verneinen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte in Bezug auf das Thema.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2024): Symptome bei Absetzen von Antidepressiva: Erste Meta-Analyse. Statements. Stand: 29. Juli 2025.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Horowitz MA et al. (2023): Addiction and physical dependence are not the same thing. The Lancet Psychiatry. DOI: 10.1016/S2215-0366(23)00230-4.
[2] Massabki I et al. (2021): Selective serotonin reuptake inhibitor ‘discontinuation syndrome’ or withdrawal. British Journal of Psychiatry. DOI: 10.1192/bjp.2019.269.
[3] Rosenbaum JF et al. (1998): Selective serotonin reuptake inhibitor discontinuation syndrome: a randomized clinical trial. Biological psychiatry. DOI: 10.1016/S0006-3223(98)00126-7.
[4] Horowitz MA et al. (2023): Estimating Risk of Antidepressant Withdrawal from a Review of Published Data. CNS Drugs. DOI: 10.1007/s40263-022-00960-y.
[5] Sørensen A et al. (2022): The relationship between dose and serotonin transporter occupancy of antidepressants-a systematic review. Molecular Psychiatry. DOI: 10.1038/s41380-021-01285-w.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Henssler J et al. (2024): Incidence of antidepressant discontinuation symptoms: a systematic review and meta-analysis. The Lancet Psychiatry. DOI: 10.1016/ S2215-0366(24)00133-0.
[II] Kalfas M et al. (2025): Incidence and Nature of Antidepressant Discontinuation Symptoms: A Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA Psychiatry. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2025.1362.
[III] Moncrieff J et al. (2025). Evidence on antidepressant withdrawal: an appraisal and reanalysis of a recent systematic review. Psychological Medicine. DOI: 10.1017/S0033291725100652.
[IV] AWMF (2022): S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. Stand: 28.07.2025.
[V] Trautmann S et al. (2017): The Treatment of Depression in Primary Care: A cross-sectional epidemiological study. Deutsches Ärzteblatt International. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0721.
Prof. Dr. Michael Hengartner
Professor für klinische Psychologie, Departement Angewandte Psychologie, Kalaidos Fachhochschule, Zürich, Schweiz Prof. Dr. Michael Hengartner ist Co-Autor der Re-Analyse in Psychological Medicine [III]., Schweiz
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Tom Bschor
Außerplanmäßiger Professor an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, und ordentliches Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und dort Sprecher der AG Psychiatrie sowie Koordinator der Regierungskommission Krankenhausversorgung Prof. Dr. Tom Bschor ist Co-Autor der Meta-Analyse in The Lancet Psychiatry [I].
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine finanziellen oder anderweitigen Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie und würde daher potentielle Interessenkonflikte für mich verneinen.“
Prof. Dr. Jörg Meerpohl
Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin, Universitätsklinikum Freiburg, und Direktor von Cochrane Deutschland, Cochrane Deutschland Stiftung, Freiburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte in Bezug auf das Thema.“
PD Dr. Jonathan Henssler
Oberarzt, Leiter der AG Evidence-Based Mental Health, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité – Universitätsmedizin Berlin PD Dr. Jonathan Henssler ist Hauptautor der Meta-Analyse in The Lancet Psychiatry [I].
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“