EU-Trilog beschließt Renaturierungsgesetz
EU-Trilog einigt sich auf Renaturierungsgesetz
20 Prozent der See- und Landflächen sollen bis 2030 restauriert werden, unter anderem sollen Moore wiedervernässt werden
Forschende begrüßen Einigung als wichtigen Schritt für Biodiversität und Umweltschutz, wichtige Details seien aber noch zu klären
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat sich der EU-Trilog aus Parlament, Kommission und Rat zum Renaturierungsgesetz geeinigt. Den Pressemitteilungen von Rat und Parlament zufolge müssen die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der vom Gesetz abgedeckten maroden Flächen in einen guten Zustand versetzen. Bis 2050 müssen schließlich 90 Prozent restauriert sein [I] [II]. Im Gegensatz zum Parlamentsvorschlag soll ein Teil der Moore wiedervernässt werden, allerdings ohne die Landbesitzer dazu zu zwingen. Zudem sollen bis zum Jahr 2030 Natura-2000-Schutzgebiete prioritär renaturiert werden. Die Einigung des Trilogs muss nun im nächsten Schritt von den Mitgliedstaaten und dem Parlament final angenommen werden.
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz spielt eine zentrale Rolle für die Umsetzung der Ziele des Weltnaturgipfels in Montreal 2022 und des Green Deals. Dies ist die wichtigste Maßnahme für die Natur seit dem Natura 2000-Beschluss im Jahr 1992. Europa wird damit Vorreiter in Sachen nachhaltige Landnutzung und Naturschutz. Das Gesetz dient explizit der Wiederherstellung von Ökosystemen. Das ist essenziell für den Schutz von Biodiversität und Klima, und gleichermaßen für die Sicherung der Ernährung, der Wirtschaft und unserem Wohlergehen.“
„Die Ergebnisse des jetzt im Trilog verhandelten Gesetzes sind ganz erstaunlich ambitioniert. Die Sektoren, die bei den Verhandlungen im Parlament gestrichen wurden, das heißt der Landwirtschaftssektor und die Wiedervernässung von Mooren sind wieder aufgenommen. Die Ziele sind auch im Landwirtschaftsbereich sehr konkret und mit klaren Indikatoren unterlegt. So müssen die Bestände an Schmetterlingen und an Feldvögeln in Zukunft wieder ansteigen. Das ist ausgesprochen erfreulich. Allerdings ist die Wiedervernässung von Mooren für Landwirt*innen und für private Landbesitzer*innen nicht verpflichtend. In Zukunft wird es also darum gehen, diese für die Umsetzung des Renaturierungsgesetzes zu gewinnen, zum Beispiel durch angemessene finanzielle Unterstützung.“
Offene Fragen?
„In der Pressemitteilung werden wichtige Aspekte des neuen Gesetzes abgebildet.“
Öffentliche Debatte zum Renaturierungsgesetz
„In der öffentlichen Diskussion wurden überraschende neue ‚Frontlinien‘ in politischen Konflikten sichtbar. Auf der einen Seite gab es die Christdemokraten, die in Allianz mit rechten Parteien und konservativen Bauernverbänden mit aller Kraft versucht haben, das Gesetz zu versenken. Auf der anderen Seite standen mehr als 6000 Wissenschaftler*innen [1], Naturschutzverbände, Biobauernverbände und eine Gruppe von mehr als 100 Unternehmen, darunter Nestlé, Coca-Cola und IKEA, die sich für das Gesetz stark gemacht haben. Die zweite Gruppe kann man als Stimme der Vernunft verstehen.“
„Es ist aus wissenschaftlicher und ökonomischer Sicht glasklar, dass wir Natur besser schützen und wiederherstellen müssen, wenn wir heute und in Zukunft ein gutes Leben auf der Erde führen möchten. Im Trilog hat nun die Stimme der Vernunft gesiegt; wir können für Natur und Mensch optimistischer in die Zukunft sehen.“
Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz ist aus Sicht des Schutzes der Artenvielfalt ein wichtiges Gesetzesvorhaben. Der Standpunkt von Parlament und Rat, über den im Trilog verhandelt wurde, enthielt zahlreiche Schwächungen und Lücken des Renaturierungsgesetzes, wie beispielsweise das Streichen von Naturschutzgebieten in Agrarräumen und das Weglassen der Moorrenaturierung. Die Schwächung dieses Gesetzesvorhabens erfolgte mit teilweise nicht nachvollziehbaren Argumenten. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass durch die Verhandlungen die Naturschutzgebiete in der Agrarlandschaft und die Moore wieder Teil des Gesetzes sind. "
Offene Fragen?
