NRW reformiert seine Krankenhäuser: Bewertung und Zukunft
deutliche Konzentration bei komplizierten Eingriffen erkennbar
höherer Bedarf bei Kinder- und Jugendpsychiatrie
Fachleute sehen wegweisende Reform für die Behandlungsqualität, warnen aber vor einer möglichen stärkeren Belastung der spezialisierten Zentren
Am 1. April tritt in Nordrhein-Westfalen die Krankenhausreform in Kraft. NRW ist damit das erste Bundesland, das die Versorgungsplanung grundlegend ändert. Die bundesweite Klinikreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach beruht in weiten Teilen auf dem Konzept aus NRW. Ziel der Reform ist es, die medizinische Versorgung durch Spezialisierung und Qualitätsstandards zu verbessern.
Direktor des Instituts für Gesundheitsversorgungsforschung und Klinische Epidemiologie, Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg
Allgemeine Beurteilung der Klinikreform in NRW
„Ein wichtiger Schritt, der in die richtige Richtung geht und die Krankenhausreform für ganz Deutschland vorzeichnet: Nur diejenigen Krankenhäuser sollten bestimmte Leistungen erbringen, die die dazu notwendige Ausstattung (in Bezug auf Personal und Technik) und Expertise vorhalten.“
Grundversorgung
„Wenn man sich im Dashboard des SMC die Bereiche Allgemeine Chirurgie und Allgemeine Innere anschaut, dann sind dort nur minimale Veränderungen bei den Standorten zu erkennen, sodass für die Bürger keine Einschränkung der Flächendeckung beziehungsweise Erreichbarkeit zu erwarten ist. Die Veränderungen betreffen zumeist nur die Anzahl der jeweils genehmigten Fallzahlen, die in den meisten Fällen im Vergleich zu den von den Kliniken beantragten Fallzahlen nur geringfügig nach unten korrigiert wurden.“
Konzentrierung im Bereich Endoprothetik Knie und Pankreaseingriffe
„Bei der Knieendoprothetik und deren Revision wird tatsächlich eine stärkere Konzentration auf Krankenhäuser mit bereits hohen Fallzahlen durchgeführt. Da hier flächendeckend in NRW eine Vielzahl von Kliniken verbleibt, kommt es nur in wenigen Regionen zu längeren Fahrtzeiten; diese sollten aber bei diesen elektiven Eingriffen in Kauf genommen werden, da das Argument einer wahrscheinlich höheren Versorgungsqualität überzeugen sollte.“
„Bei Pankreaseingriffen findet eine Konzentration der Versorgung statt; bundesweit sind seit Einführung der Mindestmenge auch weiterhin viele Kliniken zu verzeichnen, die diese hochkomplexen Eingriffe durchführen, ohne die jeweilige Mindestmenge zu erreichen. Gerade in Westfalen werden hier die beantragten Eingriffe nun oftmals nicht bewilligt, so dass längere Fahrtzeiten für Patient:innen zu erwarten sind; auch hier sollte das Argument der zu erwartenden höheren Expertise und besseren Qualität angeführt werden. Jedoch muss die Auswirkung auf die verbleibenden Kliniken genau evaluiert werden, deren Kapazitäten nicht überfordert werden sollten.“
Direktor der Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Erlangen und Erster Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Leber, Galle und Pankreas (CALGP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Viszeralchirurgie (DGAV)
Allgemeine Beurteilung der Klinikreform in NRW
„Die Reform verfolgt das Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung durch eine Konzentration auf leistungsfähigere Standorte zu steigern. Dies ist insbesondere in hochkomplexen chirurgischen Bereichen wie der Pankreaschirurgie sinnvoll, da eine höhere Fallzahl und größere Erfahrung nachweislich mit besseren Behandlungsergebnissen korrelieren.“
„Allerdings bringt die Reform auch Herausforderungen mit sich: In ländlichen Regionen könnte es zu einer potenziellen Unterversorgung kommen, während verbleibende Zentren durch steigende Patientenzahlen zusätzlich belastet werden. Zudem bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Finanzierung und praktischen Umsetzung. Ein weiteres Problem betrifft die chirurgische Ausbildung, da die Reduktion dezentraler OP-Gelegenheiten die Weiterbildung beeinträchtigen könnte.“
