Google-Studie zu Quantenüberlegenheit
Forschende von Google Quantum AI zeigen Überlegenheit eines Quantenprozessors gegenüber klassischen Supercomputern
Erweiterung von Googles Experiment zur Quantenüberlegenheit von 2019
unabhängige Forschende betonen Fortschritt durch Studie, sind sich aber über den Grad der Relevanz uneinig
Ein Forschungsteam von Google Quantum AI hat erneut die Überlegenheit eines Quantenprozessors im Vergleich zu klassischen Supercomputern gezeigt. Die Studie ist am 09.10.2024 im Fachjournal „Nature“ erschienen (siehe Primärquelle). Eine nicht peer-reviewte Vorabversion der Studie liegt bereits auf dem Preprint Server Arxiv [I].
Direktor des Bereichs Quantum Control, Peter Grünberg Institut (PGI-8), Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
Weiterentwicklung zu der Studie von 2019
„In der Studie von 2019 konnte das Team von Google für einen bestimmten Versuchsaufbau die Überlegenheit ihres Quantenprozessors im Vergleich zu einem klassischen Supercomputer nachweisen. Diese Überlegenheit bestand aber nur für einige Monate. Dann wurden vorhandene Algorithmen für Supercomputer so weiterentwickelt, dass sie die geforderten Berechnungen auch in kürzerer Zeit vornehmen konnten. Die Schwierigkeit des Experiments bestand auch darin, dass die Quantenrechnung stark durch Rauschen beeinflusst wurde.“
„Die aktuelle Studie ist eine Erweiterung des Experiments von 2019. Dabei knüpfen die Forschenden an die vorherigen Ergebnisse an, verändern aber die Herangehensweise. Sie zeigen wieder die Quantenüberlegenheit ihres Prozessors, gehen dabei diesmal aber systematischer vor. Anstatt eines Versuchsaufbaus mit festen Parametern betrachten sie verschiedene Szenarien. Sie variieren die Fehlerrate und die Anzahl der Berechnungs-Zyklen bei starkem und schwachem Rauschen. Das Ergebnis: Es gibt einen Bereich für Fehler und Zyklen, in dem es nicht möglich ist, die Berechnungen mit einem klassischen Computer durchzuführen. Die Forschenden haben also einen Bereich bestätigt, in dem Quantencomputer Supercomputern grundsätzlich überlegen sind.“
Bedeutung der aktuellen Studie
„2019 konnte Google Quantenüberlegenheit in einem Experiment zeigen, jetzt beweisen sie sie für bestimmte Voraussetzungen systematisch. Die Studie jetzt ist eine wichtige und interessante Weiterführung der Forschung von 2019 und ein Fortschritt in dem Gebiet.“
„Interessant ist noch, dass die Arbeit der Forschenden näher an Quantensimulation ist als an Computing. Bisher hat Google im Vordergrund viel mehr an Quantencomputing geforscht. Für Europa gilt das nicht. Hier haben wir schon seit mehreren Jahren Ergebnisse, die im Kontext der Quantensimulation auf das hindeuten, was Google gezeigt hat. Die Ergebnisse der Studie sind trotzdem auch für Europa etwas Neues. Es gibt zwar so ähnliche Experimente, aber noch keines, das die Ergebnisse von Google gezeigt hat. Trotzdem haben europäische Forschende auch früher schon einen Quantenvorteil zeigen können [1].“
Leiter des Instituts für Quantencomputer-Analytik, PGI-12, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
Weiterentwicklung zu der Studie von 2019
„Dieses Paper nimmt die Technik des Google Quantenüberlegenheits-papers von 2019 [2] und macht sehr vieles sehr viel besser.“
„Der hier genutzte Chip ist größer und hat weniger Fehler. Damit gelingt es wesentlich klarer zu zeigen, dass die dort durchgeführte Rechnung wirklich Quantencharakter hat und nicht effizient und in akzeptabler Zeit auf klassischen Computern simuliert werden kann. Insbesondere werden die verschiedenen Phasen von Quanten- und klassischem Verhalten ausgemessen. Im Nachgang der Arbeit von 2019 wurde gezeigt, wie vielleicht doch eine solche Simulation klassisch möglich ist, wenn man Näherungen akzeptiert, die der Quantencomputer nicht auflösen kann. Jetzt hat Google nachgelegt.“
Bedeutung der aktuellen Studie
„Hiermit wird also zementiert, dass Quantencomputer klassischen Computern auch dann überlegen sind, wenn sie nicht perfekt sind. Allerdings ist es weiterhin ein synthetisches Benchmark, das sich nicht ohne weiteres in eine echte Anwendung übersetzen lässt. Auf der Strecke müssen echte Quantenanwendungen effizienter und Quantencomputer besser werden – letztere haben sich einen großen Schritt auf Anwendungen zubewegt.“
„Der Weg in Richtung Hardware mit geringerer Fehlerwahrscheinlichkeit und immer größeren Systemen sollte weitergehen.“
Professor für Theoretische Physik, Center for Quantum Physics, Universität Innsbruck, Österreich
Weitere Herausforderungen für die Forschung
„Dekohärenz, also die unerwünschte Kopplung der Qubits eines Quantencomputers an eine Umgebung, ist eines der zentralen Probleme beim Bau von Quantencomputern. Eine Antwort darauf ist Fehlerkorrektur, und es hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von wegweisenden experimentellen Studien mit verschiedenen Plattformen (Superconducting Qubits, Neutralatome, Ionen) gegeben, die logische (fehlerkorrigierte) Qubits und fehlertolerantes Quantenrechnen zeigten. Die große Herausforderung ist die Skalierung des fehlertoleranten Quantenrechnens zu einer großen Zahl von logischen Qubits. Das Ziel ist letztlich für praktisch relevante Probleme / Quantenalgorithmen (und nicht nur für Spielzeug Probleme) in den Bereich des Quantenvorteils skalieren zu können.“
„Das aktuelle Nature-Papier ist eine technische Studie zur Rolle von Quantenrauschen in Quantencomputern. Nicht-fehlerkorrigierte Quantenrechner – wie im vorliegenden Papier – werden als Noisy Intermediate Quantum (NISQ) Devices bezeichnet. Eine zentrale Herausforderung ist, die Rolle von Quantenrauschen zu verstehen – bei der Skalierung von sowohl der Tiefe von (fehlerhaften) Quantenschaltkreisen und der Zahl der (nicht-fehlerkorrigierten) Qubits.“
Bedeutung der aktuellen Studie
„Das genannte Papier präsentiert eine experimentelle Studie zu diesem Thema, in der (und das sind eher technische Details) eine Quantenrechnung mit zufälligen Quantengattern durchgeführt wird und nach jedem Rechenschritt per Hand ein Quantenrauschen von kontrollierbarer Stärke hinzugefügt wird – Rauschen wird also künstlich erzeugt und kontrolliert. Interessanterweise gibt es dabei ‚Phasenübergänge‘, also Parameterbereiche, in denen eine NISQ-Maschine für schwaches Quantenrauschen Resultate von hoher Güte liefert, während es mit wachsendem Rauschen beziehungsweise Gattertiefe einen Phasenübergang (abrupter Übergang) in einen Bereich gibt, wo Dekohärenz alles dominiert und die Quantenrechnung zerstört.“
„All das liefert interessante Einsichten in die Rolle von Quantenrauschen in Quantencomputern. Ich sehe das Papier als technisch hochstehend und interessant – wobei interessant wohl eher für Experten gemeint ist.“
„Dass all diese Dinge auch mit Quantum Supremacy – wie von Google vor Jahren an einem Spielzeugproblem gezeigt – zu tun haben, ist offensichtlich. Ich sehe die vorliegende Studie aber nicht in dem Maße als ein wegweisendes Papier wie Publikationen zur Demonstration von Quantum Advantage oder fehlertolerantes Quantenrechnen.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Arbeitsgruppe Quantentechnologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Bedeutung der aktuellen Studie
„Das Papier widmet sich dem Problem von ‚random circuit sampling‘, welches ein führender Kandidat für die Demonstration eines Vorteils von Quantencomputern gegenüber klassischen Computern und Gegenstand des bekannten Google-Papiers von 2019 ist. Eine schlüssige Demonstration wird unter anderem dadurch erschwert, dass Quantencomputer sensible Systeme sind und naturgemäß Fehler machen – dadurch lösen sie strenggenommen nicht das ursprüngliche Problem und es ist unklar wie schwer das eigentlich gelöste Problem ist. Es ist aber bekannt, dass hohe Fehlerraten das Problem klassisch effizient lösbar machen. In dem Papier wird gezeigt, dass Fehler eine Art ‚Phasenübergang‘ in diesem Problem erzeugen. Unterhalb einer kritischen Fehlerrate sei das Problem also schwer für klassische Computer und oberhalb einfacher. Für diese Interpretation werden einige Argumente vorgebracht, die zwar Evidenz dafür aufbauen, den Zusammenhang meiner Meinung nach aber nicht zweifelsfrei belegen.“
Weiterentwicklung zu der Studie von 2019
„Das Google-Experiment von 2019 war ein erster, ernstgemeinter Versuch einen Quantenvorteil zu zeigen. Das Experiment wurde aber relativ schnell klassisch simuliert und entsprechende Techniken wurden seither stark verbessert. Die Latte liegt mittlerweile sehr hoch, aber Google schätzt in dem neuen Papier, dass auch moderne Algorithmen wenigstens zwölf Jahre für die klassische Simulation des aktuellen Experiments benötigen werden. Schlussendlich ist das Wettrennen zwischen klassischen und Quantencomputern noch nicht vorbei und wir werden sicherlich noch weitere Verbesserungen auf beiden Seiten sehen.“
Weitere Herausforderungen für die Forschung
„Wahrscheinlich können heutige Quantencomputer schon Probleme lösen, die noch eine ganze Weile außerhalb der Reichweite von klassischen Computern bleiben. Leider sind diese Probleme nicht besonders praxisrelevant. Für solche Probleme gibt es bisher keine ansatzweise überzeugende Demonstration eines Quantenvorteils. Das Papier impliziert, dass wenn wir Quantenrechner größer machen wollen (mehr Qubits), die Quantengatter gleichzeitig besser werden müssen, ansonsten werden diese keine interessanten Probleme lösen können – wenigstens nicht ohne Quantenfehlerkorrektur. Und ich glaube da liegt der Knackpunkt: Für interessante Probleme brauchen wir Fehlerkorrektur und das scheint mir mittlerweile die vorherrschende Meinung unter Experten zu sein.“
„Wir haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte in der Quantenfehlerkorrektur gesehen. Gerade im September wurden dazu einige starke Ergebnisse (auch von Google) als Preprints vorgestellt [V]. Ich glaube, unsere Forschung wird sich zunehmend in diese Richtung ausrichten und die nächsten Jahre prägen. Dann werden wir auch Quantencomputer sehen, die praktische Probleme lösen, die für andere Computer nicht lösbar sind.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte mit den Autoren des Papers.“
„Keine Interessenkonflikte – außer, dass ich Bürger der gleichen Community bin.“
„Interessenkonflikte bestehen keine.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Morvan A et al. (2024): Phase transitions in random circuit sampling. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-07998-6.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Choi JY et al. (2016): Exploring the many-body localization transition in two dimensions. Science. DOI: 10.1126/science.aaf8834.
[2] Arute F et al. (2019): Quantum supremacy using a programmable superconducting processor. Nature. DOI: 10.1038/s41586-019-1666-5.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Morvan A et al. (2023): Phase transition in Random Circuit Sampling. Arxiv.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Expertinnen und Experten begutachtet wurde.
[II] Preskill J (2019): Why I Called It ‘Quantum Supremacy’. Quanta Magazine.
[III] Arute F et al. (2019): Quantum supremacy using a programmable superconducting processor. Nature. DOI: 10.1038/s41586-019-1666-5.
[IV] Pednault E et al. (2019): On “quantum supremacy”. IBM Blog-Post.
[V] Acharya R et al. (2024): Quantum error correction below the surface code threshold. Arxiv.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Expertinnen und Experten begutachtet wurde.
Prof. Dr. Tommaso Calarco
Direktor des Bereichs Quantum Control, Peter Grünberg Institut (PGI-8), Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte mit den Autoren des Papers.“
Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch
Leiter des Instituts für Quantencomputer-Analytik, PGI-12, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte – außer, dass ich Bürger der gleichen Community bin.“
Prof. Dr. Peter Zoller
Professor für Theoretische Physik, Center for Quantum Physics, Universität Innsbruck, Österreich
Dr. Markus Heinrich
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Arbeitsgruppe Quantentechnologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte bestehen keine.“