Pubertätsblocker und sexuelle Zufriedenheit von Trans-Personen
Studie untersucht spätere sexuelle Zufriedenheit von Trans-Personen, die in ihrer Jugend mit Pubertätsblockern behandelt wurden
langfristige Folgen der Pubertätsunterbrechung bisher noch nicht gut erforscht, Einfluss auf spätere Lust, Erregung und Orgasmusfähigkeit befürchtet
Experten sind sich bezüglich der Aussagekraft der Studie uneins, plädieren aber für fundierte Langzeitstudien zur Bewertung von Pubertätsblockern
Eine durchlaufene Pubertät ist womöglich keine Voraussetzung für ein funktionierendes Sexualleben. Wird sie durch Pubertätsblocker angehalten, gaben Trans-Personen im Schnitt 14 Jahre später an, ähnlich zufrieden mit ihrem Sexualleben zu sein wie die Gesamtbevölkerung. So interpretieren die Autorinnen und Autoren einer niederländischen Studie ihre Ergebnisse, die im Fachjournal „The Journal of Sexual Medicine“ publiziert wurden (siehe Primärquelle).
Stellvertretende Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Schweiz, und Mitautorin der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
Methodik und Limitationen
„Es ist essenziell, sich mit der Thematik der sexuellen Gesundheit dieser Jugendlichen auseinanderzusetzen, und die Studie ist ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung. Gemessen an der doch geringen Zahl von Betroffenen, die mit Pubertätsblockade behandelt werden, ist es ein angemessene Stichprobengröße, die mindestens eine deskriptive Statistik aussagekräftig macht. Der mittlere Untersuchungsabstand zur Maßnahme der Pubertätsblockade ist mit 14 Jahren bereits groß genug, dass ein längerer Verlauf beobachtet werden kann.“
„Es ist wichtig, dass in dieser Studie die sexuelle Funktionsfähigkeit und die sexuelle Zufriedenheit mit und ohne daraus resultierendem erlebten Leidensdruck separat erfasst wird, wodurch sich eine differenziertere Sichtweise ergibt. Es ist wichtig, dass zwischen früher und später Pubertätsblockade unterschieden wird. Transmaskuline und transfeminine Individuen werden ebenfalls separat analysiert. Durch die Differenzierung der einzelnen Gruppen, die inhaltlich gerechtfertigt und wichtig ist, sind statistische Vergleiche jedoch schwierig. Es handelt sich daher um vorläufige Ergebnisse, die in weiteren Studien untersucht werden müssen.“
Entscheidung für Pubertätsblocker
„Die Entscheidung über Pubertätsblocker beziehungsweise geschlechtsangleichende Maßnahmen muss immer sorgfältig im Einzelfall unter Abwägung aller Risiken einer Behandlung beziehungsweise einer Nichtbehandlung erfolgen. Darum brauchen wir solche Studien, die die Langzeitauswirkung der Behandlung in verschiedenen Aspekten untersuchen, dringend. Weitere Studien über andere Aspekte der Lebenszufriedenheit im Langzeitverlauf der behandelten Jugendlichen sind wünschenswert.“
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Endokrinologikum Hamburg und Mitautor der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
Entscheidung für Pubertätsblocker
„Für die Entscheidung, mit Pubertätsblockern zu beginnen, steht die Sorge vor irreversiblen körperlichen Veränderungen im Vordergrund. Den Stimmbruch oder das Brustwachstum durch die Blocker zu verhindern ist deutlich wichtiger als die Bedenken, dass die Therapie künftig die Sexualität beeinträchtigen könnte.“
Ergebnisse der Studie
„In der genaueren Analyse der Ergebnisse der Studie fällt auf: Die früh pubertätsunterdrückten Jugendlichen hatten im späteren Leben durchaus größere Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu erreichen oder insgesamt sexuell aktiv zu sein – wenngleich dies statistisch nicht signifikant war. Also scheint eine geringe Beeinträchtigung doch vorzuliegen, wenngleich die Zahl der Befragten gering ist.“
Interpretation der Ergebnisse
„Bisher haben Kritiker einer pubertätsunterdrückenden Hormonbehandlung argumentiert, dass die sexuelle Erlebnisfähigkeit beeinträchtigt werden könnte, und dass die psychosexuelle Entwicklung abgeschlossen sein müsse, bevor hormonelle Schritte begonnen werden sollten. Die Studie legt nun nahe, dass diese Bedenken nicht unbedingt zutreffend sind.“
Aufklärung von Trans-Jugendlichen
„Für die Aufklärung von Trans-Jugendlichen und ihren Eltern ist die aktuelle Studie beruhigend, dass keine gravierenden Beeinträchtigungen ihrer künftigen Sexualität durch den Einsatz von Pubertätsblockern zu befürchten sind.“
Evidenz zu Nebenwirkungen der Pubertätsblocker
„Die Pubertätsblocker werden bereits seit vielen Jahren bei Kindern mit vorzeitiger Pubertät eingesetzt. Es gibt keinen Anhalt einer negativen Auswirkung auf ihre psychointellektuelle Entwicklung durch die Behandlung. Bei Trans-Jugendlichen, die über mehrere Jahre pubertätsunterdrückend behandelt werden, verschlechtert sich die Knochenstoffwechselsituation. Durch eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung wird dieser negative Effekt größtenteils wieder ausgeglichen. Es gibt keine Hinweise, dass die Knochenbruchrate von Trans-Menschen aufgrund einer vorangegangenen Pubertätsblockade gesteigert ist.“
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und psychotherapie, Universitätsklinikum Münster und Koordinator der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
„Bei Menschen, die dauerhaft an einer Geschlechtsdysphorie leiden, ist das Thema Sexualität ohne geschlechtsangleichende medizinische Behandlung dauerhaft hochgradig stressbelastet. Grund dafür ist das stark beeinträchtigte Wohlbefinden mit dem eigenen körperlichen Erscheinungsbild. Damit ist die sexuelle Gesundheit oft stark beeinträchtigt.“
„An spezialisierten Behandlungszentren gibt es mittlerweile 25 Jahre klinische Erfahrungen mit dem Einsatz von Pubertätsblockern zur stufenweisen hormonellen Behandlung von Jugendlichen mit dauerhaft bestehender Geschlechtsdysphorie. Bisherige Nachuntersuchungen von Personen, die im Jugendalter behandelt wurden, zeigen ein gutes Outcome für die allgemeine Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit im Erwachsenenalter.“
Ergebnisse der Studie
„Bislang gab es jedoch kaum Studien zum Langzeitverlauf im Hinblick auf die sexuelle Zufriedenheit der Behandelten im Erwachsenenalter. In der vorliegenden Studie ist es gelungen, 70 ehemals im Jugendalter behandelte Personen mit Geschlechtsinkongruenz, die an einem Zentrum systematisch rekrutiert wurden, 14 Jahre später nachzuuntersuchen. Angesichts der geringen Fallzahlen von Personen mit Geschlechtsdysphorie und des 14-jährigen Follow-Up-Intervalls ist dies eine beachtlich große und damit aussagefähige Zahl von Untersuchten. Die Mehrzahl der Befragten gab an, als Erwachsene Erfahrungen mit aktiven sexuellen Kontakten zu haben und mit diesen zufrieden zu sein. Probleme mit gelebter Sexualität einschließlich sexueller Funktionsstörungen wurden gleichwohl von einem nennenswerten Teil der Befragten berichtet. Diese hatten vielfältige Ursachen.“
„Das wichtigste Ergebnis der Studie ist dabei: Berichtete Probleme mit der sexuellen Zufriedenheit traten bei den im Jugendalter mit Pubertätsblockern Behandelten nicht häufiger auf als bei Transgender-Personen, die erst nach voller durchlaufender pubertärer Reifung eine Hormonbehandlung begannen. Auch im Binnenvergleich gibt es keinen Hinweis dafür, dass der Zeitpunkt des Beginns einer Pubertätsblockade – in einem früheren oder späteren Stadium in der Reifeentwicklung – hier einen Unterschied machte. Insgesamt wurden eine nicht aktive Sexualität und sexuelle Funktionsstörungen in einer Häufigkeit berichtet, die in der Größenordnung der erwachsenen Durchschnittsbevölkerung liegt.“
Entscheidung für Pubertätsblocker
„Bei Behandlungsentscheidungen für oder gegen den Beginn einer hormonellen Behandlung bei dauerhaft persistierender Geschlechtsdysphorie im Jugendalter müssen im Einzelfall Nutzen und Risiken sowohl einer Behandlung als auch einer Nicht-Behandlung sorgfältig abgewogen werden. Dem oft existenziellen Leidensdruck betroffener junger Menschen im Falle einer Nicht-Behandlung stehen andere Risken entgegen: Das sind unter anderem Risiken im Hinblick auf mögliche spätere sexuelle Funktionsstörungen, die insbesondere auftreten können, wenn später auch genitalangleichende Operationen durchgeführt werden. Nach dem Ergebnis dieser Studie sind diese Folgerisiken jedoch nicht höher zu bewerten als bei einem späteren Beginn einer hormonellen Behandlung ohne vorausgehende Hormonbehandlung.“
Notwendige Folgestudien
„Damit informierte Nutzen-Risiko-Bewertungen bei Behandlungsentscheidungen im Jugendalter verbessert werden können, sind weitere Studien vordringlich: In diesen sollten mögliche Einflussfaktoren untersucht werden, die die Unterschiede in der berichteten sexuellen Zufriedenheit von ehemals im Jugendalter mit Pubertätsblockern behandelten Personen erklären. Unterschiede in Bezug auf gewählte Operations-Techniken bei eventuell späteren genitalangleichenden Operationen sollten hier besonders in den Blick genommen werden.“
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Jena
„Die Studie untersucht den Zusammenhang zwischen einer Pubertätssuppression (PS) im Jugendalter und sexueller Zufriedenheit mit Blick auf sexuelle Funktionen im Erwachsenenalter bei Geschlechtsinkongruenz. Obwohl das Thema zweifellos von hoher klinischer und ethischer Relevanz ist, erlaubt das methodische Design der Studie keine belastbaren Schlussfolgerungen zu Risiken oder Langzeitwirkungen einer frühen Pubertätssuppression. Die in der Publikation suggerierte und vermeintliche Harmlosigkeit einer frühen Pubertätssuppression für die sexuelle Zufriedenheit ist durch diese Ergebnisse nicht empirisch gedeckt, sondern basiert auf unzureichend validen Daten, die den zentralen Fragestellungen der Studie nicht gewachsen sind.“
„Die Studie von van der Meulen et al. suggeriert auf Basis unzureichender Daten, dass eine frühe Pubertätssuppression keine negativen Auswirkungen auf sexuelle Zufriedenheit oder Funktion habe. Diese Schlussfolgerung ist methodisch nicht haltbar, statistisch nicht abgesichert und potenziell irreführend. Solche Aussagen sollten weder zur Absicherung klinischer Entscheidungen noch zur Erstellung von medizinischen Leitlinien herangezogen werden. Die Studie illustriert vielmehr die dringende Notwendigkeit methodisch hochqualitativer Forschung: idealerweise prospektiv, multizentrisch, differenziert, mit ausreichender Fallzahl und Kontrolle psychosozialer Einflussfaktoren.“
Entscheidung für Pubertätsblocker
„Für die klinische Entscheidung gegebenenfalls eine Pubertätssuppression bei betroffenen Minderjährigen anzuwenden sind valide Daten zu mittel- und langfristigen Auswirkungen erforderlich. Diese Studie trägt nicht zur Evidenzbasis bei, sondern zeigt vielmehr exemplarisch, welche Risiken mit methodisch schwach aufgestellten Studien in hochsensiblen Bereichen der Medizin verbunden sind.“
Limitationen: mehrere Interventionen
„Die Studie ist methodisch nicht in der Lage, die isolierte Wirkung einer Pubertätssuppression auf die sexuelle Zufriedenheit zu untersuchen: Alle Teilnehmer:innen erhielten im Anschluss eine Cross-Sex-Hormongabe und teilweise chirurgische Eingriffe. Die Datenlage erlaubt keine Trennung der Effekte von Pubertätssuppression, Hormongabe und Operation.“
