Körperliche Aktivität schützt bei früher Alzheimer-Erkrankung
um die 5000 Schritte am Tag könnten helfen, dass Alzheimer langsamer voranschreitet
bisher gibt es kaum Therapieansätze, um das Fortschreiten der Alzheimer-Demenz zu verlangsamen
Forschende betonen den Nutzen von präventiven Maßnahmen wie Bewegung, um altersassoziierte Krankheiten wie Alzheimer zu verhindern
Körperliche Aktivität steht in Zusammenhang mit einem langsameren kognitiven Abbau bei präklinischem Alzheimer. Das zeigt eine Beobachtungsstudie, die am 03.11.2025 im Fachjournal „Nature Medicine“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Bereits 3000 Schritte am Tag können laut Studie dazu beitragen, dass sich die schädigenden Tau-Proteinklumpen nicht so schnell im Gehirn ansammeln. Bei 5000 bis 7500 Schritten sehen die Forschenden einen noch größeren Effekt.
Die genauen Ursachen einer Alzheimer-Erkrankung sind bisher nicht geklärt. Es gibt aber modifizierbare Risikofaktoren wie Diabetes, Schlafstörungen oder Depression, deren Vermeidung präventiv wirken kann – dazu gehört auch körperliche Aktivität. Die Lancet-Kommission nennt insgesamt 14 dieser Risikofaktoren [I].
Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung, Universitätsklinikum Magdeburg, und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurophysiologie und Gedächntis, Institute of Cognitive Neuroscience, University College London, sowie Sprecher des Standorts Magdeburg des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Einordnung der Studienergebnisse
„Es gibt eine Reihe experimenteller Daten, die darauf hindeuten, dass körperliche Aktivität positive Effekte im Gehirn auslösen kann. Zum Beispiel ist bekannt, dass körperlich aktive ältere Menschen ihre Hirnsubstanz besser erhalten können als körperlich inaktive. Darüber hinaus ist Bewegungsmangel ein etablierter Risikofaktor für die Alzheimererkrankung.“
Mehrwert der Studie
„Diese Studie zeigt zum ersten Mal Effekte bei Menschen, die bereits Alzheimer-typische Veränderungen im Gehirn haben. Hier scheint körperliche Aktivität die Ausbreitung dieser Veränderungen über Jahre hinweg zu verlangsamen und in Verbindung damit die mentale Leistungsfähigkeit zu schützen.“
Möglicher Mechanismus
„Ein möglicher Mechanismus wird aus dieser Studie nicht klar. Körperliche Aktivität hat eine Reihe von Effekten, die mechanistisch in Frage kommen. Zum einen trainiert Bewegung, also das regelmäßige Gehen, die Kognition: Die Personen müssen navigieren, sich orientieren und mit Ihrer Umgebung interagieren. Zum anderen gibt es Effekte auf die kardiovaskuläre Gesundheit, indem die Herzkreislauf-Funktion angeregt wird. Schließlich werden bei erhöhter körperlicher Aktivität eine Reihe blutgebundener Wachstums- und Schutzfaktoren freigesetzt, die zum Beispiel in der Muskulatur oder in Blutplättchen gebildet werden. Diese wirken positiv auf das Gehirn und könnten so die Ausbreitung von Tau verlangsamen.“
„Die Amyloid-PET Messung misst sogenannte Plaques. Das sind relativ große und verklumpte Amyloid-Ablagerungen die schwer aufzulösen sind. Es ist möglich, dass sehr intensive körperliche Aktivität, wie beispielsweise Joggen, sich auch auf die Amyloid-Plaques auswirken kann. In dieser Studie wurde nur die Schrittzahl in Zusammenhang mit Gehen quantifiziert. Das heißt, intensive körperliche Aktivität wurde nicht untersucht. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass es nicht zu einer Plaque-Reduktion gekommen ist.“
Auf die Frage, ob es möglich ist, eine konkrete Schrittzahl als Empfehlung abzuleiten:
„Das ist schwer zu sagen. Es wurde nur die Schrittzahl bei Einschluss in die Studie gemessen. Wir wissen wenig darüber, wie viel sich die Teilnehmer in den Folgejahren der Studie bewegt haben. Die Autoren sagen, dass eine moderate Schrittzahl von 5000 bis 7000 ausreicht. Die Daten legen das nahe. Allerdings ist die fehlende Kausalität der Schwachpunkt dieser Studie, wie die Autoren selbst betonen. Ich würde auf keinen Fall schlussfolgern, dass mehr Bewegung nicht notwendig ist.“
„Intensive körperliche Aktivität wie Joggen oder Tanzen kann mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzliche Effekte auslösen, die hier nicht gemessen worden sind. Dass es ein Plateau bei einer moderaten Schrittzahl gibt, kann darauf hindeuten, dass in dem Studienergebnis zusätzliche Faktoren relevant waren. Zum Beispiel kann neben der körperlichen Aktivität die Tatsache eine Rolle spielen, dass eine erhöhte Schrittzahl einen kognitiv aktiveren Lebensstil mit sich bringt. Spazierengehen braucht Planung, Orientierung, Gedächtnis, und eine Reihe anderer kognitiver Faktoren. Diejenigen, die dafür die notwendige kognitive Architektur und Bereitschaft mitbringen, bleiben eventuell über die Jahre weniger von Tau-Ausbreitung betroffen.“
Mögliche Empfehlung
„Auch wenn die Kausalität noch nicht geklärt ist, sind die Daten ermutigend. Wenn Sie sich die Ergebnisse zu Herzen nehmen und mindestens 5000 bis 7000 Schritte am Tag gehen, machen Sie wenig falsch. Aber lassen Sie sich von den Studienergebnissen nicht in die Irre führen: Geben Sie sich damit nicht zufrieden nur 5000 Schritte am Tag zu gehen. Es gibt eine Reihe von Sportarten wie Radfahren, Tanzen oder Joggen, die aufgrund Ihrer Intensität und Stimulation des Gehirns zusätzliche Effekte haben können. Die Studienergebnisse sagen nicht, dass diese Sportarten und Bewegungsformen nicht erforderlich sind. Darüber hinaus sollten Sie das Spazierengehen mit der Exploration Ihrer Umgebung, oder gar von neuen Umgebungen kombinieren.“
Postdoktorandin in der Abteilung für Interventionelle Versorgungsforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Greifswald
Einordnung der Studienergebnisse
„Zahlreiche Studien berichten, dass körperliche Aktivität mit einem reduzierten Risiko für kognitiven Abbau und Demenz assoziiert ist – sie gilt als etablierter schützender Lebensstilfaktor. Auch die vorliegende Studie zeigt diesen Zusammenhang: Personen, die sich zu Studienbeginn mehr bewegten – objektiv gemessen über ihre tägliche Schrittzahl – zeigten über bis zu 14 Jahre hinweg einen langsameren kognitiven Abbau und einen geringeren Abbau in der Alltagsfunktion. Der entscheidende Mehrwert dieser Analyse liegt nun darin, dass sie die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen der Alzheimererkrankung berücksichtigt.“
„Untersucht wurden kognitiv unauffällige ältere Erwachsene aus der Harvard Aging Brain Study, von denen einige bereits erhöhte Amyloid-β-Werte aufwiesen – ein Frühzeichen der Alzheimer-Erkrankung. Mithilfe moderner Bildgebungsverfahren konnten die Forschenden den Verlauf der Alzheimerpathologie über die Zeit nachvollziehen. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass körperliche Aktivität bei Personen in der Frühphase der Alzheimer-Erkrankung mit einem langsameren Fortschreiten der Pathologie einherging: Das sogenannte Tau-Protein, ein Marker des Voranschreitens der Erkrankung, reicherte sich bei körperlich aktiveren Personen langsamer im Gehirn an, was den geringeren kognitiven Abbau erklärt.“
Möglicher Mechanismus
„Die genauen Mechanismen, über die körperliche Aktivität das Risiko oder den Verlauf der Alzheimererkrankung beeinflusst, sind bislang nicht vollständig geklärt und bleiben Gegenstand aktueller Forschung. Diskutiert werden unter anderem eine verbesserte vaskuläre Fitness und ein erhöhter Blutfluss im Gehirn, die die neuronale Versorgung und Entfernen von Amyloid fördern könnten, sowie eine Verringerung entzündlicher Prozesse und die Ausschüttung potenziell nervenschützender Botenstoffe.“
Leiter Forschungsgruppe Interventionelle Versorgungsforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Greifswald
Sinnhaftigkeit der Schrittzählung
„Grundsätzlich ist es kommunikativ hilfreich, wenn Forschung konkrete und alltagstaugliche Empfehlungen – wie Schrittzahlen – ableitet. Die Studie ist eine der ersten, die diesen Ansatz mit objektiv gemessenen Bewegungsdaten verfolgt und zeigt, dass der optimale positive Effekt bereits zwischen 5000 und 7500 Schritten ausgeschöpft wird. Wobei sich in der Studie auch schon niedrigere Schrittzahlen positiv auswirkten. Es gibt aber wichtige Einschränkungen: die Schrittzahlen wurden nur einmalig zu Studienbeginn über wenige Tage und nicht im Verlauf erfasst. Andere Formen körperlicher Aktivität wie beispielsweise Radfahren oder Schwimmen wurden nicht berücksichtigt. Zudem handelt es sich um eine Beobachtungsstudie und keine Interventionsstudie. Kausalität kann in diesem Studiendesign nicht gezeigt werden. Auch sind die gewählten Schrittkategorien nachvollziehbar, aber relativ willkürlich gewählt.“
„Zu guter Letzt gibt es eine Reihe weiterer Lebensstilfaktoren, die sich protektiv auf das Demenzrisiko auswirken: geistige Aktivität, soziale Aktivität, wenig Alkoholkonsum, gesunde Ernährung, um nur einige zu nennen. Wahrscheinlich wirken alle diese Faktoren gemeinsam auf das individuelle Demenzrisiko. Die Ergebnisse liefern somit wertvolle Anhaltspunkte für realistische Bewegungsziele, müssen jedoch durch weitere, kontrollierte Studien bestätigt werden und sollten im Kontext anderer protektiver Lebensstilfaktoren, wie Ernährung, soziale Aktivität und weiteren betrachtet werden.“
Mögliche Empfehlung
„Wichtig ist, dass körperliche Aktivität regelmäßig und individuell passend erfolgt – also in einer Form, die Freude macht und gut in den Alltag integrierbar ist. Bewegung ist außerdem ein wichtiger, aber nicht der einzige Baustein zur Förderung der Gehirngesundheit. Ein gesunder Lebensstil mit körperlicher Aktivität, ausgewogener Ernährung, geistiger Aktivität und sozialen Kontakten wirkt zusammen schützend, und das nicht nur für die kognitive Fähigkeit, sondern für andere chronische Krankheiten ebenso. Was gut fürs Gehirn ist, ist auch gut fürs Herz!“
Leiterin der Arbeitsgruppe „Gerontopsychiatrie in Bewegung“ der Abteilung für Gerontopsychiatrie & Psychotherapie, LVR-Klinik Köln und dem Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln
Mehrwert der Studie
„Diese prospektive Kohorten-Studie ergänzt die vorhandene Evidenz, dass mehr Bewegung im Alltag mit besserer Hirngesundheit im Alter zusammenhängt. Neu und besonders wertvoll an der aktuellen Studie ist, dass objektiv gemessene Schrittzahlen mit wiederholter Tau- sowie Amyloid-Bildgebung und langer Nachbeobachtung der kognitiven Leistungsfähigkeit verknüpft wurden. Diese Kombination ist in der Frühphase der Alzheimer-Erkrankung bislang selten. Bei Teilnehmenden, die bereits zu Beginn vermehrte Ablagerungen von Amyloid vorwiesen, waren höhere Schrittzahlen mit einem langsameren Anstieg von Tau-Protein in den Temporallappenregionen assoziiert. Für Amyloid-Ablagerungen selbst, ergab sich jedoch kein klarer Zusammenhang mit der Schrittzahl. Ein Teil des günstigeren kognitiven Verlaufs könnte über den langsameren Anstieg des Tau-Proteins erklärt werden; beweisen lässt sich das mit dieser Art von Studie aber nicht.“
Einordnung der Studienergebnisse
„Wie die Autoren selbst benennen, zeigt diese Studie Zusammenhänge, keine Kausalität. Das heißt, andere – nicht oder unvollständig gemessene – Faktoren könnten mitwirken, zum Beispiel Bildung, Gesundheit und Lebensstil. Und es ist möglich, dass sehr frühe Krankheitsprozesse die Aktivität bereits senken (scheinbare Umkehr der Ursache-Wirkung-Beziehung). Die Schrittzahl wurde nur zu Beginn des Beobachtungszeitraums erfasst, spätere Veränderungen und nicht schrittbasierte Bewegung blieben unberücksichtigt. Zudem war die Kohorte vorausgewählt und überwiegend hochgebildet, somit nicht repräsentativ für die breite, oft multimorbide Versorgungspopulation.“
Sinnhaftigkeit der Schrittzählung
„Wie vorherige Studien zu den Gesundheitseffekten körperlicher Aktivität [1] [2] berichten auch die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie, dass die größten Zugewinne für die Gesundheit beim Übergang von Inaktivität zu moderater körperlicher Aktivität entstehen und danach abflachen. Der Bereich von rund 5000 bis 7500 Schritten gilt als erreichbar und steht in zahlreichen Studien mit günstigeren Verläufen in Zusammenhang; wer mehr schafft, profitiert ebenfalls. Für das Demenzrisiko deuten Daten der UK-Biobank zudem auf eine nichtlineare Dosis-Wirkungs-Kurve und stärkere Effekte bei höherem Schritttempo hin [3]. Ein Orientierungswert von etwa 5000 bis 7500 Schritten pro Tag für zuvor inaktive Ältere ist realistisch und gut vermittelbar – als pragmatische Richtschnur, nicht als individuelle Verordnung.“
Mögliche Empfehlung
„Alltagstauglich sind regelmäßige Spaziergänge in leichter bis moderater Intensität – idealerweise eingebettet in den Alltag, etwa auf dem Weg zum Einkauf, bei sozialen Verabredungen oder indem man die Treppe statt des Aufzugs nimmt. Mit Smartphone und Wearables lassen sich die eigenen Schrittzahlen unkompliziert verfolgen und können gezielt und auch sukzessive erhöht werden. Bewegung ergänzt ärztliche Aufklärung, medikamentöse Behandlung und das Management kardiovaskulärer Risikofaktoren. Entscheidend ist, den Alltag bewusst aktiv zu gestalten und mehr Schritte in Routinen einzubauen.“
„In der Zusammenschau fügt sich die aktuelle Studie stimmig in die Evidenz ein, dass schon moderate, alltagsnahe körperliche Aktivität mit einer verminderten Hirnalterung einhergeht. Dabei liefert die Tau-Bildgebung, als Marker der Hirnalterung, einen starken biologischen Bezugspunkt für künftige Präventionsstudien. Insgesamt stützt die Arbeit die Botschaft: Jede zusätzliche Bewegung zählt – Anfangen lohnt sich auch im höheren Lebensalter, selbst wenn die empfohlenen Schrittzahlen noch nicht ganz erreicht werden.“
Leiter der Forschungsgruppe Populationsbezogene & Klinische Neuroepidemiologie, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Bonn
Einordnung der Studienergebnisse
„Dies ist eine interessante Studie an 296 älteren Personen ohne kognitive Beeinträchtigungen. In der Studie wurde der Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und kognitiven Funktionen sowie auf Bildgebung basierenden Biomarkern für Alzheimer, insbesondere den Amyloid-beta- und Tau-Werten, die durch PET-Scans des Gehirns ermittelt wurden, untersucht.“
„Meiner Meinung nach sind die drei interessantesten Ergebnisse der Studie folgende: Erstens war nur bei Personen mit hohen Ausgangswerten für Amyloid-beta körperliche Aktivität mit einer deutlichen Verringerung der Tau-Akkumulation im Gehirn während des Beobachtungszeitraums verbunden. Zweitens war ebenso nur bei Personen mit hohen Ausgangswerten für Amyloid-beta körperliche Aktivität mit einer deutlichen Verringerung der Rate des kognitiven Abbaus verbunden. Und drittens zeigten nachfolgende ‚moderierte Mediationsanalysen‘, dass Tau die Auswirkungen körperlicher Aktivität auf den kognitiven Verfall in Abhängigkeit vom Amyloid-beta-Spiegel vermittelt. Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass nur bei Personen mit hohen Amyloid-beta-Spiegeln im Gehirn körperliche Aktivität zu einer langsameren Tau-Akkumulation führt, was wiederum einen langsameren kognitiven Verfall zur Folge hat.“
Stärken und Schwächen der Studie
„Die größte Stärke der Studie ist die Verfügbarkeit sowohl von PET-Bildgebungsdaten des Gehirns (einschließlich Amyloid-beta und Tau) als auch von Daten zur körperlichen Aktivität einer relativ großen Gruppe älterer Menschen über einen Zeitraum von bis zu 14 Jahren.“
„Ich hätte gerne die Auswirkungen körperlicher Aktivität bei APOE-E4-Homozygoten gesehen, da das APOE-E4-Allel einen semidominanten Einfluss auf das Risiko hat, an Alzheimer zu erkranken. Die Autoren stellen lediglich fest, dass der APOE-E4-Trägerstatus keine signifikanten Auswirkungen hatte.“
„Eine Schwäche der Studie besteht darin, dass die Daten zur körperlichen Aktivität mit relativ einfachen Schrittzählern erhoben wurden, die nur die Anzahl der Schritte zählen können. Die Intensität verschiedener körperlicher Aktivitäten wurde jedoch nicht gemessen, was beispielsweise mit Aktigraphie-basierten Methoden (Messung von Ruhe-Aktivitäts-Zyklen mit einem tragbaren Gerät; Anm. d. Red.) möglich ist.“
Mehrwert der Studie
„Die Studie bestätigt frühere Erkenntnisse, dass die positiven Auswirkungen körperlicher Aktivität auf das Gehirn und die Gesundheit bei Menschen mit sitzender Lebensweise am stärksten sind. Zu sehen zum Beispiel in unseren Ergebnisse in der bevölkerungsbasierten Rheinland-Studie in Bonn zum Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Gehirnstruktur [4] [5], was darauf hindeutet, dass diese Personen wahrscheinlich am meisten von Bewegungsprogrammen profitieren.“
„Darüber hinaus legt diese Studie im Einklang mit früheren Erkenntnissen nahe, dass die positiven Auswirkungen von körperlicher Aktivität nicht unbegrenzt sind: Diese Studie deutet darauf hin, dass über etwa 7500 Schritte pro Tag hinaus nur geringe zusätzliche Vorteile zu erwarten sind. Aufgrund der Ergebnisse anderer Studien dürfte dieser Schwellenwert bei jüngeren Personen jedoch bei etwa 10.000 liegen.“
„Auch bei körperlicher Aktivität gilt, dass Maßhalten entscheidend ist. Für ein gesundes Gehirn muss man also nicht gleich mit Marathonläufen beginnen.“
Leiterin der Arbeitsgruppe Proteinprozesse in der Neurodegeneration, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Einordnung der Studienergebnisse
„Die vorliegende Studie berichtet, dass regelmäßige, moderate Aktivität eine bemerkenswerte Verlangsamung der Tau-Protein-Ablagerung und des kognitiven Verlustes in Menschen mit Verdacht auf eine beginnende Alzheimer-Erkrankung bewirken kann.“
„Etwa 300 Probanden mit unterschiedlichen Aktivitätsleveln, gemessen anhand ihrer täglichen Schrittzahl, wurden in der sogenannten präsymptomatischen Phase der Alzheimer-Krankheit in die Studie aufgenommen. In dieser Phase der Erkrankung haben die Patienten bereits erhöhte Level von Amyloid-beta im Gehirn und in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, zeigen jedoch noch keine kognitiven oder Gedächtnisbeeinträchtigungen.“
„Die Probanden wurden über durchschnittlich neun Jahre hinweg beobachtet, wobei regelmäßig Daten für die kognitive Fähigkeiten sowie für Amyloid-beta- und Tau-Protein-Ablagerungen erhoben wurden. Tau-Protein-Ablagerungen korrelieren mit kognitivem Verlust in Alzheimer-Patienten, weshalb die erzielte Verlangsamung der Tau-Ablagerung vielversprechende Möglichkeiten bietet, durch sportliche Aktivität und Bewegung den Verlauf der Krankheit positiv zu beeinflussen. Die Ursache hinter dem Effekt von körperlicher Aktivität auf Tau ist nicht klar.“
Mehrwert der Studie
„Dass in der Studie Ablagerungen von Tau aber nicht von Amyloid-beta eingedämmt wurden, deutet darauf hin, dass Amyloid-unabhängige Faktoren die Tau-Pathologie und deren Toxizität beeinflussen. Es gilt nun, diese Faktoren zu erkennen, zu verstehen und sie zu nutzen, um den Krankheitsverlauf positiv zu modulieren. Die Kombination aus besserer Hirndurchblutung und Sauerstoffversorgung, verringerten Entzündungsreaktionen im Gehirn und eine generell gesteigerte Stoffwechselaktivität könnten hier eine entscheidende Rolle spielen. Diese Faktoren wurden in präklinischen Modellen bereits mit Tau-Ablagerungen in Verbindung gebracht und stellen Risikofaktoren für die Alzheimer-Erkrankung dar.“
Sinnhaftigkeit der Schrittzählung
„Auch zuvor haben Studien gezeigt, dass Bewegung und Fitness sich positiv auf das Fortschreiten von Demenzen auswirken kann. Zum ersten Mal wird jetzt aber berichtet, dass moderate Bewegung – etwa 5000 Schritte pro Tag – dabei wirksam sein kann. Dies ist ein Ziel, dass von einigen älteren Menschen erreicht werden kann, für viele jedoch unerreichbar bleibt. Es sollte deshalb klar sein, dass die Art der Bewegung – ob Laufen, Gehen, Schwimmen oder Radfahren – dabei wahrscheinlich keine entscheidende Rolle spielt, solange sie den Stoffwechsel und die Herzfrequenz moderat ankurbelt.“
Limitationen der Studie
„Es bleibt zu bedenken, dass es sich hier um eine recht begrenzte Studie mit nicht mehr als insgesamt 300 Probanden und etwa 50 Probanden pro Studiengruppe handelt. Um endgültige Aussagen über Art, Dosierung, und Effekt von Bewegung auf Gehirngesundheit im Zusammenhang mit der Alzheimer-Erkrankung treffen zu können, müssen ähnliche Studien in größerem Umfang oder sogar auf dem Populationslevel getestet werden.“
„Wichtig ist auch, dass wir uns bewusst sind, dass die Alzheimer-Erkrankung an sich nicht durch Bewegung allein geheilt werden kann und dass Therapien gegen Amyloid-beta- und Tau-Ablagerungen sowie Entzündungen im Gehirn sehr wichtig sind, um den Betroffenen so gut wie möglich zu helfen. Der positive Effekt von Bewegung liefert hier zusätzlich wichtige Erkenntnisse zu den Mechanismen hinter dem Fortschreiten der Tau-Ablagerung im Gehirn und motiviert zu einem gesunden, präventiven Lebensstil auch im Alter.“
Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Universitätsklinikum Leipzig
Mehrwert der Studie
„Bewegungsmangel ist ein etablierter Risikofaktor für Alzheimer-Demenz – das zeigen zahlreiche große Kohortenstudien. Neu an dieser Studie ist, dass sie Einblicke in die neurobiologischen Vorgänge in der Frühphase der Erkrankung gibt: Auch in der präsymptomatischen Phase kann körperliche Aktivität den Krankheitsverlauf beeinflussen. Menschen in dieser frühen Krankheitsphase, die sich regelmäßig bewegen, entwickeln im Verlauf weniger Tau-Ablagerungen und verlieren ihre kognitive Leistung langsamer. Damit liefert diese Beobachtungsstudie erstmals Hinweise darauf, dass Bewegung nicht nur schützt, sondern den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung modifizieren kann. Die Befunde müssen in randomisierten und kontrollierten Interventionsstudien bestätigt werden.“
„Die Studie kommt zur richtigen Zeit: Während neue Antikörpertherapien wie Lecanemab und Donanemab erstmals den Krankheitsverlauf der Alzheimer-Erkrankung beeinflussen können, zeigt sich zugleich, dass körperliche Aktivität ein potenziell vergleichbar wirkungsvolles, aber sicheres und breitenwirksames Instrument bleiben wird. Künftige Forschung muss klären, ob Bewegung die Wirksamkeit dieser Therapien sogar verstärken kann. Für die Mehrheit der Betroffenen, die keine Antikörper erhalten, gewinnt körperliche Aktivität als zugängliche und risikoarme Präventionsstrategie weiter an Bedeutung.“
Möglicher Mechanismus
„Die Studie zeigt, dass körperliche Aktivität in der frühen, präsymptomatischen Phase der Alzheimer-Erkrankung mit weniger Tau-Ablagerungen und einem langsameren kognitiven Abbau einhergeht. Die Studie untersucht dabei nicht, über welche grundlegenden Mechanismen dies vermittelt wird. Aber wir wissen, dass Bewegung über bekannte neuroprotektive Mechanismen wirkt – eine verbesserte Hirndurchblutung, geringere Entzündungsaktivität und gesteigerte Neuroplastizität. Viele Ergebnisse zu den Mechanismen stammen ursprünglich aus Tiermodellen, sind aber heute durch Studien am Menschen gut gestützt.“
„Etwas genauer gesagt: Eine erhöhte Hirndurchblutung verbessert die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung und unterstützt den Abtransport von Abbauprodukten des Zellstoffwechsels. Langfristig führt regelmäßige Aktivität zu einer Abnahme entzündungsfördernder Botenstoffe und trägt so zur Erhaltung der neuronalen Integrität bei. Bewegung stimuliert zudem die Ausschüttung neurotropher Faktoren, insbesondere des Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), der die synaptische Plastizität und neuronale Funktionsfähigkeit fördert [6].“
Sinnhaftigkeit der Schrittzählung
„Schrittzahlen sind ein anschauliches Maß. Schon moderate Steigerungen bei bisher Inaktiven führen zu deutlichen Gesundheitsgewinnen. Das zeigt auch die aktuelle Studie. Das steht auch im Einklang mit einer großen Metanalyse von 57 epidemiologischen Studien mit über 160.000 Teilnehmenden, die in diesem Jahr im ‚Lancet Public Health‘ publiziert wurde [1]. Bereits 7000 Schritte am Tag waren im Vergleich zu 2000 Schritten mit deutlich geringeren Risiken für einer Vielzahl von Erkrankungen und einer geringeren Sterblichkeit verbunden.“
„Schrittzahlen erfassen Quantität, nicht Qualität. Die Zahl der Schritte sagt wenig über Intensität, Regelmäßigkeit und Trainingswirkung aus, die entscheidend für den Aufbau kardiorespiratorischer Fitness und die volle Entfaltung der nervenschützenden Mechanismen sind. Eine einzige maximale Schrittzahlempfehlung als Bewegungsempfehlung greift aus meiner Sicht zu kurz.“
„Und trotzdem wohnt dem Schrittezählen ein Zauber inne: Das Tragen von Schrittzählern und Aktivitätstrackern hat einen interessanten Effekt: Sie können die körperliche Aktivität messbar steigern. Metaanalysen zeigen Zuwächse von durchschnittlich 1200 bis 2500 Schritten pro Tag. Schrittzähler sind Verhaltensmotivatoren [7].“
Limitationen der Studie
„Die Autoren haben die durchschnittliche Schrittzahl der Studienteilnehmer pro Tag mit einem Schrittzähler einmalig zu Studienbeginn gemessen. Grundlage bildete die Messung über eine Woche hinweg. Weitere Informationen zu zusätzlichen körperlichen Aktivitäten wie Schwimmen, Radfahren oder Krafttraining, die sich nicht in der Schrittzahl niederschlagen, wurden nicht erfasst. Auch Veränderungen der Schrittzahl oder anderen Aktivitäten über den Studienzeitraum wurden nicht erfasst. Zudem lassen sich Intensität und Anstrengung nicht mit der Schrittzahl abbilden. Das erscheint auf den ersten Blick recht grob. Die Schrittzahl – so eingängig sie ist – ist ein vereinfachter Marker für das komplexe Phänomen der körperlichen Aktivität. Aus den Bewegungswissenschaften wissen wir jedoch, dass Schrittzahl und objektiv gemessene körperliche Gesamtaktivität schon moderat bis stark korrelieren. Insofern ist die Schrittzahl ein Marker für die körperliche Aktivität und damit das set-up der Studie absolut legitim.“
Mögliche Empfehlung
„Demenzprävention beginnt nicht erst im Alter, sie ist über die gesamte Lebensspanne relevant. Bewegung wirkt in jedem Lebensabschnitt. Die WHO empfiehlt Erwachsenen wöchentlich mindestens 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver körperlicher Aktivität, ergänzt durch Kraft- und Gleichgewichtsübungen [8]. Etwa die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland erreicht diese Werte nicht [9]. Die WHO-Empfehlungen sind eine solide Grundlage. Für die Gehirngesundheit zählt dabei nicht nur die Dauer, sondern auch die Regelmäßigkeit und Intensität: Bewegung sollte den Kreislauf anregen, die Fitness verbessern. Das klappt am besten, wenn Bewegung Freude macht – ob beim Gehen, Joggen, Radfahren, Nordic Walking, Schwimmen oder Tanzen [6].“
Wie sollten Journalist:innen hierüber berichten?
„Bewegung lohnt sich für das Gehirn, Bewegung kann das Demenz-Risiko senken. Entscheidend ist nicht das Alter, sondern die Regelmäßigkeit und Intensität: Schon 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche, etwa zügiges Gehen, Radfahren oder Tanzen, stärken Herz, Kreislauf und Gehirn. Für die Gehirngesundheit zählt nicht nur, dass man sich bewegt, sondern wie: Bewegung sollte den Puls spürbar anregen.“
„Journalist:innen sollten das realistisch und ermutigend vermitteln – nicht mit Leistungszielen, sondern mit der Botschaft: Jeder Schritt zählt, und es ist nie zu spät, das Gehirn in Bewegung zu bringen. Wissenschaftskommunikation ist eine ganz eigene Kunst.“
„Keine Interessenkonflikte zu diesem Thema.“
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten
Primärquelle
Yau W et al. (2025): Physical activity as a modifiable risk factor in preclinical Alzheimer’s disease. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-025-03955-6.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Ding D et al. (2025): Daily steps and health outcomes in adults: a systematic review and dose-response meta-analysis. The Lancet Public Health. DOI: 10.1016/S2468-2667(25)00164-1.
[2] Ekelund U et al. (2019): Dose-response associations between accelerometry measured physical activity and sedentary time and all cause mortality: systematic review and harmonised meta-analysis. BMJ. DOI: 10.1136/bmj.l4570.
[3] Del Pozo Cruz B et al. (2022): Association of Daily Step Count and Intensity With Incident Dementia in 78 430 Adults Living in the UK. JAMA Neurology. DOI: 10.1001/jamaneurol.2022.2672.
[4] Fox F et al. (2022): Association Between Accelerometer-Derived Physical Activity Measurements and Brain Structure. A Population-Based Cohort Study. Neurology. DOI: 10.1212/WNL.0000000000200884.
[5] Fox F et al. (2023): Physical activity is associated with slower epigenetic ageing—Findings from the Rhineland study. Aging Cell. DOI: 10.1111/acel.13828.
[6] Tari AR et al (2025): Neuroprotective mechanisms of exercise and the importance of fitness for healthy brain ageing. Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(25)00184-9.
[7] Laranjo L et al. (2021): Do smartphone applications and activity trackers increase physical activity in adults? Systematic review, meta-analysis and metaregression. British Journal of Sports Medicine. DOI: 10.1136/bjsports-2020-102892.
[8] World Health Organization (2020): WHO guidelines on physical activity and sedentary behaviour.
[9] Nationale Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut (2024): Ergebnisse der Diabetes-Surveillance 2015–2024. Körperliche Inaktivität–Erwachsene. Robert Koch-Institut. DOI: 10.25646/12255.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Science Media Center (2024): Prävention von 14 Risikofaktoren könnte Demenzfälle verhindern. Statements. Stand: 31.07.2024.
Prof. Dr. Emrah Düzel
Direktor des Instituts für kognitive Neurologie und Demenzforschung, Universitätsklinikum Magdeburg, und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Neurophysiologie und Gedächntis, Institute of Cognitive Neuroscience, University College London, sowie Sprecher des Standorts Magdeburg des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte zu diesem Thema.“
Dr. Iris Blotenberg
Postdoktorandin in der Abteilung für Interventionelle Versorgungsforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Greifswald
PD Dr. René Thyrian
Leiter Forschungsgruppe Interventionelle Versorgungsforschung, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Greifswald
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
Dr. Rieke Trumpf
Leiterin der Arbeitsgruppe „Gerontopsychiatrie in Bewegung“ der Abteilung für Gerontopsychiatrie & Psychotherapie, LVR-Klinik Köln und dem Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegt kein Interessenkonflikt vor.“
Dr. Ahmad Aziz
Leiter der Forschungsgruppe Populationsbezogene & Klinische Neuroepidemiologie, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Bonn
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Susanne Wegmann
Leiterin der Arbeitsgruppe Proteinprozesse in der Neurodegeneration, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Steffi G. Riedel-Heller
Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Universitätsklinikum Leipzig
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“