Zertifikatemenge für den neuen EU-Emissionshandel (ETS2) festgelegt
EU legt Obergrenze für Zertifikate im Emissionshandel für Verkehr und Gebäude für 2027 fest
die beschlossene Obergrenze könnte laut Forschenden wesentlich zur Erreichung europäischer Klimaziele in den betroffenen Sektoren beitragen
ohne begleitende Maßnahmen könnte sie jedoch zu sehr hohen CO2-Preisen führen
Die Startmenge für Emissionszertifikate im europäischen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr (ETS2) steht fest: Die als Cap bezeichnete Obergrenze beträgt etwa eine Milliarde Tonnen CO2 im Jahr 2027. Das teilte die Europäische Kommission am 03.12.2024 mit [I].
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Anzahl der CO2-Zertifikate im ETS2
„Die Menge der Zertifikate orientiert sich an den Zielen im Green Deal, die für die Sektoren, die unter die europäische Lastenteilung (Effort Sharing Regulation) fallen, ein Reduktionsziel von 40 Prozent für 2030 relativ zu 2005 vorsehen. Entsprechend ergibt sich aus der Menge der Zertifikate jetzt keine direkte Einschätzung bezüglich des Ambitionsniveaus, sondern sie sind ein Instrument, das sich aus den Klimazielen der EU ergibt. Wenn man den Green Deal als ambitioniert einschätzt, dann gilt es damit auch für diese Zertifikatemenge.“
„Die Zertifikatemenge kann sich für das erste Jahr noch vergrößern, damit sich eine hinreichende Liquidität für den Markt einstellt. Bei dem sogenannten Frontloading werden die Zertifikate aber nur zeitlich vorgezogen und nicht neu hinzugegeben. Das ist sinnvoll und keine Abschwächung des Ambitionsniveaus.“
„Ausgehend von der initialen Menge kann mit dem festgelegten, linearen Reduktionsfaktor errechnet werden, wie sich die Menge der Zertifikate entwickelt. Die Unsicherheit ergibt sich durch die Marktstabilitätsreserve (MSR), die in Abhängigkeit von den CO2-Marktpreisen zusätzliche Zertifikate auf den Markt geben wird.“
„Wie sich das ETS2 nach 2030 entwickelt, beziehungsweise wie dann mit den Zertifikaten in der Marktstabilitätsreserve umgegangen wird, ist mir noch unklar.“
Auf die Frage, ob der ETS2 ausreicht, um die EU-Klimaziele der betroffenen Sektoren zu erreichen:
„Nein, das ETS2 wird voraussichtlich nicht ausreichend, weil es – wie eben beschrieben – bei hohen CO2 Preisen zu einer zusätzlichen Auktionierung von Zertifikaten aus der MSR kommen wird. Die Zertifikate in der MSR sind extra. Das heißt wenn diese Zertifikate versteigert werden, wird das Mengenziel im ETS2 eben um diese zusätzlichen Zertifikate verfehlt.“
Zusammenspiel von ETS2 und europäischer Lastenteilung
„Zusätzlich zum Zertifikatehandel im ETS2 – der vor allem auf der Ebene der Unternehmen stattfinden wird – gibt es bereits einen existierenden Mechanismus, die sogenannte Effort-Sharing-Regulation (ESR) oder Lastenteilung: Dabei sind auf staatlicher Ebene ebenfalls Ziele festgelegt, wie viele Emissionen die Mitgliedsländer der EU in den Sektoren, die unter die Lastenteilung fallen, emittieren dürfen. Wenn eines der Länder die Ziele übererfüllt, kann es die übrigen Erlaubnisse an ein Land verkaufen, das mehr Emissionen ausstößt als erlaubt. Das schafft für die Länder einen Anreiz für zusätzliche, nationale Anstrengungen, um unter den erlaubten Emissionen zu bleiben. Die Möglichkeit, Emissionen zwischen den Mitgliedsstaaten zu verlagern, ist aber wichtig für die Effizienz: So können Emissionen dort vermieden werden, wo es am günstigsten ist. Problematisch ist, dass durch das ETS2, sich die Emissionen regional verlagern können und damit die nationalen Ziele nicht mehr erreicht werden, auch wenn das aggregierte Ziel nach wie vor stimmt. Wichtig ist, dass die Länder dann den innerstaatlichen Emissionshandel nutzen, um diese Verlagerungen auszugleichen.“
„Die Idee vom ETS2 ist eben, dass die Reduktionen dort stattfinden, wo sie am günstigsten sind. Damit kann es aber zu einer Verletzung der nationalen Ziele kommen. Die ESR sollte sich idealerweise auf die Sektoren beschränken, die nicht unter das ETS2 fallen. Im ETS2 sollten die unterschiedlichen Ambitionsniveaus durch die Auktionsmengen, die an die Länder zugewiesen werden, umgesetzt werden. Das erfolgt nicht, sondern die Verteilung der Auktionsmengen orientieren sich an der Verteilung der historischen Emissionen, nicht an der Verteilung der Ziele. Deutschland hat sehr ambitionierte Ziele, aber darf gemessen daran, mehr Zertifikate versteigern.“
Einschätzung der CO2-Preisentwicklung im ETS2
„Die bisherigen Studien konzentrieren sich vor allem auf das Zieljahr 2030 und haben eine erhebliche Streuung in den Preisen. Allerdings liegen alle Studien deutlich über 45 Euro pro Tonne CO2, sondern eher bei Preisen zwischen 200 und 300 Euro. Diese Preise ergeben sich aber aus den Schätzungen der Vermeidungskosten (Kosten, den Ausstoß von Emissionen zu vermeiden; Anm. d. Red.). Die initialen, tatsächlichen CO2-Preise hängen vor allem davon ab, wie die Unternehmen diesen Markt einschätzen, welche Preiserwartungen sie haben und in welchem Maße sie sich mit Zertifikaten für die Zukunft eindecken. Entsprechend erwarte ich, dass es zu Beginn des ETS2 erstmal zu stärkeren Fluktuationen im Preis kommen wird.“
Zusätzliche Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve
„Die zusätzlichen Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve (MSR) wirken natürlich preisdämpfend. Gleichzeitig wird damit aber das Mengenziel verfehlt, weil die Zertifikate in der MSR ‚extra‘ sind. Entsprechend wird es weitere Maßnahmen bis 2030 brauchen, um das aggregierte Ziel, aber auch um die nationalen Ziele zu erreichen.“
Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin, und Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam
Anzahl der CO2-Zertifikate im ETS2
„Das neue Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude ist sehr ambitioniert. Bisher hatten wir in dem Bereich in der EU jährliche Emissionen von etwa 1200 Megatonnen. Mit dem ETS2 soll die Menge neu vergebener Emissionszertifikate – die sogenannte Cap – um etwa 60 Megatonnen pro Jahr reduziert werden, bis im Jahr 2050 keine Zertifikate mehr hinzukommen. Das ist letztlich die Konsequenz des Ziels des European Green Deals, im Jahr 2050 treibhausgasneutral zu sein.“
„Die Menge der Zertifikate lässt sich durch den linearen Reduktionsfaktor bisher schon sehr gut abschätzen. Bei dem sogenannten Frontloading werden Zertifikatsversteigerungen auf den Beginn des ETS2 vorgezogen. Dies ändert aber nichts am gesamten Ambitionsniveau. Es kann allenfalls kurzfristige Preissprünge vermeiden, die durch die Einführung des Handelssystem entstehen könnten. Somit erlaubt dies den Marktteilnehmern, zu Beginn des ETS2 einen Puffer aus Zertifikaten aufzubauen, um zukünftige Schwankungen im Markt besser auszugleichen.“
Zusätzliche Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve
„Daneben gibt es die Mechanismen zur Preisstabilisierung, wodurch zusätzliche Zertifikate in den Markt eingespeist werden können. Gemessen an den Gesamtmengen bis 2050 sind dies allerdings nur sehr geringe Mengen an Zertifikaten. Außerdem kann die Kommission auch nur bei sehr schnellen und extrem starken Preisanstiegen diese Mechanismen nutzen.“
„Insgesamt ist eine Marktstabilitätsreserve von 600 Millionen Zertifikaten vorgesehen. Gemessen an den kumulativen Emissionen bis 2050, die im ETS2 vorgesehen sind, sind das 6 Prozent. Damit lassen sich Preise nicht besonders stark beeinflussen. Weitere Zertifikate in großen Mengen einzuspeisen, würde jedoch die Erreichung der Klimaziele gefährden. Allerdings gibt es noch zwei Optionen, wie Preisanstiege ohne Gefährdung der Klimaziele begrenzt werden könnten: Durch das Zusammenführen von EU-ETS und ETS2 sowie durch die Berücksichtigung von CO2-Entnahme durch qualitativ hochwertige Verfahren – wie etwa Direct Air Capture oder Bioenergienutzung mit dauerhafter CO2-Speicherung. Durch die CO2-Entnahme ließen sich Zertifikate in die Handelssysteme einspeisen, ohne dabei die Netto-Emissionen und damit die Klimaziele zu verwässern.“
ETS2 und das Erreichen der Klimaziele
„Der ETS2 kann grundsätzlich ‚allein‘ die Klimaziele einhalten, wenn die Politik hohe CO2-Preise verkraften kann. Dafür ist ein System der Kompensation und des sozialen Ausgleichs essenziell. Hier gibt es den größten Nachhol- und Vorbereitungsbedarf der nationalen Politik der Mitgliedstaaten, auch in Deutschland. Ohne zielgenaue Entlastung wird der politische Druck sehr hoch werden, bei hohen Preisen zu intervenieren. Dadurch leidet jedoch die Glaubwürdigkeit des ganzen Systems.“
Einschätzung der CO2-Preisentwicklung im ETS2
„Dies ist nach wie vor schwierig, weil die Höhe der Preise von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung und Konjunktur abhängt: Zieht das Wachstum in der EU an, dürften auch die CO2-Preise steigen. Darüber hinaus werden die CO2-Preise im ETS2 stark von den Maßnahmen abhängen, die die Mitgliedsländer in den nächsten Jahren noch ergreifen: Durch hohe Förderprogramme, striktere Standards oder ordnungsrechtliche Vorgaben könnten auch niedrige Preise resultieren. Bleiben diese aus, sind Preise von 200 Euro oder auch mehr prinzipiell vorstellbar.“
Senior Researcher, Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin
Anzahl der CO2-Zertifikate im ETS2
„Der ETS2 verlangt von den betroffenen Sektoren eine deutlich schnellere Emissionsminderung, als wir das in der Vergangenheit gesehen haben. In den vergangenen zehn Jahren sind die Emissionen in den ETS2-Sektoren im Schnitt um 13,5 Megatonnen CO2 pro Jahr gesunken. Die Zertifikatemenge wird ab 2027 aber jedes Jahr um 63 Millionen sinken, das heißt das Tempo der Emissionsreduktion muss sich fast verfünffachen. Hoffnung macht die Entwicklung der letzten Jahre, in denen die Emissionen um jeweils über 40 Megatonnen pro Jahr gesunken sind. Es ist Aufgabe der Politik dafür zu sorgen, diese Entwicklung noch zu verstärken und für einen glatten Start in den ETS2 zu sorgen.“
„Die jetzt veröffentlichte Zahl ist sehr nahe an den bisherigen Abschätzungen. Sollte es zu keiner Änderung an der Emissionshandelsrichtlinie kommen, kann die Zertifikatemenge sehr gut auch 20 Jahre in die Zukunft ermittelt werden. Wir haben dies in einer Studie durchgerechnet [1]. Unsere Annahme zum Cap in 2027 ist nur 0,5 Prozent neben der jetzt offiziellen Zahl. Es gibt weiterhin kleine Unsicherheiten, die aber nichts an der Gesamtsituation ändern werden.“
CO2-Preisentwicklung im ETS2 und Erreichen der Klimaziele
„Der CO2-Preis alleine wird sicher nicht zu einer Erreichung der Klimaziele führen. Alle Studien zeigen, dass die dafür notwendigen Preise so hoch sind, dass sie politisch und sozial nicht akzeptabel wären. In den höchsten Preisszenarien – die einen Zustand ohne weitere Maßnahmen modellieren – würden sich Benzin und Diesel um über einen Euro pro Liter verteuern. Der CO2-Preis ist EU-weit einheitlich, gerade in den ärmeren Mitgliedsländern würde ein kurzfristiger Preissprung in der Höhe zu Energiearmut führen. Aber auch in Deutschland gibt es Gruppen, die davon stark getroffen würden.“
„Selbst wenn diese Preise tatsächlich kämen, würden sie zur Zielerreichung nicht ausreichen. So haben Mieter keinen Einfluss auf die Heizungsanlage, müssen aber die gestiegenen CO2-Kosten zahlen. In manchen Regionen gibt es genug Angebot, so dass ein Umzug in eine günstigere Wohnung möglich wäre. In sehr vielen Städten, Gemeinden und insbesondere den Großstädten ist dies schlichtweg nicht möglich, weil es viel zu wenige freie Wohnungen gibt. In anderen Fällen fehlt den Eigentümern das Wissen oder das nötige Kapital, um ein Haus energetisch zu modernisieren. Auch Ladeinfrastruktur für Elektroautos oder die Schnellladestationen für E-LKW entlang von Autobahnen werden nicht alleine durch einen CO2-Preis entstehen. Eine CO2-Bepreisung ist ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Klimaziele, ist aber in den ETS2-Sektoren nur in Kombinationen mit weiteren Politiken und Maßnahmen wirksam. Begleitende Maßnahmen sind beispielsweise ein schnellerer Heizungsaustausch und energetische Sanierung im Gebäudebestand, ein schnellerer Umstieg auf Elektromobilität oder ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.“
„Deutschland ist für etwa ein Viertel der Emissionen im ETS2 verantwortlich. Damit hängt der EU-weite CO2-Preis ganz wesentlich von den Maßnahmen bei uns ab. Allein ein Tempolimit in Deutschland würde mehr Emissionen einsparen als die gesamten ETS2-Emissionen von Zypern, Estland und Lettland zusammen.“
Zusätzliche Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve
„Die Politik kann nicht direkt die Menge der Zertifikate steuern. Das Angebot ist in der ETS-Richtlinie fixiert. Unter bestimmten Bedingungen kommen regelbasiert weitere Zertifikate in den Markt, nach unseren Analysen werden diese Mengen aber nicht reichen, um einen erheblichen Preisanstieg zu verhindern. Um strukturell für mehr Angebot zu sorgen, müsste die Emissionshandelsrichtlinie angepasst werden. Dies würde aber die Erreichung der Klimaziele für das Jahr 2030 stark gefährden. Die Zertifikatemenge im ETS2 ist an die europäischen Klimaziele angepasst – die Entwicklung des Caps ist so gesetzt worden, dass die EU die Ziele für das Jahr 2030 erfüllen kann.“
„Ich sehe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte zu benennen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Graichen J et al. (2024): Suppy and demand in the ETS2. Umweltbundesamt.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Europäische Kommission (03.12.2024): Emissions Trading System for buildings, road transport and small industry cap adopted for 2027.
[II] Kalkuhl M et al. (2023): CO2-Bepreisung zur Erreichung der Klimaneutralität im Verkehrs- und Gebäudesektor: Investitionsanreize und Verteilungswirkungen. Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
[III] Rickels et al. (2023): Potential efficiency gains from the introduction of an emissions trading system for the buildings and road transport sectors in the European Union. Kiel Institut für Weltwirtschaft.
[IV] Graichen J et al. (2024): Suppy and demand in the ETS2. Umweltbundesamt.
Prof. Dr. Wilfried Rickels
Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel
Prof. Dr. Matthias Kalkuhl
Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin, und Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam
Jakob Graichen
Senior Researcher, Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin