Jugendliche sensibler für Feedback auf Instagram
soziales Feedback auf Instagram beeinflusst sowohl die Stimmung als auch das Nutzungsverhalten von Jugendlichen stärker als von Erwachsenen
Instagram-eigene Daten stellen Besonderheit der Studie dar
unabhängige Forschende betonen die Notwendigkeit, soziale Medien so zu gestalten, dass weniger Druck durch soziale Rückmeldungen entsteht
Dass soziale Medien nicht per se schädlich für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sind, darüber sind sich Forschende einig. Umso wichtiger ist es daher, die unterschiedlichen Mechanismen zu untersuchen, die dazu führen, dass manche Personen – insbesondere junge Menschen – stärker auf soziale Medien reagieren als andere.
Professor für Molekulare Psychologie, Universität Ulm
Besonderheit der Studie
„Die Studie der Universität Amsterdam ist besonders, da sie digitale Fußabdrücke von Instagram in den Analysen berücksichtigen konnte – also Daten, die direkt von Instagram über die Nutzenden erhoben wurden. Weiterhin wurde sowohl ein eigenes Experiment durchgeführt als auch eine Bildgebungskomponente des Gehirns berücksichtigt, um die Sensitivität von jungen Menschen auf soziales Feedback im Social-Media-Zeitalter besser zu verstehen.“
„Die wissenschaftliche Arbeit ist meines Erachtens als bedeutsam einzuschätzen, zumal heute – aufgrund größtenteils geschlossener APIs (Application Programming Interfaces, Programmierschnittstellen; Anm. d. Red.) – eine solche Studie schwer durchführbar ist [1] [2]. Die digitalen Instagram-Daten stammen aus den Jahren 2014 und 2015, dies gilt es bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen. Die Funktionen und die Art der Nutzung von Instagram wird sich in den vergangenen zehn Jahren verändert haben, allerdings ist die Funktion des Likens, die in der Studie untersucht wurde, nach wie vor in der App vorhanden.“
Einordnung der bildgebenden Ergebnisse
„Es ist toll, dass in dem spärlichen Feld von Bildgebungsstudien zum Thema Social-Media-Nutzung und Gehirn [3] neue Daten präsentiert werden. Die Studie weist darauf hin, dass subkortikal-limbische Strukturen des Gehirns wichtig sind, um die Sensitivität für soziales Feedback vorherzusagen. Zukünftige Studien müssen aber auch mehr über die Funktionalität des Gehirns im Zusammenhang des Themas zeigen, da sich hier ,lediglich‘ auf Strukturanalysen des Gehirns fokussiert wurde. Es wurde also das statische Bild der entsprechenden Hirnareale mit einem strukturellen Magnetresonanztomographen (MRT) untersucht, aber nicht deren funktionelle Aktivität, wie es mit einem funktionellen MRT möglich wäre.“
Professor für Angewandte Kognitionspsychologie und Leiter des Arbeitsbereichs Angewandte Kognitionspsychologie, Eberhard Karls Universität Tübingen
Einordnung der Ergebnisse
„Die Studie erweitert das Verständnis über die Sensibilität von Jugendlichen gegenüber sozialem Feedback auf sozialen Medien. Besonders hervorzuheben ist, dass die Daten zeigen, dass Jugendliche deutlich empfindlicher auf Likes reagieren als Erwachsene. Neu ist die genaue Quantifizierung dieses Unterschieds mithilfe eines großen realen Datensatzes von Instagram-Posts. Diese detaillierte Analyse stellt einen wertvollen Beitrag dar, auch wenn das übergeordnete Konzept, dass Jugendliche besonders empfänglich für soziale Rückmeldungen sind, bereits gut etabliert ist. Insgesamt bieten die Ergebnisse wertvolle empirische Unterstützung für bestehende Theorien, ohne dabei radikal neue Erkenntnisse zu liefern.“
Instagram-Daten
„Die Methodik der Studie ist robust und kombiniert reale Verhaltensdaten mit experimentellen Studien, was einen wichtigen Vorteil darstellt. Die Instagram-Daten, die das Verhalten von Tausenden von Nutzern über einen längeren Zeitraum hinweg erfassen, sind besonders wertvoll, da sie einen realistischen Einblick in das Nutzungsverhalten bieten. Allerdings könnte man argumentieren, dass das Modell, welches primär auf die Anzahl der Likes fokussiert, die Komplexität der sozialen Interaktionen auf Plattformen wie Instagram zu stark vereinfacht. Soziale Medien-Nutzung hängt von weit mehr als nur Likes ab (zum Beispiel auch von algorithmischen Einflüssen), und diese Reduktion auf wenige Variablen lässt möglicherweise relevante Aspekte außen vor.“
Reinforcement-Learning-Modell
„Das Reinforcement-Learning-Modell eignet sich gut, um die Belohnungssensitivitäts-Hypothese auf einer grundsätzlichen Ebene zu testen, da es klare, messbare Verhaltensmuster identifiziert. Insbesondere erfasst es die Lernraten und Aufwandkosten im Zusammenhang mit der Häufigkeit, mit der Nutzer in Reaktion auf erhaltene Likes posten. Doch auch hier gilt: Soziale Interaktionen und die Nutzung von sozialen Medien sind vielschichtiger, als es ein solches Modell abbilden kann. Es besteht die Gefahr, dass das Verhalten von Nutzern zu stark auf einfache Reaktionsmuster reduziert wird, während tiefere soziale und emotionale Beweggründe unbeachtet bleiben.“
Bildgebende Analyse
„Die Neuroimaging-Ergebnisse liefern interessante Hinweise darauf, dass Gehirnregionen wie die Amygdala eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von sozialem Feedback spielen. Diese Erkenntnisse sind konsistent mit bestehenden Theorien, dass die Amygdala in der Emotionsverarbeitung und sozialen Belohnung eine zentrale Rolle einnimmt. Dennoch sollte man vorsichtig sein, diese Ergebnisse nicht überzubewerten: Es bleibt unklar, inwieweit diese neuronalen Unterschiede kausal für das Verhalten verantwortlich sind oder lediglich eine Korrelation darstellen. Solche Erkenntnisse müssen immer im Kontext komplexer sozialer und psychologischer Faktoren gesehen werden.“
Implikationen der Studie
„Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, soziale Medienplattformen so zu gestalten, dass sie den Druck auf Jugendliche verringern, sich durch soziale Rückmeldungen zu definieren. Dies könnte durch Anpassungen an den Feedback-Mechanismen geschehen, wie zum Beispiel das Verbergen von Likes. Gleichzeitig betonen die Befunde die Bedeutung von Programmen zur Förderung der emotionalen Resilienz bei Jugendlichen, die ihnen helfen könnten, besser mit den Herausforderungen des ständigen Feedbacks auf sozialen Medien umzugehen. Es bleibt jedoch die Frage, ob solche Maßnahmen ausreichend sind, um langfristige Veränderungen im Nutzerverhalten herbeizuführen, oder ob tiefgreifendere strukturelle Änderungen erforderlich sind.“
Neue Funktion von Instagram, Likes auszublenden
„Das Ausblenden der Likes auf Instagram könnte einen positiven Effekt darauf haben, den sozialen Druck zu verringern, insbesondere für Jugendliche. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um den Fokus von quantifizierbaren Rückmeldungen zu nehmen. Dennoch bleibt fraglich, ob diese Maßnahme allein ausreicht, um die tief verwurzelte Tendenz zur sozialen Validierung grundlegend zu verändern. Solange soziale Medien weiterhin auf Belohnungsmechanismen basieren, die soziale Anerkennung verstärken, werden Jugendliche möglicherweise andere Wege finden, sich zu vergleichen (zum Beispiel über die Followerzahlen). Eine umfassendere Umgestaltung der Plattformen könnte nötig sein, um das Problem dauerhaft zu lösen.“
Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Lugano, Schweiz
Einordnung der Ergebnisse
„Die Ergebnisse bestätigen die Erkenntnisse vorangegangener Studien, die gezeigt haben, dass Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen stärker auf Likes in sozialen Medien wie Instagram reagieren. Likes stellen eine Form der Anerkennung durch andere dar und fungieren als Selbstbestätigung. Man kann ein Like – vereinfacht gesagt – mit einem Kompliment vergleichen, auf das Jugendliche besonders stark reagieren, da sie sich in einem Entwicklungsstadium befinden, in dem das soziale Ansehen unter Gleichaltrigen fundamental ist und soziale Ausgrenzung als unzumutbar gilt. Zudem reagieren Jugendliche im Vergleich zu Erwachsenen verstärkt auf Belohnungen. In sozialen Medien erhalten Jugendliche diese Belohnungen in Form von Likes unmittelbar, quantifizierbar und für alle sichtbar, was ihre Wirkung auf das Selbstwertgefühl der Heranwachsenden nur noch erhöht.“
Studienmethodik
„Die Erkenntnisse der Studie haben dennoch einen Neuigkeitswert, da sie auf einem Mix von Methoden basieren, der Computermodellierungen, experimentelle Forschung und MRI-Scans des Gehirns vereint. Diese Methoden ermöglichen zum einen die Analyse von großen Datensätzen von realen Posts auf sozialen Medien. Darüber hinaus geben sie Einblicke in die Wirkung von Likes auf das Wohlbefinden, indem Likes kontrolliert manipuliert und die anschließenden Reaktionen der Jugendlichen mit Hilfe von Selbstauskunftsdaten gemessen werden. Die Korrelation von MRI-Scans des Gehirns mit dem Postingverhalten von Jugendlichen erlaubt es schließlich zu untersuchen, welche neuronalen Areale für eine erhöhte Sensitivität in Bezug auf soziales Feedback in den sozialen Medien zuständig sind. Die Forschungsarbeit von da Silva Pinho et al. zeigt, dass das lymbische System – vor allem die Amygdala – eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von sozialem Feedback im Onlinekontext spielt.“
Implikationen der Studie
„Kurz zusammengefasst lässt sich sagen, dass Jugendliche, im Vergleich zu Erwachsenen, verstärkt auf soziales Feedback in sozialen Medien in Form von Likes reagieren, indem sie bei positivem Feedback (mehr Likes) schneller erneut posten und sich bei negativem Feedback (weniger Likes) schlechter fühlen. Die Autoren plädieren für eine Stärkung der Kompetenzen zur Regulierung von Emotionen im Kontext der sozialen Mediennutzung. Solche Kompetenzen gehen über die klassische Medienkompetenz hinaus.“
„Kompetenzstärkung kann als ein ,Bottom-up‘-Ansatz verstanden werden, der die Nutzer zur Verantwortung zieht. Im Gegensatz dazu übernehmen bei einem ,Top-down‘-Ansatz die Anbieter von sozialen Medien-Platformen die Verantwortung, indem sie zum Beispiel durch Selbstregulierung oder Regulierung von außen auf Funktionen wie Likes verzichten. Meta hat dies auf seiner Instagram-Plattform vor einigen Jahren in verschiedenen Ländern weltweit getestet, um Nutzer ein zwangloseres Posten zu ermöglichen. Aktuell können Nutzer die Likes-Funktion auf ihrem Profil deaktivieren. Dies ist ein dritter Ansatz, der auf geteilte Verantwortung abzielt, da es im Ermessen der Nutzer liegt, ob sie auf die Likes-Funktion verzichten möchten.“
„Ob der letzte Ansatz ein Weg in die richtige Richtung ist, müssen zukünftige Studien noch zeigen. Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass es neben Likes auch Kommentare oder Shares als weitere, komplexere Formen des sozialen Feedbacks gibt, und sich neben authentischen Nutzer auch eine Vielzahl von Bots in den sozialen Medien tummeln, die auf Grundlage eigener Interessen gezielt soziales Feedback geben, ohne zwangsläufig das Wohlbefinden der Jugendlichen im Sinn zu haben.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte. Aus Gründen der Transparenz erwähne ich jedoch, dass ich (an der Universität Ulm und früher an der Universität Bonn) Forschungsgelder von Einrichtungen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten habe. Ich habe Förderanträge für mehrere Agenturen begutachtet; ebenso Artikel in Fachzeitschriften; akademische Vorträge in klinischen oder wissenschaftlichen Einrichtungen oder Unternehmen gehalten; und habe Bücher oder Buchkapitel für Verleger von Texten zur psychischen Gesundheit verfasst. Für einige dieser Tätigkeiten habe ich Honorare erhalten, jedoch nie von Gaming- oder Social-Media-Unternehmen. Ich war Teil eines Gesprächskreises bei Facebook (Digitalität und Verantwortung), der ethische Fragen im Zusammenhang mit sozialen Medien, Digitalisierung und Gesellschaft/Demokratie diskutierte. In diesem Zusammenhang erhielt ich kein Gehalt für meine Tätigkeit. Derzeit bin ich als unabhängiger Wissenschaftler im wissenschaftlichen Beirat der Gruppe Nymphenburg (München, Deutschland) tätig. Diese Tätigkeit wird finanziell abgegolten. Außerdem bin ich Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Applied Cognition (Redwood City, CA, USA), eine Tätigkeit, die ebenfalls vergütet wird.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Da Silva Pinho A et al. (2024): Youths’ sensitivity to social media feedback: A computational account. Science Advances. DOI: 10.1126/sciadv.adp8775.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Montag C et al. (2024): Is it possible to circumnavigate the APIcalypse? On challenges to study mental health in the age of digitalization and AI. European Journal of Psychiatry. DOI: 10.1016/j.ejpsy.2024.100273.
[2] Montag C et al. (2024): Safeguarding young users on social media through academic oversight. Nature Reviews Psychology. DOI: 10.1038/s44159-024-00311-2.
[3] Montag C et al. (2023): Unlocking the brain secrets of social media through neuroscience. Trends in Cognitive Sciences. DOI: 10.1016/j.tics.2023.09.005.
Prof. Dr. Christian Montag
Professor für Molekulare Psychologie, Universität Ulm
Prof. Dr. Markus Huff
Professor für Angewandte Kognitionspsychologie und Leiter des Arbeitsbereichs Angewandte Kognitionspsychologie, Eberhard Karls Universität Tübingen
Anne-Linda Camerini, Ph.D.
Lecturer and Researcher at the Faculty of Biomedical Sciences, Università della Svizzera italiana, Lugano, Schweiz