Erwartungen an die Weltbiodiversitätskonferenz in Cali
die 16. UN-Biodiversitätskonferenz (COP16) beginnt heute in Cali, Kolumbien
nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAPs) sowie die Finanzierung werden zentrale Themen der Verhandlungen
Forschende hoffen auf spezifischere Verpflichtungen
Am 21.10.2024 begann in der kolumbianischen Stadt Cali die 16. UN-Biodiversitätskonferenz (COP16). Bis zum 1. November sollen dort Fortschritte bei der Umsetzung des auf der vergangenen COP15 in Montréal beschlossenen Abkommens zur biologischen Vielfalt erzielt werden [I]. Eine zentrale Rolle spielen dabei auch die nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAPs), die die Vertragspartner nun vorlegen sollen. Nur wenige der 196 Vertragsstaaten haben laut Angaben des World Wildlife Fund (WWF) im Vorfeld der COP16 bereits ihre nationalen Biodiversitätsstrategien vorgelegt [II].
Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg , und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
Hintergrund und Herausforderungen
„Das 30x30-Ziel steht zu Recht im Fokus der COP16: Haupttreiber der Biodiversitätsverluste auf globaler Ebene ist die sogenannte Landnutzung-Änderung, etwa durch Rodungen, Ausbau der Landbewirtschaftung, Infrastrukturprojekte, Zersiedlung und so weiter. Wir rauben der Natur immer mehr Raum, machen die Vielfalt der Arten gleichsam wohnungslos.“
„Wenn daher der Flächenschutz nicht ausgebaut und nicht effektiver gestaltet wird, ist das Montreal-Abkommen gescheitert – und damit auch diese COP16, wenn sie – vor dem Hintergrund der bisher dürftigen Umsetzung der beschlossenen Ziele – dazu keine wirkungsvollen Maßnahmen implementiert. Alles andere ist Augenwischerei. Und dass dies nun ausgerechnet unter kolumbianischer Präsidentschaft geschehen soll, halte ich für kein gutes Vorzeichen.“
„Denn bisher existieren, auch in Deutschland, weitgehend ‚paper parks‘ (Land- und Seegebiete, die auf dem Papier geschützt sind, in denen allerdings keine konkreten Maßnahmen umgesetzt werden; Anm. d. Red.). 30 Prozent der Flächen als ‚protected areas‘ unterschiedslos hinsichtlich des Schutzstatus zu deklarieren, ist noch keine Umsetzung der Montreal-Vereinbarung. Vielfach sind die Schutzgebiete zu klein und zu isoliert und verinselt. Sie müssen erweitert und vernetzt – und vor allem sehr viel stärker von wirtschaftlicher Nutzung ausgenommen werden – auf 30 Prozent der Erdoberfläche. Und: Genutzte Flächen müssen renaturiert werden, und zwar in der gleichen Größenordnung: 30 Prozent!“
Von der COP15 zur COP16
„Diese Finanzierung ist eine wichtige Begleitmaßnahme – und die Mobilisierung wird zeigen, wie ehrlich es die Staatengemeinschaft wirklich damit meint, gerade auch finanziell die an Biodiversität reicheren, aber wirtschaftlich ärmeren Ländern des globalen Südens bei ihren Schutzbemühungen zu unterstützen. Bisher ist das nicht in hinreichendem Maße geschehen. Darin liegt für die COP16 eine große Herausforderung. Und gerade in diesem Fall bin ich eher verhaltend und skeptisch, was dann auch einzulösende Zusagen angeht.“
Biodiversität und Klima
„Weiterhin ist das Thema Klima allgemein überschätzt – es trägt in geringer Größenordnung zur Biodiversitätskrise bei und sollte daher nicht auch noch bei dieser COP16 wieder überproportional betont werden. Die Krise der Vielfalt ist eine menschengemachte Krise und keine Folge des Klimawandels. Es ist an der Zeit, just dies zu betonen und zu sagen, was ist. Durch unsere bisherige Art der Ernährung und die angestrebte Energiewende verstärken wir die Biodiversitätsverluste. An diesem Punkt muss die Transformation unserer globalen Ernährungs- und Energiesysteme ansetzen, denn ohne diese werden wir das Artensterben nicht aufhalten.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
Hintergrund und Herausforderungen
„Internationale Politik ist ein mühsames Geschäft, das auf Vereinbarungen, Grundsätzen, Erklärungen und Verträgen freiwillig zusammenarbeitender souveräner Nationalstaaten basiert, auch bekannt als sogenannte soft laws. Das gilt auch für internationale Umweltpolitik im Allgemeinen und für Biodiversitätspolitik im Besonderen.“
