Dunkelflauten: Wie hohe Strompreise gesenkt werden könnten
Deutschland erlebt heute eine kurze Dunkelflaute mit sehr geringer Einspeisung durch Windenergieanlagen
der Stromertrag aus Wind- und Photovoltaikanlagen könnte auch in den kommenden Tagen gering ausfallen
Forschende: Strompreise an der Börse sind hoch, fallen aber für meiste Haushalte nicht ins Gewicht; mit Eingriffen in den Strommarkt muss man vorsichtig sein
Am 15.01.2025 fiel die Stromernte von Wind- und Photovoltaik-Anlagen (PV) sehr gering aus. Solarstrom erreichte nur eine Spitze von rund 4,6 Gigawatt (GW) am Mittag [I], das sind etwas weniger als vier Prozent der installierten Leistung. Auf einen ähnlichen Anteil fiel bis etwa 18 Uhr der Ertrag von Onshore-Windrädern (circa 2,1 GW), Wind auf See fiel zur gleichen Zeit auf 0,1 GW, etwas über einem Prozent der installierten Offshore-Leistung; das alles ist deutlich weniger als die langjährigen Mittelwerte [II]. Das ist ein Tiefpunkt, wie wir ihn auch in unserem Fact Sheets zu Dunkelflauten beschrieben haben [III]. Entsprechend hoch fielen die Strompreise der Day-Ahead-Auktion an der Strombörse EEX aus, sie erreichten knapp 378 Euro pro Megawattstunde (rund 38 Cent/kWh) [IV]. Zum Vergleich: 2024 lag der Börsenstrompreis im Jahresschnitt bei etwa 79 Euro pro Megawattstunde [V]. Auf diese Beinahe-Flaute könnte noch eine längere Phase mit wenig erneuerbarem Strom folgen: Energie-Meteorologen sehen offenbar Hinweise, dass auch in den kommenden Tagen die Ausbeute von Wind- und PV-Anlagen ähnlich gering ausfallen könnte [VI].
Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Einfluss hoher Preise an der Strombörse in Schwachwindzeiten auf Verbraucherpreis
„Für die allermeisten Haushaltskunden spielen kurzfristige Preisschwankungen am Großhandelsmarkt für Strom keine Rolle, da ihre Stromtarife (ct/kWh) zeitlich nicht schwanken, sondern in jeder Stunde gleich hoch sind. Der Stromlieferant beschafft einen großen Teil des Stroms üblicherweise längerfristig im Voraus an den Terminmärkten. Dort wird Strom für bestimmte Bänder (base oder peak load, Langfristangebote für bestimmte Verbrauchscharakteristika wie Grundlast oder Spitzenlast, Anm. d. Red.) gehandelt, bei denen sich die erwarteten Hoch- und Tiefpreisphasen herausmitteln.“
„Die Beschaffungskosten machen ohnehin nur einen Teil des Haushalts-Stromtarifs aus. Dazu kommen Steuern, Abgeben, Umlagen und Netzentgelte, die zeitlich ebenfalls nicht variieren.“
„Für Haushalte mit intelligenten Zählern und zeitlich variablen ‚smarten‘ Stromtarifen sieht es anders aus: Hier können Hoch- und Niedrigpreisphasen am Spotmarkt deutlich auf die Stromrechnung durchschlagen. Ob das generell mehr ein Risiko oder mehr eine Chance darstellt, hängt von den technischen Möglichkeiten und der Motivation der Verbraucher*innen ab, ihren Strombezug tatsächlich zu verlagern. Vermutlich bieten sich vor allem solchen Verbraucher*innen deutliche Chancen, die große und einfach verschiebbare Stromverbräuche beispielsweise durch eigene Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen haben.“
„Für viele Gewerbe- und Industriekunden spielen die schwankenden Großhandelspreise eine größere Rolle als für Haushaltskunden. Da gibt es große Unterschiede je nach Art und Höhe des Verbrauchs, aber grundsätzlich gilt: Je höher der Verbrauch, desto stärker ist der Großhandelspreis relevant. Je nach Branche und Anlage gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten, den Stromverbrauch in Hochpreisphasen herunterzufahren oder ihn in Niedrigpreisphasen zu erhöhen – eine allgemeingültige Einschätzung zum Flexibilitätspotenzial ‚der Industrie‘ als Ganzes kann man kaum geben.“
Inwiefern sind hohe Preise in Schwachwindzeiten (bei wenig Sonnenstrom) sinnvoll – oder sollten sie besser vermieden werden?
„Hohe Preise stellen sich ein, wenn die Nachfrage hoch ist und das Angebot niedrig. Nur dann kommt es zur Markträumung. So funktionieren Märkte nun einmal. Es ist nicht so, dass irgendjemand hier einfach absichtlich einen hohen Preis setzt. Insofern gibt es auch nur begrenzte Möglichkeiten, hohe Preise zu vermeiden. Sie können grundsätzlich nur vermieden oder zumindest verringert werden, wenn entweder das Angebot ausgeweitet oder die Nachfrage reduziert wird.“
„Stromspeicher wirken genau in diese Richtung: Sie erhöhen die Preise in Niedrigpreisphasen – durch zusätzliche Nachfrage – und senken sie in Hochpreisphasen – durch Ausspeicherung. Insofern kann das Abbauen von Barrieren für die Realisierung von beispielsweise großen Batteriespeichern dazu beitragen, zumindest kurzzeitige Hochpreisphasen zu dämpfen. Das gleiche gilt auch für andere Arten von Speichern sowie andere angebots- und nachfrageseitige Flexibilitäten im Stromsektor wie flexible Lasten, Flexibilisierung der Bioenergieverstromung, Flexibilisierung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und so weiter.“
Entwicklung der Börsenstrompreise in naher Zukunft
„Mittel- und langfristige Prognosen von Strommarktpreisen sind eine große Herausforderung, unter anderem aufgrund der unsicheren Entwicklung der Höhe und der Flexibilität des Stromverbrauchs, des Kraftwerksparks, und der Interaktionen im europäischen Stromsystem. Ich kann daher keine konkreten Zahlen nennen.“
„Ob der Strompreis nennenswert steigt, wenn Kohlekraftwerke stillgelegt werden, hängt unter anderem davon ab, wie viel erneuerbare Stromerzeugungsanlagen und verschiedene Typen von Kurz- und Langfristspeichern sowie gegebenenfalls gasbasierte Backup-Kraftwerke bis dahin entwickelt wurden. Außerdem hängt es von der Entwicklung der Brennstoff- und CO2-Preise ab. Je stärker diese steigen, desto weniger werden Kohlekraftwerke künftig überhaupt noch laufen, und desto geringer wird der Effekt auf die Marktpreise bei ihrer Stilllegung sein.“
Preisdämpfende Instrumente
„Unter dem Begriff ‚Preisbremse‘ wurden zuletzt teils unterschiedliche Ideen diskutiert, sowohl Preisgrenzen oder Gewinnabschöpfungen auf dem Großhandelsmarkt als auch Subventionen auf der Nachfrageseite. In jedem Fall sind Eingriffe in die Preisbildung oft komplex, erhöhen die Unsicherheit bei Marktteilnehmern, und können – im Fall von Subventionen – schnell teuer werden.“
„Kapazitätsmärkte deckeln effektiv den Großhandelspreis auf die marginalen Kosten des Grenzkraftwerks. Allerdings können erheblich Kosten für die Vorhaltung der Kapazitäten entstehen, die dann nicht über den Großhandelspreis, sondern anderweitig bezahlt werden müssen. Außerdem ist es zumindest bei zentralen Kapazitätsmärkte eine große Herausforderung, verschiedene Arten von – teils kleinteiligen, dezentralen – nachfrageseitigen Flexibilitäten und Speichern diskriminierungsfrei miteinzubeziehen.“
„Eine Alternative dazu könnte eine weiterentwickelte Kapazitätsreserve mit einem moderat hohen Auslösepreis von zum Beispiel 500 Euro pro Megawattstunde sein. Sie würde einerseits den Strommarkt absichern, andererseits aber ausreichende Preisschwankungen im Strommarkt erlauben, um Anreize für diverse Flexibilitäts-Technologien zu geben. Dieses Konzept haben wir kürzlich in [1] sowie in einer etwas ausführlicheren Studie [2] vorgestellt.“
Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik in der Abteilung Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin
Einfluss hoher Preise an der Strombörse in Schwachwindzeiten auf Verbraucherpreis
„Hohe Preise am Spotmarkt der Strombörsen haben bei den in Deutschland vorherrschenden Vertrags- beziehungsweise Tarifstrukturen keinen wesentlichen Einfluss auf die Endkundenpreise. Das liegt daran, dass diese seitens der Lieferanten vor allem mit Bezugsverträgen über die Terminmärkte abgesichert werden, in denen sich die Preisausschläge nach oben wie unten letztlich nicht oder nur sehr geringfügig niederschlagen. Betroffen sind so heute vor allem industrielle Großverbraucher, die große Teile ihres Strombedarfs am Spotmarkt beschaffen und damit sowohl von den Tiefpreisstunden profitieren als auch mit den Höchstpreisstunden umgehen müssen.“
„Die Entscheidung über die Art der Bezugsverträge obliegt heute und in Zukunft – hier auch für Kleinverbraucher – den Kunden. Wer besonders hohe Vorteile aus Tiefpreisstunden erzielen will, muss das besonders hohe Risiko der Höchstpreisstunden eingehen – wenn er nicht flexibel genug ist, in den Höchstpreisstunden den Verbrauch zu reduzieren. Energiewirtschaftlich wünschenswert sind natürlich flexible Verbraucher, die auf kurzfristige Preissignale reagieren (können), aber wer die damit verbundenen Risiken nicht eingehen kann oder will, kann sich immer für Termin- (und das heißt: Absicherungs-) Verträge entscheiden, dazu werden diese im Markt angeboten. Niemand wird in die Spotmärkte gezwungen, für die Absicherungsfunktion von Terminverträgen muss aber der entsprechende Sicherheitsaufschlag gezahlt werden.“
Inwiefern sind hohe Preise in Schwachwindzeiten (bei wenig Sonnenstrom) sinnvoll – oder sollten sie besser vermieden werden?
„Für in hohem Maße von Flexibilität geprägten Versorgungssystemen sind hohe Preise – in Zeiten eines geringen Wind- und Solardargebots beziehungsweise geringer Lastflexibilität – wie auch niedrige Preise im umgekehrten Fall elementar für das Funktionieren des Systems und damit sogar nötig. Die kurzfristigen Preise bilden das zentrale und unverzichtbare Steuerungssignal für ein effektives und ökonomisch effizientes Energiesystem. Dies gilt in besonderem Maße für energiewendegeprägte Stromsysteme, aber auch für alle Stromsysteme im Allgemeinen. Sowohl Eingriffe in diese Preise als auch andere Preisverzerrungen – typischerweise wegen problematischer regulativer Rahmensetzungen im Bereich von Einspeisevergütungen, Netzkosten et cetera – sollten so weitgehend wie möglich vermieden beziehungsweise abgebaut werden.