„Eine abschließende Bewertung des Kompromisses lässt sich jedoch ohne Kenntnis der ausgehandelten Details nicht seriös vornehmen. Es bleibt offen, ob das ausgehandelte Renaturierungsgesetz ausreicht, um die rückläufigen Trends bei Artenvielfalt und Lebensräumen zu stoppen.“
Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz ist ein großer Erfolg für den Umweltschutz in der EU. Es ist der erste rechtlich bindende Mechanismus für Biodiversität der letzten drei Jahrzehnte seit der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie. Trotz schwieriger Verhandlungen zwischen Parlament und Kommission bleibt das Gesetz im Kern ambitioniert: 20 Prozent der Land- und Seeflächen sollen bis 2030 renaturiert werden sowie 90 Prozent der Habitate in schlechtem Zustand bis 2050. Das Gesetz deckt alle wichtigen Ökosysteme ab und wird zu mehr Biodiversität und resilienteren Wäldern beitragen, zu mehr nachhaltiger Landwirtschaft, wilderen Flüssen und zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen aus Europas Mooren.“
„Europa bekommt dadurch eine Führungsrolle in der Welt, wenn es darum geht, die Ziele des globalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt zu erreichen. Nun ist die große Herausforderung, nationale Renaturierungspläne der Mitgliedstaaten zu designen und zu implementieren und den Fortschritt sowie das Management zu monitoren. Um das zu schaffen, brauchen wir eine besonders gute Kooperation von der wissenschaftlichen Community mit den ‚resource managers‘, also denjenigen, die sich um die Landschaften kümmern, wie etwa Bauern, Förstern oder Managern geschützter Flächen.“
“Am Ende hängt der Erfolg des Gesetzes von den nationalen Plänen der Mitgliedsstaaten ab und davon, wie viel Renaturierung auch außerhalb der Schutzgebiete passiert, um die Konnektivität der Gebiete als Teil eines transeuropäischen Netzwerkes zu erhöhen.“
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt nach vorne. Die Restauration von Ökosystemen auf 20 Prozent der Fläche bleibt allerdings noch hinter den 30 Prozent zurück, die die globale Staatengemeinschaft inklusive der EU und ihre Mitgliedstaaten in Montreal im letzten Dezember als Ziel vereinbart hatten.“
„Ich finde es sehr gut, dass man sich auch auf die Restauration der Agrarlandschaften einigen konnte und einige der wichtigen Indikatoren erhalten geblieben sind. Zu diesen zählt der Grünland-Indikator für Schmetterlinge, der im Laufe der letzten Jahrzehnte durch intensive standardisierte europaweite Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Citizen Scientists entwickelt und mit Leben erfüllt wurde. Die Datenerhebung für diesen Indikator wird für Deutschland durch uns am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) koordiniert. Ungünstig finde ich allerdings, dass die Ermittlung dieser Indikatoren nur alle sechs Jahre stattfinden soll, da wären engere Zeitintervalle besser gewesen, um auch zügig Entwicklungen positiver wie negativer Art feststellen und auf diese reagieren zu können.“
„Als Damoklesschwert sehe ich bei den Agrarsystemen die Notbremse, die besagt, dass die Ziele unter außergewöhnlichen Umständen aufgegeben werden können, sofern sie ernsthafte EU-weite Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Fläche darstellen, um eine ausreichende landwirtschaftliche Produktion für den EU-Nahrungsmittelkonsum bereitzustellen. Hier zeigt sich, dass es immer noch nicht zum Allgemeinwissen gehört, dass die Restauration unter den Rahmenbedingungen einer Transformation des Agrarsystems die Produktion von Nahrungsmitteln verbessern kann.“
Professor für Ökosystemforschung am Institut für Landschaftsökologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Offene Fragen?
„Als problematisch erscheint mir die ,Ausstiegsklausel‘ für den landwirtschaftlichen Bereich. Die Rahmenbedingung für deren Anwendung sowie deren Tragweite sind bislang nicht definiert. Es ist daher schwer zu beurteilen, wie oft und in welchen Umfang diese Klausel genutzt werden könnte, um Renaturierungsziele im Agrarbereich zu unterlaufen. Offen ist weiterhin auch die Frage nach Art und Umfang der Finanzierung. Zur Umsetzung werden neben weiteren Mitteln für Agrar-Umweltmaßnahmen dringend fachübergreifende Verwaltungs- und Vollzugsstrukturen sowie weiteres im Bereich Renaturierungsökologie qualifiziertes Personal benötigt.“
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Die explizite Festschreibung von Renaturierungszielen im Agrarbereich und bei der Wiedervernässung von Mooren stellt ohne Zweifel eine deutliche Verbesserung dar, da diese Bereiche bislang weitgehend ausgeklammert waren. Insgesamt muss das Renaturierungsgesetz als ein enormer Fortschritt im Bereich des Natur- und Umweltschutzes gesehen werden, das mittelfristig gravierende Schäden und Fehlentwicklungen unseres jetzigen Umgangs mit der Natur reparieren könnte. Die Reparatur ökologischer Schäden ist von entscheidender Bedeutung für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung unserer Gesellschaften.“
Öffentliche Debatte zum Renaturierungsgesetz
„Die öffentliche Diskussion über das Gesetz war von Anfang an belastet durch Fehlinformationen, Halbwahrheiten und Polemiken, die insbesondere vonseiten der Agrarlobby gestreut wurden. So wurde das Gesetz als problematisch für die weltweite Ernährungssicherheit gebrandmarkt, obwohl von den Maßnahmen in erster Linie landwirtschaftliche Marginalstandorte wie trockengelegte Moore oder Extensivgrünland betroffen wären, während EU-weit Millionen Hektar an fruchtbarem Ackerland durch Ernergiepflanzenanbau oder zur Futterproduktion für eine exzessive Tierhaltung blockiert werden.“
Leiter der Stabsstellen Klima und Boden, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
Offene Fragen?
„Das Renaturierungsgesetz legt Ziele zur Wiederherstellung der Natur für wichtige Lebensräume wie Agrarlandschaften, Wälder, Gewässer und Moore fest. Es werden flächenbezogene Ziele für Wiederherstellungsmaßnahmen festgelegt sowie ergebnisbezogene Ziele zur Erhaltung und Verbesserung der Biodiversität.“
„Anhand der vorliegenden Informationen lässt sich noch nicht beurteilen, welchen rechtlichen Rahmen die EU für die Umsetzung festlegt, und welche Ausgestaltungsspielräume die Mitgliedstaaten haben werden. Die Umsetzung hängt von vielen Details ab: Wie werden die Gebiete zur Wiederherstellung ausgewählt, welche konkreten Maßnahmen werden dort ergriffen, wie wird die Biodiversität gemessen und wie werden beobachtete Trends bewertet?“
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Für die Erhaltung der Natur und der Biodiversität reicht es nicht, wertvolle Gebiete unter Schutz zu stellen. Das zeigen Zahlen zum fortschreitenden Rückgang der natürlichen Artenvielfalt und zum schlechten ökologischen Zustand geschützter Gebiete in der EU. Deshalb muss mehr für die Aufwertung von Schutzgebieten getan werden, und es müssen Lebensräume wieder hergestellt werden, die in der Vergangenheit verloren gegangen sind. Die EU will mit dem Gesetz die neue globale Vereinbarung zum Schutz der Natur umsetzen, die auf der Weltnaturkonferenz in Montreal im Dezember 2022 von der internationalen Staatengemeinschaft beschlossen worden ist (,Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework‘). Die EU-rechtliche Festlegung der Ziele ist ein Erfolg für den Naturschutz. Gleichzeitig ist der Beschluss ein Eingeständnis, dass die bisherigen Politiken zum Schutz der Biodiversität nicht ausgereicht haben.“
„Die Einbeziehung genutzter Lebensräume wie Agrarlandschaften, Wälder und Fischgründe ist wichtig für die Erhaltung natürlicher Funktionen, die auch der produktiven Nutzung zugutekommen. Beispielsweise hängt die Produktivität landwirtschaftlicher Kulturen von bestäubenden Insekten ab. Bestäuber brauchen Lebensraum, um in ausreichender Anzahl überleben und diese Funktionen auch erfüllen zu können.“
„Zur Frage, wie Konflikte zwischen Schutz, Wiederherstellung und Nutzung ausgehandelt und wie Synergien entwickelt werden sollen, gibt der neue Rechtsrahmen keine Antworten. Es werden auch keine Hilfen für die Prioritätensetzung gegeben, wenn es zu Zielkonflikten kommt. Fragen der Finanzierung sollen erst nach dem Beschluss untersucht und geklärt werden. Das hat den Entscheidungsprozess nicht erleichtert. Vorgaben für den in Montreal beschlossenen Abbau kontraproduktiver Subventionen fehlen noch.“
„Schutz und Wiederherstellung der Natur bieten Synergien mit dem Klimaschutz, zum Beispiel indem Wälder und Moore Kohlenstoff speichern. Wenn Nutzungen ausgeschlossen werden, Anpassungen der Wälder unter strenge Auflagen gestellt werden und Moorgebiete geschützt, aber nicht vernässt werden, wird für den Klimaschutz aber nicht das beste Ergebnis erreicht. Zum Beispiel ist nicht nachvollziehbar, warum nur ein kleiner Teil der wiederherzustellenden Moore wiedervernässt werden soll. Naturschutzmaßnahmen auf entwässerten Mooren sind entweder unwirksam, da dieser Lebensraum von hohen Wasserständen abhängt, oder sie sind nicht standortgerecht – und kontraproduktiv für den Klimaschutz.“
„Wenn die Umsetzung des Renaturierungsgesetzes zu einem Ausschluss produktiver Flächennutzungen führt, kann das den Druck auf andere Ökosysteme auch in anderen Weltregionen erhöhen – und zu Verschlechterungen für die Natur führen. Um solche unerwünschten Folgen zu begrenzen, ist es wichtig, Synergien zwischen Naturschutz und produktiver Landnutzung auszuschöpfen.“
Öffentliche Debatte zum Renaturierungsgesetz
„Der Entscheidungsprozess zum Renaturierungsgesetz war politisch sehr konfliktiv, und die sichtbar gewordenen Differenzen sind bei Weitem noch nicht beigelegt. Wichtige Verhandlungspartner im Europäischen Parlament haben auf eine vollständige Ablehnung des Gesetzesvorschlags gesetzt, nicht zuletzt aufgrund der erwarteten Konflikte mit der Landnutzung. Regierungen von EU-Mitgliedstaten, die diesen politischen Positionen nahestehen, sollen nun an der Zielerreichung arbeiten. Diese Ausgangssituation belastet die anstehende Umsetzung, bei der die kluge Aushandlung zwischen Naturschutz und Landnutzung so wichtig ist. Der ausgehandelte Kompromiss, dass Maßnahmen je nach Versorgungslage auf den Agrarmärkten ausgesetzt werden können, ist kritisch zu sehen. Naturschutz nach Konjunkturlage ist eine schlechte gesellschaftliche Investition. Erst eine Bestäuberpopulation aufzubauen, um ihr dann nach Maßgabe des Getreidepreises den Lebensraum wieder zu entziehen, das kann nicht im gesellschaftlichen Interesse liegen – und auch nicht in dem der Landwirtinnen und Landwirte.“
Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn
Offene Fragen?
„Insbesondere im Bereich der Wiedervernässung von Mooren enthält die Pressemitteilung nur vage Informationen: Ja, es ist geplant, 30 Prozent der Moorflächen, die unter landwirtschaftlicher Nutzung stehen, wieder zu vernässen. Allerdings kann ein nicht näher spezifizierter niedrigerer Prozentsatz angewendet werden, falls ein Land besonders stark von der Regelung betroffen wäre. Niedersachsen gehört innerhalb Deutschlands zu den ehemals besonders moorreichen Gebieten, hier sind circa 95 Prozent der Moorflächen durch Kultivierung verloren gegangen. Heute sind 70 Prozent der Moore in Niedersachsen landwirtschaftlich genutzt. Es bleibt abzuwarten, wie das Renaturierungsgesetz ganz konkret in diesem und anderen Bundesländern im Bereich der Wiedervernässung von Mooren umgesetzt werden wird.“
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Es ist begrüßenswert, dass nun endlich versucht wird, Ökosysteme in Europa in großem Maßstab in einen besseren Zustand zu bringen. Es wird allerdings schwierig werden, eine gute Balance zwischen Offenland- und Waldökosystemen zu finden. Einerseits soll der Zustand von Wiesenschmetterlingen verbessert werden, anderseits aber auch der Zustand von Waldvögeln. Hier sind große Anstrengungen nötig.“
„Es ist zu befürchten, dass insbesondere bei Agrarökosystemen die verschiedenen Teilindikatoren gegeneinander ausgespielt werden: Wenn ich es nicht schaffe, etwas für die Wiesenschmetterlinge zu tun, dann reicht es auch schon, wenn ich den organischen Kohlenstoff im Ackerboden fördere. Das ist eigentlich Augenwischerei, denn eine bodenschonende Landwirtschaft wird vielerorts sowieso schon durchgeführt.“
„Eine weitere Frage ist, wie nun bis 2030 eine strukturreichere Agrarlandschaft entstehen soll. Hierzu müsste man nun überall großzügig vielfältige Strukturen schaffen – wie Feldsäume, Hecken oder gar Brachland. Ich persönlich befürchte, dass am Ende einfach nur Blühstreifen und ,fruchtbarer‘ Ackerboden als Maßnahmen übrig bleiben werden. Das ist nicht, was wir in unseren Agrarlandschaften brauchen. Zu hoffen ist, dass in den nationalen Regelungen und Dialogen ein Anstoß für neue Maßnahmen gefunden werden wird, die wirklich etwas bringen – auch für die Vögel der Agrarlandschaft wie das Rebhuhn oder den Kiebitz, die sich nach wie vor im Sinkflug befinden.“
Öffentliche Debatte zum Renaturierungsgesetz
„Die öffentliche Diskussion war geprägt von Ängsten und Unverständnis, es gab massiven Widerstand gegen das Gesetz. Es ist gut, dass sich einige Akteure insbesondere aus Landwirtschaft und Naturschutz intensiv über das Gesetz ausgetauscht haben. Inwiefern der nun erarbeitete Entwurf nun gelungen ist, ist anhand der bisherigen Pressemitteilungen schwer zu beurteilen. Es stehen ja noch Gespräche mit den Repräsentanten der Mitgliedstaaten und dem Umweltausschuss des EU-Parlaments an. Erst danach und in der konkreten Umsetzung beispielsweise in Deutschland werden wir sehen, wie und ob die ambitionierten Ziele erreicht werden können und ob dies wirklich der ,Paukenschlag‘ für die Wiederherstellung der Biodiversität in Europa sein wird.“
Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Experimentelle Pflanzenökologie, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, und Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC), Universität Greifswald
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Es ist hervorragend, dass der Schutz der Moore wieder aufgenommen ist. Die Wiederherstellung von vitalen Ökosystem, auf die das Renaturierungsgesetz abzielt, bietet sehr viel Chancen für den Schutz von Biodiversität, für Klimaschutz und für nachhaltige Wirtschaft. Das Paradebeispiel dafür sind die Moore, die in Deutschland etwa fünf Prozent der Landfläche ausmachen. Diese Moorflächen sind nun im gestrigen Trilog-Ergebnis wieder mit konkreten Flächenzielen in das Gesetz aufgenommen worden. Aus Sicht der Wissenschaft werden damit direkt Empfehlungen für das Erreichen unserer gesellschaftlichen Ziele für den Schutz von Biodiversität, für Klimaschutz und für nachhaltige Wirtschaft (wieder) in das Gesetz integriert. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.“
„Die jetzt genannten Flächenziele sind nicht im Einklang mit den EU-Klimazielen und müssen vermutlich in Zukunft bei der Umsetzung der Klimaschutzgesetze eher erhöht werden. Wichtig ist aber, jetzt überhaupt mit konkreten Zielen die Umsetzung zu beginnen. Die Restaurierung von Mooren ist immer Wiedervernässung, die Trennung von ,restoration‘ und ,rewetting‘ ist aus Sicht der Wissenschaft nicht zielführend [2]. Neben den landwirtschaftlich genutzten Mooren müssen alle Moorflächen in den Blick genommen werden. In Deutschland sind aber die meisten Flächen einbezogen [3].“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Wir bekommen Gelder von der Europäischen Umweltagentur, um das Reporting zum Renaturierungsgesetz zu entwickeln, im Kontext des European Topic Center für Biodiversität.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Thünen-Instituts, einer öffentlichen Forschungseinrichtung, forsche ich für Politik und Gesellschaft. Das Thünen-Institut ist wissenschaftlich unabhängig, veröffentlicht seine Forschungsergebnisse und legt seine Ergebnisse, Schlussfolgerungen und Empfehlungen transparent dar.“
„Interessenkonflikte habe ich keine.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Isermeyer et al. (2020): Auswirkungen aktueller Politikstrategien (Green Deal, Farm-to-Fork, Biodiversitätsstrategie 2030; Aktionsprogramm Insektenschutz) auf Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei. Working Paper des Thünen-Instituts.
Osterburg et al. (2023): Flächennutzung und Flächennutzungsansprüche in Deutschland. Working Paper des Thünen-Instituts.
Science Media Center (2023): Renaturierungsgesetz: Wie lässt sich Europas zerstörte Natur wiederherstellen?. Press Briefing. Stand: 10.07.2023.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Pe’er G et al. (2023): Scientists support the EU’s Green Deal and reject the unjustified argumentation against the Sustainable Use Regulation and the Nature Restoration Law. Offener Brief.
[2] Greifswald Moor Centrum (2023): Bringing Clarity on Peatland Rewetting and Restoration. Q&A.
[3] Waterlands (2022): Higher ambition for Peatlands in the EU Nature Restoration Law Proposal. Policy Brief.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Rat der Europäischen Union (2023): Nature restoration: Council and Parliament reach agreement on new rules to restore and preserve degraded habitats in the EU. Pressemitteilung.
[II] Europäisches Parlament (2023): EU Nature restoration law: MEPs strike deal to restore 20% of EU’s land and sea. Pressemitteilung.
[III] Lakner S et al. (24.10.2023): What remains from the Nature Restoration Law, and what can still be saved? Blogeintrag.
[IV] Europäisches Parlament (12.07.2023): Wiederherstellung der Natur. Gesetzesentwurf.
Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Sebastian Lakner
Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
Prof. Dr. Henrique Pereira
Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Prof. Dr. Josef Settele
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
Prof. Dr. Dr. Norbert Hölzel
Professor für Ökosystemforschung am Institut für Landschaftsökologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Bernhard Osterburg
Leiter der Stabsstellen Klima und Boden, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Braunschweig
Prof. Dr. Christoph Scherber
Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Bonn
Dr. Franziska Tanneberger
Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Experimentelle Pflanzenökologie, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, und Leiterin des Greifswald Moor Centrum (GMC), Universität Greifswald