Evidenz zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS
erstmalig wurden pharmakologische und nicht-pharmakologische Behandlungen bei Erwachsenen mit ADHS in Meta-Analyse verglichen
Psychopharmaka führen zu einer zeitnahen Besserung der ADHS-Symptome, nicht-pharmakologische Therapien zeigen spätere und inkonsistente Wirksamkeit
laut unabhängiger Experten stützen die Ergebnisse weitgehend die aktuelle Leitlinie
Die Stimulanzien Amphetamin sowie Methylphenidat und die Arznei Atomoxetin verringern die Kernsymptome einer Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Netzwerk-Metaanalyse, die im Fachjournal „The Lancet Psychiatry” veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Diese stellt die umfassendste Synthese der verfügbaren Evidenz dar, die als Grundlage für zukünftige Leitlinien und Empfehlungen dienen kann.
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP), Universitätsklinikum Würzburg
Methodik
„Bei dem Review handelt es sich um eine qualitativ hochwertige vergleichende Auswertung im renommierten Journal ‚The Lancet Psychiatry‘. Jedes Review kann nur so gut sein, wie die Qualität der Ursprungsstudien, auf die das Review aufbaut. Die Ergebnisse dieses Reviews sind jedoch aussagekräftig und können bestimmt nicht ignoriert werden.”
Ergebnis
„Das Ergebnis ist kongruent mit den Erkenntnissen zu ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Eine Psychotherapie wirkt kaum auf die Kernsymptome einer ADHS. Diese wiederum können sehr gut mit Medikamenten adressiert werden, was auch Ergebnis dieser Studie ist. Hingegen können sekundäre Störungen, wie zum Beispiel die häufigen psychische Begleitstörungen oder psychosoziale Probleme mit Psychotherapie positiv beeinflusst werden. Was wir bei Kindern nun immer besser verstehen, wird durch dieses Review auch bei Erwachsenen bestätigt.”
Vergleich der Behandlungsansätze
„Die Behandlung von ADHS-Patient:innen mit einer Psychotherapie ist auch mit diesem Review nicht hinfällig. ADHS ist häufig der Kern, dem sich im Laufe der Zeit weitere psychische Belastungen, Störungen und Beeinträchtigungen hinzugesellen. ADHS ist selten allein. Sekundäre Probleme wie etwa Beziehungsprobleme, reaktive Angst, soziale Konflikte am Arbeitsplatz, Probleme in der Erziehung von Kindern, aggressives Verhalten, aber auch sekundäre körperliche Krankheiten stehen im Verlauf oft im Vordergrund, die oft mit Psychotherapie therapiert werden können.”
Auf die Frage, ob die Stimulanzien in eine Kategorie gefasst werden können:
„Ja und Nein. Methylphenidat und Amphetamine gehören zur gleichen Substanzklasse, unterscheiden sich in der Wirkweise nur im Detail. Amphetamine zeigen allerdings noch zusätzliche Wirkmechanismen und sind in den Analysen etwas effektiver. Allerdings haben diese eventuell auch etwas mehr Nebenwirkungen. Grundsätzlich lassen sich die Stimulanzien also in eine Kategorie packen, aber geringe Unterschiede bestehen – diese sind nicht qualitativ, sondern eher quantitativer Natur, aber im Spektrum sind die beiden Stimulanzien sehr vergleichbar. Demgegenüber hat das untersuchte Atomoxetin eine andere Wirkweise und ist in den Meta-Analysen zwar eindeutig wirksam, aber im Vergleich weniger effektiv als Stimulanzien.”
„In Deutschland wird am häufigsten Methylphenidat verschrieben, in den Vereinigten Staaten von Amerika häufiger Amphetamine eingesetzt. In den USA gibt es zudem deutlich höhere Verschreibungsraten als in Europa. Die Gründe sind spekulativ, es liegt aber vermutlich auch an der generell unterschiedlichen Einstellung gegenüber Medikamenten. Die Amerikaner scheinen Nebenwirkungen eher in Kauf zu nehmen.”
Fazit
„Bei diesem Review handelt es sich grundsätzlich um eine sehr wichtige Studie in einem Bereich, in dem kontinuierlich sehr viele neue Therapieformen auf den Markt kommen und propagiert werden. Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, was wirklich wirksam ist, um zu verhindern, dass nicht unwirksame Therapieansätze den wirksamen vorgezogen werden.”
Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Frankfurt
Ergebnisse
„Nur Stimulanzien und Atomoxetin zeigten sowohl in Selbst- als auch Fremdbeurteilung eine kurzzeitige (zwölf Wochen) Verbesserung der ADHS-Kernsymptome, wobei Atomoxetin schlechter vertragen wurde als Placebo. Die psychotherapeutischen Ansätze zeigten uneinheitliche Ergebnisse je nach Beurteilungsperspektive. Die Langzeitdaten über zwölf Wochen sind sehr begrenzt.”
„Dies entspricht weitgehend den aktuellen Leitlinienempfehlungen, die Medikamente als First-Line-Therapie empfehlen. Die Studie liefert aber erstmals eine direkte Vergleichbarkeit aller Therapieoptionen und zeigt Limitationen der bisherigen Evidenz auf. Dies könnte zu stärkerer Differenzierung der Empfehlungen in zukünftigen Leitlinien führen, eine generelle Anpassung sehe ich nicht.”
Methodik
„Die Methodik des Reviews erscheint hochwertig. Die Autor:innen haben eine systematische Literatursuche durchgeführt. Eine Component Network Meta-Analysis ermöglicht den Vergleich verschiedener Interventionen. Die Autor:innen analysierten die Selbst- und Fremdbeurteilung getrennt und bewerteten die Evidenzqualität.”
Vergleichbarkeit der Behandlungen
„Die Vergleichbarkeit ist durch die unterschiedliche Natur der Interventionen eingeschränkt: Psychotherapie ist nicht verblindbar, beziehungsweise gibt es kaum Studien mit guten Vergleichsgruppen. Die beste Studie ist hier die COMPAS-Studie der Koautorin Alexandra Philipsen. Darüber hinaus besteht die Schwierigkeit, dass jede Studie Verschiedene Therapeuten und verschiedene Settings beinhaltet, sowie
unterschiedliche Wirkmechanismen und –zeiten. Diese Einschränkungen werden in der Studie auch diskutiert.”
Auf die Frage, ob die Stimulanzien in eine Kategorie gefasst werden können:
„Die Zusammenfassung von Stimulanzien erfolgte primär aus methodischen Gründen. In Sensitivitätsanalysen zeigten sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen Amphetaminen und Methylphenidat. Die Autoren empfehlen dennoch eine differenzierte Betrachtung in der Praxis.”
Fazit
„Insgesamt sehe ich keine bahnbrechenden Erkenntnisse aus der Meta-Analyse. In den Einzelstudien gibt es durchaus spannende Studien. Meta-Analysen können vielleicht per se nicht bahnbrechend sein. Die Meta-Analyse ermöglicht allerdings sehr schön eine Vergleichbarkeit aller Interventionen und so deren Diskussion.”
„Ich bin Autor von Lehrbüchern. Es bestehen keine finanziellen oder sonstigen Verbindungen mit der Industrie (insbesondere Pharmaindustrie).”
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Ostinelli EG et al. (2025): Comparative efficacy and acceptability of pharmacological, psychological, and neurostimulatory interventions for ADHD in adults: a systematic review and component network meta-analysis. The Lancet Psychiatry.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] DGKJP, DGPPN und DGSPJ (02.05.2017): Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. S3-Leitlinie. AWMF-Registernummer 028-045.
Prof. Dr. Marcel Romanos
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPPP), Universitätsklinikum Würzburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich bin Autor von Lehrbüchern. Es bestehen keine finanziellen oder sonstigen Verbindungen mit der Industrie (insbesondere Pharmaindustrie).”
Dr. Oliver Grimm
Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Frankfurt