Limitationen: Stichprobengröße
„Die Studie ist nicht in der Lage, ihre zentrale Fragestellung zu beantworten: Welchen Einfluss hat eine frühzeitige Pubertätssuppression auf die sexuelle Funktion? Die Autoren der Studie präsentieren Daten, die tatsächlich auf eine negative Auswirkung der frühen Pubertätssuppression auf nahezu alle Bereiche der sexuellen Funktion bei biologisch weiblichen Personen hindeuten, während sie für biologisch männliche Personen den gegenteiligen Trend zeigen (siehe Abbildungen 3 und 5). Beide Ergebnisse basieren jedoch auf sehr kleinen Stichproben (zum Beispiel bei der frühen Pubertätssuppression auf neun biologisch weiblichen Personen und acht biologisch männlichen Personen), was sie unzuverlässig macht. Die Schlussfolgerung der Autoren, dass frühe und späte Pubertätssuppression ähnliche Ergebnisse zur sexuellen Funktion hätten, ist paradox – nicht nur widersprechen ihre eigenen Rohdaten dieser Aussage (bei biologisch weiblichen Personen scheint frühe Pubertätssuppression mit einer schlechteren sexuellen Funktion assoziiert zu sein, bei biologisch männlichen Personen war der Befund anscheinend besser), es wurden auch keine statistischen Tests zur Unterscheidung zwischen den Gruppen durchgeführt, um diese Behauptung zu stützen. Angesichts der kleinen Stichprobengrößen, die eine zuverlässige Analyse unmöglich machen, kann die Studie ihre eigene zentrale Forschungsfrage nicht beantworten.“
Limitationen: Gültigkeit der Messinstrumente
„Die verwendeten Messinstrumente zur sexuellen Zufriedenheit und Funktion sind teilweise selbst entwickelt, nicht vollständig validiert und basieren auf vereinfachten binären Selbstauskünften – ohne Erfassung von Häufigkeit, Intensität oder klinischer Relevanz. Die Ergebnisse der Studie sind paradox und werfen Fragen zur Gültigkeit der verwendeten Messinstrumente auf. Laut den Resultaten berichteten 100 Prozent der biologisch männlichen Personen mit früher Pubertätssuppression von der Fähigkeit, einen Orgasmus zu erreichen – im Vergleich zu nur 42 Prozent bei den Personen mit später Pubertätssuppression. Dies widerspricht den natürlichen Erwartungen und deutet darauf hin, dass ältere Jugendliche – die gegebenenfalls vor der Pubertätssuppression bereits bedeutsame sexuelle Erfahrungen gemacht haben – bessere und genauere Angaben zur sexuellen Funktion nach der Pubertätssuppression machen können, da sie über eine verlässlichere Vergleichsbasis verfügen und besser zwischen Orgasmus und anderen angenehmen intimen Erlebnissen unterscheiden können.“
„Es fehlt eine systematische Erhebung und Kontrolle zentraler Einflussfaktoren wie der psychischen Gesundheit, des Körperbilds, der Beziehungserfahrungen und erfüllter Transitionsziele.“
Ergebnisse der Studie
„Die Studie zeigt eine hohe Rate sexueller Funktionsstörungen bei Personen mit Pubertätssuppression im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Selbst wenn man die (nicht belegte) Schlussfolgerung der Autoren akzeptiert, dass es keinen Unterschied zwischen früher und später Pubertätssuppression gäbe, gibt es Hinweise darauf, dass jede Form der Pubertätssuppression mit schlechteren sexuellen Ergebnissen als in der Allgemeinbevölkerung einhergeht. Laut aktuellen niederländischen Populationsdaten, die aus einer anderen Datenerhebung stammen, tritt eine sexuelle Funktionsstörung bei etwa acht Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen auf [1]. Diese Populationsdaten werden in der neuen Studie von van der Meulen zwar nicht explizit herangezogen, aber in der vorliegenden Studie berichten bis zu 58 Prozent der Teilnehmer mit Pubertätssuppression von sexuellen Funktionsstörungen, 25 bis 44 Prozent geben an, Schwierigkeiten zu haben, einen Sexualpartner zu finden, und 60 Prozent sind im Durchschnittsalter von 29 Jahren noch alleinstehend. Da Entscheidungen über eine Pubertätssuppression zunehmend im Tanner-Stadium 2 (Stadium der körperlichen Entwicklung in der Pubertät; Anm. d. Red.) getroffen werden [I], ist unklar, wie eine sinnvolle informierte Einwilligung oder Zustimmung von Kindern mit diesem Alters- beziehungsweise Entwicklungsbereich eingeholt werden kann – insbesondere im Hinblick auf potenzielle Verluste in Bezug auf Orgasmus, Erregung, Verlangen und die Fähigkeit, sexuelle oder romantische Beziehungen einzugehen beziehungsweise Bindungen zu entwickeln.“
Limitationen: Teilnahmequote
„Die Studie weist zu viele methodische Schwächen auf, um zuverlässige Antworten auf zentrale Fragen geben zu können. Mehr als die Hälfte der ursprünglichen niederländischen Kohorte ging im Verlauf verloren (52 Prozent), und es ist besonders besorgniserregend, dass dieser Ausfall nicht zufällig war: Personen, bei denen ein männliches Geburtsgeschlecht festgestellt wurde, nahmen wesentlich seltener teil. Solch hohe Ausfallraten führen zu einem erheblichen Verzerrungsrisiko – das heißt, dass die Studienergebnisse stark von der Realität abweichen könnten.“
„Die Teilnahmequote ist niedrig (48 Prozent), die sogenannte Transfeminin-Gruppe mit 20 Teilnehmerinnen klein, der Selektionsbias evident.“
Limitationen: Tanner-Stadium
„Zudem wurden Tanner-Stadium 2 und 3 in einer gemeinsamen Gruppe ‚frühe Pubertätssuppression‘ zusammengefasst. Das verschleiert die entscheidende Frage, ob eine Pubertätssuppression im Tanner Stadium 2 – wie in der von mir und vielen meiner kinder- und jugendpsychiatrischen Kolleginnen und Kollegen stark kritisierten [2] neuen deutschsprachigen S2k-Leitlinie [I] empfohlen – im Ergebnis eher vorteilhaft oder schädlich ist. Auch wenn es nachvollziehbar ist, warum die Autoren dies so handhabten (es gab nur fünf Teilnehmer, die im Tanner-Stadium 2 eine Pubertätssuppression erhielten), beziehen sich die aktuellen klinischen Entscheidungsdilemmata explizit auf die Behandlung im Tanner Stadium 2 – und genau diese Frage kann die Studie nicht beantworten.“
Interpretation der Ergebnisse
„Die Studie untersucht nicht die Effekte von Pubertätssuppression, sondern liefert ein unsystematisches Abbild der Lebenssituation einer kleinen, selektierten Gruppe Erwachsener mit Geschlechtsdysphorie beziehungsweise Geschlechtsinkongruenz, die komplexe Interventionsverläufe durchlaufen haben.“
Verstorbene Personen aus der Kohorte
„Alarmierend ist zudem, dass zwei Teilnehmer nicht eingeschlossen werden konnten, weil sie verstorben waren. Es sollte geklärt werden, ob diese Todesfälle zusätzlich zu dem von de Vries et al. (2014) [3] berichteten Todesfall sind, der direkt mit einer frühen Pubertätssuppression in Verbindung stand (eine Trans-Frau starb nach einer geschlechtsangleichenden Operation an einer postoperativen bakteriellen Infektion; Anm. d. Red.). Darüber hinaus sollten die Autoren, sofern möglich, die Todesursache der beiden Personen berichten und darlegen, ob es sich um zufällige Todesfälle handelte, oder ob ein möglicher Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Status als geschlechtsinkongruente Person im weiteren Sinne besteht.“
Relevanz der sexuellen Zufriedenheit für die Risikobewertung
„Die sexuelle Zufriedenheit ist ein zentraler Bestandteil der Lebensqualität und ein wichtiger Teil der Aufklärung über medizinische Interventionen. Umso schwerer wiegt es, dass die Studie methodisch nicht in der Lage ist, die Frage nach Risiken oder Unbedenklichkeit der Pubertätssuppression zu beantworten. Die in der Arbeit wiederholt formulierte Interpretation, dass die Pubertätssuppression ‚keine negativen Effekte‘ auf Sexualität habe, ist unhaltbar.“
Limitationen: statistische Power
„Die Studie ist massiv unterpowered, weswegen die Verfasser der Studie vor allem Prozentwerte und keine spezifischen statistischen Gruppenvergleiche angeben, insbesondere da die Untergruppen sehr klein sind. Dies limitiert massiv die Aussagekraft. Ein Beispiel, um eine solche Problematik darzustellen: Um einen Unterschied von sechs Prozentpunkten bei sexueller Zufriedenheit (53 Prozent versus 47 Prozent) sicher zu finden würde je nach Art der statistischen Betrachtungsweise eine Fallzahl von fast 800 Personen erfordern, gegebenenfalls sogar noch mehr. Die tatsächliche Fallzahl (17 versus 53) würde hier zu einer Power von nur circa acht Prozent führen – dies ist faktisch bedeutungslos.“
„Der daraus abgeleitete Schluss, dass sich ‚keine Unterschiede‘ zwischen früher und später Pubertätssuppression zeigen, ist nicht nur methodisch falsch, sondern potenziell irreführend in der klinischen Kommunikation.“
„Diese Art des Vorgehens und die von den Daten nicht gedeckte Interpretation der Befunde erzeugt eine Scheinsicherheit, für die es keine empirische Grundlage gibt. Eine solche Kommunikationspraxis steht im Widerspruch zu den Prinzipien evidenzbasierter Medizin.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte bezüglich des Einsatzes von Pubertätsblockern.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte. Das Universitätsklinikum Münster erhält themenbezogen Forschungsförderung im Rahmen kompetitiver öffentlicher Ausschreibungen für EMPOWER-TRANS*, TRANSKIDS-CARE und TRANS*KIDS. Darüber hinaus habe ich persönlich diverse Honorare für Vorträge im Rahmen ärztlicher und psychotherapeutischer Weiterbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen zum Thema in hierfür üblicher Höhe erhalten, jeweils ausschließlich von nicht-kommerziellen klinischen und Weiterbildungsinstitutionen.“
„Leitlinientätigkeit: Von Mitte des Jahres 2020 bis Ende November 2022 Mitglied der Steuergruppe der AWMF-S2k-Leitlinie ‚Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung‘ (Register-Nr. 028–014). Aufgrund meiner berufsethischen Bedenken bezüglich ebendieser hier betreffenden Leitlinie und ferner aufgrund meiner Bedenken zu Aspekten eines profunden Kinder- und Jugendschutzes ebenso bezüglich dieser Leitlinie habe ich meine Arbeit an dieser Leitlinie beendet und die dazugehörige Steuerungsgruppe dieser Leitlinie verlassen.“
„Beratertätigkeit und Speaker-Honorare (vergangene drei Jahre): Beratertätigkeit und Speaker-Honorare von Takeda (Beratertätigkeit im Kontext von ADHS und komorbiden Störungen; bezüglich Vortragstätigkeit Vorträge mit einem erweiterten thematischen Bezug zur hier vorliegenden Thematik, die von Takeda unterstützt wurden. Es handelte sich hierbei um Übersichten zum Thema Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen und der Evidenzlage von Pubertätssuppression einschließlich GnRH-Analoga und Hormongabe sowie um einen Vortrag zu klinischen Implikationen von ADHS und begleitender Geschlechtsdysphorie inklusive Aspekten der Evidenzlage zur Gabe von GnRH-Analoga und CSH; keine Beratertätigkeit oder weitere Vortragstätigkeit für Takeda in Bezug auf GnRH-Analoga). Speaker-Honoraria von Medice (Vortragstätigkeit im Kontext von ADHS und komorbiden Störungen sowie zu klinischen Implikationen von ADHS und begleitender Geschlechtsdysphorie). Keine Eigentümerinteressen oder Geschäftsanteile an Arzneimitteln oder Medizinprodukten.“
Primärquelle
van der Meulen IS et al. (2025): Sexual satisfaction and dysfunction in transgender adults following puberty suppression treatment during adolescence. The Journal of Sexual Medicine. DOI: 10.1093/jsxmed/qdaf095.
Weiterführende Recherchequellen
[IV] Science Media Center (2024): AWMF-Leitlinie zu Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter. Press Briefing. Stand: 22.03.2024.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] de Graaf H et al. (2024): Monitor Seksuele Gezondheid 2023. Rutgers.
[2] Zepf FD et al. (2024): Gemeinsame Kommentierung des aktuellen Entwurfs der neuen S2k-Leitlinie "Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter".
[3] de Vries ALC et al. (2014): Young Adult Psychological Outcome After Puberty Suppression and Gender Reassignment. Pediatrics. DOI: 10.1542/peds.2013-2958.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) (2025): AWMF-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k), Version 10.03.2025.
[II] Cass H (2024): Independent review of gender identity services for children and young people: Final report. Webseite zum Cass Review.
[III] NHS inform: Restrictions on puberty suppressing hormones. Informationen der Gesundheitsbehörde zu Pubertätsblockern. Abgerufen am 16.06.2025.
KD Dr. Dagmar Pauli
Stellvertretende Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, Schweiz, und Mitautorin der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Dr. Achim Wüsthof
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Endokrinologikum Hamburg und Mitautor der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte bezüglich des Einsatzes von Pubertätsblockern.“
Prof. Dr. Georg Romer
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und psychotherapie, Universitätsklinikum Münster und Koordinator der Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es bestehen keine Interessenkonflikte. Das Universitätsklinikum Münster erhält themenbezogen Forschungsförderung im Rahmen kompetitiver öffentlicher Ausschreibungen für EMPOWER-TRANS*, TRANSKIDS-CARE und TRANS*KIDS. Darüber hinaus habe ich persönlich diverse Honorare für Vorträge im Rahmen ärztlicher und psychotherapeutischer Weiterbildungs- und Fortbildungsveranstaltungen zum Thema in hierfür üblicher Höhe erhalten, jeweils ausschließlich von nicht-kommerziellen klinischen und Weiterbildungsinstitutionen.“
Prof. Dr. Florian Zepf
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Jena
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Leitlinientätigkeit: Von Mitte des Jahres 2020 bis Ende November 2022 Mitglied der Steuergruppe der AWMF-S2k-Leitlinie ‚Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter: Diagnostik und Behandlung‘ (Register-Nr. 028–014). Aufgrund meiner berufsethischen Bedenken bezüglich ebendieser hier betreffenden Leitlinie und ferner aufgrund meiner Bedenken zu Aspekten eines profunden Kinder- und Jugendschutzes ebenso bezüglich dieser Leitlinie habe ich meine Arbeit an dieser Leitlinie beendet und die dazugehörige Steuerungsgruppe dieser Leitlinie verlassen.“
„Beratertätigkeit und Speaker-Honorare (vergangene drei Jahre): Beratertätigkeit und Speaker-Honorare von Takeda (Beratertätigkeit im Kontext von ADHS und komorbiden Störungen; bezüglich Vortragstätigkeit Vorträge mit einem erweiterten thematischen Bezug zur hier vorliegenden Thematik, die von Takeda unterstützt wurden. Es handelte sich hierbei um Übersichten zum Thema Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen und der Evidenzlage von Pubertätssuppression einschließlich GnRH-Analoga und Hormongabe sowie um einen Vortrag zu klinischen Implikationen von ADHS und begleitender Geschlechtsdysphorie inklusive Aspekten der Evidenzlage zur Gabe von GnRH-Analoga und CSH; keine Beratertätigkeit oder weitere Vortragstätigkeit für Takeda in Bezug auf GnRH-Analoga). Speaker-Honoraria von Medice (Vortragstätigkeit im Kontext von ADHS und komorbiden Störungen sowie zu klinischen Implikationen von ADHS und begleitender Geschlechtsdysphorie). Keine Eigentümerinteressen oder Geschäftsanteile an Arzneimitteln oder Medizinprodukten.“