Hohe Infektionszahlen akuter Atemwegserkrankungen bei Kindern
Infektionszahlen akuter Atemwegserkrankungen, besonders bei Influenza, nahmen vergangene Woche weiter zu; vor allem Kinder sind ungewöhnlich stark betroffen
Zahlen aus dem wöchentlichen Bericht des Robert Koch-Instituts könnten Nachholeffekte zeigen und geben Hinweise auf die Auslastung der ambulanten und klinischen Versorgung
laut Experten liegen die hohen Infektionszahlen noch im Rahmen normaler saisonaler Schwankungen, die Nachholeffekte der Pandemie spielen noch eine Rolle
Laut des wöchentlichen Berichts des Robert Koch-Instituts (RKI) stiegen in der Woche vom 27.01. auf den 02.02.2025 die Fallzahlen akuter respiratorischer Erkrankungen (ARE) weiter auf rund 9500 Fälle pro 100.000 Einwohner an. Die Zahl der Arztbesuche sei im Vergleich zur Vorwoche deutlich gestiegen. Vor allem die Influenza-Fälle (mit dem Influenzavirus A und B) verbreiten sich, bei jungen Kindern aber auch Erkrankungen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV). Die COVID-19-Infektionszahlen blieben weiterhin auf niedrigem Niveau.
Kinder- und Jugendarzt und ehemaliges Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO)
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Aktuell sehen wir in der Pädiatrie vor allem Influenza-Fälle, weniger RSV-Fälle und abnehmende Fälle von Rhinovirus-Infektionen. COVID-19 spielt praktisch keine Rolle mehr. Saisonale Influenza-Inzidenzen unterliegen immer größeren Schwankungen aufgrund äußerer Bedingungen. Dazu zählen anhaltend kaltes Wetter mit mehr Infektionsgelegenheiten in Innenräumen mit größeren Personenzahlen ohne Infektionsschutz-Maßnahmen – zum Beispiel in Schulen – und heterogener Immunschutz durch frühere Influenza-Infektionen und fehlende Impfungen.“
Hohe Zahlen bei 5- bis 14-Jährigen
„Die Inzidenzen der akuten respiratorischen Infektionen (ARI) in der Altersgruppe der 5-bis 14-Jährigen sind nicht sehr viel anders als in den Vorjahren, aber die Inzidenzen bei den 0- bis 4-Jährigen sind niedriger, was die Relationen verschiebt. Das könnte ein Effekt der in dieser Saison erstmals – allerdings rumpelig – angelaufenen RSV-Prophylaxe für Säuglinge in ihrer ersten RSV-Saison mit Nirsevimab sein. Über eine mögliche Ausbreitung in andere Altersgruppen kann man nur spekulieren.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Nach den bisherigen Daten der Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) am Robert Koch-Institut (RKI) ist die aktuelle Impfung gut wirksam gegen die zirkulierenden Viren der Typen A-H3N2, B-Viktoria und A-H1N1. Die Sublinie B-Yamagata zirkuliert weiterhin nicht und ist auch erst im zukünftigen Impfstoff für die Saison 25/26 nicht mehr enthalten. Die oft mangelnde Effektivität der Influenza-Impfung beruht zum Teil auf dem Nachlassen des Impfschutzes bei Senior/innen mit der Zeit, was vor allem bei frühem Impfen im September relevant ist. Eine Impfung ist auch jetzt noch möglich, für jeden, der sich oder seine Kinder schützen möchte. Die STIKO-Empfehlung gilt schon seit langer Zeit für alle Menschen ab 60 Jahren, für Menschen mit chronischen Erkrankungen ab sechs Monaten sowie für beruflich gefährdete Menschen. Zu dieser Personengruppe zählen in Deutschland circa 40 Millionen Menschen, von denen sich allerdings maximal 40 Prozent impfen lassen. Der Schutzeffekt würde bei sofortiger Nachholimpfung allerdings erst 10 bis14 Tage nach der Impfung eintreten.“
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Nachholeffekte spielen eventuell noch eine Rolle, sind aber sicherlich nicht die Hauptursache. Impfstoffe und Impfungen sehe ich auch nicht als relevant an, da es für diese Altersgruppe keine Impfempfehlung gegen Influenza, RSV oder Corona gibt. Es hat wahrscheinlich mehr mit der starken Ausbreitung der Erreger zu tun. Diese kann von Jahr zu Jahr unterschiedlich sein, und dieses Jahr scheinen wir wieder ein recht starkes Jahr zu haben. In den Jahren 2013 und 2017 waren die Zahlen ähnlich hoch.“
„Der Wechsel zum Dreifach-Grippe-Impfstoff hat damit nichts zu tun. Der Yamagata-B-Stamm, der nun nicht mehr im Grippeimpfstoff enthalten ist, ist seit der Corona-Pandemie wahrscheinlich ‚ausgerottet‘. Das ist der Hintergrund der Änderung.“
Auf die Frage, wieso aktuell die Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen besonders betroffen ist:
„Genau genommen ist die Altersgruppe der 0- bis 4-Jährigen sogar noch stärker betroffen: hier etwas mehr als jedes fünfte Kleinkind. Diese Altersklassen müssen sich ihre Immunität durch wiederholte Infektionen erst aufbauen und sind daher immer vermehrt von Atemwegsinfekten betroffen. Wer als Eltern Kleinkinder in einer Betreuungseinrichtung hat, kann bestätigen, dass sich diese Infektionen auch auf ältere Kinder ausbreiten können.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Ich kenne noch keine Daten dazu, wie effektiv die Influenzaimpfung dieses Jahr ist. Diese Zahlen gibt es zumeist retrospektiv. Man kann sich aber immer noch gegen die Grippe impfen lassen. Empfohlen wird das allen über 60 Jahren sowie allen Personen mit Vorerkrankungen. Ihr Hausarzt kann Sie da sicher gut beraten.“
Besonders betroffene Erreger und Altersgruppen von Nachholeffekten der Pandemie
„Die Ursache für Nachholeffekte ist ja die Tatsache, dass unsere Immunität gegenüber bestimmten Erregern uns nach einer durchgemachten Infektion nur zeitlich begrenzt vor einer erneuten Infektion schützt. Wenn diese erneute Infektion unterbleibt – zum Beispiel durch Hygienemaßnahmen –, wird sie später bei Erregerkontakt ‚nachgeholt‘. Betreffen kann das eigentlich fast alle Erreger von Atemwegsinfektionen und auch alle Altersklassen.“
Gefährdete Gruppen
„Die meisten Atemwegsinfektionen sind zwar lästig, aber nicht so gefährlich, dass man damit ins Krankenhaus muss. Aber: die erste RSV-Infektion bei Kleinkindern kann schwerer verlaufen. Auch Hochbetagte, gerade mit bestimmten chronischen Vorerkrankungen können an Grippe, Corona, RSV oder Pneumokokken schwerer erkranken.“
Präventive Maßnahmen vor Infektionen
„Zum Glück gibt es gegen die Erreger, die schwerwiegende Erkrankungen bei bestimmten Personen verursachen können, eine wirksame Impfung, wie für RSV, Grippe, Corona und Pneumokokken. Diese sind auch für die ‚Risikogruppen‘ empfohlen. Das ist die beste Vorsorge, die man treffen kann. Und generell könnte man die Ausbreitung von Atemwegsinfektionen reduzieren, wenn infizierte Personen ihr Verhalten so ändern, dass sie möglichst wenig andere Personen anstecken, zum Beispiel durch Homeoffice, freiwilliges Maskentragen in öffentlichen Räumen und einer Reduktion von unnötigen Kontakten.“
Langfristige Veränderungen durch die Coronapandemie
„Ich glaube, zunächst müssen wir beobachten, ob es wirklich einen langfristigen Effekt gibt. Aber selbst ohne Nachholeffekt werden wir wahrscheinlich vermehrt Atemwegsinfektionen in den nächsten Jahren sehen – durch SARS-CoV-2 als zusätzlichen Erreger. Und wenn wirklich immer vor Weihnachten rund zehn Prozent der Bevölkerung an akuten Atemwegsinfektionen leiden, muss man sich als Arbeitgeber schon darauf einstellen. Die Gesundheitsbehörden müssten versuchen, die Impfquoten zu erhöhen, damit möglichst wenig Menschen schwer erkranken.“
Kindergastroenterologe und Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ)
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Die RSV-Immunisierung für alle Neugeborenen und Säuglinge ist laut STIKO erst ab 2024 empfohlen und trifft damit nicht die über Fünfjährigen. Diese haben somit grundsätzlich ein Erkrankungsrisiko, wobei die Krankheitsschwere deutlich geringer ist als im Säuglingsalter.“
„Die Standard-Grippeschutzimpfung ist ab dem Alter von 60 Jahren empfohlen, bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sonst nur als Indikationsimpfung, wenn eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung infolge eines Grundleidens vorliegt.“
„Die Isolationsmaßnahmen im Rahmen der Pandemieabwehr haben naturgemäß nicht nur zu einer Reduktion der Übertragung von COVID-19 geführt, sondern aller Viren, die zu Atemwegserkrankungen führen. Die davon betroffenen jüngeren Jahrgänge hatten somit kaum eine Möglichkeit, im Rahmen eines natürlichen wiederkehrenden Keimkontaktes eine Immunität aufzubauen. Insoweit gehen wir davon aus, dass ein ‚Nachholeffekt‘ zu höheren Infektionszahlen und auch der Krankheitslast bei Infektionen beiträgt. Je älter man ist, umso stabiler ist die natürlich erworbene Immunität, die man schon vor der Pandemie aufgebaut hat.“
Belastung des Gesundheitssystems
„Die Pädiatrie kennt die saisonale Belastung im ambulanten und stationären Sektor. Die entsprechende Belastung – teils Überlastung – ist somit ein immer wiederkehrendes Problem. Zum adäquaten Management der hohen Patientenzahl und der ärztlichen Konsultationen ist saisonal ein höherer Personaleinsatz notwendig, der nicht realisiert werden kann. Die aktuellen viralen Atemwegsinfekte führen selten zu einem intensivpflichtigen Krankheitsbild.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Nach meiner Kenntnis liegen noch keine Daten aus Deutschland vor, in welcher Häufigkeit ‚Durchbruchsinfektionen‘ – also Infektionen trotz Impfung – aufgetreten sind.“
„Die STIKO-Impfempfehlungen sollten konsequent umgesetzt werden. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Ausweitung von Impfindikationen in der Bevölkerung sollte der STIKO überlassen werden.“
Relevanz des Virus-Stamms Yamagata der Influenza B
„Laut des aktuellen ARE-Wochenberichts (KW 5/2025) sind bei der Influenza B nur Viren der B/Victoria-Linie nachgewiesen worden, nicht der B/Yamagata-Linie. Es ist denkbar, dass die B/Yamagata-Linie in den Jahren 2020/2021 aufgrund der COVID-19-Pandemiemaßnahmen ausgestorben ist. Seit Oktober 2023 empfiehlt die WHO die Verwendung von trivalenten Influenza-Impfstoffen ohne B/Yamagata-Linie. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat empfohlen, B/Yamagata für die Zusammensetzung des saisonalen Grippeimpfstoffs 2024-2025 zu streichen. Aktuell sind tetravalente Impfstoffe noch auf dem Markt.“
Kinderlungenarzt & Infektiologe am Olgahospital, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Angeborene Lungenerkrankungen, Klinikum Stuttgart
„Influenza ist eine hochinfektiöse akute Atemwegsinfektion, die typischerweise mit trockenem Husten, starken Kopfschmerzen, Fieber und massiver Erschöpfung einhergeht. Im Gegensatz zu sogenannten ,banalen Erkältungen‘ kann die Influenza lebensgefährlich verlaufen – so steigt in einer Grippewelle das Herzinfarktrisiko auf das Siebenfache an. Besonders gefährdet sind Schwangere, chronisch Kranke und Kinder unter fünf Jahren, weshalb in vielen Ländern die Grippe-Schutzimpfung für alle Menschen empfohlen wird.“
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Unser medizinisches Versorgungssystem erlebt derzeit eine massive Grippewelle mit Schwerpunkt auf Klein- und Schulkinder, parallel eine abgeschwächte RSV-Welle und bei den älteren und chronisch kranken Erwachsenen etliche COVID-19-Fälle. Wir wissen seit vielen Jahren, dass Kinder in den ersten fünf Lebensjahren nicht nur die Haupt-Krankheitslast für Influenza tragen, sondern auch – anders als bei SARS-CoV-2 – die wichtigsten Überträger auf andere Altersgruppen sind. Daher wird in vielen Ländern und auch seitens der Weltgesundheitsorganisation für alle Kinder dieser Altersgruppe eine Schutzimpfung gegen Influenza empfohlen. In Deutschland ist die Kinder-Grippeschutzimpfung ein Stiefkind – selbst unter den chronisch Kranken sind die Durchimpfungsraten kritisch niedrig. Hinzu kommen Nachholeffekte: Während der Coronapandemie haben Hygienemaßnahmen zwar die SARS-CoV-2-Ausbreitung eingedämmt, aber auch das normale Immuntraining gegen andere Erreger von Atemwegsinfektionen verhindert – so treffen die jedes Jahr neu entstehenden Grippeviren auf empfängliche Menschen.“
Auf die Frage, wieso ist aktuell die Altersgruppe der 5- bis 14-Jährigen besonders betroffen ist:
„Es hat sich schon im letzten Sommer auf der südlichen Halbkugel abgezeichnet, dass diesen Winter die Influenza vor allem Kinder treffen wird. Die aktuelle Grippewelle kursiert zwar in allen Altersgruppen, betrifft vor allem die unter Vierjährigen und die Schulkinder. Bei älteren Menschen zeigen die verhältnismäßig besseren Impfraten und die in den letzten Saisons verfügbare gut wirksame Senioren-Grippeimpfung erfreuliche Auswirkungen. Grundsätzlich stimuliert im Laufe unseres Lebens jeder Virusinfekt eine immer breitere und wirkungsvollere Infektionsabwehr – die Grippeschutzimpfung schafft die gleichen Effekte, ohne dass wir dabei krank werden. Es muss nur daran erinnert werden, dass die meisten der in Deutschland eingesetzten Grippeimpfstoffe eine von Jahr zu Jahr variierende und – im Vergleich zum Beispiel zur Corona- oder Pneumokokken-Impfung – deutlich bescheidenere Schutzwirkung (um bis zu 60 Prozent) vermitteln. So können auch Geimpfte abgemilderte Krankheitsverläufe erleiden. Auch verwechseln gegen Grippe Geimpfte immer wieder im Nachgang der Influenza-Impfung auftretende ,Erkältungen‘ mit Nebenwirkungen der Impfung oder mangelnder Schutzwirkung – die Grippeimpfung schützt natürlich nur vor der echten Virusgrippe.“
Belastung des Gesundheitssystems
„Unser Gesundheitssystem ist bei der Versorgung von Kindern und Jugendlichen derzeit neben Influenza auch durch Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) belastet. Mit Einführung der Säuglings-Passiv-Immunisierung gegen RSV im letzten Jahr ist zwar die diesjährige RSV-Welle erheblich milder ausgefallen, aber ungeimpfte Säuglinge und ältere Kinder erkranken logischerweise weiterhin. So behandeln wir aktuell einen abwehrschwachen 15-Jährigen mit einer schweren RSV-Lungenentzündung.“
„Für den kommenden Winter wünschen wir uns, dass noch mehr Kinder gegen RSV geimpft werden – und endlich die Kinderimpfung gegen Influenza flächendeckend eingeführt wird, wie es die Ständige Impfkommission dankeswerterweise seit letztem Jahr gegen Meningokokken B für die ersten fünf Lebensjahre empfiehlt.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Eine abschließende fundierte Wirksamkeits-Beurteilung der aktuellen Grippeimpfung wird erst zum Saisonende möglich sein. Allgemein liegt die Wirksamkeit alljährlich irgendwo zwischen 45 und 60 Prozent, bei speziellen Impfstoffen – wie zellbasierte, Hochdosis-Vakzine für Ältere oder adjuvantierte Impfstoffe – auch höher. Dies unterstreicht die absolute Wichtigkeit, möglichst viele Menschen gegen Influenza zu impfen, um bei einer individuell begrenzten Schutzwirkung die Übertragung einzudämmen.“
Relevanz der B/Yamagata-Linie
„Die bisherigen Untersuchungen zeigen keine nennenswerten Fälle von Influenza-B/Yamagata Viren – im aktuellen Überwachungsbericht [1] [2] waren 64 Prozent Subtyp A(H1N1)pdm09, sieben Prozent A(H3N2) und 29 Prozent B/Victoria-Linie. Somit war nach aktuellem Wissensstand richtig, die Impfstoffzusammensetzung zu verschlanken.“
„Impfen ist ein Ausdruck von Sozialkompetenz und Nächstenliebe – eigentlich sollte jeder gegen Influenza geimpft sein, Menschen mit Publikumsverkehr, in medizinischen/sozialen Berufen und mit kranken Angehörigen sowieso.“
Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie, Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Wenn man sich die Daten zu akuten Atemwegsinfektionen anschaut, dann sieht man, dass diese insgesamt vergleichbar hoch sind wie in den letzten zwei bis drei Jahren. Die derzeitige Häufigkeit ist nicht ungewöhnlich für diese Jahreszeit, auch wenn es wieder eine besonders aktive Saison ist. Bei den 5- bis 14-Jährigen ist eine etwas höhere Inzidenz als letztes Jahr zu beobachten, bei den anderen Altersgruppen ist es vergleichbar.“
„Die hohen Zahlen bei den 5- bis 14-Jährigen scheinen vor allem mit der Influenza zusammenzuhängen. Ich habe zwei Hypothesen, was die Effekte angeht:“
„Erstens tritt die typische Influenza generell häufiger im Schulalter auf als bei Kleinkindern und Säuglingen – ähnlich wie bei SARS-CoV-2. Da war es auch so, dass die kleinen Kinder weniger häufig schwere Symptome hatten als andere Kinder und Erwachsene. Das hat wahrscheinlich etwas mit der immunologischen Reaktion zu tun. Bei COVID-19 weiß man das ganz gut. Aufgrund der angeborenen Immunität konnten die sehr jungen Kinder SARS-CoV-2 schneller eliminieren, während bei älteren Kindern und Erwachsenen komplexere entzündliche Mechanismen dazu führen, dass die Erkrankung sichtbarer wird und mit schwereren Verläufen einhergeht. Auch bei kleinen Kindern kommt es häufig zu Influenza-Infektionen, diese verlaufen aber meist als leichtere Infektion der oberen Atemwege.“
„Hypothese zwei: Die 5- bis 14-Jährigen sind besonders von den Nachholeffekten der Pandemie betroffen. Die Pandemie ist etwa vier bis fünf Jahre her. Kinder waren während der Pandemie weniger Influenza exponiert und konnten damit auch keine Immunität erwerben. Daher infizieren sich viele von denen, die bisher noch keinen Influenza-Kontakt hatten, jetzt im Schulalter und erkranken dann in diesem Alter mit schwereren typische Grippesymptome wie Fieber und Abgeschlagenheit und in schlimmen Fällen auch Manifestationen wie Lungenentzündungen. Hinzu kommt, dass Influenza unregelmäßiger zirkuliert. Jedes Jahr zirkulieren unterschiedliche Typen und die Immunität baut sich unterschiedlich auf.“
Belastung des Gesundheitssystems
„In den Kinderkliniken nehmen die stationären Aufnahmen wegen Atemwegsinfektionen weiter zu, die Auslastungsgrenze ist aber noch nicht erreicht. Insgesamt sieht man, dass wir in einer aktiven Wintersaison sind, aber noch deutlich unter der Situation vom November 2022/23. Damals waren die Kinderkliniken komplett überlastet, vor allem wegen Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV). Sollten die RSV-Infektionen in den nächsten Wochen stark zunehmen, könnte es wieder zu einer Überlastung der Kliniken kommen, danach sieht es aktuell aber noch nicht aus.“
Gefahr von RSV bei kleinen Kindern
„RSV betrifft jetzt vor allem die Gruppe der Säuglinge und Kleinkinder. Und diese Gruppe braucht noch viel häufiger eine stationäre Versorgung. Bei dieser Gruppe ist das Risiko viel höher, dass es zu einem stationären Aufenthalt kommt, als bei Influenza. Kinder mit einer Influenza können häufiger ambulant betreut werden. Bei RSV brauchen insbesondere Säuglinge und Kleinkinder häufiger Sauerstoff, da diese Infektion häufiger mit einer Lungenentzündung oder einer Bronchitis einhergeht. Und die Notwendigkeit einer Sauerstofftherapie ist einer der Hauptgründe, warum Kinder mit Atemnot in der Klinik betreut werden müssen. Bei Influenza passiert das auch, aber nicht so häufig. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob ich einen Säugling oder ein Schulkind betreue. Der Säugling muss engmaschiger überwacht werden. Das angeborene Immunsystem funktioniert bei allen Erregern, aber nicht so optimal bei RSV. Alle Kinder infizieren sich mit RSV, die meisten davon bekommen glücklicherweise durch die Infektion keine Lungenentzündung oder Bronchitis. Aber zehn Prozent aller Kinder weisen in den ersten beiden Lebensjahren Infektionszeichen der unteren Atemwege in Zusammenhang mit RSV auf und zwei Prozent müssen deswegen in die Klinik. Damit ist RSV die Infektion, die am häufigsten in den ersten zwei Lebensjahren zu einem Krankenhausaufenthalt führt.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Die Wirksamkeit der Grippe-Impfung ist individuell unterschiedlich und hängt davon ab, wie häufig die Person vorher schon geimpft beziehungsweise Kontakt zu Influenzaviren hatte. Eine einzelne Impfung ist immer weniger wirksam, als wenn man in den Jahren vorher schon geimpft wurde. Auffrischungen verbessern den Schutz, einzelne Impfungen sind nie zu 100 Prozent wirksam. Der Influenza-Virusstamm Yamagata scheint auch in dieser Grippesaison aktuell keine wesentliche Rolle zu spielen. Er wurde aus der Impfung rausgenommen, weil er bereits seit Pandemie nicht nachgewiesen wurde. Man muss aber natürlich überwachen, ob man Yamagata irgendwann wieder findet.“
„Es lohnt sich noch, sich zeitnah gegen Grippe impfen zu lassen, wenn man bisher noch nicht geimpft war oder die Infektion nicht hatte. Die Impfempfehlung im Kindesalter ist begrenzt auf diejenigen, die eine Grunderkrankung haben, also Kinder mit chronischen Lungenerkrankungen, wiederkehrenden Infektionen, chronischen Herzerkrankungen oder angeborenen Stoffwechselerkrankungen. Diese Kinder sollten unbedingt eine Impfung erhalten. Ansonsten steht es jedem frei, sein Kind impfen zu lassen. Die meisten Kinder- und Jugendärzte machen das und die meisten Krankenkassen übernehmen das auch.“
pädiatrischer Infektiologe am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
„Die vom Robert Koch-Institut (RKI) berichteten hohen Inzidenzen von Influenza im Kindesalter decken sich mit den auch an unserer Klinik beobachteten hohen Fallzahlen. An der Kinder- und Jugendklinik Freiburg mussten vergangene Woche (KW 6) sechs Patient*innen intensivmedizinisch behandelt werden, das ist auch für unser Zentrum ungewöhnlich viel. Auch auf unseren Normalstationen sehen wir aktuell eine hohe Zahl an hospitalisierungspflichtigen Influenza-Infektionen. Auch der ambulante pädiatrische Sektor ist durch Influenza stark ausgelastet.“
„Erfreulicherweise sind die Fallzahlen krankenhauspflichtiger Infektionen mit dem Respiratorischen Synzytialvirus (RSV) anhaltend niedrig, was für die hohe Effektivität der passiven RSV-Immunisierung spricht, die Neugeborene seit dieser Saison erhalten können.“
Mögliche Gründe für hohe Infektionszahlen
„Eine abschließende kausale Bewertung der hohen Infektionszahlen bei Kindern ist aktuell nicht möglich. Gerade bei Influenza ist die individuelle und populationsbezogene Immunitätslage ein komplexes Zusammenspiel aus der Zirkulation der aktuellen Influenzaviren und dem zugrundeliegenden Immungedächtnis, das sich aus vorangegangenen Infektionen und Impfungen entwickelt. Dementsprechend sind saisonale Variationen und damit jährliche Schwankungen in verschiedenen Altersgruppen primär nichts Ungewöhnliches. Im Rahmen der Pandemie sind zwei Influenza-Saisons – 2020/21 und 2021/22 – ausgefallen; nach einer untypisch frühen und schweren Saison 2022/23 war die vergangene Saison 2023/24 vom Zeitpunkt und Ausmaß wieder typisch. Wir befinden uns also aktuell in der dritten Influenza-Saison nach den pandemiebedingten Ausfällen – inwieweit hier immer noch Nachholeffekte eine Rolle spielen, ist ungewiss.“
Wirksamkeit und Empfehlung des Grippe-Impfschutzes
„Eine zuverlässige Bewertung der Impfeffektivität der saisonalen Impfstoffe ist erst am Ende der Saison möglich. Aktuelle Interim-Daten aus Kanada konnten zeigen, dass sich durch die aktuelle Influenza-Impfung das Risiko eines Arztbesuchs wegen Influenza halbieren ließ [3]. Die Influenza-B/Yamagata-Linie wurde vermutlich durch die pandemiebedingten Maßnahmen ausgerottet, der Virusstamm wurde seit Frühjahr 2020 nicht mehr isoliert [4]. Es zirkuliert aktuell nur noch eine Influenza-B-Linie, welche in den Impfstoffen erhalten ist. Insofern ist die Empfehlung der WHO/EMA, die Yamagata-Line in Zukunft nicht mehr in die saisonalen Impfstoffe miteinzubeziehen, gut nachvollziehbar.“
„Ich habe Referenten- und Beratungshonorare von Infectopharm, Moderna, MSD und Sanofi erhalten.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe im Zusammenhang mit dem Bericht des RKIs keine Interessenkonflikte.”
„Ich führe am Universitätsklinikum Studien durch, die von Impfstoffherstellern gefördert werden, darunter Sanofi (RSV).“
„Ich habe für diese Fragestellung keine relevanten Interessenkonflikte.“
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2024): Forderung nach Grippeimpfung für Kinder. Statements. Stand: 10.01.2024.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Robert Koch-Institut (2024): ARE-Praxis-Sentinel. Stand: 09.02.2024
[2] Robert Koch-Institut (2024): SARI-Krankenhaus-Sentinel. Stand: 10.10.2024.
[3] Separovic L et al. (2025): Interim estimates of vaccine effectiveness against influenza A(H1N1)pdm09 and A(H3N2) during a delayed influenza season, Canada, 2024/25. Eurosurveillance. Stand: 10.02.2025.
[4] Barr IG et al. (2024): Implications of the apparent extinction of B/Yamagata-lineage human influenza viruses. npj vaccines. Stand: 10.02.2025.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Paul Ehrlich Institut. Bereits knapp 20 Millionen Influenza-Impfstoffdosen für die Grippesaison 2024/2025 freigegeben. Stand: 07.02.2025.
Dr. Martin Terhardt
Kinder- und Jugendarzt und ehemaliges Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe Referenten- und Beratungshonorare von Infectopharm, Moderna, MSD und Sanofi erhalten.“
Prof. Dr. Carsten Watzl
Leiter des Forschungsbereichs Immunologie und wissenschaftlicher Direktor, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
PD Dr. Burkhard Rodeck
Kindergastroenterologe und Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Markus Rose
Kinderlungenarzt & Infektiologe am Olgahospital, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Angeborene Lungenerkrankungen, Klinikum Stuttgart
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe im Zusammenhang mit dem Bericht des RKIs keine Interessenkonflikte.”
Prof. Dr. Johannes Liese
Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie, Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich führe am Universitätsklinikum Studien durch, die von Impfstoffherstellern gefördert werden, darunter Sanofi (RSV).“
Dr. Roland Elling
pädiatrischer Infektiologe am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe für diese Fragestellung keine relevanten Interessenkonflikte.“