Taurin als Pille für Langlebigkeit?
Studie zeigt, dass im Alter die Menge der Aminosäure Taurin im Körper von Menschen und Tieren abnimmt
der Verlust von Taurin könnte sogar zum Altern beitragen und eine Supplementierung könnte den Effekt umkehren
die Ergebnisse sind laut unabhängigen Forschenden überzeugend, Selbstversuche sollten aber ohne klinische Studien nicht erfolgen
Die Menge der Aminosäure Taurin im Blut nimmt im Alter bei Tieren und beim Menschen ab. Bei Mäusen und Affen führt die Gabe von Taurin dazu, dass sie länger gesund, ohne die Ausbildung altersassoziierter Krankheiten leben. Und Mäuse leben bei täglicher Einnahme von Taurin insgesamt länger als Artgenossen, die kein Taurin gefüttert bekommen. Das zeigt eine Studie einer internationalen Forschungsgruppe, die am 08.06.2023 im Fachjournal „Science“ erschienen ist. Die Autorinnen und Autoren argumentieren, dass auf Grundlage ihrer Ergebnisse klinische Studien gerechtfertigt seien, um zu testen, ob ein Taurinmangel die Alterung des Menschen vorantreibt (siehe Primärquelle).
Post-Doc in der Arbeitsgruppe Biologische Mechanismen des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln
„Eine positive Wirkung von Taurin auf die Gesundheit und den Alterungsprozess wurde schon seit längerer Zeit diskutiert. Eine frühere Studie hatte bereits gezeigt, dass eine erniedrigte Taurinkonzentration in Mäusen die Lebenszeit verkürzt. Die neue Studie zeigt nun, dass Würmer und Mäuse, die mit Taurin gefüttert wurden, länger lebten. Nicht nur das, Taurin verbesserte auch die Gesundheit von Rhesusaffen. Dieses Ergebnis ist bedeutsam, da es Taurin als einen neuen Wirkstoff etabliert, der möglicherweise auch das gesunde Altern beim Menschen fördern kann. Die Kombination von verschiedenen Modelorganismen und humanen Daten sowie der Umstand, dass ähnliche Ergebnisse in den verschiedenen beteiligten Laboren erzielt werden konnten, machen diese Studie besonders überzeugend.“
„Es bleibt jedoch noch zu klären, welche Rolle Taurin bei altersbedingten Erkrankungen im Menschen spielt. Obwohl die Studie eine Korrelation zwischen Taurinmengen und bestimmten altersbedingten Erkrankungen wie Diabetes aufzeigt, ist noch unklar, ob veränderte Taurinmengen tatsächlich die Ursache dafür sind. Es ist auch unklar, ob andere Erkrankungen wie Demenz und Krebs davon betroffen sind. Diese Fragen sollten das Ziel zukünftiger Studien sein.“
„Ich gehe davon aus, dass die Ergebnisse aus den Tiermodellen auch auf den Menschen übertragbar sein werden. Es gibt auch bereits erste Hinweise, dass eine Taurinbehandlung positive Effekte auf altersassoziierte Erkrankungen im Menschen haben kann. So konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Taurin den Blutdruck bei Patienten mit Bluthochdruck senkt, oder das Wohlbefinden von Parkinson-Patienten verbessert. Diese Studien hatten allerdings nur wenige Teilnehmer und daher besteht noch weiterer Forschungsbedarf in diese Richtung.“
„Basierend darauf, dass der Tauringehalt mit dem Alter abnimmt und höhere Taurinlevel mit einem geringeren Risiko für bestimmte altersbedingte Erkrankungen verbunden sind, halte ich es für durchaus realistisch, dass eine Taurineinnahme auch im Menschen die Lebenszeit verlängern kann. Allerdings sind dafür noch weitere klinische Studien notwendig, die die genaue Dosierung und die Verträglichkeit bei einer Langzeittherapie mit den hier verwendeten hohen Taurinmengen abklären müssen. Obwohl die Einnahme von Taurin als relativ sicher gilt, gibt es derzeit keine Studien, die eine Taurinaufnahme in so hohen Dosen über einen längeren Zeitraum verfolgt haben. Daher würde ich derzeit auf jeden Fall von Selbstversuchen abraten. Auch die Aufnahme über Energiedrinks, die häufig Taurin enthalten, ist in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll, da die enthaltenen Mengen viel zu gering sind und häufig andere Wirkstoffe wie zum Beispiel Koffein enthalten sind, die die Aufnahmemenge beschränken.“
Auf die Frage, wie plausibel es ist, dass der positive Effekt von Sport auf die Bildung von Taurin zurückzuführen ist und inwiefern substituiertes Taurin den Effekt von Sport im Alter ersetzen kann:
„Der positive Effekt von Sport auf unsere Gesundheit wird sicher nicht nur durch eine vermehrte Taurinbildung verursacht. Daher sollte man auch im Alter nicht auf Bewegung oder Sport verzichten. Taurin wird allerdings häufig von Sportlern als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen, und es gibt einige Studien, die auf einen positiven Effekt zum Beispiel auf die Laufleistung hinweisen. Ganz gesichert ist das aber nicht, und auch hier sind noch weitere Studien notwendig. In dem Zusammenhang wäre es interessant zu untersuchen, ob die Kombination von Taurin und Bewegung die Fitness besonders älterer Menschen verbessern kann.“
Leiterin der Forschungsgruppe Mikrobiom und Metabolismus, Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), Jena
„Die Studie ist bemerkenswert gut gemacht. Die Autoren haben nicht nur den Zusammenhang zwischen Taurin und altersbedingten Markern untersucht, sondern auch die Kausalität bewertet, indem sie verschiedene Modellorganismen untersucht haben, bei denen die Taurin-Signalwege ausgeschaltet sind – sogenannte Taurin-Knock-Outs. In diesen Modellen spielt Taurin tatsächlich eine Rolle bei altersbedingten Parametern/Krankheiten.“
„Ein Taurinmangel beim Menschen wird mit verschiedenen Organfehlfunktionen und -krankheiten in Verbindung gebracht, von denen einige auch im Alter auftreten, wie Bluthochdruck, Nierenfunktionsstörungen und Fettleibigkeit. Da frühere Studien den Taurinmangel im Zusammenhang mit dem Altern nicht untersucht haben, ist die aktuelle Studie von großem Wert. Dennoch ist eine weitere Validierung erforderlich, bevor wir mit Sicherheit sagen können, dass eine Taurin-Supplementierung als prophylaktische Therapie eingesetzt werden sollte.“
„Bei der Untersuchung des Stoffwechsels beispielsweise werden Experimente in der Regel mit einer einzigen Diät durchgeführt, und zwar mit einer bestimmten Gruppe von Nährstoffen in Kombination mit und ohne dem untersuchten Stoffwechselprodukt/Ergänzungsmittel – in diesem Fall Taurin. Dadurch werden die Ergebnisse für eine bestimmte Kombination von Nährstoffen ermittelt. Die menschliche Ernährung ist jedoch unglaublich vielfältig, und neben anderen Dingen, die weitere Tests erfordern, muss auch die Wirkung verschiedener Nährstoffkombinationen in unterschiedlichen Ernährungsweisen auf die positiven Auswirkungen von Taurin getestet werden. Ein weiterer Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Wirkung der Taurin-Supplementierung auf Therapien. Es sollte geprüft werden, wann die Einnahme erfolgen sollte: Vor Ausbruch der Krankheit? Danach? Kontinuierlich, vorher und nachher? Wenn die Einnahme auch danach erfolgt, ist besondere Vorsicht geboten, da wenig über die Wirkung von Taurin in Kombination mit medikamentösen Behandlungen bekannt ist.“
Auf die Frage, wie plausibel es ist, dass der positive Effekt von Sport auf die Bildung von Taurin zurückzuführen ist und inwiefern substituiertes Taurin den Effekt von Sport im Alter ersetzen kann:
„Es ist plausibel, dass Taurin eines der vielen Moleküle ist, die positiv mit den gesundheitlichen Vorteilen von Bewegung in Verbindung gebracht werden. Da die Wirkungen von körperlicher Betätigung vielen Molekülen zugeschrieben werden, die möglicherweise zusammenwirken, um die gesundheitlichen Vorteile zu erzielen, scheint es unwahrscheinlich, dass die Einnahme von Taurin als Nahrungsergänzungsmittel die allgemeinen Vorteile von körperlicher Betätigung ersetzen kann. Weitere Untersuchungen sollten durchgeführt werden.“
Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
„Diese Studie zeigt, dass im Alter die Taurinspiegel auch beim Menschen abnehmen, wobei die Mechanismen nicht eindeutig geklärt sind.Sie zeigt auch, dass diese niedrigen Taurinspiegel mit Alterungsprozessen und einer Zunahme von altersassoziierten Erkrankungen einhergehen. Außerdem führte der Studie zufolge eine Taurinsupplementation bei verschiedenen Tierspezies einerseits zu einem lebensverlängernden Effekt und andererseits zu einer Verlängerung der Gesundheitsspanne. Auf einige Altersprozesse hatte die Supplementation einen mildernden Effekt.“
Auf die Frage, wie übertragbar die im Tiermodel gewonnenen Ergebnisse auf den Menschen sind:
„Diese Studie hatviele Facetten bei verschiedenen Tiermodellen untersucht und gibt sehr interessante und kongruente Hinweise, aber solange das nicht auch eindeutig beim Menschen gezeigt worden ist, kann keine Aussage zum Einsatz und zum Effekt bei Menschen getroffen werden.“
Auf die Frage, ob eine orale Substitution von Taurin zur Langlebigkeit führen könnte:
„Zum heutigen Zeitpunkt kann man das nicht abschätzen. Dazu braucht es eben Humanstudien, die Dosierung und Wirkung sowie auch mögliche Nebenwirkungen untersuchen. Darauf weisen die Studienautor:innen auch deutlich hin.“
„Die Langlebigkeit ist aber bei Menschen bekannterweise nicht einfach zu untersuchen und meist werden dafür Surrogatmarker (messbare biologische Substanz, die als Ersatzmaß für einen bestimmten klinischen Zustand dient; Anm. d. Red.) untersucht. Generell ist es aber unwahrscheinlich, dass ein einzelner Nährstoff den multifaktoriellen Altersprozess allein beeinflussen kann.“
Auf die Frage, wie plausibel es ist, dass der positive Effekt von Sport auf die Bildung von Taurin zurückzuführen ist und inwiefern substituiertes Taurin den Effekt von Sport im Alter ersetzen kann:
„Alleinauf den Taurinspiegel-erhöhenden Effekt kann man Sport/Training niemals reduzieren. Körperliches Training hat vielfältige Auswirkungen auf verschiedensten Ebenen, die nicht auf Taurin zurückzuführen sind.“
„Die Ergebnisse sind sicher spannend, aber es gibt einige vergleichbare Substanzen, die mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht werden. Was sehr bemerkenswert ist – und weswegen die Studie es ins ‚Science‘ geschafft hat –, ist die umfassende Untersuchung vieler Altersprozesse bei verschiedenen Tierspezies und die sehr kongruenten Ergebnisse.“
„Die Übertragung auf Menschen bleibt uns die Studie schuldig. Es ist wirklich schwierig, Langlebigkeit bei Menschen zu untersuchen, und Altern ist ein multifaktorieller Prozess, der sicherlich nicht durch eine einzige Substanz verhindert werden kann.“
„Es besteht meinerseits kein Interessenkonflikt bezüglich der Studie.“
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Singh P et al. (2023): Taurine deficiency as a driver of aging. Science. DOI: 10.1126/science.abn9257.
Weiterführende Recherchequellen
McGaunn J et al. (2023): Taurine linked with healthy aging. Science. DOI: 10.1126/science.adi3025.
Zu der Primärquelle parallel veröffentlichtes Perspective.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Duszka K (2022): Versatile Triad Alliance: Bile Acid, Taurine and Microbiota. Cells. DOI: 10.3390/cells11152337.
[II] Lambert IH et al. (2015): Physiological role of taurine--from organism to organelle. Acta Physiologica. DOI: 10.1111/apha.12365.
[III] Stuerenburg HJ et al. (2006): Age related profiles of free amino acids in human skeletal muscle. Neuro Endocrinology Letters. PMID: 16648814.
[IV] Suárez LM et al. (2016): Taurine content in different brain structures during ageing: effect on hippocampal synaptic plasticity. Amino Acids. DOI: 10.1007/s00726-015-2155-2.
[V] University of Cambridge: The EPIC-Norfolk Study.
[VI] Umweltbundesamt (12.01.2023): ChemInfo informiert über Taurin.
[VII] EFSA Panel on Additives and Products or Substances used in Animal Feed (FEEDAP) (2012): Scientific Opinion on the safety and efficacy of taurine as a feed additive for all animal species. EFSA Journal. DOI: 10.2903/j.efsa.2012.2736.
[VIII] Clinicaltrials.gov: Taurine as a Possible Anti-aging Therapy? NCT05149716.
[IX] Clinicaltrials.gov: Metabolic and Molecular Responses Under the Effect of Taurine Supplementation With and Without Multicomponent Training. NCT05437952.
Dr. Sebastian Grönke
Post-Doc in der Arbeitsgruppe Biologische Mechanismen des Alterns, Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es besteht meinerseits kein Interessenkonflikt bezüglich der Studie.“
Dr. Clara Correia-Melo
Leiterin der Forschungsgruppe Mikrobiom und Metabolismus, Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), Jena
Prof. Dr. Kristina Norman
Leiterin der Abteilung Ernährung und Gerontologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), Potsdam-Rehbrücke
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Es liegen keine Interessenkonflikte vor.“