„Die ‚Convention on Biological Diversity‘ (CBD) ist als ‚soft law‘ vielfach Kritik ausgesetzt: Vor allem, weil es keine Sanktionsmechanismen bei der Verletzung vertraglicher Pflichten etabliere, entfalte solches Recht lediglich symbolische Wirkungen. Das soll sich ändern. Schließlich wurde von einem Expert:innen-Gremium der ‚Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services‘ (IPBES) in einem Globalen Zustandsbericht im Jahr 2019 ein besorgniserregendes Bild gezeichnet. Demnach gelten global circa 25 Prozent der bewerteten Tier- und Pflanzenarten als bedroht. Von der eine Million als ‚bedroht‘ klassifizierten Arten werden bis zu 500.000 als ‚dead species walking‘ betrachtet, also als Arten, die wahrscheinlich innerhalb von Jahrzehnten aussterben werden [1].“
Von der COP15 zur COP16
„Schon mit der Verabschiedung des Global Biodiversity Framework auf der 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP15) haben die 196 Mitgliedsstaaten der CBD Schritte in Richtung größerer Verbindlichkeit im globalen Biodiversitätsschutz gemacht. Dieser Weg soll jetzt auf der COP16 fortgesetzt werden. Man will dafür Mechanismen etablieren, die nicht nur der Planung und der Berichterstattung, sondern vor allem der Überwachung und Prüfung von Maßnahmen zum Schutz biologischer Vielfalt dienen.“
„Erwähnenswert sind das sogenannte 30x30-Ziel und das ‚NBSAP Accelerator Partnership‘. Im ersten Fall geht es darum, bis 2030 30 Prozent der Land- und Meeresflächen der Erde durch die Einrichtung von Schutzgebieten und anderen gebietsbezogenen Erhaltungsmaßnahmen zu erhalten, im zweiten um die Unterstützung von Schwellen- und Entwicklungsländern bei der Ausarbeitung von ‚National Biodiversity Strategies and Action Plans (NBSAPs)‘ (nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne; Anm. d. Red.) durch entwickelte Länder.“
„Das Ziel ist ambitioniert, und so kann die COP-16 für ihr Thema neue Aufmerksamkeit erzeugen und die internationale Zusammenarbeit intensivieren. Spannend zu beobachten wird, welche Lösungen für die Finanzierung des internationalen Biodiversitätsschutzes gefunden werden. Dass Staaten wie Brasilien, China, Indien, Indonesien und Mexiko die größten Profiteure des UN-Funds ‚Global Environmental Facility‘ (GEF) im Förderbereich Biodiversität sind, halten verschiedene afrikanische Staaten nicht für gerecht, was beinahe zum Scheitern der COP-15 geführt hätte. Mittlerweile wurde der ‚Global Biodiversity Framework Fund‘ initiiert, der zusätzliche Fördergelder bereitstellen soll.“
Auf dem Weg zur Trendwende?
„Ob sich das massenhafte anthropogene Aussterben von Arten bremsen und gar stoppen lässt, hängt davon ab, ob sich in den unterschiedlichsten Regionen der globalisierten Welt die gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse – die sogenannten indirekten Treiber von Biodiversitätsveränderungen – von Vielfaltsvernichtung auf -erhalt umstellen lassen.“
„Dazu müsste die COP16 Impulse für spezifischere Verpflichtungen setzen, den Biodiversitätserhalt tatsächlich in den Mainstream alltäglicher gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse zu bringen. Bislang ist es den Nationalstaaten überlassen worden, wie sie hier aktiv werden [2].“
„Dass es solche internationalen Impulse braucht, zeigt der ernüchternde Blick auf die Entwicklungen in Deutschland. Der Bericht des IPBES von 2019 hatte nach einer klaren Bestandsaufnahme zum Zustand der Biodiversität und der Ökosystemleistungen auch Wege in nachhaltigere Verhältnisse sowie Ansatzpunkte und Instrumente für gesellschaftlichen Wandel aufgezeigt [1]. Statt von diesem Forschungsstand ausgehend Konzepte dafür zu entwickeln, wie die Erhaltung von Biodiversität zum Alltag werden kann, ist in einem ‚Faktencheck Artenvielfalt‘ der Zustand der Artenvielfalt in Deutschland untersucht worden, um final mehr Reallabore – also: Nischen statt Mainstreaming – zu fordern [3].“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
Hintergrund und Herausforderungen
„Die diesjährige COP16 hat die wichtige Aufgabe, die ersten Schritte für die Umsetzung des auf der COP15 beschlossenen Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) zu überprüfen und nachzuschärfen. Wichtiges Element hierbei ist die Ausrichtung des Monitoring Frameworks, in dem die fünf Langzeitziele und die 23 Handlungsziele mit Indikatoren und Evaluierungsmatrizen weiter spezifiziert und messbar gemacht werden sollen.“
„Das GBF wird letztendlich nur so gut sein wie seine Zielstellungen in nationalen Strategien und dadurch in konkreten Maßnahmen übersetzt werden. Die COP15 hat dafür einen kontinuierlichen Prozess aus Planung, Monitoring, Evaluation und Revision vorgesehen. Bei der COP16 werden jetzt Faktoren verhandelt, die vorgeben, inwieweit Länder und andere Akteure zur Verantwortung gezogen werden können. Hauptsächlich sind diese Faktoren die Antworten auf die Fragen: Was wird gemessen und was soll somit erreicht werden? Wer wird von wem verantwortlich für die Umsetzung gehalten? Was für Konsequenzen gibt es, beziehungsweise was geschieht, wenn die Ziele nicht erreicht werden?“
Von der COP15 zur COP16
„Die medial sehr sichtbaren Themen des 30x30-Zieles und der Finanzierung werden meiner Meinung nach in ihrer Bedeutung stark überbewertet. Wir sehen an den ineffektiven Natura 2000-Gebieten in Europa, dass eine einfache Designation von Schutzgebieten nur ein ineffektiver ‚Papiertiger‘ ist. Die Effektivität wird davon abhängen, inwieweit Schutzgebiete von verschiedenen Ressortpolitiken berücksichtigt und die Gefahren für Biodiversität reguliert werden (Ziel 14). Finanzierung ist sinnlos, wenn sie zum einen mit anderen Finanzierungsmechanismen konkurriert und wenn es zum anderen keine effizienten Strukturen für ihre Verteilung gibt. Wenn Landwirte zum Beispiel mehr Finanzierung für Intensivierung bekommen, wird die Förderung von nachhaltiger Nutzung in den Entscheidungen hinten runterfallen. Statt viel neues Geld auszugeben, erscheint eine verstärkte Arbeit an der Abschaffung schädlicher Anreize (Ziel 18) noch wichtiger.“
Biodiversität und Klima
„Gemeinsamkeiten zwischen Biodiversität und Klima sind allgemein anerkannt. Im Tagesordnungspunkt dazu werden Möglichkeiten zum Austausch von Daten und zur Zusammenarbeit identifiziert, die unstrittig sein sollten. Auch naturbasierte Lösungen und die Wiederherstellung von Ökosystemen sind sehr weit überlappende Elemente, die zunehmend integrierend umgesetzt werden.“
„Einige kontroverse Themen stehen nicht auf der Agenda. Das sind zum Beispiel die Vermeidung von Ineffizienzen durch parallele institutionelle Strukturen wie IPBES, IPCC oder auch die Umsetzung sowohl auf nationaler Ebene als auch durch parallele Behörden auf verschiedenen Ebenen. Auch nicht auf der Agenda steht: Wie können Konflikte wie der zwischen dem Ausbau Erneuerbarer Energien und dem Naturschutz, gelöst werden?“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services IPBES (2019): Global assessment report on biodiversity and ecosystem services of the Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. Abgerufen am 17.10.2024.
[2] Zinngrebe Y et al. (2023): Kann die neue globale Agenda für Biologische Vielfalt ein weiteres Scheitern bei der Umsetzung vermeiden? Der neue Montreal-Kunming-GBF wirft mehr Fragen auf als er beantwortet. Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland. Abgerufen am 17.10.2024.
[3] Wirth C et al. (2024) (Hrsg): Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland. Oekom. DOI: 10.14512/9783987263361. Abgerufen am 17.10.2024.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Convention on Biological Diversity (2022):Nations Adopt Four Goals, 23 Targets for 2030 In Landmark UN Biodiversity Agreement. Abgerufen am 18.10.2024.
[II] World Wildlife Fund (2024): WWF NBSAP Tracker. Abgerufen am 18.10.2024.
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht
Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg , und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
PD Dr. Jens Jetzkowitz
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
Dr. Yves Zinngrebe
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig