Forschung mit der elektronischen Patientenakte
Gesundheitsdaten aus der elektronischen Patientenakte zu Forschungszwecken verfügbar gemacht werden
unkonkrete Vorstellung, was genau für Forschungsprojekte möglich wären
Forschende sehen potenziell großen Nutzen, dieser sei aber abhängig von der Struktur der erhobenen Daten
Die elektronische Patientenakte (ePA) ist seit dem 15. Januar 2025 für alle gesetzlich Versicherten verfügbar. Zunächst wird sie in Hamburg und Franken sowie in Teilen von Nordrhein-Westfalen getestet. Mitte Februar soll sie bundesweit zum Einsatz kommen. Neben Benefits im klinischen Behandlungsalltag sollen die Daten aus der ePA auch einen Nutzen für Forschungsprojekte bringen. Der Datennutzung für Forschungszwecke können Patientinnen und Patienten widersprechen (Opt-Out). Für diese Entscheidung ist es wichtig, zu verstehen, welche Forschung genau mit der ePA möglich ist.
Direktor des Instituts für Medizinische Informatik, Universitätsklinikum Heidelberg
Verfügbare Daten und mögliche Forschungsvorhaben mit der ePA
„Medizinische Forschungsdaten in der elektronischen Patientenakte sind sehr vielfältig. Typische Beispiele sind Symptome, Vorgeschichte, Laborwerte, Medikationsdaten, OP-Berichte, Untersuchungsbefunde und Lebensqualität der Patienten. Diese Daten sind für die Forschung in allen Bereichen der Medizin wichtig, zum Beispiel in der Tumormedizin, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen oder in der psychosozialen Medizin. Beispielsweise beim Bauchspeicheldrüsenkrebs: OP-Berichte und Befunde von Kontrolluntersuchungen in der elektronischen Patientenakte enthalten wichtige Daten, mit denen man die Wirksamkeit und die Nebenwirkungen der Therapie beurteilen kann. Ein anderes Beispiel sind Essstörungen: Bei diesen Patienten kann man Daten aus der Patientenakte zum Symptomverlauf unter verschiedenen Therapieansätzen analysieren.“
Limitationen der Daten
„Aufgrund der hohen Zahl von Patienten ist es in der klinischen Routine meist nicht möglich, alle Details der Daten vollständig zu erfassen. Für die Forschung wäre es sehr hilfreich, wenn die klinischen Daten sinnvoll strukturiert wären und gut aus den IT-Systemen exportiert werden könnten.“
Ablauf eines Forschungsprojekts mit der ePA
„Als ersten Schritt würde ich Forschenden eine Beratung empfehlen, zum Beispiel beim medizinischen Datenintegrationszentrum des Uniklinikums. Dort erfährt man, welche Daten verfügbar sind und wie der genaue Ablauf ist.“
„Für ein Forschungsprojekt muss man ein Studienprotokoll schreiben, das von einer Ethikkommission geprüft wird. Danach kann man einen Datennutzungsantrag am FDZ stellen. Sofern dieser Antrag genehmigt wird, wird ein Datennutzungsvertrag geschlossen und man erhält die Daten über eine Transferstelle, die dann ausgewertet werden können.“
Pseudonymisierung der Daten
„Pseudonymisierte Daten sind der übliche Standard für Forschungsvorhaben. Bei guter Datenqualität ergeben sich dadurch kaum Einschränkungen für die Forschung.“
Vergleich mit anderen Ländern
„In anderen Ländern – zum Beispiel USA, UK oder Skandinavien – sind elektronische Patientenakten seit vielen Jahren im Einsatz und werden für Forschung genutzt. Es ist positiv, dass dies auch in Deutschland etabliert werden soll.“
Nutzen-Risiko-Verhältnis
„In der Medizin gilt: Keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Es gibt bei IT-Systemen immer Risiken. Der erwartbare Nutzen ist nach meiner Einschätzung deutlich größer als die Risiken, weil es noch sehr viele Erkrankungen gibt, für die keine optimale Therapie zur Verfügung steht. Der Forschungsbedarf in der Medizin ist weiterhin sehr groß, und dazu braucht man Daten aus der elektronischen Patientenakte.“
Direktor des Instituts für Gesundheitsversorgungsforschung und Klinische Epidemiologie, Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg
Verfügbare Daten und mögliche Forschungsvorhaben mit der ePA
„Durch die elektronische Patientenakte gibt es mehr Daten darüber, welche medizinischen Leistungen wie häufig in Anspruch genommen werden. Das wird ergänzt durch klinische Befunddaten wie Labordaten und Bildgebung. All dies ist längsschnittlich verknüpft – also über einen Zeitverlauf dokumentiert und analysierbar – das wäre neu und hoch relevant. Damit kann man klassische Fragen der Gesundheitsversorgungsforschung beantworten: Wer macht was an welchen Patientinnen und Patienten, wann, warum, wie und mit welchem Effekt?“
„Wenn jemand ins Krankenhaus aufgenommen wird und man stellt dort eine Medikamentennebenwirkung oder Allergie fest, dann könnte man in den ambulanten Laborbefunden sehen, ob das bekannt war und es somit eine Fehlversorgung gab. Daraus lässt sich lernen und die klinische Versorgung verbessern. Zudem kann eine Doppelversorgung vermieden werden, wenn Gesundheitspersonal die Laborbefunde sehen kann, die bereits von anderen Einrichtungen erhoben wurden. Das spielt aber auch eine Rolle in der Qualitätssicherung durch Versorgungsforschung: Wird auf solche vorliegende Laborbefunde und Warnhinweise meist richtig reagiert? Wie häufig passieren Behandlungsfehler, obwohl sie mit den Befunden hätten vermieden werden können?“
Limitationen der Daten
„Ein Problem wäre, wenn die Daten nicht strukturiert und gleichförmig erfasst werden würden. Dazu bräuchte es eine Schulung aller Leistungserbringer, also dem Personal im Gesundheitssystem, und regelmäßige unabhängige Überprüfungen, ob die Daten richtig erfasst wurden. Aktuell ist es zum Beispiel so, dass Daten von unterschiedlichen Ärzten zum Teil unterschiedlich codiert werden. Die aktuell erhobenen Daten dienen primär dem Zweck der Abrechnung. Deswegen kann es sein, dass Daten fehlen, die zur Abrechnung irrelevant sind, aber für die Forschung wichtig wären. Das anders zu machen, wäre in der klinischen Praxis ein erheblicher Mehraufwand, für den Zeit und Geld nötig ist. Die ePA ist somit aus Datensicht eine Verbesserung des Status Quo, aber noch nicht optimal.“
Vergleich mit anderen Ländern
„Es wäre schön, wenn Deutschland zu anderen Ländern aufholt, die schon mehr Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken nutzen. Im Vergleich zu Nordeuropa bleiben wir aber hintendran: Dänemark hat seit mehr als 25 Jahren solch eine ePA und dazu eine Verknüpfung von Qualitätsregisterdaten. Außerdem können sozioökonomische Parameter wie Wohnort und berufliche Tätigkeit mit diesen Daten verknüpft werden. Wir in Deutschland können zumindest aufholen, indem wir alle bereits heute längsschnittlich verknüpfbaren Daten erheben, zum Beispiel wie geplant die Daten aus klinischen Krebsregistern und der ePA. Ganz wichtig wäre aber auch die Verknüpfung mit Daten zum sozioökonomischen Status der Patientinnen und Patienten, was mit der ePA bei uns in Deutschland wohl nicht möglich werden wird.“
Nutzen-Risiko-Verhältnis
„Der Nutzen der elektronischen Patientenakte für die Forschung überwiegt bei Weitem die Risiken. In Anbetracht der Freizügigkeit, mit der Daten in sozialen Medien geteilt werden, sind Offenlegungen von Erkrankungsdaten durch hochkriminelle Hacker-Initiativen ein vernachlässigbares Problem und wäre nur für wenige Personen persönlich relevant: zum Beispiel bei einer Datenweitergabe an Lebensversicherungen oder bei Publikmachen von Erkrankungen Prominenter. Meines Erachtens ist der Forschungsnutzen und das Potenzial zur Verbesserung der Patientenversorgung größer als dieses Risiko.“
Postdoctoral Researcher, Institut für Klinische Epidemiologie, Public Health, Gesundheitsökonomie, Medizinische Statistik und Informatik, Medizinische Universität Innsbruck
Verfügbare Daten und mögliche Forschungsvorhaben mit der ePA
„Die ePA erlaubt es Forschenden künftig, die Behandlungsverläufe von Patient:innen über Versorgergrenzen – zum Beispiel Hausarzt, Facharzt, Krankenhaus – hinweg zu analysieren. Das ist besonders wichtig, um ein verlässliches Bild des Krankheitsverlaufs zu bekommen. Ein zentraler Aspekt ist daher die Vernetzung von bisher verstreuten und isolierten ‚Dateninseln‘. Das ermöglicht die Beantwortung einer Fülle von wichtigen Fragen, angefangen bei der bloßen Beschreibung von Krankheiten und typischen Behandlungsverläufen, hin zur Entwicklung von komplexen Systemen zur Unterstützung von Entscheidungen.“
Limitationen der Daten
„Gesundheitsdaten der ePA sind ein Nebenerzeugnis der täglichen Abläufe im Gesundheitswesen. Sie werden vorrangig zur Patient:innenversorgung eingepflegt. Im Gegensatz zu prospektiv geplanten Studien hat dies den Vorteil, dass die Daten die tatsächlichen Abläufe in der Praxis widerspiegeln. Umgekehrt kann es dadurch aber sein, dass Informationen, die zwar für die Forschung wichtig wären, aber für die Behandlung der Patient:innen nachrangig sind, nicht dokumentiert oder hochgeladen werden. Dies kann im schlimmsten Fall zu Verzerrungen in den Ergebnissen und falschen Schlussfolgerungen führen. Aus Sicht der Forschung ist es daher wichtig, dass möglichst viele der Informationen, die den jeweiligen behandelnden Ärzt:innen bekannt waren, auch in der ePA einheitlich und zugänglich abgespeichert werden. Dazu muss zum einen das Vertrauen in der Bevölkerung geschaffen werden, dass ihre Daten sicher verwahrt und verantwortungsvoll genutzt werden. Zum anderen muss das Gesundheitspersonal dabei unterstützt werden, diese Informationen auch ohne stark erhöhten administrativen Aufwand lückenlos zu dokumentieren.“
Ablauf eines Forschungsprojekts mit der ePA
„Ein Forschungsprojekt mit ePA-Daten beginnt mit der Formulierung einer Forschungsfrage und dem Schreiben eines Forschungsantrags. Darin muss klar definiert werden, welche Antworten und Erkenntnisse das Projekt liefern soll. Dabei muss bereits beschrieben werden, welche Patienten betrachtet werden sollen – etwa Diabetiker –, welche Informationen für diese Patienten benötigt werden (zum Beispiel Datum der Erstdiagnose, aktuelle Medikamente, Blutzuckerwerte), wie der Behandlungserfolg gemessen wird (etwa eine Einlieferung ins Krankenhaus) und welche statistischen Methoden herangezogen werden, um aus diesen Daten Schlussfolgerungen zu ziehen. Laut Informationen auf der Homepage des Forschungsdatenzentrums wird den Forschenden nach umfassender Prüfung und Bewilligung des Forschungsantrags dann ein kleiner Beispieldatensatz in einer sicheren Umgebung zur Verfügung gestellt. Mithilfe dieses Datensatzes übersetzen sie den Forschungsantrag in funktionierenden Computercode. Der Beispieldatensatz dient als weitere Sicherheitsmaßnahme, um externen Zugriff auf die Gesundheitsdaten zu reduzieren. Sobald die Forschenden damit zufrieden sind, wird dieser Code dann von FDZ-Mitarbeitern auf den gesamten Datensatz angewandt. Nur die Ergebnisse der Analyse werden schlussendlich aus der sicheren Umgebung exportiert.“
Pseudonymisierung der Daten
„Inwiefern die Pseudonymisierung der Daten beim FDZ Forschungsvorhaben einschränkt, hängt vornehmlich davon ab, welcher Grad der Pseudonymisierung gewählt wird. Direkt identifizierende Merkmale wie Name, Anschrift, oder Geburtsdatum werden sehr oft nicht benötigt. Diese können durch Pseudonyme – zum Beispiel eine zufällig gewählte, eindeutige Nummer anstelle des Namens – oder gröbere Konzepte – wie die Postleitzahl anstelle der Anschrift – ersetzt werden, ohne die Nutzbarkeit der Daten groß einzuschränken. Wichtig bleibt aber, dass Kombinationen medizinischer Ereignisse einer Person weiterhin detailliert verknüpfbar sind. Zum Beispiel kann es hoch relevant sein, wann eine Diabetesdiagnose zum ersten Mal gestellt wurde, wie viel Zeit bis zur ersten Medikation vergangen ist, wie sich der Blutzucker im Laufe der Zeit verändert und ob es bestehende oder neu dazugekommene Begleitkrankheiten gibt. Je detaillierter die Daten, desto komplexere Fragestellungen können tendenziell beantwortet werden.“
„Da die Daten pseudonymisiert sind, ist eine direkte Kontaktaufnahme der Patient:innen durch die Forscher:innen nicht möglich. Über die Institution, die die Pseudonymisierung ursprünglich durchgeführt hat – die sogenannte Trusted Third Party –, können die Kontaktdaten jedoch mithilfe des Pseudonyms wieder herausgefunden werden und Patient:innen – sofern dies rechtlich geregelt ist – für eine Teilnahme in klinischen Studien kontaktiert werden. Laut Homepage des FDZ wird die Pseudonymisierung durch das Robert Koch-Institut durchgeführt. Wichtig aber ist, dass auch in diesem Fall nie identifizierende Patient:innendaten an die Forschenden herausgegeben werden, sondern die gesamte Kommunikation über die ‚Trusted Third Party‘ erfolgt.“
Vergleich mit anderen Ländern
„In vielen anderen Ländern gibt es bereits seit Jahrzehnten bevölkerungsweite Gesundheitsdatenbanken, zum Beispiel im Vereinigten Königreich oder in Dänemark. Diese unterscheiden sich zwar im Detail, erlauben es aber prinzipiell alle, große Mengen an Gesundheitsdaten für die Forschung nutzbar zu machen. Inwiefern es die ePA Deutschland erlaubt, hier aufzuholen, hängt schlussendlich von der Umsetzung ab. Je mehr Patient:innen teilnehmen, je mehr Datenpunkte in strukturierter Form zugänglich sein werden, und je benutzerfreundlicher der Zugang zumindest für akkreditierte Wissenschaftler:innen ist, desto eher kann hier möglicherweise die aktuelle Kluft geschlossen werden. Ein potenzieller Fallstrick ist, dass der Zugang zu diesen Daten übermäßig eingeschränkt wird –etwa durch die ausschließliche Bereitstellung von aggregierten Statistiken anstelle von granularen Daten pro Patient:in. Eine weitere Hürde könnte sein, dass die ePA zu einem ‚PDF-Grab‘ verkommt, in dem wichtige Daten wie Diagnosen oder Laborresultate nicht in einer strukturierten Datenbank aufbereitet sind, sondern nur als Scan eines – oft nur schwer für die Forschung nutzbaren – Arztbriefes oder Laborberichts vorliegen. Es ist also nicht nur wichtig, dass Daten vorliegen, sondern wie strukturiert, zugänglich und verknüpfbar sie sind.“
Nutzen-Risiko-Verhältnis
„Die ePA ist ein wichtiger Schritt für Deutschland, nicht zuletzt, um sich nicht länger ausschließlich auf Ergebnisse aus anderen Ländern mit bestehenden Gesundheitsdatenbanken verlassen zu müssen, sondern um wichtige gesundheitliche Kennzahlen und Zusammenhänge direkt für Deutschland errechnen zu können. Gesundheitssysteme können sich oft stark zwischen Ländern unterscheiden und lassen sich daher nicht immer eins zu eins übertragen. Es wurden sehr viele Maßnahmen getroffen, um das Risiko eines Datenlecks bestmöglich zu reduzieren, auch im internationalen Vergleich. Im Zweifel wurde das Risiko sogar so sehr reduziert, dass die Nutzung und der Nutzen für die Forschung fast zu sehr eingeschränkt sein könnten. Die Zeit wird zeigen, ob hier eine geeignete Balance zwischen Forschungsinteressen und Bedenken in der Bevölkerung gefunden werden konnte oder in Zukunft gefunden werden kann.“
Leiter der Abteilung Angewandte Bioinformatik, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, und Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
Verfügbare Daten und mögliche Forschungsvorhaben mit der ePA
„Die ePA würde es ermöglichen, auf Daten aus allen Sektoren der medizinischen Versorgung zugreifen zu können. Viele Krankheiten werden sektorübergreifend behandelt, also zum Beispiel durch Krankenhäuser der Maximalversorgung, regionale Krankenhäuser, niedergelassene Fach- und Hausärzte. Ein gutes Beispiel wären PSA-Werte (prostataspezifisches Antigen, Laborwert; Anm. d. Red.) in der Nachsorge des Prostatakarzinoms; ein plötzlicher Anstieg zeigt ein Wiederauftreten beziehungsweise Weiterwachsen der Krebszellen an. Aktuell hat ausschließlich der Patient den Überblick über alle durch Blutuntersuchungen gewonnenen PSA-Werte, da diese von jeweils verschiedenen Versorgern erhoben werden – zum Beispiel im Krankenhaus bei Nachsorge-Untersuchungen, bei Urologen und bei Hausärzten. Die ePA würde die Möglichkeit bieten, eine vollständige Übersicht über die erhobenen Werte im Zeitverlauf anzuschauen, um so zum Beispiel die Wirksamkeit verschiedener Therapien zu beurteilen. Das ermöglicht es, Hypothesen zu generieren, die dann in klinischen Studien getestet werden können.“
Limitationen der Daten
„Die Limitationen ergeben sich daraus, dass die Daten aus der Versorgung stammen und damit nicht den gleichen hohen Standard wie in klinischen Studien aufweisen. Außerdem sind manche Befunde nur im Kontext anderer Befunde nützlich: Eine Röntgen-Thorax-Aufnahme etwa kann nur interpretiert werden, wenn auch bekannt ist, ob der Patient Fieber und Husten hat, Raucher ist, an Gewichtsverlust leidet oder Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen hat, und auch festgehalten ist, aus welchem Grund eine Röntgenuntersuchung stattgefunden hat. Die Daten sind aber für sogenannte ‚Real-World‘-Analysen sehr wertvoll, da nicht zu allen Fragestellungen klinische Studien durchgeführt wurden oder solche Studien dazu überhaupt möglich sind. Beispielsweise haben wir sehr wenig Daten zu Patienten mit Krebserkrankungen, die über 80 Jahre alt sind, da sie kaum in klinische Studien eingeschlossen werden.“
Ablauf eines Forschungsprojekts mit der ePA
„Ich bin nicht über alle Details bei der Einführung der ePA sowie der Bereitstellung für Forschungsprojekte gut informiert, daher kann ich nur mit Einschränkungen antworten: Üblicherweise muss das Forschungsprojekt in einem Studienprotokoll beschrieben werden, und eine Ethikkommission muss dieses begutachten und ihm zustimmen. Damit kann dann eine Datennutzung bei einer Treuhandstelle – hier dem Forschungsdatenzentrum (FDZ) –beantragt werden, die nach Freigabe pseudonymisierte oder anonymisierte Daten zur Verfügung stellt.“
Pseudonymisierung der Daten
„Ich sehe keine signifikante Einschränkung durch eine durchgängige Pseudonymisierung. Eine Rekrutierung in klinische Studien würde das ausdrückliche Einverständnis der Patienten voraussetzen, dazu kontaktiert zu werden, und ist in den meisten Fällen nur aussichtsreich, wenn es über ein wohnortnahes Zentrum erfolgt –mit Ausnahme von Studien, die nur Daten abfragen. In der Regel sind auch aktuelle Behandler mit eingebunden. Ich sehe Forschung an pseudonymisierten ePA-Daten daher vor allem als Instrument, um schnell Hypothesen generieren zu können, die man dann in einer klinischen Studie testen kann, für die es ein eigenes Rekrutierungskonzept braucht.“
Vergleich mit anderen Ländern
„Die Einführung der ePA ist sicherlich ein wichtiger Schritt, um zu anderen Ländern aufzuholen, die schon Gesundheitsdaten zur Forschung nutzen. Allerdings werden Daten nur prospektiv (in Zukunft; Anm. d. Red.) in der ePA erfassst, so dass für viele Patienten die bislang vorliegenden Daten nicht genutzt werden können. Nicht vorgesehen ist, diese rückwirkend zu erfassen. Wir holen also nur langsam auf und reden sicherlich über Dekaden, bis Daten für eine große Zahl an Patienten über gesamte Krankheitsverläufe vollständig vorliegen. Außerdem werden die Daten in der Regel nicht strukturiert erfasst, so dass es schwierig sein dürfte, alle notwendigen Informationen aus Arztbriefen, Pathologie- und Radiologiebefunden und anderen Befunden zu extrahieren.“
Nutzen-Risiko-Verhältnis
„Zunächst sehe ich die ePA in erster Linie im Dienste des Patienten, damit alle Versorger über relevante Befunde zeitnah informiert werden können. Bisher kommt es an vielen Schnittstellen zu Informationsverlusten: Wenn zum Beispiel eine Videoendoskopie im Krankenhaus durchgeführt wird, erhält der behandelnde niedergelassene Gastroenterologe aber nur einen winzigen Farbausdruck eines repräsentativen Bildes. Aus dieser Schnittstelle zwischen den Behandelnden dürfte der größte Nutzen für die Patienten resultieren. Die Nutzung für Forschungsfragen ist demgegenüber sekundär. Patienten haben mit Recht das Bedürfnis, dass ihre Daten in der ePA maximal gut geschützt sind. Andererseits haben sie aber auch ein Recht darauf, dass die Versorgung durch relevante und zeitnahe Forschung verbessert wird und sie so Zugang zu neuen Therapien erhalten. Ein hohes Sicherheitsniveau ist aber unbedingt erforderlich.“
Leiter des Ressorts Gesundheitsökonomie, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Vorbemerkung
„Das primäre Ziel der ePA ist nicht, Forschungsdaten zu generieren, sondern die Versorgung zu verbessern. Viele medizinische Informationen können hierdurch potenziell schneller und einheitlicher zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel der Medikationsplan. Allerdings wird sie von Patient*innen geführt. Ärzt*innen können daher nicht sicher sein, dass Patient*innen alle Informationen einstellen. Auch stellen Ärzt*innen unter Umständen nicht alle Informationen ein oder können nicht auf diese zugreifen, unter anderem weil Patienten*innen den Zugriff für einzelne Ärzt*innen verweigern können.“
„Inwieweit die ePA die Erwartungen einer Versorgungsverbesserung erfüllt und in welchem Ausmaß, bleibt daher abzuwarten. Erwartungen gibt es zum Beispiel an eine schnellere Diagnosestellung, Vermeidung von Medikationsfehlern oder Doppeluntersuchungen. Die Effekte auf die Versorgung sollten mittels robuster quasi-experimenteller Studiendesigns evaluiert werden.“
„Der Grad der Vollständigkeit wird auch die wesentliche Einflussgröße für den Wert für Forschungszwecke sein.“
Verfügbare Daten und mögliche Forschungsvorhaben mit der ePA
„Die beiden wesentlichen Vorteile sind, dass durch die ePA in Zukunft Daten von sehr vielen Personen – den gesetzlich Krankenversicherten – über einen langen Zeitraum zur Verfügung stehen werden. Fragen, die hiermit voraussichtlich besser beantwortet werden können, betreffen daher insbesondere Gebiete, in denen das Erreichen einer ausreichend hohen Fallzahl regelmäßig ein Problem darstellt und lange Beobachtungszeiträume für aussagekräftige Ergebnisse notwendig sind. Hier bestehen aktuell oftmals Evidenzlücken. Hierzu zählen unter anderem: Studien zu seltenen Erkrankungen und seltenen Ereignissen, zum Beispiel seltenen Nebenwirkungen und Studien zu präventiven Maßnahmen, zum Beispiel zum Langzeitüberleben mit versus ohne Screening.“
„Zudem könnten die Daten zur Anreicherung der Daten aus traditionellen randomisierten kontrollierten klinischen Studien wie Langzeitbeobachtungen verwendet werden.“
Limitationen der Daten
„Die wesentliche Limitation wird sein, dass die Daten nicht vollständig sind. Zudem ist auch deren Qualität noch nicht einschätzbar. Bevor die Daten überhaupt für Forschung zu Gesundheitstechnologien genutzt werden können, ist zunächst einmal methodische Forschung notwendig, um die Validität der Daten einschätzen zu können.“
„Erfahrung aus der Nutzung der Routinedaten haben gezeigt, dass es ein sehr langwieriger Prozess ist, Erfahrungen zu sammeln, für welche Forschungsfragen die Daten verlässliche Antworten liefern können und für welche nicht. Dies gilt mehr oder weniger für sämtliche Forschungsfragen – beispielsweise auch KI-Modelle. Eine systematische Methodenforschung wäre wünschenswert, um diesen Prozess zu beschleunigen. Es sei darauf hingewiesen, dass das mitunter angeführte Argument, der Ausschluss der privat krankenversicherten Patient*innen sei eine generelle Limitation, nicht ganz korrekt ist. Es bedeutet lediglich, dass die Forschungsergebnisse eventuell nur eingeschränkt auf privat krankenversicherte Patienten*innen übertragbar sind und sehr spezifische Forschungsfragen, vor allem Vergleiche von privat gegenüber gesetzlich versicherten Patienten*innen nicht beantwortet werden können – zum Beispiel zur Inanspruchnahme von Leistungen.“
„Die wesentlichen Limitationen der Datennutzung werden die Güte der synthetischen Daten – Wie gut spiegeln sie die echten Daten wider? – sowie die Gestaltung der Prozesse und Bearbeitungszeiten beim Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) sein.“
Ablauf eines Forschungsprojekts mit der ePA
„Das FDZ beim BfArM wird weiterentwickelt werden (siehe unten zum FDZ). Daten aus der ePA werden zukünftig automatisch für die Forschung verfügbar gemacht. Die Datennutzung erfolgt auf Antragstellung. Die Forscher*innen bekommen synthetische Daten – nicht von Menschen geschaffene Daten, die reale Daten nachahmen. Die Forscher*innen programmieren den Auswertungscode. Dieser wird beim FDZ ausgeführt. Die Forscher*innen erhalten die Auswertungsergebnisse. Wie die Datennutzung funktioniert, ist hier beschrieben.“
Pseudonymisierung der Daten
„Es sollen nur synthetische Daten zur Verfügung gestellt werden. Die Forscher*innen erhalten also keinen Zugang zu realen Daten. Die zentrale Identifikation von Patient*innen für klinische Studien wird daher nicht möglich sein. Die Verknüpfung mit Studiendaten wäre theoretisch möglich. Für die Verknüpfung von ePA- mit Studiendaten müsste dem FDZ eine Liste mit den in der Studie eingeschlossenen Patient*innen zur Verfügung gestellt werden. Dieses könnte dann die Verknüpfung anhand bundeseinheitlichen Krankenversicherungsnummer für gesetzlich Versicherte vornehmen.“
Vergleich mit anderen Ländern
„Wie sehr Deutschland zu anderen Ländern aufholen wird, lässt sich jetzt noch nicht beantworten, da es insbesondere von der Vollständigkeit der Daten abhängt. Der Schritt, der zeitnah zu einer Verringerung des Abstandes zu anderen Ländern beitragen wird, ist die Nutzbarkeit der Routinedaten der Krankenversicherung sämtlicher Krankenkassen über das FDZ. Hier haben wir dann direkt – sobald dieses möglich ist – eine vergleichbare Situation wie in anderen Ländern, etwa in England oder Kanada.“
Nutzen-Risiko-Verhältnis
„Der Nutzen der ePA ist eher hinsichtlich der Versorgungsverbesserung versus Sicherheit zu bewerten, da dieses das primäre Ziel ist, insbesondere da der Nutzen für die Forschung bisher nur sehr schwer einschätzbar ist.“
„Es ist aber absehbar, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für den Forschungsbereich zu Beginn kaum positiv sein kann, weil aufgrund der geringen Datenmenge und Unsicherheit bezüglich der Qualität der Daten zu Beginn natürlicherweise kein großer Forschungsnutzen vorliegt. Dies aber als Argument gegen den Start der ePA zu verwenden, wäre eine Zwickmühle, denn die ePA muss erst über längere Zeit etabliert und aller Voraussicht nach auch weiterentwickelt werden, um als Basis für aussagekräftige Forschung dienen zu können.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Bundesministerium für Gesundheit (2024): Daten für die Forschung und Versorgung.
[II] Thiel R et al. (2021): Stand und Perspektiven der Gesundheitsdatennutzung in der Forschung Eine europäische Übersicht.
[III] Lourida I et al. (2019): Association of Lifestyle and Genetic Risk With Incidence of Dementia. Journal of the American Medical Association. DOI:10.1001/jama.2019.9879.
[IV] Horby P et al. (2021): Dexamethasone in Hospitalized Patients with Covid-19. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2021436.
[V] Health Data Research UK (17.09.2020): Filling in the gaps: smart use of health data lies behind the RECOVERY trial's success. Interview. Health Data Research UK.
Prof. Dr. Martin Dugas
Direktor des Instituts für Medizinische Informatik, Universitätsklinikum Heidelberg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Max Geraedts
Direktor des Instituts für Gesundheitsversorgungsforschung und Klinische Epidemiologie, Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Dr. Patrick Rockenschaub
Postdoctoral Researcher, Institut für Klinische Epidemiologie, Public Health, Gesundheitsökonomie, Medizinische Statistik und Informatik, Medizinische Universität Innsbruck
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Benedikt Brors
Leiter der Abteilung Angewandte Bioinformatik, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, und Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
Prof. Dr. Tim Mathes
Leiter des Ressorts Gesundheitsökonomie, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“