„Kurzgefasst: Das Ziel der Reform ist eine Qualitätssteigerung durch Spezialisierung. Vorteile sind bessere Behandlungsergebnisse durch höhere Fallzahlen. Herausforderungen bestehen in der Belastung der Zentren und unklarer Finanzierung. Weniger dezentrale OP-Möglichkeiten könnten die ärztliche Weiterbildung erschweren.“
Konzentrierung im Bereich Pankreaseingriffe
„Die Krankenhaussterblichkeit nach Pankreaseingriffen in Deutschland liegt bei etwa zehn Prozent, was eine Spezialisierung in diesem Bereich erforderlich macht [1]. Eine Zentralisierung dieser Eingriffe führt nachweislich zu besseren Ergebnissen, darunter einer geringeren Komplikationsrate, zu einer signifikant niedrigeren Mortalität und zu besseren Langzeitergebnissen [2].“
„Allerdings gibt es Bedenken hinsichtlich potenzieller Fehlanreize: Kliniken könnten ohne ausreichende Expertise Anträge auf die entsprechenden Leistungsgruppen stellen. Daher ist eine kritische Überprüfung durch Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) sowie Zertifizierungen durch Institutionen wie die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) essenziell.“
„Erfolgsfaktoren für eine qualitativ hochwertige Versorgung sind unter anderem eine leistungsfähige Intensivstation, eine rund um die Uhr verfügbare interventionelle Radiologie sowie erfahrene Pflegekräfte. Besonders wichtig ist zudem die Expertise der Operateure, um die sogenannten Failure-to-rescue-Fälle zu minimieren (Verstorbene nach erlittener, schwerer, aber prinzipiell behandelbarer Komplikation, Indikator für die Versorgungsqualität eines Krankenhauses; Anm. d. Red.).“
„Kurzgefasst: Es gibt die Notwendigkeit der Spezialisierung bei Pankreaseingriffen wegen einer hohen Mortalitätsrate. Es gibt nachweislich bessere Ergebnisse durch eine Zentralisierung. Das Risiko von Fehlanreizen besteht: Deswegen ist eine Überprüfung durch Fachgesellschaften notwendig. Erfolgsfaktoren für Pankreaseingriffe sind Strukturqualität, Operateur-Erfahrung und spezialisierte Infrastruktur.“
Auswirkungen auf die zukünftige Versorgungsqualität
„Die Konzentration der Pankreaschirurgie an spezialisierten Zentren dürfte die Versorgungsqualität insgesamt verbessern, da Kliniken mit der notwendigen Infrastruktur, Erfahrung und interdisziplinären Anbindung diese Eingriffe durchführen. Dies könnte zu einer Verringerung von Komplikationen, einer Reduktion der Mortalitätsrate sowie zu besseren Langzeitergebnissen führen.“
„Jedoch bleibt abzuwarten, ob die verbleibenden Kliniken die steigende Patientenzahl bewältigen können. Besonders in der onkologischen Chirurgie ist eine schnelle OP-Versorgung entscheidend, doch der bereits bestehende Pflegepersonalmangel, insbesondere im OP-Bereich, könnte hier eine zentrale Herausforderung darstellen.“
„Kurzgefasst: Durch die Klinikreform ist eine Verbesserung der Versorgungsqualität zu erwarten. Es kommt zu einer Reduktion von Komplikationen und Mortalität. Es besteht Unsicherheit über die Kapazitäten der verbleibenden Kliniken. Pflegepersonalmangel ist hierbei ein kritischer Faktor.“
Erreichbarkeit versus Qualitätssteigerung
„Ein oft genanntes Argument gegen die Zentralisierung ist die längere Anfahrtszeit für Patient:innen, insbesondere in ländlichen Regionen. Allerdings dürfte dies in Nordrhein-Westfalen aufgrund der hohen Krankenhausdichte nur eine untergeordnete Rolle spielen.“
„Die Qualitätssteigerung durch Spezialisierung sollte den geringen Nachteil der längeren Anfahrtswege deutlich überwiegen. Zudem können enge Kooperationen zwischen spezialisierten Zentren und regionalen Krankenhäusern, Telemedizin und eine strukturierte Nachsorge helfen, mögliche Nachteile auszugleichen.“
