Tag 3 oder 5: Erfolgsrate beim Embryotransfer gleich
Studie zu In-vitro-Fertilisation: Embryotransfer am dritten oder fünften Tag nach der Eizellentnahme hat keinen Einfluss auf die Lebendgeburtenrate
Transfer an Tag fünf führte seltener zu Schwangerschaftsverlusten, es bestand jedoch ein leicht erhöhtes Risiko für Frühgeburten
Forschende: Ergebnisse könnten verstärkt in die Beratung von Familien mit einfließen
In der Reproduktionsmedizin wird der optimale Zeitpunkt für den Embryotransfer bei einer künstlichen Befruchtung immer wieder diskutiert. Eine neue, im Fachblatt „The BMJ“ veröffentlichte Studie liefert dazu nun weitere Erkenntnisse: Forschende aus den Niederlanden haben herausgefunden, dass es für gesunde Frauen keinen Unterschied macht, ob der Embryotransfer bei der künstlichen Befruchtung am dritten oder fünften Entwicklungstag nach der Eizellentnahme durchgeführt wird – die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft bleibt gleich (siehe Primärquelle).
Oberärztin, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin sowie Leiterin der Arbeitsgruppe „Reproduktionsmedizin und Molekulare Perinatologie“, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Erkenntnisgewinn
„Die Studie liefert Daten für Patientinnen mit überwiegend guter Prognose. Diese Daten können in die Beratung einbezogen werden. Das sind neben der vergleichbaren kumulativen Lebendgeburtrate, die niedrigere Rate an ,pregnancy loss‘ in der Gruppe mit Blastozystentransfer, wobei unklar bleibt, wie ,pregnancy loss‘ definiert wurde. Allerdings sollte auch das höhere Risiko für Frühgeburten zwischen der 32 und 37 Schwangerschaftswoche beachtet werden.“
Blastozysten-Transfer ratsamer?
„Hier kann keine pauschale Antwort gegeben werden, sondern es ist eine individuelle Abschätzung notwendig. Für Patientinnen mit guter Prognose, wie die in der Studie betrachtete Kohorte, können eine geringere Rate an Schwangerschaftsverlusten und die auch beobachtete höhere Lebendgeburtrate nach dem Frischtransfer wichtige Argumente sein. Insgesamt benötigten die Frauen mit Cleavage-Stage-Embryonen etwas mehr Embryotransfer und haben mehr Embryonen verbraucht, was auch eine wichtige Erkenntnis ist. Hier müssen aus Patientinnensicht dann unter anderem die zusätzlichen Kosten pro Embryotransferzyklus (zumindest in Deutschland) bedacht werden. Allerdings verursacht auch die Blastozystenkultur höhere Kosten im Vergleich zum Cleavage-Stage-Embryonentransfer.“
Frühgeburten-Signal
„Einen Hinweis auf eine höhere Frühgeburtenrate nach Blastozystentransfer gab es auch schon in anderen Studien. Hier im randomisierten Ansatz wurde das noch einmal bestätigt. Diese Erkenntnis sollte auf alle Fälle bei der Beratung der Patientinnen Berücksichtigung finden. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn die Patientin Risikofaktoren für eine Frühgeburt selbst bereits auch schon hat. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Beratung bezüglich Single- und Double-Embryo-Transfer, wobei der Double-Embryo-Transfer das Mehrlingsrisiko dramatisch erhöht.“
Methodik und Limitationen
„Positiv zu bewerten ist der randomisierte, multizentrische Ansatz und das nur ein Entnahmezyklus pro Patientin in die Studie eingebracht wurde. Sehr schade ist es, dass die sekundären geburtshilflichen und perinatalen Outcomes nicht ausgewertet wurden. Das sind wirklich wichtige Faktoren. Dass diese Faktoren nicht ausgewertet wurden, lag daran, dass sie mithilfe eines Fragebogens erhoben wurden, der von den Patientinnen ausgefüllt wurde. Die Daten waren am Ende nicht vollständig und akkurat genug. Besser wäre die Analyse der Patientinnenakten aus den Geburtskliniken gewesen. Das bedeutet zwar mehr Aufwand, bringt aber deutlich validere Ergebnisse. Interessant wäre es auch gewesen, zu wissen, wie hoch die Mehrlingsrate war. Die Supplementary Files lagen mir nicht vor. Eventuell ist die Information dort enthalten (auch der Redaktion lagen diese Daten vorab nicht vor; Anm. d. Red.).“
„Außerdem gab es bei sechs Zentren unterschiedliche Vorgehen beim Einfrieren. Manche Zentren haben zum Teil in der Cleavage-Gruppe dann auch Blastozysten eingefroren. Zudem wurden Auftauzyklen sowohl im natürlichen als auch im artifiziellen Zyklus durchgeführt. Inwiefern das ein Einflussfaktor war, bleibt unklar. Zumindest ist aus dem mir vorliegenden Dokument nicht ersichtlich, ob es eine gleichmäßige Verteilung zwischen den beiden Gruppen gab. Offen bleibt, wie die Ergebnisse bei Frauen mit schlechterer Prognose aussehen würden. Hier ist weitere Forschung notwendig.“
Embryonenschutzgesetz
„Insgesamt stellt sich klinisch und auch insbesondere in der Beratung unserer Patientinnen oft die Frage, an welchem Tag nach Eizellentnahme ein Embryotransfer geplant werden sollte. Die bisherige Praxis ist sehr heterogen. Allerdings führen einige Zentren auch in Deutschland fast nur noch Blastozystentransfers durch. Das darf auch anhand der hier vorliegenden Daten kritisch hinterfragt werden. Hier ist insbesondere das höhere Frühgeburtsrisiko ein wichtiger Parameter, der zu selten in die Beratung einfließt.“
„Das Embryonenschutzgesetz erlaubt in Deutschland keine Selektion von Embryonen. Das bedeutet, dass man in der Regel nur einen bestimmten Anteil der befruchteten Eizellen weiter bis zur Blastozyste kultiviert, abhängig davon, wie viele Embryonen eingesetzt werden sollen. Eine Kultivierung aller befruchteter Eizellen bis zum Blastozystenstadium ist ein Graubereich, wird aber zum Teil durchgeführt. Durch diese Einschränkungen tendieren immer noch viele Zentren zum Double-Embryo-Transfer, als den empfohlenen Single-Embryo-Transfer durchzuführen. Dadurch ist hierzulande das Mehrlingsrisiko im Vergleich zu Ländern in denen überwiegend Single-Embryo-Transfers durchgeführt werden sehr hoch. Mit dem Mehrlingsrisiko steigt dann auch das Frühgeburtsrisiko. So sind laut dem aktuellen Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers 85 Prozent der Zwillingsschwangerschaften nach künstlicher Befruchtung in Deutschland Frühgeburten.“
stellvertretende Leiterin des IVF-Labors, der UniCareD Kryobank und der UniKiD Forschung, Universitätsklinikum Düsseldorf
Erkenntnisgewinn
„In der Studie von Cornelisse et al. wird erstmalig die kumulative Geburtenrate binnen eines Jahres nach Eizellpunktion und Fertilisierung bei einem Embryotransfer an Tag 3 (Teilungsstadien, cleavage stage) und Tag 5 (Blastozysten-Stadium) in einem multizentrischen Ansatz in den Niederlanden verglichen. Innerhalb dieses Vergleiches in dieser Good-Prognosis-Population mit mindestens vier sich teilenden Embryonen an Tag zwei der Kultur findet sich kein statistischer Unterschied zwischen den untersuchten Gruppen. Die Frauen, die an dieser Studie teilgenommen haben, waren zwischen 18 und 43 Jahren alt. Größtenteils wurden auch nur einzelne Embryonen nach morphologischen Kriterien für den Transfer ausgewählt, obgleich der Transfer von zwei Embryonen in den Niederlanden bei Frauen älter als 38 Jahren erlaubt ist. Eine Präimplantationsdiagnostik, Donoreizellen und Eizellen aus Social Freezing wurden in den Studienkollektiven ausgeschlossen.“
Blastozysten-Transfer ratsamer?
„Ein Transfer im Blastozysten-Stadium kann als diagnostisches Tool für die Vitalität des Embryos genutzt werden, da das eigene embryonale Genom erst am dritten Tag der Entwicklung aktiv wird. Aus Tabelle 3 und der angegebenen Utilisation Rate wird deutlich, dass zwischen Tag 3 und Tag 5 der Entwicklung auch ein Entwicklungsarrest (Entwicklungsstopp; Anm. d. Red.) eintreten kann, da die Rate für Tag 5 niedriger ist als für Tag 3. Im internationalen Vergleich liegt die Utilisation Rate wie hier angegeben für Blastozysten zwischen 50 und 60 Prozent mit fallender Tendenz in älteren Patientenkollektiven. Aufgrund der weiteren Entwicklung bis zum 5. Tag liegt in diesem Kollektiv die Lebendgeburtenrate nach den ersten Transfers höher bei niedrigerer Abortrate.“
Frühgeburten-Signal
„Zur eindeutigen Bewertung der leicht höheren Rate an Frühgeburten fehlen in dieser Studie weitere demografische Angaben inklusive Schwangerenbetreuung etc. in den Niederlanden. Insbesondere die Schwangerschaftsvorsorge gestaltet sich in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich. Des Weiteren ist in der Studie kein Rückschluss auf die Qualität der transferierten Embryonen möglich (good, fair, poor quality). Eine Angabe findet sich nur dahingehend, dass auch weniger entwickelte Embryonen in der Blastozysten-Gruppe transferiert wurden, die nicht das Tag-5-Stadium erreichten. Hierdurch werden die Daten verzerrt. Des Weiteren fehlen zum Beispiel Angaben zu Zellkulturbedingungen. In den untersuchten Patientinnen wurde auch zum Großteil ein Agonisten-Protokoll für die Stimulation eingesetzt, was hierzulande bereits seit Jahren durch das physiologischere Antagonisten-Protokoll (beide Protokolle sind Verfahren zur Stimulation der Eierstöcke; Anm. d. Red.) ersetzt wurde.“
Praxis in Deutschland
„In Deutschland unterstützt vor allem die Datensammlung des Deutschen IVF-Registers und viel politische Lobbyarbeit die Durchsetzung des elektiven Single-Embryo-Transfers (eSET), um nachhaltig im Sinne der Gesundheit von Mutter und Kind die Zwillingsrate, die beim Double-Embryo-Transfer deutlich erhöht ist, zu senken. In europäischen Nachbarländern findet der eSET auch politische Unterstützung. Das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) sollte gegen ein modernes Reproduktionsgesetz ausgetauscht werden, da sich die Bedingungen in den vergangenen mehr als 25 Jahren deutlich verändert haben. Bezüglich des Zeitpunktes des Transfers gibt das ESchG keine Begrenzung.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Cornelisse S et al. (2024): Cumulative live birth rate of a blastocyst versus cleavage stage embryo transfer policy during in vitro fertilisation in women with a good prognosis: multicentre randomised controlled trial. The BMJ. DOI: 10.1136/bmj-2024080133.
Prof. Dr. Frauke von Versen-Höynck
Oberärztin, Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin sowie Leiterin der Arbeitsgruppe „Reproduktionsmedizin und Molekulare Perinatologie“, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
Dr. Dunja M. Baston-Büst
stellvertretende Leiterin des IVF-Labors, der UniCareD Kryobank und der UniKiD Forschung, Universitätsklinikum Düsseldorf