FDA lehnt MDMA-Medikament zur Behandlung von PTBS ab
die US-Arzneimittelbehörde hat den ersten Zulassungsantrag für ein MDMA-Medikament zur Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen abgelehnt
Forscher ordnen die Kritikpunkte ein und schlagen Folgeuntersuchungen vor
auch in der EU wird die Entscheidung über ein MDMA-Medikament nicht in naher Zukunft erwartet
Die Food and Drug Administration (FDA) hat entgegen den Forderungen von US-Veteranen, Regierungsmitgliedern [I] und vielen Forschenden [II] den ersten Antrag für ein MDMA-basiertes Medikament der Firma Lykos Therapeutics zur Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) abgelehnt. Damit folgt die US-Arzneimittelbehörde der Empfehlung eines Experten-Panels aus dem Juni 2024 [III].
Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Basel, und Professor für Klinische Pharmakologie, Medizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz
Besonderheit psychedelischer Drogen als Therapie
„Speziell ist, dass bei psychoaktiven Substanzen eine Entblindung (Probanden und Versuchsleitung wissen, ob Proband in Experimental- oder Placebo-Gruppe ist; Anm. d. Red.) durch den subjektiven Effekt erfolgt. Verblindete Studien sind also schwierig durchzuführen. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, verschiedene Dosen der Substanz zu untersuchen und zu zeigen, dass höhere Dosen einen stärkeren Effekt als kleinere Dosen haben. Psychedelika und MDMA werden zudem mit mehr oder weniger psychologischer Betreuung angeboten und zurzeit ist noch nicht bekannt, wieviel Betreuung nötig ist und was der Beitrag des psychologischen Supports oder der Psychotherapie an dem Behandlungseffekt ist. Methodologisch sind also Studien mit psychoaktiven Substanzen anspruchsvoll.“
Entscheidung des FDA-Experten-Panels und relevante Kritikpunkte
„Das Expertengremium nahm eine strenge Haltung ein. Das ,functional Unblinding‘ wird als Problem betrachtet. Das sehe ich viel weniger problematisch. Für mich ist vor allem die Randomisierung bei den Studien zentral, also die zufällige Zuteilung gleich kranker Patienten in die MDMA- und die Placebogruppe. Eine ungenügende Verblindung kommt in vielen Studien vor und wäre für mich nicht der entscheidende Punkt. Hier wird auch durch Fachleute aus dem Gebiet mit der Kritik übertrieben. Studien mit tiefen MDMA-Dosen als Kontrollgruppe wären hier ein Lösungsansatz. Die Wirksamkeit stelle ich persönlich nicht infrage.“
„Dann gibt es Bedenken zur Sicherheit von MDMA bezüglich der Herzkreislaufstimulation und des Suchtpotenzials. Beides muss man ernst nehmen. MDMA führt akut zu einer Kreislaufbelastung und das könnte bei älteren und herzkranken Patienten problematisch sein. Dazu gibt es noch wenig Daten. Denkbar ist, dass da mehr Studien verlangt werden, vor allem, um zu wissen, wen man nicht oder nur mit großer Vorsicht behandeln sollte.“
„Das Suchtpotenzial war ein weiterer Kritikpunkt des FDA-Expertenpanels. MDMA ist ein Suchtmittel und kann missbraucht werden und es hat auch ein gewisses Abhängigkeitspotenzial. Das ist aus meiner Sicht relativ gut bekannt. Hier scheinen mir Sicherheitspläne und Begleitforschung nach der Zulassung sinnvoll. Nun zu sagen, MDMA löse schöne Gefühle aus und sei damit gefährlich, scheint mir nicht zielführend. Da spielen nun auch die Angst vor Drogenproblemen und die Moral hinein und das Opioid-Problem in den USA. MDMA führt im Gegensatz zu Opioiden aber selten zu einer Sucht. Zudem wird MDMA den Patienten nicht mit nach Hause gegeben, sondern in der Arztpraxis unter Kontrolle einige wenige wenige Male eingesetzt. Die Suchtgefahr ist für mich klar geringer als der potenzielle Nutzen.“
„Ein weiterer wenig untersuchter Sicherheitsaspekt, den das Panel thematisiert, ist der Zusammenhang der Behandlung mit Leberentzündungen. Leberentzündungen sind allerdings sehr selten, weshalb wohl erst in Post-Marketing-Studien Studien (Studien nach Arzneimittelzulassung; Anm. d. Red.) die Häufigkeit genauer abschätzbar sein wird. Interessant – aber ich glaube nicht von der Kommission erwähnt – sind zudem folgende zwei Fragen: Einmal die Frage nach möglichen Stimmungsschwankungen oder Depressionen in den Tagen nach der Behandlung aufgrund von vorübergehendem Serotoninmangel und des Weiteren die Frage nach einer Hyponatriämie (zu niedrige Natriumkonzentration im Blutserum; Anm. d. Red.), wenn in den Sitzungen zu viel getrunken wird. Das ist aus meiner Sicht zu wenig untersucht und wäre einfach zu erfassen: Das Natrium im Blutserum könnte man messen und einer Gruppe eine Trinkrestriktion auferlegen – da sollte es dann keine Hyponatriämie geben – und zudem Depressionsfragen in der Woche nach der Behandlung.”
„Insgesamt sind noch einige Aspekte zu klären. Aus meiner Sicht hätte das aber nicht eine Ablehnung benötigt, sondern wäre auch mit Auflagen abzudecken gewesen. Ich gehe davon aus, dass nun mehr Daten generiert werden und die Zulassung dann erneut beantragt wird.“
Mögliche Auswirkungen auf Regulierung in der EU
„MDMA und Psychedelika werden primär in den USA zugelassen. Eine EU-Zulassung ist für Firmen vermutlich sekundär, da sie wegen der zusätzlichen regulatorischen Auflagen nicht interessant oder finanzierbar wäre. Ich gehe also davon aus, dass wir da noch länger warten müssen. Eine interessante Option sind aber beschränkte medizinische Anwendungsprogramme wie sie in der Schweiz, Kanada und Australien bereits laufen. Hier sollte man MDMA weiter anwenden und idealerweise auch Sicherheitsdaten erfassen. Damit kann man praxisnahe Daten sammeln und es werden bereits mehr Patienten behandelt als in den bisherigen klinischen Studien.“
Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Freiburg, Schweiz
Besonderheit psychedelischer Drogen als Therapie
„Eine besondere Herausforderung von Psychedelika-unterstützter Psychotherapie (PAT) mit MDMA besteht darin, dass die Wirkung auf das Bewusstsein, soweit wir wissen, entscheidend für den therapeutischen Erfolg ist. Bisher gibt es kein Placebo, das diese bewusstseinsverändernde Wirkung überzeugend nachahmen könnte, was eine Verblindung in Studien derzeit unmöglich macht. Aus meiner Sicht wäre es nicht ethisch, die Therapie aus diesem Grund grundsätzlich abzulehnen. Die bestehende Regulierung berücksichtigt dieses Problem nicht ausreichend.“
„Ein zentrales Problem bei der Zulassung liegt in der Zuständigkeit. Pioniere der Psychedelika-Forschung wie Stanislav Grof sowie Unternehmen wie Lykos betrachten die PAT in erster Linie als Psychotherapie. Die FDA hingegen klassifiziert diese Therapie als medikamentöse Behandlung und verlangt Standards, die in der Psychotherapie unüblich, aber in der Pharmakotherapie gängig sind. Sowohl die Verbindung von Pharmakotherapie und Psychotherapie als auch die spezifischen Anforderungen von PAT erfordern eine Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen.“
Entscheidung des FDA-Experten-Panels und relevante Kritikpunkte
„Neben der Wirksamkeit wurde auch die Sicherheit von MDMA infrage gestellt, insbesondere mögliche unerwünschte Wirkungen auf das Herz. Hier muss ich jedoch kritisch anmerken, dass aufgrund des weitverbreiteten illegalen Gebrauchs von MDMA gut bekannt ist, dass MDMA, insbesondere in den Dosierungen, die in der PAT verwendet werden, als sicher für das Herz gilt. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das potenzielle Risiko, dass PAT mit MDMA zu einem erhöhten illegalen Gebrauch führen könnte. Obwohl ich die genauen Daten, die Lykos eingereicht hat, nicht kenne, halte ich diesen Punkt für valide und denke, dass das Unternehmen entsprechende Daten sammeln und vorlegen sollte.“
Mögliche Auswirkungen auf Regulierung in der EU
„Die Entscheidungen der FDA haben weltweit großen Einfluss, auch auf die EU. Pharmaunternehmen reichen ihre Zulassungsgesuche oft zuerst bei der FDA ein, da der amerikanische Markt für die Branche von größter Bedeutung ist. Zudem ist die USA führend in der Psychedelika-Forschung und kulturell offener gegenüber Psychedelika als Europa, wo insbesondere in katholischen Ländern auch aus kulturellen Gründen Skepsis herrscht. Darüber hinaus verfügt die FDA über den Willen und die Kompetenz, die notwendigen regulatorischen Innovationen voranzutreiben, um den Besonderheiten der Psychedelika-Therapien gerecht zu werden. Ein Beweis dafür ist die vergleichsweise rasche Zulassung von Ketamin als Antidepressivum, die zeigt, dass die FDA den Innovationsbedarf in der Psychiatrie erkennt und grundsätzlich bereit ist, neuartige Therapien zu fördern.“
Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim, und Ärztlicher Direktor und Chefarzt der OVID Clinic Berlin
Besonderheit psychedelischer Drogen als Therapie
„Ein besonderes methodisches Problem bei der Prüfung von Psychedelika ist die sogenannte funktionelle Entblindung. Das heißt, in den meisten Fällen können sowohl Patient*innen als auch Therapeut*innen schon Minuten bis wenige Stunden nach Einnahme der Substanz sagen, ob sie das Psychedelikum oder ein Placebo bekommen haben. Eine echte doppelblinde Prüfung ist also nicht möglich. Das galt allerdings auch schon zum Beispiel bei der klinischen Prüfung von Esketamin, das von FDA und EMA zugelassen wurde. Eine weitere methodische Herausforderung ist die Bestimmung der Rolle der Psychotherapie im Rahmen des Behandlungssettings. Wahrscheinlich spielt die Psychotherapie eine bedeutsame Rolle für die Wirksamkeit von psychedelischen Therapien. Die Regulierungsbehörden – FDA und EMA – betonen jedoch immer wieder, dass sie Arzneimittel regulieren, nicht aber die ,medizinische Praxis‘.
Entscheidung des FDA-Experten-Panels und relevante Kritikpunkte
„Ich bedauere die Entscheidung der FDA. Das Expertenpanel setzte sich fast vollständig (zehn von elf) aus Personen zusammen, die keine Erfahrungen mit der Therapie mit Psychedelika haben. Die Kritikpunkte sind jedoch ernst zu nehmen. Die Patientenzahlen in den beiden von Lykos vorgelegten Studien waren zusammengenommen recht klein (circa 200). Zudem wirft man den Studien methodische Mängel vor, zum Beispiel seien die Ratings von voreingenommenen Ratern durchgeführt worden. Auch fehlten Langzeitdaten insbesondere zur Sicherheit der Therapie. Viele der Patienten hätten zudem schon vorher Psychedelika, insbesondere auch MDMA, eingenommen. Auch die Probleme mit der funktionellen Entblindung und der unklaren Definition, welche Psychotherapie durchgeführt worden ist, wird betont. Bei der Bewertung der Entscheidung der FDA muss man potenziellen Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen. Nach meiner Einschätzung überwiegt die Evidenz für einen Nutzen bei einer Erkrankung, bei der wirksame Therapien dringend benötigt werden. Die Risiken sind überschaubar. Wenn man dies zum Beispiel vergleicht mit den Antikörpertherapien bei Alzheimer-Erkrankung, die die FDA gerade zugelassen hat, so stehen bei diesen Therapien erhebliche Risiken einem bescheidenen Nutzen gegenüber. Hier wird aus meiner Sicht mit sehr unterschiedlichem Maß gemessen.“
Mögliche Auswirkungen auf Regulierung in der EU
„Die EMA wird völlig unabhängig entscheiden, und dann auf der Basis jeweils aktueller Daten. Lykos wird einen Zulassungsantrag in der EU ja erst stellen, wenn man die Anforderungen der FDA erfüllt. Das wird nun Jahre in Anspruch nehmen. Auch auf die Zulassungsprozesse anderer Psychedelika, wie Psilocybin und LSD, wird die Entscheidung keinen Einfluss haben. Hier wird von verschiedenen Unternehmen seriöse Forschung betrieben. Die Entscheidung der FDA wird im Gegenteil zur Durchführung seriöser und methodisch stringenter klinischer Forschung ermuntern. Insofern wird sich nicht verhindern lassen, dass Psychedelika irgendwann den Markt erreichen.“
„Ich bin Berater von Mind Medicine.”
„Ich habe keine Beteiligungen an Firmen und erhalte kein Geld von Firmen die mit Psychedelika zu tun haben. Ich beteilige mich auch nicht an Industrie-gesponserter Forschung. In diesem Sinne keine Interessenkonflikte.“
„Ich war in den letzten drei Jahren als Berater für Boehringer Ingelheim (Ingelheim, Deutschland), das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG, Köln, Deutschland), Johnson & Johnson (Neuss, Deutschland), Lundbeck (Kopenhagen, Dänemark), MindMed (New York, USA), Otsuka (Chiyoda, Japan), Recordati (Mailand, Italien), Roche (Basel, Schweiz) und ROVI (Madrid, Spanien) tätig. Ich war als Referent für Gedeon Richter (Budapest, Ungarn), Johnson & Johnson, Lundbeck, Otsuka und Recordati tätig. Ich erhielt Forschungsunterstützung von Beckley Psytech und Boehringer Ingelheim. Ich bin Mitgründer und/oder Gesellschafter der Mind and Brain Institute GmbH (Zornheim, Deutschland), der OVID Health Systems GmbH (Berlin, Deutschland) und der MIND Foundation gGmbH (Berlin, Deutschland).“
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center Germany (2023): Ecstasy-Wirkstoff unterstützt die Behandlung von Posttraumatischer Belastungsstörung. Research in Context. Stand: 14.09.2023.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bergman J et al. (02.08.2024): MDMA assisted Therapy Letter.
[II] Jacobs A (08.08.2024): Veterans and Lawmakers Lobby in Bipartisan Push for MDMA Therapy. The New York Times.
[III] Psychopharmacologic Drugs Advisory Committee Meeting (04.06.2024): FDA Briefing Document.
[IV] Schäfer I et al. (2019): S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. Springer Verlag, Berlin.
[V] Mitchell JM et al. (2023): MDMA-assisted therapy for moderate to severe PTSD: a randomized, placebo-controlled phase 3 trial. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-023-02565-4.
[VI] Mitchell JM et al. (2021): MDMA-assisted therapy for severe PTSD: a randomized, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-021-01336-3.
[VII] Therapeutic Goods Administration (03.02.2023): Change to classification of psilocybin and MDMA to enable prescribing by authorised psychiatrists.
Prof. Dr. Matthias Liechti
Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsspital Basel, und Professor für Klinische Pharmakologie, Medizinische Fakultät, Universität Basel, Schweiz
Prof. Dr. Gregor Hasler
Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Freiburg, Schweiz
Prof. Dr. Gerhard Gründer
Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim, und Ärztlicher Direktor und Chefarzt der OVID Clinic Berlin