„Kurzgefasst: Die Erreichbarkeit spielt in NRW aufgrund hoher Krankenhausdichte eine geringe Rolle. Die Qualitätssteigerung überwiegt potenzielle Nachteile. Telemedizin und Kooperationen könnten Lösungsansätze sein.“
Chefarzt des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie & Sportmedizin, Gemeinschaftskrankenhaus Bonn und Vorsitzender der Zertifizierungskommission EndoCert der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
Allgemeine Beurteilung der Klinikreform in NRW
„Die Reform ist aus volkswirtschaftlicher und gesundheitspolitischer Sicht überfällig und dringend erforderlich. Es ist Aufgabe und Pflicht des Ordnungsgebers, die Krankenhauslandschaft sinnvoll zu gestalten und damit eine Verbesserung der Patientenversorgung bei gleichzeitiger Begrenzung des erforderlichen Mitteleinsatzes anzustreben. Dies gilt insbesondere bei hochkomplexen und planbaren Eingriffen.“
Konzentrierung im Bereich Endoprothetik Knie
„Die Konzentration des Leistungsangebots führt zu höheren Fallzahlen je Klinik und idealerweise auch je Operateur. Für viele Bereiche der Medizin ist der sogenannte Volume-Outcome Effekt nachgewiesen, bei dem die Steigerung der Fallzahlen zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität beiträgt.“
„Bereits seit dem Jahr 2012 besteht die Möglichkeit, sich als Endoprothetikzentrum oder Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung zertifizieren zu lassen (EndoCert). Bei dieser Zertifizierung handelt es sich um ein durch die wissenschaftliche Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC), eingeführtes System. Es hat das Ziel, durch die Erfüllung von Anforderungen im Bereich der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität die Versorgung der Patienten auf dem Gebiet des Gelenkersatzes zu verbessern. Ein Kernelement ist dabei die Forderung nach Mindestfallzahlen für jede zertifizierte Einrichtung, aber auch für jeden dort tätigen Operateur. Die Konsequenz daraus ist ebenfalls eine Konzentration von Leistungen an dafür spezialisierten Zentren.“
„Ein positiver Nebeneffekt ist dabei auch die konzentrierte Vorhaltung der für diese Eingriffe erforderlichen, oft sehr aufwendigen Instrumente und Implantate. Dies gilt vor allem für die in den allermeisten Fällen gut planbaren Eingriffe im Bereich der Endoprothetik.“
„Entscheidende Bedeutung hat eine sorgfältige Indikationsstellung bei Gelenkersatzoperationen. Daher ist die Beachtung der dafür von der wissenschaftlichen Fachgesellschaft erarbeiteten Leitlinien so wichtig. Krankenhäuser, die nach EndoCert zertifiziert sind, verpflichten sich zur Einhaltung der aufgestellten Vorgaben auch im Bereich der Indikationsstellung, sodass der mögliche Einfluss finanzieller Fehlanreize reduziert werden kann.“
Auswirkungen auf die zukünftige Versorgungsqualität
„Idealerweise kommt es wie beschrieben zu einer Verbesserung der Versorgungsqualität durch Konzentrierung der Leistungen an dafür spezialisierten Zentren. Es ist dabei jedoch wichtig, dass an diesen Zentren genug Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um die notwendigen Eingriffe auch erbringen zu können, ohne dass es zu unzumutbaren zeitlichen Verzögerungen für die Patienten oder zu einer Überlastung des Personals kommt.“
Erreichbarkeit versus Qualitätssteigerung
„Die kurzfristige Erreichbarkeit eines Krankenhauses ist insbesondere für akute Erkrankungen und Notfälle wichtig. Dies wurde in der NRW-Reform für derartige Krankheitsbilder und Versorgungsmöglichkeiten beachtet.“