Entwicklung der Börsenstrompreise in naher Zukunft
„Im Mittel werden sich die Strompreise durch den Kohleausstieg bei ansonsten unveränderten Rahmenbedingungen kaum verändern. Preissetzend sind und bleiben an den Terminmärkten für die nächsten fünf bis zehn Jahre Gaskraftwerke. Durch den massiven Ausbau der Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie werden sich jedoch die unterjährigen Preisprofile deutlich verändern: Die Zahl der Stunden mit sehr niedrigen – und teilweise sogar negativen – Strompreisen wird deutlich zunehmen, demgegenüber werden deutlich weniger Stunden mit sehr hohen Strompreisen auftreten, insbesondere wenn in der Perspektive Erdgaskraftwerke zur Spitzenlastdeckung durch Wasserstoffkraftwerke abgelöst werden.“
Preisdämpfende Instrumente
„Angesichts der wichtigen Rolle von Strompreissignalen für die Steuerung des Stromsystems sollten Preiseingriffe in den Großhandelsmärkten grundsätzlich vermieden werden. Preisbremsen sind auf Ebene der Endkundenpreise oder der hier relevanten Preisbestandteile jenseits der Großhandelspreise nur für extrem außergewöhnliche Situationen wie 2022 und 2023 hinnehmbar, die zum Beispiel durch massive Verwerfungen an den Brennstoffmärkten geprägt waren.“
„Kapazitätsmärkte sollen Versorgungssicherheit gewährleisten und sind kein Instrument der aktiven Strompreisgestaltung. Industriestrompreise sind vor allem aus der Wettbewerbsperspektive relevant und sollten – wie auch Preissenkungen für andere Verbrauchergruppen – nicht über Eingriffe auf den Großhandelsmärkten, sondern über die anderen Faktoren der Endkundenpreise adressiert werden: zum Beispiel Stromsteuer, Netznutzungsentgelte, CO2-Preiskompensation oder gegebenenfalls Umsatzsteuer. Diesbezügliche Maßnahmen sollten auch vor dem Hintergrund folgender Tatsache bedacht werden: Jenseits der im internationalen Wettbewerb stehenden Industrie kommt es für die Energiewende nicht darauf an, bestimmte Preisniveaus zu erreichen, sondern darauf, bestimmte Preisverhältnisse zwischen Strom auf der einen Seite und Erdgas zuzüglich CO2-Kosten auf der anderen Seite zu erreichen. Für zentrale Energiewendetechnologien im privaten wie auch im industriellen Bereich wird es von zentraler Bedeutung sein, zwischen den Strom- und den Erdgaspreisen – inklusive CO2-Kosten – ein Verhältnis von 1:3 oder 1:2 zu erreichen.“
„Interessenkonflikte gibt es keine: Ich arbeite an einem unabhängigen Leibniz-Forschungsinstitut (gemeinnütziger Verein) und habe auch keinerlei persönliche Geschäftsinteressen im Bereich der Energiewirtschaft.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Neuhoff K et al. (2024): Versorgungssicherheitsreserve kann Strommarkt absichern und Flexibilität erschließen. DIW Wochenbericht 49/2024, S.781-789.
[2] Neuhoff K et al. (2024): Versorgungssicherheit im Stromsektor: Analyse unterschiedlicher Kapazitätsmechanismen und ihrer Interaktionen mit nachfrageseitigen Flexibilitätspotenzialen. DIW Berlin: Politikberatung kompakt 202.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Energy-Charts: Prognosen und Ist-Wert in Deutschland in Woche 3 2025. Prognose Stromerzeugung Wind Offshore, Wind Onshore, Solar. Stand: 14.01.2025.
[II] Science Media Center (2024): Das erneuerbare Energiesystem – Ausblick auf Windausbau, Rückblick auf 2023. Data & Facts. Stand: 03.01.2024.
[III] Science Media Center (2021): Kurze Dunkelflauten – lange Stromflauten? Preppen für die Dunkelflaute II. Fact Sheet. Stand: 24.11.2021.
[IV] Energy-Charts: Stromproduktion und Börsenstrompreise in Deutschland in Woche 3, 2025. Stand: 14.01.2025.
[V] Energy-Charts: Jährliche Börsenstrompreise in Deutschland: 2024. Stand: 15.01.2025
[VI] Großmann, C-D (14.01.2025): Marktkommentar: Dunkelflaute treibt die Strompreise in die Höhe. Energie & Management Powernews.
[VII] EEX Transparency: Available Capacity Stand: 14.01.2025.
[VIII] Science Media Center (2024): Energiewende nach der Bundestagswahl: Neuer Kurs oder weiter so? Press Briefing. Stand: 27.11.2024. Christian Rehtanz über die Frage, ob Kohlekraftwerke erst später stillgelegt werden dürfen ->hier<-.
[IX] Science Media Center (2023): Kraftwerksstrategie: flexiblere Verbraucher oder mehr Kraftwerke – was hilft bei Dunkelflauten? Press Briefing. Stand: 23.10.2023.
Dr. Wolf-Peter Schill
Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte gibt es keine: Ich arbeite an einem unabhängigen Leibniz-Forschungsinstitut (gemeinnütziger Verein) und habe auch keinerlei persönliche Geschäftsinteressen im Bereich der Energiewirtschaft.“
Dr. Felix Christian Matthes
Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik in der Abteilung Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin