Energie & Mobilität

29. August 2024

Windenergie-Ausbauziele bis 2026 wahrscheinlich nicht zu erreichen

  • Gesamtleistung der genehmigten Windkraftanlagen steigt weiter an
  • Realisierungsdauer vieler im Jahr 2022 genehmigter Windräder ist länger als erwartet
  • Datenreport zeigt: Ausbauziele für 2024 und 2026 trotz optimistischer Annahmen wahrscheinlich nicht zu erreichen

Der Ausbau der Windenergie an Land kommt offenbar langsam in Gang; das Ergebnis der jüngsten Ausschreibung 2024 zur Förderung der Windenergie stimmte die Bundesnetzagentur optimistisch. Trotzdem werden die im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) vorgesehenen Ausbauziele für 2024 (69 Gigawatt – GW – installierte Leistung) und für 2026 (84 GW) unter den derzeitigen Bedingungen verfehlt. Das zeigt unser Report auf Basis der Marktstammdaten. Von einem Erfolg wie beim Ausbau der Photovoltaik, deren Ausbauziel für 2024 bereits übertroffen wurde, ist die Windenergie noch weit entfernt.

Ausschreibungen und Realisierungsdauer

Bis zur Inbetriebnahme durchläuft eine Windenergieanlage (WEA) verschiedene Schritte. Zunächst muss die geplante Anlage von der zuständigen Behörde genehmigt werden. Soll es über das EEG mit einer Marktprämie gefördert werden, müssen sich die Projektierer danach mit einem Gebot an einer Ausschreibung der Bundesnetzagentur beteiligen. Bekommt das Gebot einen Zuschlag, ist klar, wie die WEA gefördert wird, sie kann in Bau gehen. Zwischen diesem Zuschlag und der Inbetriebnahme (Realisierungsdauer) dürfen in der Regel nicht mehr als 36 Monate vergehen. Mehr zum Verfahren im Report Das Wind-Ausbauziel für 2024.

Leistung der genehmigten Windkraftanlagen gestiegen

Dem Marktstammdatenregister zufolge (Stand: 28. August 2024) wurden im ersten Halbjahr 2024 geplante WEA mit gut 5600 Megawatt (MW) Leistung genehmigt. Das ist deutlich mehr als im ersten Halbjahr 2023 (etwa 3300 MW). Die Zahl der genehmigten Anlagen für das dritte Quartal ist darin noch nicht enthalten, weil das Quartal noch nicht abgeschlossen ist. Für den Windenergieausbau der kommenden Jahre ist das eine gute Nachricht. Denn bislang blieben die Ausschreibungen der Bundesnetzagentur oft unter den gesetzlich vorgeschriebenen Mengen, weil gar nicht genügend genehmigte Windenergieprojekte vorlagen. Der eigentlich vorgesehene Ausbau kann daher nicht erfolgen.

Anmerkung

Im Halbjahresbericht zum Windenergieausbau der Deutschen Windguard sind für das erste Halbjahr 2024 neu genehmigte WEA mit einer Leistung von nur 4772 Megawatt aufgeführt. Das lässt sich durch eine abweichende Methodik erklären: Wenn sich neue Rahmenbedingungen für eine Windenergieanlage ergeben, die bereits genehmigt, aber noch nicht gebaut wurde, ist teilweise eine neue Genehmigung des gleichen Projektes nötig. In den Daten des Marktstammdatenregisters wird die Anlage im Quartal der jüngsten Genehmigung aufgeführt, die Windguard zeigt sie zum Zeitpunkt der ersten Genehmigung.

Können die Ausbauziele bis 2026 erreicht werden?

Um abschätzen zu können, inwiefern die Ausbauziele für die kommenden Jahre realistisch erreicht werden können, zeigt dieser Report zwei verschiedene Szenarien.

Basisszenario 2024 bis 2026

Für 2024 nimmt das Basisszenario die von der Bundesnetzagentur bereits geplanten Ausschreibungsmengen an. Zum Gebotstermin 1. August 2024 wurden laut Bundesnetzagentur 2708 Megawatt ausgeschrieben, für den November-Termin sind 4094 Megawatt geplant. Das sind insgesamt mehr als die ursprünglich geplanten 5000 Megawatt, aber weniger, als gesetzlich vorgesehen. Leistungen aus dem Vorjahr, die nicht vergeben werden konnten, werden im folgenden Jahr erneut angeboten. Daher hat die Bundesnetzagentur die ursprünglich gesetzlich vorgesehene Menge für 2024 von 10 auf 14,8 Gigawatt erhöht.
Für die beiden folgenden Jahre stützt sich das Szenario auf den im EEG vorgeschriebenen Pfad. Danach sollen jedes Jahr vier Ausschreibungen mit je 2500 Megawatt stattfinden. Wegen der beschriebenen Regelung können die tatsächlichen Werte jedoch auch nach oben abweichen.

Um zu berechnen, wann die bezuschlagten Windräder voraussichtlich fertiggestellt werden, arbeitet das Modell mit einer Verteilung der Realisierungsdauer der Vergangenheit. Dazu werden alle Zuschläge der BNetzA seit der zweiten Ausschreibung 2019 verwendet. Realisierungsdauern länger als 36 Monate benötigen eine Ausnahmegenehmigung, Realisierungsdauern jenseits der 40 Monate werden nicht berücksichtigt. Die daraus resultierende Verteilung ist etwas zu optimistisch, da gerade die Inbetriebnahmen der Anlagen mit langer Realisierungsdauer für jüngere Ausschreibungsrunden noch in der Zukunft liegen und so nicht berücksichtigt werden können.

Auch die weiteren Annahmen des Modells sind optimistisch:

  • Erstens geht das Modell davon aus, dass es für alle Ausschreibungsrunden genug Gebote gibt, um die volle Leistung zu bezuschlagen. Das war in der Vergangenheit selten der Fall.

  • Zweitens wird die stillgelegte Leistung konservativ geschätzt. Im Jahr 2023 wurden 569 Megawatt stillgelegt. Für die Zukunft geht das Modell von jährlich 600 Megawatt stillgelegter Leistung aus, der tatsächliche Wert kann aber durchaus höher liegen. Die bisherigen Stilllegungen in diesem Jahr lassen beispielsweise erwarten, dass der Wert für 2024 übertroffen wird.

Dass die Annahmen des Modells optimistisch gewählt sind, zeigt sich auch in der Grafik: Das Wachstum der installierten Leistung würde sich laut Modell ab September 2024 stark beschleunigen.

Die Grafik zeigt für jeden Monat bis Ende 2027 die Gesamtleistung der Windkraftanlagen, die laut Szenario in Betrieb sein werden (Höhe der Säulen). Die Farbgebung veranschaulicht den Status dieser WEA im August 2024: den Anteil der bereits gebauten (blau), der bereits bezuschlagten (grün) und der erst nach August 2024 überhaupt erst ausgeschriebenen Leistung (rot).

Quelle: Marktstammdatenregister, Berechnungen: Science Media Center Germany.Downloads:Die Daten zur Erstellung dieser Abbildung herunterladen.Als PNG.Als SVG.

Trotz der optimistischen Annahmen werden die gesetzlich vorgesehenen Ausbauziele in diesem Szenario für 2024 und 2026 verfehlt: 2024 fehlen rund 5 Gigawatt installierte Leistung, 2026 immerhin noch 3 Gigawatt. Immerhin würde aber unter den gewählten Annahmen die Lücke zum Ausbauziel kleiner.

Szenario bei verdoppelter Zuschlagsmenge

Dass es fast unmöglich ist, die Ausbauziele für 2024 und 2026 zu erreichen, zeigt das zweite, noch optimistischere Szenario. Selbst unter der Annahme, dass ab 2025 bei jeder Ausschreibung statt 2500 Megawatt die doppelte Menge bezuschlagt werden könnte – zum Beispiel, wenn Genehmigungen weiter erleichtert, oder der Ausbaupfad erhöht würden – könnte das Ziel für 2026 nur knapp erreicht werden. Dies verdeutlicht noch einmal, dass die Bestrebungen, die Zuschlagsmengen zu erhöhen, erst mit Verzögerung wirken können.

Quelle: Marktstammdatenregister, Berechnungen: Science Media Center Germany.Downloads:Die Daten zur Erstellung dieser Abbildung herunterladen.Als PNG.Als SVG.

Realisierungsdauer der Windkraftanlagen

Um den Ausbau zu beschleunigen, müsste auch die Realisierungsdauer – der Zeitraum zwischen Zuschlag und Inbetriebnahme – verkürzt werden.

Seit 2022 ist hier jedoch eher ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Aus der Verteilung der Realisierungsdauer der zurückliegenden Jahre lässt sich berechnen, wie viele bezuschlagte WKA der jeweiligen Ausschreibungsrunden heute eigentlich in Betrieb sein müssten. Insbesondere bei den ersten drei Ausschreibungen aus dem Jahr 2022 wurden jedoch bislang erheblich weniger Anlagen gebaut, als eigentlich erwartbar gewesen wären – die Realisierungsdauer hat sich also verlängert.

Von den 784 Megawatt, die am 01.09.2022 einen Zuschlag erhalten haben, wurden beispielsweise erst 37,8 Prozent gebaut - obwohl ein Bau von 72 Prozent der Leistung zum jetzigen Zeitpunkt erwartbar gewesen wäre.

Die Deutsche Windguard legte im Juli 2024 auf einer Pressekonferenz dar, die Gründe dafür lägen unter anderem in den Wetterbedingungen im Frühling. Im April gab es demnach wegen starken Windes technische Probleme auf den Baustellen. Außerdem habe die Sperrung der Autobahn A27 zeitweise dazu geführt, dass kein Transport von Windrädern von Cuxhaven ins Landesinnere möglich war.

Da beide dargestellten Szenarien aber mit der Verteilung der Realisierungsdauer aus der Vergangenheit rechnen, sind die angenommenen Werte der installierten Leistung für die kommenden Monate vermutlich zu hoch. Ob die Windkraftanlagen aus den Ausschreibungen von 2022 nun zeitnah gebaut werden und ein Aufholeffekt eintritt, muss sich noch zeigen.

Datengrundlage und Code

Das Modell zur Berechnung des zu erwartenden Windkraftausbaus basiert auf einer Auswertung des Marktstammdatenregisters und den Ausschreibungsergebnissen der Bundesnetzagentur. Das Marktstammdatenregister ist eine von der Bundesnetzagentur geführte Datenbank zur Erfassung und Verwaltung von Informationen über alle Akteure und Anlagen im deutschen Strom- und Gasmarkt. Die Einträge erfolgen dabei von den Akteuren und Anlagenbetreibern in Eigenverantwortung selbst. Da den Akteuren Fristen zum Eintragen gewährt werden, kann die Zahl der genehmigten oder in-Betrieb-gegangenen WEA im MStR geringfügig von der Wirklichkeit abweichen. Die Ausschreibungsergebnisse sind auf der Seite der Bundesnetzagentur als .csv verfügbar. Für die Berechnungen wurde versucht, Duplikate im Marktstammdatenregister zu bereinigen. Weitere Methodenbeschreibungen finden sich auch im Data Report Das Wind-Ausbauziel für 2024.

Den Code für diesen Data Report stellen wir hier zur Verfügung. Die Liste der Dubletten und das Schaubild zum Prozess der Windkraftanlagenbaus sind ebenfalls verfügbar. Neben Standard R-Paketen wird ein eigenes Paket verwendet, das hier bereitgestellt wird.

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