Neue Koalition: Kommt künftig mehr Strom und Wärme aus Wasserkraft?
Kommende Bundesregierung setzt offenbar auch auf Wasserkraft in Deutschland.
Forschende sehen kaum Potenzial für mehr Strom – aber große Chancen für Wärme aus Gewässern durch Wasser-Wärmepumpen.
Kombination mit Wasserkraftwerken kann Genehmigung erleichtern, Auswirkungen auf Gewässer sind aber noch unklar
Wasserkraft könnte für die Energie- wie Wärmewende in den kommenden Jahren wieder eine größere Rolle spielen. So wird Wasserkraft im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD [I] nicht nur explizit im Zusammenhang mit der Energiewende und dem Ausbau der Erneuerbaren erwähnt – sie wird auch unter einer eigenen Überschrift so thematisiert: „Bestehende Potenziale bei der kleinen und großen Wasserkraft und bei Pumpspeicherkraftwerken werden wir heben“. Das ist weit mehr, als die drei vorangegangenen Bundesregierungen über Wasserkraft vereinbart hatten: Deren Koalitionsverträge schwiegen sich über die Rolle von Wasserkraftwerken aus. Kein Wunder, denn zum einen galt unter Forschenden das Potenzial der Wasserkraft eigentlich als ausgeschöpft [II], zum anderen darf der ökologische Zustand fließender Gewässer nicht verschlechtert werden [III]. Diesen jedoch würden neue Dämme oder Wehre für Wasserkraftwerke verschlechtern.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
Potenzial von Wasserkraft
„In der Tat sind die Potenziale zur Stromerzeugung aus Wasserkraft in Deutschland nahezu vollständig ausgeschöpft. Dies gilt sowohl für die Pump- als auch für die Laufwasserkraft. Es gibt noch ein geringeres Potenzial, das aber zu 70 Prozent in der Modernisierung bestehender Wasserkraftanlagen besteht [1]. Wärmepumpen basierend auf Gewässern wie zum Beispiel Flüssen oder Seen sind dagegen erst in ihren Startlöchern. Eine erste Anlage gibt es zum Beispiel in Mannheim, wo die MVV eine Wärmepumpe gebaut hat, die 3.500 Haushalte mit klimafreundlicher Wärme aus Rheinwasser versorgt.“
Potenzial von Flusswärmepumpen
„Erste Potentialanalysen für Flusswärmepumpen liegen vor. Die Daten- und Analyselage sollte jedoch noch ausgebaut werden um gute, belastbare Zahlen abzuleiten. Das Potential hängt dabei auch immer vom Ausbau der Fernwärme und den zukünftigen Netztemperaturen ab. In unseren Potentialanalysen kommen wir für Flusswärmepumpen in Deutschland für 2050 auf ein – nutzbares – Potential von circa 45 TWh bei einer Fernwärmenachfrage von circa 150 TWh bei Netztemperaturen von 80-90°C. Dieses Potential wurde bereits in Kombination mit Wärmepumpen berechnet. Es handelt sich dabei nicht um das wirtschaftliche, sondern um das technisch nutzbare Potenzial – also um Quellen, die räumlich ausreichend na an Fernwärmenetzten liegen. Hierbei haben wir Flüssen mit einem Durchfluss von mindestens 20 Kubikmetern pro Sekunde berücksichtigt und 2000-3000 Volllaststunden angesetzt [2]. Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hat daneben eine Studie veröffentlicht, die Potentiale für Bayern ausweist. Hier liegt das theoretische Potential je nach Temperaturspreizung zwischen 57-340 TWh. Theoretische Potentiale sind jedoch nicht gleichzusetzen mit nutzbaren und wirtschaftlichen Potentialen, siehe [3].“
„Wärmepumpen basierend auf Gewässern wie zum Beispiel Flüssen oder Seen sind technisch bereits etabliert und in Ländern wie Dänemark bereits sehr erprobt. Es gibt bereits mehrere Hersteller auf dem Markt. In Deutschland sammeln die Versorger erste Erfahrungen.“
Dekan Bauingenieurwesen und Projektmanagement, Institut für Geo und Umwelt, Hochschule Biberach
Potenzial von Flusswärmepumpen
„Das thermisch nutzbare Wärmepotenzial aus Fließgewässern in Deutschland ist erheblich. Es gibt dazu bereits zahlreiche Studien auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene. Fließgewässer weisen ein gewaltiges thermisches Potenzial auf, das insbesondere für die Wärmeversorgung in Großstädten erschlossen werden kann. Der Niedertemperatur-Wärmebedarf (bis 100 °C) macht über zwei Drittel des gesamten Wärmebedarfs aus – genau dieser Bereich kann effizient mit Flusswärmepumpen bedient werden.“
„Flusswärmepumpen können trotz niedriger Wassertemperaturen auch im Winterhalbjahr hohe Wärmemengen liefern, da die Durchflüsse in den Gewässern planbar und je nach Region im Winter sogar höher als im Sommer sind. Dank der hohen Wärmekapazität des Wassers bleiben die Temperaturen auch bei kalter Witterung relativ stabil und höher als die Lufttemperatur. Die Anlagen sind damit für den ganzjährigen Betrieb geeignet, insbesondere während der Heizperiode.“
„Fließgewässer haben viele Vorteile: Sie sind flächendeckend in Deutschland verfügbar – über 400.000 km Gesamtlänge – und die Wassertemperaturen sind im Winter stabil und bei extremer Kälte höher als Lufttemperaturen. Fließgewässer liefern einen kontinuierlichen Volumenstrom, das heißt, die Wärmequelle wird permanent regeneriert. Ferner haben sie Vorteile gegenüber Luft-Wärmepumpen, weil Wasser eine hohe Energiedichte durch die 800-fache Dichte im Vergleich zur Luft hat; gegenüber Geothermie, weil keine aufwendigen Bohrungen notwendig sind und gegenüber der Abwasserwärmenutzung der Volumenstrom in Fließgewässern um Größenordnungen höher ist.“
„Auch kleine Fließgewässer können genutzt werden, da selbst kleine Wassermengen hohe Entzugsleistungen liefern können. Die genaue Größe hängt von der Durchflussmenge und dem Temperaturniveau ab. Eine Studie der TU Braunschweig zeigt, dass selbst in kalten Wintern die Wärmeversorgung über Flusswärmepumpen in Deutschland nahezu durchgehend möglich ist. Eventuelle Ausfalltage sind äußerst selten und lassen sich technisch oder durch hybride Systeme, etwa mit Biomasse, ausgleichen.“
Vorteile der Kombination von Flusswärmepumpen und Wasserkraftanlagen
„Die Kombination ist besonders sinnvoll: Zum einen nutzen Wasserkraftanlagen bereits den gesamten mittleren Abfluss (Qm) und es kann die bestehende Anlagenstruktur, zum Beispiel Aus- und Einleitungsbauwerke, Rechen, Fischwanderhilfen, genutzt werden. Dadurch ist eine Wasserentnahme bereits genehmigt und Genehmigungsverfahren für Wärmepumpennutzung können an bestehende Wasserkraftgenehmigungen angegliedert werden. Diese Kombination schafft „Wasser-Wärme-Kraftwerke“ mit dualer Nutzung und erhöht die Wirtschaftlichkeit der bestehenden Anlagen durch gleichzeitige Strom- und Wärmeerzeugung. Sie schafft zudem die Basis für weitere Investitionen in den langfristigen Erhalt bestehender Anlagen und die Nachhaltigkeit. Zum anderen produzieren Wasserkraftwerke den Strom, der für den Betrieb von Wärmepumpen nötig ist. Sie sind bereits an bestehende Ver- und Entsorgungsinfrastruktur angeschlossen, lediglich der Anschluss an ein Wärmenetz muss ergänzt werden. Die allgemeine Systemdienlichkeit der Wasserkraft wird so gestärkt: grundlastfähig, regelbar, netzstabilisierend.“
Notwendige Gewässer- und Anlagengröße
„Schon kleine Wasserkraftanlagen mit 4-10 kW elektrischer Leistung können 1-10 MW Wärmeleistung erbringen. Anlagen mit 50-100 kW Strom erzeugen bereits 10-100 MW Wärme, was für Quartiere oder Städte ausreicht. Also gelten hier auch ‚kleine‘ Wasserkraftanlagen als große Wärmeerzeuger. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit ist allgemein, dass die Wärme auch in der Nähe des Wasserkraftstandortes genutzt werden kann. Daher sind insbesondere Wasserkraftwerke in Städten besonders attraktiv für dieses Potential. Der erzeugte Strom aus der Wasserkraftanlage kann direkt vor Ort für den Betrieb der Wärmepumpe genutzt werden, was die Systemintegration verbessert und Netzverluste reduziert sowie Netzentgelte vermeidet. Die Technologie ist seit Jahrzehnten erprobt. Beispiel: Die Wärmepumpe im Züricher Rathaus arbeitet seit 1937 mit Flusswasser. Es sind keine neuen technologischen Durchbrüche notwendig, sondern primär eine systematische Erschließung und Planung.“
„Ungenutzte Querbauwerke oder stillgelegte Kraftwerke können reaktiviert und für die Wärmenutzung erschlossen werden. Eine Studie der TU Braunschweig [4] zeigt, dass viele dieser Standorte ein großes Potenzial bieten, auch ohne Reaktivierung zur Stromgewinnung.“
Mögliche Umweltfolgen durch Flusswärmepumpen
„Grundsätzlich ist die Wirkung auf Gewässertemperaturen positiv: Die Gewässer in Deutschland sind aufgrund des Klimawandels bereits um 2-4 °C wärmer geworden. Standortspezifisch muss die ökologische Verträglich betrachtet werden. Gegebenenfalls sind temperaturabhängige Grenzwerte für den Wärmeentzug zu definieren. Eine gezielte Abkühlung um circa 2 °C durch Wärmeentzug erhöht die Sauerstofflöslichkeit, was die Gewässerökologie verbessert. Dies kann Artenschwund entgegenwirken und entspricht den Zielen der EU-Wasserrahmenrichtlinie.“
Lehrstuhlinhaber Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik, Technische Universität Darmstadt
Potenzial von Flusswärmepumpen
„Aquathermie bezeichnet die Nutzung der Wärme aus Oberflächengewässern wie Flüssen und Seen für beispielsweise die Beheizung von Gebäuden. Im Vergleich zur Geothermie –Nutzung der Erdwärme – hat die Aquathermie den Vorteil, dass sie leicht zugänglich ist, weil Flüsse sich wie ein natürliches Fernwärmenetz durch unsere Landschaften ziehen und viele Metropolregionen und große Städte bereits an Flüssen liegen.“
„Aktuell wird die Nutzung der Luftwärme zur Heizung von Gebäuden mittels Wärmepumpen stark in der Öffentlichkeit fokussiert. Im Gegensatz zur Luft ist Wasser thermodynamisch gesehen viel effizienter: Wasser hat eine höhere Dichte und Wärmekapazität und kann dadurch mehr Wärme speichern als Luft. Das umweltverträglich nutzbare Wärmepotenzial unserer Flüsse und Seen ist enorm und reicht aktuellen Studien zufolge aus, um ganze Regionen mit ausreichend Wärmeenergie versorgen zu können [3] [4].“
Notwendige Gewässer- und Anlagengröße
„Nach bisheriger Einschätzung sollte den Gewässern im Winter bei Wassertemperaturen unter 4 °C nicht mehr allzu viel Wärme entzogen werden, weil dann Gefrierschäden an der Wärmeentnahmestelle entstehen können [5] [6].“
„Aquathermie ist grundsätzlich an allen Gewässern möglich. Technisch notwendig ist eine ausreichende Wassertiefe zur Installation des Wärmeentnahmesystems. Dazu sind Planungen und Bemessungen unter Berücksichtigung standortspezifischer Gegebenheiten von Fachleuten notwendig.“
„Bei der Nutzung von Wärme aus Oberflächengewässern kann es zu Interessenskonflikten mit anderen Nutzungen des Gewässers kommen. Dazu zählen beispielsweise Flächenkonkurrenz mit der Schifffahrt oder Konkurrenz um das Wasserdargebot mit der Wasserversorgung – insbesondere im Sommer oder bei Niedrigwasser. Empfohlen wird der Einsatz von Flusswärmepumpen aktuell überall dort, wo bereits Infrastruktur am Gewässer besteht, beziehungsweise in der Vergangenheit Gewässereingriffe vorgenommen wurden. Das können beispielsweise bestehende Kanäle oder Wasserkraftanlagen sein. Auch (thermisch aktivierte) Spundwände an Ufer- und Kaimauern, Hafenbecken oder Wasserentnahmeanlagen von Industrie und Gewerbe kommen infrage. Soll die Gewässerwärme in unverbauten natürlichen Gewässerbereichen genutzt werden, entsteht ein Spannungsfeld zwischen Wärmebereitstellung und umweltverträglichem Eingriff am Gewässer selbst. Hier kommt es dann besonders auf eine naturverträgliche Auslegung der Flusswärmepumpen und deren Komponenten an.“
Vorteile der Kombination von Flusswärmepumpen und Wasserkraftanlagen
„Bestehende Mühlkanäle oder Triebwasserleitungen, die einen Teil des Flusswassers zur Turbine einer Wasserkraftanlage leiten, bieten häufig günstige Bedingungen für die Flusswärmenutzung. In der Regel wird das entnommene Triebwasser bereits bei seiner Ausleitung aus dem Fluss mittels Rechen von Treibgut gereinigt, sodass auch die Flusswärmepumpe von grob gereinigtem Wasser profitieren kann. Die Wassertiefen- und Strömungsverhältnisse in Triebwasserkanälen sind häufig günstig zum Einbau von Wärmeübertragern und Nutzungskonflikte beispielsweise mit der Schifffahrt sind nicht gegeben. Die Wärmenutzung von Triebwasser ist insbesondere für viele Kleinwasserkraftanlagen eine gute Möglichkeit, wirtschaftliche Nachteile abzufedern. So lässt sich etwa die schrumpfende Förderung der Stromerzeugung aus Wasserkraft teilweise kompensieren. Ebenso wie Leistungseinbußen durch zusätzliche Wasserabgaben, die für den gesetzlich vorgeschriebenen Betrieb von Fischauf und -abstiegsanlagen erforderlich sind. Erste erfolgreiche Fallbeispiele dazu zeigen zudem an, dass der durch Wasserkraft erzeugte Strom für den Betrieb einer Flusswärmepumpe sehr gut genutzt werden kann [7] [8].“
„Sowohl Wärmepumpen als auch technische Lösungen zur Wasserentnahme sind aus anderen Nutzungsbereichen schon bekannt. Wärmeübertrager, die in die Oberflächengewässer eingesetzt werden, können aus der Geothermie oder der Industrie adaptiert werden. Hier kann die Effizienz allerdings noch gesteigert werden, wenn die Wärmeübertrager speziell auf die Anforderungen im Oberflächengewässer angepasst werden. Außerdem kann der Betrieb des Wärmeentnahmesystems effizienter gestaltet werden, indem die Wahl von Durchflüssen und Temperaturgrädigkeiten (bestimmen Richtung und Intensität des Wärmestroms; Anm. D. Red.) im System optimiert wird.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Frau Jessika Gappisch M.Sc., die gemeinsam mit Prof. Dr. Boris Lehmann im Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik arbeitet.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Software-Ingenieur, Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), München
Gemeinsames Statement mit Simon Koderer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektingenieur, Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), München
Joachim Ferstl und Simon Koderer:
„In der Studie [3] hat die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) ein theoretisches Potenzial für Flusswasserwärmepumpen in Bayern von rund 230 TWh Wärmeenergie pro Jahr ausgewiesen. Dem gegenüber steht ein Raumwärmebedarf von etwa 140 TWh pro Jahr in Bayern (ohne Industriesektor). Eine Studie der TU Braunschweig [4] kommt in einer deutschlandweiten Untersuchung auf ein ‚ökologisch nutzbares Fließgewässerwärmepotenzial von 860 bis 900 TWh pro Jahr‘.“
„Die Analyse der FfE hat für Bayern gezeigt, dass eine ganzjährige Deckung des Wärmebedarfs aufgrund saisonaler Schwankungen der Abflussmengen nicht flächendeckend, aber trotzdem bei etwa einem Fünftel aller bayerischen Gemeinden theoretisch möglich ist. Auch kleinere Fließgewässer können für Aquathermie genutzt werden, wie das Beispiel der Wärmepumpe am Rosenheimer Mühlbach zeigt.“
Vorteile der Kombination von Flusswärmepumpen und Wasserkraftanlagen
„Eine Kombination von Flusswasserwärmepumpen mit bestehenden Wasserkraftanlagen ist grundsätzlich sinnvoll. Bei der Errichtung von neuen Flusswasserwärmepumpen kann so auf die bestehende Wasserentnahmeinfrastruktur der Wasserkraftanlagen zurückgegriffen werden. Dies verhindert weitere Eingriffe in das Ökosystem und das Zurückgreifen auf Bestandsgenehmigungen ermöglich darüber hinaus eine schnellere Realisierung des Bauvorhabens. Auch aus energetischer Sicht ist eine solche Kombination sinnvoll. So kann aus jeder Kilowattstunde Strom das 2,5–3-fache an Wärme gewonnen werden. Damit können auch kleinere Wasserkraftanalgen einen Beitrag zur Wärmebereitstellung leisten.“
„Die Flusswasserwärmepumpe ist eine sehr alte und nun wiederentdeckte Technologie. Bereits seit 1938 wird das Züricher Rathaus durch eine Flusswasserwärmepumpe beheizt. Moderne Anlagen sind bereits in Mannheim und Rosenheim zuverlässig im Einsatz und zeigen, dass die technischen Lösungen ausreichend vorhanden sind. Hemmnisse für die flächendeckende Verbreitung ergeben sich jedoch durch die Regulatorik.“
Leiter der Arbeitsgruppe Aquatische Ökosystemforschung, Universität Duisburg-Essen
Mögliche Umweltfolgen durch Flusswärmepumpen
„Temperatur bestimmt grundlegende physiologische und entwicklungsbiologische Prozesse in vielen Gewässerorganismen, zum Beispiel die Dauer der Entwicklung, den Zeitpunkt der Fortpflanzung et cetera. Das heißt, Veränderungen in der Temperatur können Lebensgemeinschaften stark verändern und müssen mit großer Vorsicht geplant werden. Zwei Grad kälter im Winter kann durchaus bedeuten, dass sich die Entwicklungszyklen von Organismen deutlich verlängern, was zum Beispiel einen späteren Schlupf von Insekten oder eine geringere Größe beziehungsweise Biomasse bedeuten kann. Fließgewässer sind mit Blick auf Temperatur jedoch sehr heterogene Systeme und unterliegen einer starken Fluktuation im Verlaufe eines Jahres und über die Jahre hinweg. Daran sind viele Organismen grundsätzlich angepasst.“
„Grundsätzlich ist aus meiner Sicht in unseren Flüssen ein Wärmeentzug im Vergleich zu einer Wärmezufuhr positiver zu betrachten, da die Gewässer in den letzten Jahrzehnten durch vermehrte Wärmezufuhr belastet wurden – durch Warmwasser aus Industrie, Kläranlagen, fehlende Beschattung, Niedrigwasser, Hitzewellen. Dies hat die Ausbreitung toleranter gebietsfremder Arten begünstigt und einen Rückgang eher kälteliebender einheimischer Arten vorangetrieben. Besonderes Problem stellen Hitzewellen im Sommer mit vermehrten Algenblüten – auch toxischen – und Sauerstoffdefiziten dar.“
„Mit Blick auf die Nutzung von Flusswasser für Wärmepumpen lässt sich keine pauschale Größe zur Verringerung der Temperatur nennen. Vielmehr ist eine fallbezogene, Gewässertyp-spezifische Umweltprüfung erforderlich. Diese sollte insbesondere das natürliche Temperaturprofil des Gewässers, dessen Schwankungen im Jahresverlauf und die Entwicklungsbiologie der im Gewässer vorkommenden Leitarten unter naturnahen Bedingungen berücksichtigen. Wichtiges Thema muss dabei die Art und Weise der Rückführung des kalten Wassers sein. Ohne besonderer Experte zu sein, erscheint mir eine schnelle Durchmischung im Freiwasserkörper wichtig, da sonst auf dem Boden die Lebensgemeinschaften, insbesondere auch Laich, negativ beeinträchtigt werden kann.“
Leiterin des Teams Verteilte Energieversorgung und Märkte, Abteilung Power Solutions, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), Freiburg im Breisgau
Potenzial von Flusswärmepumpen
Dr. Jessica Thomsen und Dr. Karsten Rinke haben sich gemeinsam geäußert:
„Eine verlässliche Quantifizierung für das Bundegebiet existiert noch nicht und ist Ziel unseres Projektes FluSeeQ. Als nutzbare Gewässertypen kommen Seen und Flüsse in Frage. Eine Quantifizierung des Potenzials hängt hierbei im Wesentlichen von den folgenden Faktoren ab. Dazu zählen die verfügbare Wassermenge – also das Volumen bei Seen und der Durchfluss bei Fließgewässern, die erlaubbare Temperaturdifferenz sowie die absolute Temperatur in der Heizperiode. Für Deutschland ist das Potential der Fließgewässer deutlich höher als für die Seen. Kleine Seen und Fließgewässer sind ungeeignet, da die Wärmeentnahmen das Temperaturregime zu stark beeinflussen. Genaue Grenzwerte gibt es aber auch hier noch nicht. Diese hängen natürlich auch davon ab, wie große die Wärmeentnahme dimensioniert ist. In der Diskussion sind Temperatursenkungen von 1-2 Kelvin und bei Fließgewässern ein Mindestabfluss von 0,5 Kubikmetern pro Sekunde und einer Mindestwassertiefe von 20 Zentimetern.“
„Das theoretische Wärmepotenzial übersteigt das nutzbare Potenzial erheblich. Letzteres wird nicht nur durch die maximale Temperatursenkung eingeschränkt, sondern auch durch weitere Faktoren: die Entfernung zur Wärmenachfrage, die Vorlauftemperatur des zu versorgenden Wärmenetzes sowie die Dimensionierung auf eine gesicherte Leistung. Das heißt, dies ist dann die Leistung, die auf Basis bisheriger Daten zum Durchfluss beziehungsweise Volumen und dem Temperaturverlauf gesichert über das ganze Jahr hinweg entnommen werden kann. In folgenden Veröffentlichungen finden sich Erläuterungen zur Methodik, um diese Potenzialermittlung durchzuführen [9].“
Wie im Artikel erläutert, ist der zu deckende Anteil der Nachfrage in einem Wärmenetz durch die Nutzung von Gewässern als Quelle für eine Großwärmepumpe stark standortabhängig. Neben den oben genannten Faktoren zur Ermittlung der im gesamten Jahresverlauf entziehbaren Leistung kommen hier zusätzlich die Faktoren Vorlauftemperatur im Wärmenetz und der Wärmelast ins Spiel. An manchen Standorten kann die gesamte Jahreswärmelast gedeckt werden, an anderen reicht die Flusswärme im Sommer aus, im Winter aber nur für weniger als 20 Prozent des Bedarfs [10]. Eine deutschlandweite Kartierung des theoretischen und technischen Potenzials erarbeiten wir aktuell im Projekt FluSeeQ, mit einer Fertigstellung ist 2026 zu rechnen.“
Leiter des Department Seenforschung, Themenbereich Wasserressourcen und Umwelt, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Magdeburg
Mögliche Umweltfolgen durch Flusswärmepumpen
„Die EU-Wasserrahmenrichtlinie schreibt im Artikel 4 das ‚Verschlechterungsverbot‘ für den ökologischen Zustand der Gewässer vor. Das heißt, kein Eingriff darf den ökologischen Zustand verschlechtern. Als Basis für eine Beurteilung von Temperaturabsenkungen wurden kritische Temperaturbereiche von Fischarten genutzt, denn Fische reagieren sensitiv auf Temperaturänderungen, zum Beispiel hinsichtlich des Laichzeitpunktes. Im Grunde sind sich auch alle Beteiligten einig, dass wir mit einer hydrothermischen Nutzung unseren Gewässern nicht degradieren wollen, aber die genaue Ausgestaltung ist noch nicht definiert. Als problematische Folge dieser Ungewissheit bezüglich der Beurteilung der ökologischen Auswirkungen ist ein Entscheidungsstau feststellbar, da die betroffenen Behörden keinen Empfehlungs-Rahmen für die Genehmigungen haben. Hier erarbeitet die LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) eine Empfehlungs-Richtlinie zur ökologischen Beurteilung.“
„Auch im Forschungsprojekt FluSeeQ wird eine ökologische Beurteilung erarbeitet. Wir wollen hier insbesondere auch die lokalen Verhältnisse mitberücksichtigen. Zum Beispiel welche Wärmebelastungen – etwa aus Großkraftwerken oder Abwasser – vor Ort vorliegen. Hier wäre eine Wärmeentnahme eher eine Restoration als eine Belastung. Oder welche Mehrfachnutzungen liegen flussaufwärts und -abwärts vor, welche Erwärmung der Gewässer ist bereits klimatisch realisiert und wie entwickelt sich das in Zukunft? Eine Wärmeentnahme kann auch als Maßnahme zur Eindämmung des Klimawandels genutzt werden. Dies ist auch für Seen sehr relevant und kann die Durchmischung unterstützen. Und schließlich sollten die Schwankungsbreiten der Wasserverfügbarkeiten heute und in Zukunft berücksichtigt werden.“
„Ich habe keine Interessenskonflikte. Das Fraunhofer ISI berät als unabhängige wissenschaftliche Institution die Bundesregierung und die Europäische Kommission im Themenbereich Wärmewende.“
„Ein Interessenskonflikt bei Ihrer aktuellen Anfrage sehe ich bei mir nicht.“
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
„Keine Interessenkonflikte.“
„Keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Forschungs-Verbundvorhaben EnEff:Wärme FLuSeeQ – Nutzung thermischer Potenziale von Oberflächengewässern durch Wärmeentzug mittels belastbarer Regulatorik und neuer Technologie zur Quellenerschließung.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] UBA (2025): Nutzung der Wasserkraft. Online-Veröffentlichung, Stand 17.03.2025.
[2] Manz P et al. (2024): Spatial analysis of renewable and excess heat potentials for climate-neutral district heating in Europe. Renewable Energy 224. DOI 10.1016/j.renene.2024.120111.
[3] Forschungsstelle für Energiewirtschaft FfE (2024): Wärmepumpen an Fließgewässern. Analyse des theoretischen Potenzials in Bayern.
[4] Seidel C et al. (2024): Potenzialuntersuchung der Grünen Nah- und Fernwärmegewinnung aus Fließgewässern in Deutschland unter Berücksichtigung der Nutzungsmöglichkeiten von Wasserkraftanlagen und Querbauwerken für die Entwicklung kombinierter Wasser-Wärme-Kraftwerken.
[5] Gaudard A et al. (2019): Using lakes and rivers for extraction and disposal of heat: Estimate of regional potentials. Renewable Energy. DOI: 10.1016/j.renene.2018.10.095.
[6] Marotz, G (1977): Der Einsatz von Wärmepumpen in fließenden Gewässern –Wasserwirtschaftliche und betriebliche Aspekte. Wasserwirtschaft 1977, 67, 376–381.
[7] Kreutzadler N (2019): Energie-Kraftwerk mitten in der Stadt Paderborn. Wasserkraft & Energie 3/2019.
[8] Kölbel S (2022): Pilotprojekt zur thermischen Energiegewinnung: Energieautakres Wassermühlenwerk. Wasserkraft & Energie 1/2022.
[9] Fuchs N et al. (2025): Evaluating low-temperature heat sources for large-scale heat pump integration: A method using open-source data and indicators. Applied Energy. DOI: 10.1016/j.apenergy.2024.124487.
[10] Paitazoglou R et al. (2024): Analyse von Wärmequellen für den Einsatz von Großwärmepumpen in Wärmenetzen. Euroheat & Power. Fernwärme International.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD.
[II] und [1] UBA (2025): Nutzung der Wasserkraft. Online-Veröffentlichung, Stand 17.03.2025.
Dr. Anna Billerbeck
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Competence Center Energiepolitik und Energiemärkte, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenskonflikte. Das Fraunhofer ISI berät als unabhängige wissenschaftliche Institution die Bundesregierung und die Europäische Kommission im Themenbereich Wärmewende.“
Prof. Dr. Gerhard Haimerl
Dekan Bauingenieurwesen und Projektmanagement, Institut für Geo und Umwelt, Hochschule Biberach
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ein Interessenskonflikt bei Ihrer aktuellen Anfrage sehe ich bei mir nicht.“
Prof. Dr. Boris Lehmann
Lehrstuhlinhaber Fachgebiet Wasserbau und Hydraulik, Technische Universität Darmstadt
Joachim Ferstl
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Software-Ingenieur, Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), München
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
Simon Koderer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektingenieur, Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE), München
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
Prof. Dr. Florian Leese
Leiter der Arbeitsgruppe Aquatische Ökosystemforschung, Universität Duisburg-Essen
Dr. Jessica Thomsen
Leiterin des Teams Verteilte Energieversorgung und Märkte, Abteilung Power Solutions, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), Freiburg im Breisgau
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte.“
Dr. Karsten Rinke
Leiter des Department Seenforschung, Themenbereich Wasserressourcen und Umwelt, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Magdeburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte.“