Wie wird der Solar-Boom die Stromversorgung verändern?
hoher PV-Ausbau sorgt für deutlich steigende Solarstromeinspeisung
sinkende Preise für Solarmodule führen auch international zu stark steigendem Ausbau und noch mehr Solarstrom
Forschende: Trend dürfte sich fortsetzen, ist in Deutschland allerdings auch eingeplant, PV und Batterien können Stromnetze entlasten
Ein paar hochsommerliche Tage haben sich für kurze Zeit zwischen Wolken und Regenfälle gezwängt und offenbar einen neuen Spitzenwert bei der Solarstrom-Einspeisung hervorgerufen [I]. Das liegt nicht nur am Wetter, sondern vor allem daran, dass 2023 im Jahr mehr PV-Leistung installiert wurde als in den bisherigen Rekordjahren 2010, 2011 und 2012 [II]. Dieser Trend hält bislang an [III] und wird begleitet von einer immer noch wachsenden Zahl von Batterien [IV]. Das liegt nicht allein an der Vergütung. Vielmehr fallen die Preise für Photovoltaikanlagen seit Jahren stärker als durch Forscher berechnet. Das gilt auch für Batterien.
Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Warum wurde das Wachstum von PV bisher unterschätzt?
„Ich sehe mindestens drei Gründe, warum das Wachstum der PV lange unterschätzt wurde. Erstens war der technologische Fortschritt über viele Jahre deutlich schneller, als sich viele Beobachter das vorstellen konnten. Zweitens wurde die Herstellung von PV-Zellen und Modulen vor allem in China in viel größerem Maßstab skaliert, als man erwarten konnte. Und drittens wurde die Vorteilhaftigkeit von solarer Teil-Eigenversorgung sowohl in Haushalten aus auch im Gewerbe lange unterschätzt. Diese drei Aspekte können natürlich nicht ganz scharf voneinander getrennt werden, sie überlappen sich teilweise.“
Realistische Annahmen für die kommenden Jahre zu installierter Leistung und Preisen
„Zur installierten Leistung: Für Deutschland halte ich es für durchaus realistisch, dass die Ausbauziele der Bundesregierung erreicht oder sogar übertroffen werden können. Dabei handelt es sich um 215 GW installierter Leistung im Jahr 2030 und 400 GW im Jahr 2040. Die weitere Entwicklung hängt aber sowohl von diversen regulatorischen Aspekten als auch von der Entwicklung des Flexibilitäts-Angebots im europäischen Stromsektor ab. Zu den Preisen kann ich keine fundierte Prognose abgeben.“
Folgen für die Energiewende
„Zunächst einmal ist ein schnelles Wachstum in Deutschland im Rahmen der Energiewende fest eingeplant. Um das im EEG genannte Ziel für 2030 zu erreichen, muss die PV bis dahin sogar noch etwas schneller ausgebaut werden als im Mittel der letzten 12 Monate, das zeigt unser Ampel-Monitor Energiewende [1]. Für die Strompreise bedeutet mehr PV grundsätzlich eine größere Spreizung der Strompreise zwischen Tag und Nacht, gegebenenfalls auch zwischen Sommer und Winter. Dies hängt allerdings stark davon ab, wie sich die Flexibilität im Stromsektor entwickelt, unter anderem die Nutzung von Batteriespeichern betreffend oder auch den optimierten Strombezug neuer Stromverbraucher wie E-Autos, Wärmepumpen oder Elektrolyseuren.“
Nutzen für Europa
„Zunächst einmal ist das aktuell hohe Ausbautempo der PV nicht wirklich überraschend – es ist vielmehr erforderlich, um den im EEG gesetzlich festgeschriebenen Ausbaupfad überhaupt zu erreichen. Insofern gibt es auf absehbare Zeit in Deutschland und vermutlich auch in Europa keinen ‚Überschuss‘ an PV-Strom, der für wenig energieeffiziente Anwendungen wie E-Fuels oder DACCS zur Verfügung stünde. Möglicherweise könnte dies langfristig der Fall werden, falls der PV-Ausbau sich noch einmal deutlich beschleunigt über die bisherigen Ziele hinaus – aber das ist aus meiner Sicht Zukunftsmusik. Im Moment gibt es somit auch keine realistische Möglichkeit, den geplanten Windkraft-Ausbau durch mehr PV und Batterien zu reduzieren – wir brauchen schlicht beides.“
„Aus meiner Sicht wird es zunehmend wichtig, den teilweisen Eigenverbrauch von PV-Strom in Haushalten und Gewerben möglichst systemfreundlich mit neuen dezentralen Sektorenkopplungs-Optionen wie E-Autos und Wärmepumpen zu verbinden. Das heißt, dass die Zeitprofile der Netzeinspeisung von dezentralen PV-Überschüssen sowie die Entnahme von Strom aus dem Netz für den nicht selbst erzeugten Teil des Stromverbrauchs möglichst systemfreundlich sein müssen. Also möglichst keine Netzeinspeisung von PV in Zeiten, wo ohnehin EE-Überschüsse im Gesamtsystem vorhanden sind, und möglichst kein Netzstrombezug von Prosumern in Zeiten hoher Residuallast (gemeint ist: Stromverbraucher, die per PV mehr Strom erzeugen, als sie verbrauchen, sollten diesen für Phasen geringer Stromerzeugung speichern und sich möglichst lange selbst versorgen, damit dann weniger Kraftwerke Strom erzeugen müssen; Anm. d. Red.). Dies erfordert vermutlich (direkt oder indirekt) eine starke Rolle von Großhandelspreissignalen bei dezentralen Verbrauchs- und Einspeiseentscheidungen. Aber das ist leichter gesagt als getan und regulatorisch ein ziemlich dickes Brett.“
Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund
„Photovoltaik (PV) ist so erfolgreich, weil sie aus zwei Gründen ein immenses Potenzial hat. Zum einen gibt es viele Länder mit viel Sonne, wie Südamerika oder auch Griechenland, Spanien oder Italien, die auch noch viel Nutzungspotential haben. Zum anderen die Technik. Nehmen wir zum Beispiel eine Espressomaschine. Sie besteht aus Elektronik, Elektromotor, Mechanik und Wasser. Was geht kaputt? Meistens die Mechanik. Windkraftanlagen sind fast wie eine Espressomaschine, bestehen aus Elektronik, Generator und Mechanik. Was geht kaputt? Die Mechanik, insbesondere Getriebe, Risse im Turm, Flügel fallen ab. Alles schon dagewesen. PV dagegen: Keine Mechanik, keine Geräusche, reine Elektronik, basierend auf dem Basismaterial Sand. Nichts bewegt sich und es funktioniert, solange die Module wasserdicht bleiben. Wunderbar einfach.“
Folgen für die Energiewende
„Die Kosten sind auf weniger als ein Hundertstel gefallen seit den ersten in Serie produzierten PV-Modulen 1980. Und es geht wohl noch günstiger, den Chinesen sei Dank. Dann gibt es noch einen Vorteil im System: Wenn an sonnenreichen Orten die Sonne gleichmäßig scheint, dann ist PV wunderbar zur Wasserstofferzeugung. Selbst Wind in der Nordsee ist da viel volatiler.“
„Die Herausforderungen bei PV, die ich sehe: zum einen die Abhängigkeit von China (aber wo gibt es die nicht). Die Produktion in China ist nicht so umweltfreundlich wie nötig und möglich und basiert zum großen Teil auf Kohlestrom. Zum zweiten muss noch die Recyclingkette aufgebaut werden. Das gilt allerdings auch für Windmühlenflügel. In den USA werden alte Flügel derzeit als Landfill beerdigt, da man sie sonst nicht wegkriegt. Und schließlich liegt die energetische Amortisation in Deutschland bei circa 15 Monaten, und damit etwas schlechter als bei Windenergie (circa neun Monate).“
Nutzen für Europa
„Ich halte nach wie vor die Desertec-Vision für zumindest wirtschaftlich sinnvoll: Den Platz in der Wüste nutzen und die Energie, die nicht in Nordafrika gebraucht wird, per Stromleitungen plus Wasserstoff nach Europa leiten.“
Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Warum wurde das Wachstum von PV bisher unterschätzt?
„Häufig ist immer noch in den Köpfen verankert: Die Photovoltaik ist teuer. Fakt ist aber, dass in vielen Gegenden dieser Welt Photovoltaik die kostengünstigste Technologie zur Strombereitstellung ist. Gleichzeitig ist es die am einfachsten und am schnellsten zu installierende Technologie. Zusammen mit den politischen Zielen zur CO2-Minderung und den damit gesetzten Rahmenbedingungen wirken nun die Märkte – das schnelle und weltweite Wachstum bei der Photovoltaik wird weiter anhalten. Eine Stakeholder-Community aus der PV-Wissenschaft hat im Jahr 2023 in einem Science Policy Paper ‚Photovoltaics at multi-terawatt scale: Waiting is not an option‘ [2] einen weltweiten Bedarf von über 70 Terawatt prognostiziert und sagt ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 25 Prozent bis in die nächste Dekade voraus – der Wachstumspfad geht uneingeschränkt weiter und ist nicht aufzuhalten.“
Realistische Annahmen für die kommenden Jahre zu installierter Leistung und Preisen
„Betrachtet man Deutschland, so sehen die derzeit politisch gesetzten Rahmenbedingungen einen jährlichen Zubau von 20 Gigawatt voraus, um die Ziele zur CO2-Reduktion zu erreichen. Aus meiner Sicht wird dies auch erreicht werden. Die gemittelten Stromgestehungskosten pro Megawattstunde Photovoltaik-Strom liegen dabei bei 50 Euro pro Megawattstunde für Freiflächenanlagen. Die Preise für den Strom werden dagegen an der Börse ausgehandelt und hängen damit von vielen Faktoren ab. Um Preisspitzen zu glätten, gilt es das Strommarktdesign an die nun dominierenden Erneuerbaren Energien anzupassen und entsprechend zu modifizieren.“
„Weltweit betrachtet wird der Ausbau der Photovoltaik sich weiter beschleunigen und Gestehungskosten von unter 20 Euro pro Megawattstunde sind möglich. Mit diesem kostengünstigen Strom kann dann auch grüner Wasserstoff erzeugt werden.“
Folgen für die Energiewende
„Die Energiewende in Deutschland schreitet so voran wie es geplant war – und damit nicht zu schnell. Es ist eher so, dass noch ein Aufholbedarf beim Windausbau zu verzeichnen ist. Die Energiewende kann gar nicht schnell genug erfolgen, weil die Klimaerhitzung nun spürbarer für alle zu schnell voranschreitet. Es wurde schon vor vielen Jahren kolportiert, dass die Erneuerbaren Energien nicht in das Stromnetz integrierbar sind und es wurden immer wieder Horrorszenarien publiziert. Fakt ist, die Ingenieure und die Techniker haben es bereits geschafft einen durchschnittlichen Anteil von 60 Prozent Erneuerbare ins Stromnetz unterzubringen und in der Spitze eine 100-prozentige Versorgung zu erreichen. Keine der vorhergesagten Katastrophen ist eingetreten. Das heißt nicht, dass es nicht große Herausforderungen gäbe, denen man sich annehmen muss. Der Netzausbau muss beschleunigt werden, ein angepasstes Strommarktdesign ist notwendig. Es gilt nun zu handeln und nicht zu lamentieren.“
Nutzen für Europa
„Der schnelle Ausbau insbesondere im Bereich der Photovoltaik wird in Konsequenz den Zubau von elektrischen Energiespeichern zur Folge haben. Schon heute sehen wir, dass bei Dachinstallationen bei 80 Prozent der Anlagen Batteriespeicher gleich mit installiert werden. Das ermöglicht eine Anpassung von Erzeugung zu Bedarf und entlastet die Netze. Was im Kleinen im Hausbereich in Deutschland bereits passiert, wird mit Großbatterien nun auch im Netz auf allen Ebenen erfolgen. Ähnlich wie bei der Photovoltaik werden die Batterietechnologien eine steile Lernkurve durchlaufen und somit wirtschaftlich eingesetzt werden können. Sie können damit zur Netzentlastung beitragen, aber auch Systemdienstleistungen übernehmen. Wichtig wird sein, dass diese Möglichkeiten auch regulatorisch ermöglicht werden. Ein Beispiel wäre, hier für eine Verbindung der Sektoren Mobilität und Energieversorgung zu sorgen: Vehicle2Grid und Grid2Vehicle bieten hier große Chancen.“
Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin
Warum wurde das Wachstum von PV bisher unterschätzt?
„PV skaliert anders als Großkraftwerke: Sie kann kleinteilig und in vielerlei Konfiguration, etwa als Großanlage, Agri-PV, oder Balkonkraftwerk eingesetzt werden. Diese Modularität und eine rasche Kostensenkung durch Skaleneffekte in der Produktion ermöglicht schnelles Wachstum. Gleichzeitig waren diese Effekte in der traditionellen Energieanalyse wenig vertreten.“
Realistische Annahmen für die kommenden Jahre zu installierter Leistung und Preisen
„Mit der derzeitigen Entwicklung ist es plausibel, dass die von der Regierung anvisierten 215 GW Kapazität 2030 auch erreicht oder sogar übertroffen werden. Das wird bedeuten, dass an sonnigen Tagen der Strompreis auf dem Spotmarkt gegen null oder negativ tendiert. Damit dies für den Normalverbraucher nutzbar wird, braucht es eine schnellere Einführung dynamischer Strompreise.“
Folgen für die Energiewende
„Eine Engstelle ist der Ausbau der Netze. Dieser muss einerseits beschleunigt werden. Andererseits macht es Sinn, auf dynamische Strompreise und nachfrageseitiges Management zu setzen, um Spitzenlasten zu vermeiden und das Überangebot von Strom sinnvoll zu nutzen – etwa für Elektroautos.“
Nutzen für Europa
„Eine Kombination von Großbatterien und dynamischer Strombepreisung wird zentral sein, um die fluktuierende Sonnenenergie zu managen und gleichzeitig den Zubau von Gaskraftwerken zu vermeiden.“
„Interessenkonflikte gibt es keine. Ich bin Angestellter eines Leibniz-Forschungsinstituts und in keiner Weise mit irgendeinem Unternehmen oder Akteur der Solarbranche verbandelt.“
„Kein Interessenkonflikt.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] DIW Berlin: Ampel Monitor Energiewende. Energie-Ziele der Ampel-Koalition – und wo wir heute stehen.
[2] Haegel NM et al. (2023): Photovoltaics at multi-terawatt scale: Waiting is not an option. Science. DOI: 10.1126/science.adf6957.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Energy Charts (2024): Öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland 2024. Abgerufen am 27.06.2024.
[II] Energy Charts (2024): Installierte Netto-Leistung zur Stromerzeugung in Deutschland in 2023. Abgerufen am 27.06.2024.
[III] Energy Charts (2024): Installierte Netto-Leistung zur Stromerzeugung in Deutschland in 2024. Abgerufen am 27.06.2024.
[IV] Battery Charts. Abgerufen am 27.06.2024.
[V] The Economist (20.06.2024): The exponential growth of solar power will change the world.
[VI] The Economist (20.06.2024): Sun Machines. Essay.
Dr. Wolf-Peter Schill
Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Prof. Dr. Christian Rehtanz
Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund
Prof. Dr. Andreas Bett
Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Prof. Dr. Felix Creutzig
Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin