Maßnahmen gegen antidemokratische Praktiken
Forschende identifizieren wirksame Methoden, um Feindseligkeit und Befürwortung von Gewalt zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Parteien sowie Unterstützung undemokratischer Praktiken in den USA zu reduzieren
vor allem Positivbeispiele sind wirksam, um Feindseligkeiten zu reduzieren
unabhängige Forschende begrüßen Methodik und Größe der Studie, weisen aber auf Unklarheiten bei Übertragbarkeit auf die Praxis und langfristigen Wirkungen hin
Am 5. November findet in den USA die 60. Präsidentschaftswahl statt. Demokraten und Republikaner stehen sich dabei zunehmend feindselig gegenüber und Diskussionen polarisieren. Ein Forschungsteam aus den USA hat nun Maßnahmen gesammelt und evaluiert, die Feindseligkeiten zwischen Parteimitgliedern und die Akzeptanz antidemokratischer Handlungen reduzieren sollen. Die Ergebnisse sind im Fachjournal „Science“ erschienen (siehe Primärquelle).
Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Systeme Nordamerikas, Freie Universität Berlin
Beschreibung der Studie
„Es handelt sich um eine groß angelegte Megastudie, die 25 verschiedene Interventionen zur Reduzierung von Parteifeindseligkeit und antidemokratischen Einstellungen in den USA testet. Die Studie verwendet eine große Stichprobe (n=32.059) und ein randomisiertes Experimentaldesign. Es wurden sowohl kurzfristige als auch längerfristige (zwei Wochen) Effekte gemessen.“
„23 von 25 Interventionen reduzierten Parteifeindseligkeit signifikant. Sechs Interventionen reduzierten die Unterstützung für undemokratische Praktiken, fünf die Unterstützung für parteiische Gewalt. Die wirksamsten Strategien beinhalteten das Hervorheben sympathischer Personen mit anderen politischen Ansichten und das Betonen gemeinsamer Identitäten. Die Ergebnisse stellen die Annahme infrage, dass Parteifeindseligkeit die Hauptursache für antidemokratische Einstellungen ist. Parteifeindseligkeit und antidemokratische Einstellungen scheinen unterschiedliche psychologische Konstrukte zu sein, die durch verschiedene Interventionen beeinflusst werden.“
„Die Studie identifiziert vielversprechende Strategien zur Reduzierung von Parteifeindseligkeit und antidemokratischen Einstellungen. Die Ergebnisse können für die Entwicklung von Interventionen in verschiedenen Kontexten (zum Beispiel Social Media, politische Kommunikation) genutzt werden.“
Methodik und Einschränkungen der Studie
„Die Studie wurde nur in den USA durchgeführt. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Länder und politische Systeme ist daher fraglich und müsste separat untersucht werden. Zudem wurden für das Crowdsourcen Experten aus unterschiedlichen Ländern genommen, was zu einer Dissonanz in den Ergebnissen führen kann. Die langfristigen Effekte der Interventionen waren begrenzt.“
„Insgesamt handelt es sich um eine methodisch sehr solide und umfangreiche Studie mit wichtigen Implikationen für Theorie und Praxis im Bereich politischer Polarisierung und demokratischer Einstellungen.“
„Die Studie verwendet eine quotenbasierte Stichprobe, die repräsentativ für US-Demokraten und Republikaner sein soll. Es könnte jedoch einen Selektionsbias geben, da nur Personen einbezogen wurden, die sich mit einer der beiden Parteien identifizieren. Unabhängige oder Nichtwähler wurden ausgeschlossen, was die Generalisierbarkeit einschränken könnte.“
„Die Haupteffekte wurden unmittelbar nach der Intervention gemessen. Die Nachhaltigkeit der Effekte über einen längeren Zeitraum ist unklar, auch wenn nach zwei Wochen ein Follow-up durchgeführt wurde. In einem Online-Experiment könnten Teilnehmer erraten, was die Forscher messen wollen und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Dies könnte zu einer Überschätzung der Effekte führen.“
„Mit 25 verschiedenen Interventionen und mehreren Outcome-Variablen besteht die Gefahr von falsch-positiven Ergebnissen durch multiples Testen, auch wenn die Autoren dies vermutlich berücksichtigt haben. Die große Anzahl und Vielfalt der getesteten Interventionen erschwert detaillierte Vergleiche zwischen ihnen. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reale Interaktionen außerhalb eines Online-Experiments ist möglicherweise eingeschränkt.“
Verbesserungsvorschläge
„Die Studie führte eine Nachuntersuchung nach zwei Wochen durch, bei der viele Effekte bereits nachgelassen hatten. Eine längerfristige Nachuntersuchung (zum Beispiel nach drei bis sechs Monaten) könnte wertvolle Erkenntnisse über die Dauerhaftigkeit der Effekte liefern. Da die einmalige Behandlung nur begrenzte langfristige Effekte zeigte, könnte die Untersuchung wiederholter Behandlungen über einen längeren Zeitraum aufschlussreich sein.“
„Die Studie basierte auf Online-Umfragen. Feldexperimente in realen Kontexten könnten die externe Validität erhöhen. Die Studie konzentrierte sich auf die USA. Eine Replikation in anderen Ländern könnte die Generalisierbarkeit der Ergebnisse prüfen. Obwohl einige Subgruppenanalysen durchgeführt wurden, könnten detailliertere Untersuchungen von Unterschieden zwischen verschiedenen demografischen und politischen Gruppen weitere Erkenntnisse liefern.“
„Die Studie testete die Behandlungen einzeln. Die Untersuchung von Kombinationen vielversprechender Behandlungen könnte synergetische Effekte aufdecken. Qualitative Interviews mit Teilnehmern könnten tiefere Einblicke in die Wirkungsweise der Behandlungen geben. Die Studie konzentrierte sich auf Demokraten und Republikaner. Eine Erweiterung auf politisch Unabhängige und Nichtwähler könnte ein vollständigeres Bild liefern. Eine systematischere Untersuchung möglicher unbeabsichtigter negativer Folgen der Behandlungen wäre wertvoll.“
Gesamtbewertung der Studie
„Die Studie ist in mehrfacher Hinsicht originell: Sie ist die bisher umfangreichste Untersuchung von Interventionen zur Reduzierung parteiischer Animosität und antidemokratischer Einstellungen. Sie liefert neue Erkenntnisse über die Beziehung zwischen parteiischer Animosität und antidemokratischen Einstellungen, die bisherige Annahmen infrage stellen. Sie identifiziert mehrere neue, bisher unveröffentlichte Interventionen, die antidemokratische Einstellungen reduzieren können. Die Studie verwendet einen innovativen Ansatz, indem sie die Korrelationen der Behandlungseffekte auf verschiedene Outcomes analysiert, um tiefere Einblicke in die zugrundeliegende Psychologie zu gewinnen.“
„Insgesamt bietet die Studie einen substanziellen und originellen Beitrag zum Verständnis der Psychologie von Polarisierung und demokratischen Einstellungen sowie zu möglichen Interventionsstrategien.“
Professorin für Kulturvergleichende Sozialpsychologie und Diagnostik, Hochschule Hamm-Lippstadt
Beschreibung der Studie
„Die Autorinnen und Autoren haben im Rahmen einer groß angelegten, experimentellen Studie an Anhänger*innen der Republikanischen beziehungsweise der Demokratischen Partei in den USA getestet, wie sich 25 verschiedene Maßnahmen zur Reduktion von Feindseligkeit gegenüber Anhänger*innen der jeweils anderen Partei auswirken. Darüber hinaus haben die Forschenden getestet, ob diese 25 Interventionen auch die Unterstützung für undemokratische Praktiken und die Befürwortung von Gewalt gegenüber politischen Gegner*innen reduzieren können.“
„Die Autor*innen haben jeweils eine größere Gruppe von Personen mit einer der Maßnahmen konfrontiert. Dadurch konnten sie testen, wie effektiv die Maßnahmen im Vergleich zu einer Versuchsbedingung wirken, in der keine relevante Maßnahme durchgeführt wurde.“
Methodik der Studie
„Aus meiner Sicht ist die Studie methodisch und inhaltlich spannend. So hat das Megastudien-Design viele Vorteile: Es können sehr viele Personen (über 30.000) zur gleichen Zeit erreicht werden und viele verschiedene Maßnahmen können auf einmal miteinander verglichen werden. In der Regel liefern Studien nur den Vergleich zwischen zwei bis drei Interventionen. Außerdem unterscheiden sich viele Studien nicht nur im Zeitpunkt ihrer Durchführung und der Zusammensetzung der Befragten, sondern auch im Hinblick auf das, was eigentlich beeinflusst werden soll (Einstellungen, Verhalten, Motive…). In der Megastudie wurden am Ende dagegen immer die gleichen Einstellungen abgefragt. Das sehe ich als einen weiteren großen Vorteil der Studie. Unterschiede in Ergebnissen lassen sich dann eindeutiger auf die verschiedenen Maßnahmen zurückführen und nicht auf Unterschiede in den Methoden.“
„Sehr interessant ist auch das Vorgehen bei der Zusammenstellung der Maßnahmen durch intensive Befragung von Expertinnen und Experten. Dadurch konnten sehr unterschiedliche Maßnahmen zusammengetragen und erstmals in ihrer Wirksamkeit verglichen werden.“
Bewertung der Ergebnisse
„Insgesamt zeigt sich, dass die affektive Polarisierung – also die tiefe emotionale Gegnerschaft und Feindseligkeit gegenüber Anhänger*innen der anderen Partei – durch besonders viele Maßnahmen beeinflusst werden konnte. Nicht allen Maßnahmen gelingt es daneben auch, Überzeugungen zur Unterstützung von Gewalt und Unterstützung von undemokratischen Maßnahmen zu reduzieren.“
„Insbesondere diejenigen Strategien, die auf die Entwicklung einer gemeinsamen Identität setzen (zum Beispiel ‚wir sind alle US-Amerikaner*innen‘) beziehungsweise die (indirekte) positive Begegnungen mit einem politischen Gegner beinhalten, führen zu einer Reduktion in den negativen Einstellungen und Gefühlen gegenüber den Anhänger*innen der jeweils anderen politischen Partei. Diese Ergebnisse unterstreichen nochmal deutlich die Befunde, die wir bereits aus der sozialpsychologischen Kontaktforschung kennen. Dort konnte immer wieder gezeigt werden, dass die Begegnung auf einer persönlichen Ebene und die Entwicklung einer gemeinsamen Identität hilft, um Vorurteile und Konflikte zu reduzieren. Allerdings zeigen sich in der Studie unterschiedliche Effekte, und auch genau gegenteilige Effekte werden durch manche Ansätze der Social Identity (Theorie der Intergruppenbeziehungen, bei der Personen sich und ihr soziales Umfeld in Gruppen einsortieren; Anm. d. Red.) erreicht. Hier muss man genau differenzieren, welche soziale Identität tatsächlich betont wird: Interessant ist, dass einige Strategien sogar negative Effekte haben. Das zeigt sich insbesondere, wenn eine Gefahr des Zusammenbruchs des demokratischen Systems thematisiert wird. Diese Intervention erhöhte bei den Anhänger*innen der Republikanischen Partei sogar die Bereitschaft zu parteibezogener Gewalt gegenüber Demokrat*innen. Allerdings wurde hierzu ein für (manche) Republikaner*innen kontrovers diskutiertes Ereignis genutzt – der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2023. Manche sehen dies als legitimen Protest an und befürworten solche Arten der politischen Auseinandersetzung.“
„Die Autor*innen haben auch versucht, langfristigere Effekte zu testen, indem sie die Befragten derjenigen Strategien, für die direkt nach der Intervention ein schwacher bis mittelstarker Effekt gefunden wurde, nochmal zum Ausfüllen der Umfrage eingeladen haben. Nach den zwei Wochen ließen sich immer noch Unterschiede zwischen den Probanden der Kontrollbedingung und der ‚Common Exhausted Majority Identity‘ (eine der getesteten Maßnahmen, bei der die Teilnehmenden auf die Rolle der Medien bei der Entstehung von Polarisierung und die Tatsache, dass die meisten Mitglieder der Demokraten und Republikaner der Polarisierung müde sind, hingewiesen wurden; Anm. d. Red.) in Bezug auf die Feindlichkeit gegenüber gegnerischen Parteimitgliedern zeigen (schwacher bis mittlerer Effekt). Allerdings ist ein Zeitraum von zwei Wochen auch in Wahlkampfzeiten sehr kurz und es ist fraglich, wie langfristig die Effekte anhalten und wie immun die Parteianhänger*innen dann auch gegenüber Beeinflussungsversuchen sind.“
„Es wäre sicherlich sinnvoll, mehrere Maßnahmen miteinander zu verbinden. Das Zusammenspiel von Maßnahmen konnte in diesem Kontext leider nicht getestet werden.“
Mögliche Einschränkungen der Ergebnisse
„Es handelt sich um eine einmalige Intervention, die gegebenenfalls nicht langfristig wirksam ist, bei der aber etwas angestoßen werden kann, was dann konsolidiert werden muss. Die Grenze sehen die Autor*innen auch selbst. Ziel ist es, Maßnahmen zu finden, die überhaupt etwas ändern.“
„18 von 25 Interventionen sind vorher noch nicht ausprobiert worden, soweit ich es von den Autor*innen gelesen habe. Vor diesem Hintergrund liegt keine Erfahrung vor und es können auch methodische Artefakte zu einer geringen Effektstärke geführt haben.“
„Zur Generalisierbarkeit: Das Zwei-Parteien-System in den USA ist ein Spezifikum und spitzt Konflikte sehr stark auf Unterschiede zwischen der Eigengruppe und der Fremdgruppe zu.“
„Es liegen keine potenziellen Interessenkonflikte vor.“
„Von meiner Seite aus gibt es keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Voelkel JG et al. (2024): Megastudy testing 25 treatments to reduce antidemocratic attitudes and partisan animosity. Science. DOI: 10.1126/science.adh4764.
Prof. Dr. Christian Lammert
Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Systeme Nordamerikas, Freie Universität Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine potenziellen Interessenkonflikte vor.“
Prof. Dr. Constanze Beierlein
Professorin für Kulturvergleichende Sozialpsychologie und Diagnostik, Hochschule Hamm-Lippstadt
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Von meiner Seite aus gibt es keine Interessenkonflikte.“