„Für hochkomplexe und planbare Eingriffe tritt die örtliche Nähe im Vergleich zur optimierten Versorgung in den Hintergrund. Die übliche Dauer des stationären Aufenthalts bei Primäreingriffen im Bereich der Endoprothetik liegt zudem nur noch bei wenigen Tagen. Damit ist auch das Argument der Erreichbarkeit für Besucher weitgehend entkräftet.“
Kritische Aspekte
„Bei allen positiven Aspekten führen derartige Maßnahmen zwangsläufig auch zu belastenden und gegebenenfalls auch existenzbedrohenden Situationen bei den Menschen, die bisher oft auch sehr erfolgreich an jetzt nicht mehr zugelassenen Standorten endoprothetische Eingriffe durchgeführt haben. Jedoch werden viele Menschen, die in diesem Bereich tätig waren und dies auch weiter sein wollen, die Möglichkeit haben, ihr Know-how an den jetzt zugelassenen Standorten weiterhin einzubringen. Dies gilt für die Pflege, die OP-Assistenz und für ärztliches Personal gleichermaßen.“
„Zudem stellt die Umsetzung der im Grunde sinnvollen Maßnahmen eine große Herausforderung an die Systemverantwortlichen dar: Eine überbordende Bürokratisierung durch übermäßig perfektionierte und zu detaillierte Überprüfungsmethoden kann die positiven Ansätze gefährden kann.“
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, und Mitglied der ehemaligen Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
„Die Zuweisung der Leistungsgruppen stellt für die Krankenhausplanung und die Krankenhäuser eine große Herausforderung dar. Insbesondere die Krankenhäuser müssen sich nun vielfach auf die Erbringung anderer Leistungen vorbereiten. Das wird ohne eine finanzielle Unterstützung oft nicht gehen; insoweit ist es zu begrüßen, dass ein Transformationsfonds eingerichtet werden soll. Zuvor muss aber sichergestellt werden, dass die Häuser die Reform überhaupt noch erleben; bisher wurden die Kostensteigerungen der letzten Jahre nicht hinreichend ausgeglichen. Eine ,kalte Marktbereinigung‘ darf es hier nicht geben, da darunter gerade die für die Versorgung besonders wichtigen Häuser leiden würden. Kurzfristig Liquiditätshilfen sind daher wohl unausweichlich.“
Chefarzt der Orthopädischen Klinik, Herzogin-Elisabeth-Hospital, Braunschweig, und Prüfer der Ärztekammer Niedersachsen sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, zudem Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik
Allgemeine Beurteilung der Klinikreform in NRW
„Die Veränderungen durch die Reform in NRW sind gravierend. Ich kann mich hier nur auf die endoprothetischen Leistungsgruppen beschränken, da ich nur diese adäquat beurteilten kann: Betrachtet man die Zahl der sich um die Endoprothetik bewerbenden Kliniken, wurden bei der Primärendoprothetik nur etwa 60 Prozent der Häuser, die sich beworben haben, genehmigt. Die meisten sind – bezogen auf die beantragte Menge – nur teilweise genehmigt worden, ein geringer Anteil ist vollständig genehmigt worden und nur wenige Kliniken haben mehr genehmigt bekommen, als sie beantragt haben.“
„Bei der Leistungsgruppe Revision Hüft- und Revision Knieendoprothetik stellt sich die Situation noch deutlicher dar. Hier sind etwa 60 Prozent nicht genehmigt worden, ein Teil wurde nur teilweise genehmigt und nur wenige Anträge wurden vollständig oder mit höheren Volumina genehmigt. Es lässt sich also feststellen, dass sich über die zugeteilten Leistungsgruppen die Kliniklandschaft gravierend verändert hat.“
Finanzielle Fehlanreize
„Die Endoprothetik hat seit Langem den Ruf, finanzielle Fehlanreize zu setzen. Als Leiter einer großen norddeutschen Orthopädie sehe ich hier die enormen Fehlanreize nicht mehr. Die Endoprothetik ist in den letzten Jahren derart abgewertet worden, dass die finanziellen Anreize hier definitiv nicht mehr vorhanden sind. Das war einmal ganz anders.“
„Endoprothesen sind nur noch lukrativ bei größeren Konzernen oder Klinikträgern, die die Prothesen sehr preiswert einkaufen – das kann ein normales Krankenhaus nicht. Das heißt: Um langfristig, adäquat und mit hoher Qualität Endoprothetik anbieten zu können, brauchen wir mehr Geld. Jährliche Lohnsteigerungen fressen die Basisfallwerterhöhung auf. Man hat also immer weniger Geld zur Verfügung. Dies führt zu einer zunehmenden Anzahl an Insolvenzen, die die flächendeckende Versorgung stört oder beeinflusst, dies gilt es, abzuwenden: Es muss geplant und zeitnah mehr Geld ins System gebracht werden. Wenn Kliniken schließen, müssen die Kliniken, die übrig bleiben, im Sinne einer Umverteilung ausreichend honoriert werden, um nicht weitere Lücken zu reißen. Dies würde zu einer ungeplanten Klinikschließung führen, so wie wir sie im Moment zum Teil schon haben. Das kann nicht im Sinne der Patienten, nicht im Sinne der Kostenträger und auch nicht im Sinne der Politik sein. Im Moment ist es von großem Wert, ein kommunales Krankenhaus zu sein, weil die Kommune für die Defizite aufkommt. Es gibt Großkliniken, die pro Jahr ein hohes Defizit haben, welches über Steuergelder ausgeglichen wird, dies verzerrt den Wettbewerb. Dies ist für kleine, nicht-kommunale Krankenhäuser oder für Stiftungen, wie wir eine sind, undenkbar: Wir müssen zumindest eine schwarze Null am Ende des Jahres schaffen. Das gelingt schon lange nicht mehr in jedem Krankenhaus.“
Konzentrierung im Bereich Endoprothetik Knie
„Eine Konzentrierung der Endoprothetik ist positiv zu bewerten. Im Moment gibt es bundesweit über 1000 Kliniken, die Hüfte- und Knie-Endoprothetik durchführen. Diese Zahl ist zu hoch, weil viele Kliniken davon weniger 100 Endoprothesen an Hüfte und Knie im Jahr implantieren. Es ist hier sicherlich sinnvoll, zu konzentrieren, Strukturen und Prozesse zu bewerten und auch eine Art Mindestmenge zu berücksichtigen. Denn aus der Literatur ist bekannt, dass jemand, der viel operiert oder dass eine Klinik, in der viel operiert wird, auch bessere Ergebnisse bietet. Zusammenfassend glaube ich, dass hier eine Konzentration die Qualität steigert. Natürlich sind mehr Anträge gestellt worden, als Prothesen in Nordrhein-Westfalen implantiert wurden. Aber dies ist vom Ministerium berücksichtigt worden und die Gesamtzahl scheint geringer zu sein als die Zahl der momentanen Operationen – und genau da liegt der Ansatz. Das primäre Ziel besteht darin, die Mengenanfälligkeit zu reduzieren und damit eine geringere Menge anzubieten.“
„Wenn so die Gesamtmenge der Fallzahlen bei der Verteilung reduziert wird, erwarten wir deutlich erhöhte Wartezeiten, insbesondere bei steigendem Bedarf. Im Moment betragen sie bei unserer Klinik schon zwischen vier und sechs Monaten. Also: Wenn die Zahl der Anbieter reduziert wird und den verbliebenen nicht erlaubt wird, mehr Fälle zu operieren, dann führt dies zu erhöhten Wartezeiten und damit kommt es indirekt zu einer Reduktion der Menge an Endoprothesen. Die etablierten Kliniken sind üblicherweise unter Volllast und können nicht noch mal eben Hunderte Endoprothesen mehr implantieren. Dafür müssten an diesen Standorten Ressourcen wie OP und Betten geschaffen werden, die dann in anderen Standorten wieder abgebaut oder umgewidmet werden können oder sollen.“
Auswirkungen auf die zukünftige Versorgungsqualität
„Wenn man unterstellt, dass eine Mindestmenge sinnvoll ist und zu einer höheren Qualität führt, ist zu erwarten, dass sich die Qualität der Endoprothetik verbessert, da kleinere Kliniken mit geringen Fallzahlen keine Berücksichtigung mehr finden. Wobei man hier vorsichtig sein muss: Wir sehen im Endoprothesenregister für Deutschland, dass es durchaus auch Kliniken mit kleinen Fallzahlen und guten Ergebnissen gibt. Aber zusammenfassend kann man sagen: Eine adäquate Mindestmenge – und die wird hier ohne den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über den Weg der Zuordnung der Leistungsgruppe definiert – führt basierend auf der aktuellen Literatur zu einer höheren Qualität, zu einer geringeren Mortalität und zu einer geringen Revisionsrate und damit zur Verbesserung der Versorgung.“
Erreichbarkeit versus Qualitätssteigerung
„Die Erreichbarkeit ist berücksichtigt worden. Man kann den Patienten zumuten, in 40 Minuten eine entsprechende Klinik zu erreichen. Ich bin der Meinung, dass im elektiven Bereich ‚Endoprothetik‘ auch längere Fahrzeiten in Kauf genommen werden können und sollten, um eine bessere Versorgung zu ermöglichen.“
„Bei der Vergabe der Leistungsgruppen – auch bundesweit – ist ganz klar geplant, die flächendeckende Versorgung aufrechtzuerhalten. Es wird für gewisse Bereiche Nachteile in der Erreichbarkeit geben. Wenn dies aber zu einer besseren Qualität führt, ist dies sicherlich positiv zu bewerten.“
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirats des Bundesgesundheitsministeriums sowie Mitglied der ehemaligen Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Allgemeine Beurteilung der Klinikreform in NRW
„Wer die Probleme der deutschen stationären Versorgung treffend charakterisiert, wird sagen: Es ist ein Anfang, immerhin, aber auch noch nicht mehr. Die Probleme lassen sich ja wie folgt umreißen: Wir haben zu viele, oftmals personell und technisch inadäquat ausgestattete Krankenhäuser mit zu vielen Betten – und behandeln in diesen Betten insgesamt zu viele Patientinnen und Patienten (pro Einwohner 50 Prozent mehr als in unseren Nachbarländern). Diese müssten entweder gar nicht stationär behandelt werden oder sie werden in Krankenhäusern behandelt, die personell und technisch nicht adäquat ausgestattet sind, also Fachärzte nachts nur in Rufbereitschaft vorhalten, keinen Linksherzkatheter haben, nicht für Krebsbehandlung zertifiziert sind – und trotzdem solche komplexen Behandlungen nicht regelmäßig vornehmen.“
Auswirkungen auf die zukünftige Versorgungsqualität
„Insbesondere das erste Problem der zu vielen stationären Behandlungen wird häufig nicht gesehen und entsprechend bei Krankenhausreformen auch nicht adressiert, obwohl es für hohe Kosten, Ineffizienzen und den gefühlten Personalmangel verantwortlich ist. Dies trifft auch auf NRW zu, was sich entschlossen hat, die Leistungsgruppen ,Allgemeine Innere Medizin‘ und ,Allgemeine Chirurgie‘ praktisch allen beantragenden Krankenhäusern zuzuteilen. Damit bleibt es für einen Großteil der stationären Versorgung beim bisherigen Überlastungszustand. Nicht nur werden die häufig nicht notwendigen Behandlungen weiter durchgeführt, sondern diese kosten auch unnötig Geld und binden Fachpersonal, das bei der Behandlung der notwendigen Fälle fehlt.“
„Besser sieht es bei Problem zwei – der mangelnden Ausstattung und Erfahrung – aus, was in NRW konsequenter angegangen wird, wie etwa die Leistungsgruppe ,Pankreaseingriffe‘ zeigt. Hier kommt es zu längst überfälligen Veränderungen – schließlich hätte das Problem bereits durch die seit vielen Jahren bestehende Mindestmengenregelung von zehn Bauchspeicheldrüseneingriffen pro Jahr gelöst sein sollen. Es bleibt zu hoffen, dass die Krankenhäuser sich nunmehr wirklich an die Krankenhausplanung halten und aufsichtführende Behörden und Krankenkassen nicht weiterhin die Augen zudrücken.“
„Die Krankenhausplanung hinsichtlich der komplexeren Leistungsgruppen leidet aber noch unter einem weiteren Schwachpunkt: Sie ist behandlungsbezogen und beschränkt sich auf ausgewählte Indikationen. So darf ein Patient mit Herzinfarkt weiterhin in allen 296 Krankenhäusern mit der LG ,Allgemeine Innere Medizin‘ behandelt werden – und nicht nur in den 141 mit der LG ,Interventionelle Kardiologie‘; und ein Patient mit Dickdarmkrebs weiterhin in allen 274 Krankenhäusern mit der LG ,Allgemeine Chirurgie‘ – und nicht nur in den 75 Häusern mit einem von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifizierten Darmkrebszentrum.“
„Ich habe im Bereich Schlaganfall Analysen für die Krankenhauskommission durchgeführt.“
„Ich war Berater des GKV-Spitzenverbands bei der Mindestmengenentscheidung in der Pankreaschirurgie für Deutschland.“
„Alle beantragten Leistungsgruppen im Bereich der Endoprothetik wurden meiner Klinik zugesprochen.“
„Ich habe ein Rechtsgutachten für die Deutsche Krankenhausgesellschaft zur Verfassungsmäßigkeit der Krankenhausvergütung erstellt.“
„Ich sehe bei mir keine Interessenkonflikte, was Leistungsgruppen und die Verteilung von Endoprothetik angeht.“
„Ich war von 2022 bis 2024 Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung und in dieser Rolle maßgeblich am Entwurf für eine bundesweite Krankenhausreform beteiligt.“
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Nimptsch U et al. (2016): Nationwide In-hospital Mortality Following Pancreatic Surgery in Germany is Higher than Anticipated. Annals of surgery. DOI: 10.1097/SLA.0000000000001693.
[2] Krautz C et al. (2018): Effect of Hospital Volume on In-hospital Morbidity and Mortality Following Pancreatic Surgery in Germany. Annals of surgery. DOI: 10.1097/SLA.0000000000002248.
[3] Krautz C et al. (2022): Minimum case volumes from the perspective of university providers. Der Chirurg. DOI: 10.1007/s00104-022-01604-z.
[4] Braumann C. et al. (2025): Riskanter Krankenhausplan – eine Umfrage unter ChefärztInnen in NRW: dramatische Auswirkungen in der Viszeralchirurgie. Die Chirurgie. DOI: 10.1007/s00104-025-02253-8.
Prof. Dr. Max Geraedts
Direktor des Instituts für Gesundheitsversorgungsforschung und Klinische Epidemiologie, Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe im Bereich Schlaganfall Analysen für die Krankenhauskommission durchgeführt.“
Prof. Dr. Robert Grützmann
Direktor der Klinik für Chirurgie, Universitätsklinikum Erlangen und Erster Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Leber, Galle und Pankreas (CALGP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Viszeralchirurgie (DGAV)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich war Berater des GKV-Spitzenverbands bei der Mindestmengenentscheidung in der Pankreaschirurgie für Deutschland.“
Dr. Holger Haas
Chefarzt des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie & Sportmedizin, Gemeinschaftskrankenhaus Bonn und Vorsitzender der Zertifizierungskommission EndoCert der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Alle beantragten Leistungsgruppen im Bereich der Endoprothetik wurden meiner Klinik zugesprochen.“
Prof. Dr. Stefan Huster
Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Ruhr-Universität Bochum, und Mitglied der ehemaligen Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe ein Rechtsgutachten für die Deutsche Krankenhausgesellschaft zur Verfassungsmäßigkeit der Krankenhausvergütung erstellt.“
Prof. Dr. Karl-Dieter Heller
Chefarzt der Orthopädischen Klinik, Herzogin-Elisabeth-Hospital, Braunschweig, und Prüfer der Ärztekammer Niedersachsen sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, zudem Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich sehe bei mir keine Interessenkonflikte, was Leistungsgruppen und die Verteilung von Endoprothetik angeht.“
Prof. Dr. Reinhard Busse
Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, und Mitglied des Fachbeirats des Bundesgesundheitsministeriums sowie Mitglied der ehemaligen Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich war von 2022 bis 2024 Mitglied der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung und in dieser Rolle maßgeblich am Entwurf für eine bundesweite Krankenhausreform beteiligt.“