Migräne: möglicher Wirkstoff gegen Vorboten-Symptome
Migräne-Medikament Ubrogepant könnte auch gegen Migräne-Vorboten helfen
bisherige Therapie zielt auf Linderung oder Verhindern des Kopfschmerzes ab
Fachleute sehen Ergebnisse als ersten Hinweis für eine Wirksamkeit, als Bestätigung müssten aber noch gezielt konzipierte Studien folgen
Das Migräne-Medikament Ubrogepant könnte nicht nur Kopfschmerzen verhindern, sondern auch gegen die vorhergehenden Symptome wirken. Dies ist das Ergebnis einer detaillierteren Nachauswertung der PRODROME-Studie [I], die ursprünglich die Wirkung von Ubrogepant auf den Kopfschmerz untersucht hatte. Die Nachauswertung wurden am 12.05.2025 in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).
Leiterin Westdeutsches Kopfschmerzzentrum und Oberärztin für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
Inhalt der Studie
„Die Studie untersucht erstmals, ob eine Migräne bereits in der Vorphase wirksam unterbrochen werden kann. Bisherige Praxis: Die Akutmedikation wird vor allem zur Behandlung der Kopfschmerzen im eigentlichen Migräneanfall eingesetzt. Es ist jedoch seit Langem bekannt, dass eine Migräne viel früher beginnt – häufig mit Vorboten wie kognitiven Beeinträchtigungen, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Kreislaufbeschwerden. Genau diesen frühen Symptomen und der Möglichkeit, die Migräne bereits in diesem Stadium zu unterbrechen, widmet sich die vorgestellte Untersuchung.“
Ergebnisse
„Die Autoren schließen aus den Ergebnissen ihrer Studie, dass die pathophysiologischen Ursachen der Migräne vermutlich im zentralen Nervensystem liegen. Diese Annahme stützen sie darauf, dass die Ubrogepant-Therapie bereits in der Vorphase der Migräne wirksam ist und Symptome beeinflusst, die dem zentralen Nervensystem zugeordnet werden.“
Methodik und Aussagekraft hinsichtlich der Wirksamkeit
„Die Aussagekraft einer explorativen Analyse ist naturgemäß geringer als die einer kontrollierten Studie, die sich gezielt mit dieser Fragestellung befasst. Dennoch liefern die vorliegenden Daten erste Hinweise darauf, dass Ubrogepant in der Vorphase der Migräne wirksam sein könnte. Damit wird zumindest eine interessante Hypothese gestützt. Allerdings sind weitere, gezielt konzipierte Studien erforderlich, um diesen vielversprechenden Ansatz wissenschaftlich zu untermauern.“
Unterschied zwischen Prodromal-Phase und Aura-Phase
„Hier ist es wichtig, klar zwischen der Prodromal-Phase, also der Vorphase der Migräne, und der Aura-Phase zu unterscheiden. Die in dieser Studie untersuchten Symptome wie kognitive Beeinträchtigungen, Fatigue und Lichtempfindlichkeit treten in der Prodromal-Phase auf. Es handelt sich dabei nicht um die Aura, die durch andere neurologische Symptome wie zum Beispiel Flimmerskotome (Sehstörungen mit Sehen von Flimmern oder Blitzen; Anm. d. Red.) gekennzeichnet ist und hiervon klar abzugrenzen ist. Eine mögliche Wirksamkeit von Ubrogepant in der Aura-Phase wurde in dieser Studie nicht untersucht.“
Zukunft und Zusatznutzen von Ubrogepant
„Ubrogepant ist eine neue und vielversprechende Substanz zur Akuttherapie der Migräne. Besonders interessant wäre der Einsatz bereits in der Prodromal-Phase, da dies eine Therapieerweiterung darstellen würde, die bislang nicht zur Verfügung steht. Da diese Medikamentengruppe vermutlich nicht mit dem Risiko eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch verbunden ist, wäre der frühzeitige Einsatz von Ubrogepant besonders attraktiv. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn auch eine Zulassung durch die EMA erfolgen würde. Ob ein entsprechendes Zulassungsverfahren bereits geplant ist, ist mir jedoch nicht bekannt.“
Chefarzt, Schmerzklinik Kiel
Über die Prodromal-Phase
„Die Prodromal-Phase der Migräne – auch als Vorbotenphase bezeichnet – markiert den frühesten Abschnitt einer Migräneattacke. Sie beginnt in der Regel mehrere Stunden bis zu zwei Tage vor dem Einsetzen des eigentlichen Kopfschmerzes und betrifft schätzungsweise 60 bis 80 Prozent der Migränepatientinnen und -patienten. In dieser Phase treten eine Vielzahl unspezifischer Symptome auf, die sowohl kognitiver, affektiver (die Gefühlslage betreffend; Anm. d. Red.) als auch somatischer (den Körper betreffend; Anm. d. Red.) Natur sein können. Dazu zählen unter anderem eine Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit, Denkverlangsamung, Gereiztheit, depressive Verstimmung, ein verstärktes Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln, ausgeprägte Müdigkeit, Gähnzwang, vermehrter Harndrang, Nackenschmerzen sowie eine erhöhte Licht- oder Geräuschempfindlichkeit.“
„Die Dauer der Prodromal-Phase variiert individuell, umfasst jedoch typischerweise einen Zeitraum von mehreren Stunden bis hin zu 48 Stunden. Häufig geht sie ohne scharfe Abgrenzung in die Schmerzphase oder – bei bestimmten Patientinnen und Patienten – in eine Aura-Phase über. Die frühzeitige Identifikation dieser Vorboten ist von erheblicher klinischer Bedeutung: Sie eröffnet die Möglichkeit, therapeutisch frühzeitig einzugreifen und so den weiteren Verlauf der Migräneattacke positiv zu beeinflussen oder sie im Idealfall zu unterbrechen.“
Unterschied zwischen Prodromal-Phase und Aura-Phase
„Im Unterschied zur Prodromal-Phase beschreibt die Aura eine eigenständige, meist kurz bis zu einer Stunde vor dem Kopfschmerz auftretende neurologische Symptomatik. Sie äußert sich typischerweise in Form von Sehstörungen, Sensibilitätsausfällen oder Sprachstörungen. Während die Aura in der Regel klar umgrenzt ist und auf einer kortikalen Spreading Depression (Depolarisation einer Seite der Hirnrinde; Anm. d. Red.) beruht, ist die Prodromal-Phase diffus und in ihrer Ausprägung heterogener.“
Ergebnisse
„Die Studie liefert nun erstmals Hinweise darauf, dass der CGRP-Rezeptorantagonist Ubrogepant – bislang primär zur Akutbehandlung von Migränekopfschmerzen eingesetzt – auch bereits in der Prodromal-Phase wirksam sein könnte. In der doppelblinden, placebo-kontrollierten Crossover-Studie mit 477 Teilnehmern (modified-intention-to-treat-Teilnehmende, die in die Analyse miteinbezogen wurden; Anm. d. Red.) wurde dokumentiert, dass Ubrogepant signifikant zur Linderung prodromaler Symptome wie Lichtempfindlichkeit, Fatigue, kognitiver Beeinträchtigungen und Nackenschmerzen beitragen kann – und zwar bereits Stunden vor dem Einsetzen der Kopfschmerzen. Voraussetzung war, dass die Betroffenen aufgrund ihrer individuellen Erfahrung eine Migräneattacke als unmittelbar bevorstehend einschätzten – mit einer erwarteten Schmerzmanifestation innerhalb von ein bis sechs Stunden.“
„Diese Erkenntnisse eröffnen eine neue therapeutische Perspektive: die gezielte pharmakologische Intervention in einem sehr frühen Stadium der Migräne – möglicherweise noch vor Beginn des Schmerzes. Daraus ergibt sich der konzeptionelle Ansatz einer ‚Kurzzeitprophylaxe‘ mit dem Ziel, beginnende Attacken zu unterbrechen oder abzumildern.“
Methodik und Aussagekraft hinsichtlich der Wirksamkeit
„Die Studie ist methodisch hochwertig aufgebaut, doch ist zu beachten, dass die Auswertung der Prodromal-Phase im Rahmen einer explorativen Analyse erfolgte. Das bedeutet, dass die betreffenden Ergebnisse zwar statistisch signifikant, jedoch nicht primär hypothesengeleitet und daher als hypothesengenerierend einzustufen sind. Für eine Erweiterung einer Zulassung – etwa zur Anwendung von Ubrogepant in der Prodromal-Phase – wären gezielte Studien mit entsprechendem Studiendesign und vordefiniertem primären Endpunkt erforderlich.“
„Hinsichtlich der Migräne-Aura bleibt die therapeutische Lage unverändert: Eine spezifische medikamentöse Behandlung existiert bislang nicht. Sowohl Triptane als auch Gepante entfalten in der Regel keine Wirkung gegen Aura-Symptome. Die vorliegende Studie schließt Personen mit Aura ausdrücklich aus, sodass sich aus ihren Ergebnissen keine Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Ubrogepant bei dieser Patientengruppe ziehen lassen.“
Zukunft und Zusatznutzen von Ubrogepant
„Insgesamt aber deutet sich ein Paradigmenwechsel an: Weg von der ausschließlichen Akutbehandlung in der Schmerzphase und hin zur gezielten Intervention im Frühstadium der Migräne. Ob sich dieser Ansatz auch regulatorisch durchsetzen wird, hängt von weiteren, methodisch robust angelegten Studien ab.“
ärztlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender, Universitätsmedizin Greifswald, und Leitung der Arbeitsgruppe Kopfschmerzen und der Kopfschmerzambulanz, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Ergebnisse
„Die Studie von Goadsby und Kollegen liefert interessante Erkenntnisse zum Verständnis der Migräne. Sie zeigt, dass bei Patienten mit Prodromal-Symptomen im Rahmen einer akuten Migräne nach einer Behandlung mit Ubrogepant diese Symptome gebessert werden können, beziehungsweise ganz zurückgehen können. Ubrogepant ist ein CGRP-Rezeptor-Antagonisten (Gepant). Diese Substanzen sind sehr kleine Moleküle, die gegebenenfalls die Blut-Hirn-Schranke durchdringen können.“
„Das zur Baseline häufigste Prodromal-Symptom in den Studien – die Lichtempfindlichkeit – trat bei circa 60 Prozent der Patienten auf und bildete sich zurück – beziehungsweise remittierte komplett – beginnend nach zwei Stunden bei 27,3 Prozent der Patienten mit Ubrogepant-Einnahme, jedoch nur bei 16,8 Prozent der Patienten mit dem Placebo. Auch andere Symptome wie Schmerzen im Nacken oder Nackensteifigkeit (Auftreten bei circa 40 Prozent der Patienten zur Baseline) bildete sich komplett zurück – beginnend nach drei Stunden – bei circa 28,9 Prozent der Patienten mit Ubrogepant und 15,9 Prozent bei Placebo. Weitere, zeitlich noch später beginnende Besserungen wurden für die Symptome Geräuschempfindlichkeit und Benommenheit/Schwindel zugunsten von Ubrogepant aufgezeigt.“
„Bei circa 50 Prozent der in die Studie eingeschlossenen Patienten traten mit einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit nach Auftreten dieser Prodromal-Symptome Kopfschmerzen auf. Für diese Patientengruppe kann hier gegebenenfalls eine Behandlungsmöglichkeit entstehen. Es ist jedoch unklar, ob bei den Patienten, bei denen sich eines der Prodromal-Symptome zurückbildet, auch der Kopfschmerz gebessert wird.“
Mehrwert der Studie zum Wissen über die Migräne-Entstehung
„Die Studie zeigt, dass in dieser spezifischen Patientengruppe die Migräne sehr wahrscheinlich im Gehirn beginnt. Der Beginn einer Migräne im Gehirn ist jedoch keine neue Erkenntnis, da bereits vor vielen Jahren gezeigt wurde, dass auch die Migräne-Aura, die häufig dem Kopfschmerz voraus geht, ein Phänomen des Gehirns ist. Während die Aura ein Phänomen der Hirnrinde ist, sind viele der Prodromal-Symptome Hirnstamm-Symptome.“
„Letztlich gilt die hier publizierte Beobachtung vom Goadsby und Kollegen nur für die Gruppe der Patienten mit Prodromal-Symptomen und nicht für alle Patienten mit Migräne. Es ist unklar, ob das andere gesicherte Phänomen des zentralen Nervensystems – die Aura – auf eine Behandlung mit Ubrogepant anspricht, beziehungsweise komplett verschwindet. Die Studie liefert auch keine Aussage darüber, wie und wo bei Patienten ohne diese Prodromal-Symptome die Migräne entsteht. Hier existieren nach meiner Überzeugung viele verschiedenen Mechanismen, die zur Migräne führen können. In der Zusammenschau ergibt die Studie, dass im Gehirn entstehende Migräne-Phänomene, mit einem CGRP-Rezeptor-Antagonisten behandelt werden können. Über den Wirkmechanismus – außerhalb einer Wirkung von Ubrogepant auf den CGRP-Rezeptor – kann keine zuverlässige detaillierte Aussage getroffen werden, da dieser nicht direkt untersucht wurde.“
Methodik und Aussagekraft hinsichtlich der Wirksamkeit
„Die Methodik sehe ich als kritisch an. Die Studie war nicht primär zur Untersuchung der hier berichteten Fragestellung aufgesetzt und strukturiert. Daher gibt es auch entsprechende Unsicherheiten bei der statistischen Aussagekraft der Ergebnisse aufgrund fehlender statistischer Tests, so wie diese in der Regel für die primäre Endpunktanalyse einer Studie durchgeführt werden. Dies räumen die Autoren in der Publikation als Schwäche ein. Die publizierte Analyse ist daher kein sicherer Beleg für eine Wirksamkeit von Ubrogepant auf die Prodromal-Symptome der Migräne, ist jedoch als starker Hinweis hierfür zu sehen.“
„Es ist zudem unklar, wie viele Prodromal-Symptome bei einem Patienten auftraten und ob bei einem Patienten alle Prodromal-Symptome gleichartig auf die Behandlung angesprochen haben, also: Wie viele Patienten waren nach Einnahme von Ubrogepant beziehungsweise Placebo komplett frei von Prodromal-Symptomen? Waren einzelne Symptome bei verschiedenen Patienten verschwunden und andere bestanden fort?“
„Eine relevante Herausforderung sehe ich darin, dass der Bezug der Symptome zum Kopfschmerz – einem Kernsymptom der Migräne – in der Analyse nicht erfasst wurde. In diesem Report werden Veränderungen/Besserungen des Symptomverlaufs der Vorboten-Symptome zwei Stunden nach ihrem Beginn oder später aufgezeigt. Die Patienten hatten in ihrer Vorgeschichte zuverlässig angegeben, in 75 Prozent der Episoden eine bis sechs Stunden nach dem Beginn von Prodromal-Symptomen ebenso Kopfschmerzen zu verspüren. Diese Angabe wurde auch in der Studie in vorhergehenden Attacken, die nicht mit Ubrogepant behandelt wurden, bestätigt. Es erscheint unwahrscheinlich, jedoch nicht unmöglich, dass die Therapie der Kopfschmerzen mit Ubrogepant maßgeblich zur Beendigung der hier dargestellten Prodromal-Symptome beigetragen hat. Kopfschmerzen und Prodromal-Symptome können überlappen. Hierzu finden sich in der Analyse keine Angaben. Diese Frage muss daher in einer nachfolgenden, großen Studie evaluiert werden.“
Medikamente zur Behandlung von Aura-Symptomen
„Es gibt bisher kein zugelassenes Akut-Medikament zur Behandlung der Aura und es ist auch unklar, ob Ubrogepant einen Einfluss auf die Dauer oder das Auftreten oder den Charakter der Migräne-Aura besitzt. Medikamente, die alle zur Prophylaxe der Migräne zugelassen sind, nämlich CGRP-monoklonale-Antikörper, Atogepant oder Topiramat, führen ebenso zu einer Verminderung der Aura-Häufigkeit. Eine Wirkung auf die Aura ist bisher von keiner der zur Akut-Behandlung der Migräne zugelassenen Substanzen bekannt. Ubrogepant ist in der Akut-Behandlung der Migräne etwas weniger gut wirksam als die Triptane. Dies zeigen indirekte Vergleichsanalysen. Direkte Vergleiche aus doppelblinden Studien existieren bisher nicht. Ubrogepant ist in Europa bisher nicht zur Akut-Therapie der Migräne zugelassen. Für andere Gepante, die zur Akuttherapie der Migräne zugelassen sind (zum Beispiel Rimegepant), gibt es keine Hinweise für einen Einfluss auf die Migräne-Aura.“
Unterschied zwischen Prodromal-Phase und Aura-Phase
„Die Prodromal-Symptome sind nicht mit der Aura gleichzusetzen. Die Aura ist ein maximal eine Stunde anhaltendes, sehr stereotyp ablaufendes Phänomen, das in der Regel mit enger zeitlicher Binding an den Kopfschmerz auftritt. Prodromal-Symptome sind dahingegen ausgesprochen vielfältig und ihre Entstehungsursache ist im Gegensatz zur Aura weitgehend unbekannt.“
Zukunft und Zusatznutzen von Ubrogepant
„Ubrogepant hätte bereits ohne diese Daten in Europa zugelassen werden können, da seine Wirksamkeit auf die akute Migräne (Schmerz, assoziierte Symptome) nachgewiesen wurde. Daher ändern diese neuen Daten nichts an der Möglichkeit Ubrogepants in Europa zur Akut-Behandlung der Migräne zugelassen zu werden. Ubrogepant ist ein sicheres und ausgesprochen gut verträgliches Medikament. Die neuen Daten reichen nach meiner Ansicht nicht aus, eine Zulassung zur Behandlung der Prodromal-Symptome zu erhalten. Es wäre jedoch wünschenswert, dass eine Studie mit dem primären Endpunkt des Einflusses von Ubrogepant versus Placebo auf Prodromal-Symptome und den Kopfschmerz (im selben Individuum) durchgeführt wird. Diese sollte sich ebenso mit der Frage beschäftigen, ob Patienten völlig frei von Prodromal-Symptomen werden, oder nur einzelne dieser Symptome gebessert werden.“
Generalsekretärin im Präsidium der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und Leiterin der Kopfschmerzambulanz, UniversitätsSchmerzCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Inhalt der Studie
„Relativ neu ist die spezifische Beurteilung der Effekte von Akutmedikation auf Prodromal-Symptome der Migräne, wie Licht- und Geräuschempfindlichkeit und Fatigue. Ubrogepant ist in den USA zur Akuttherapie der Migräne zugelassen.“
Methodik und Aussagekraft hinsichtlich der Wirksamkeit
„Die Studie ist Teil der Studie ‚PRODROME‘, welche den Effekt von 100 Milligramm Ubrogepant auf die Kopfschmerzreduktion bei Einnahme der Tablette in der Prodromal-Phase der Migräne untersuchte. Die Studie zeigte, dass Ubrogepant bei der Behandlung von Migräneanfällen wirksam und gut verträglich war, wenn es im Prodromal-Stadium eingenommen wurde [I].“
„Der Effekt von Ubrogepant auf die Prodromal-Symptome war ein vorher spezifizierter explorativer Endpunkt der Studie. Da in der Studie der Effekt auf den Kopfschmerz im Vordergrund stand, wurden die Patienten angewiesen, das Medikament einzunehmen, wenn sie sicher waren, dass innerhalb von ein bis sechs Stunden ein Kopfschmerz auftreten würde, und nicht bei der ersten Erkennung von Prodromal-Symptomen. Das kann die Aussagekraft der Studie einschränken.“
„Deutlich schwieriger ist methodisch jedoch der Fakt, dass die Ergebnisse nicht für Mehrfachvergleiche kontrolliert wurden. Das kann die Aussagekraft der gezeigten Ergebnisse relevant einschränken. Wie die Autoren konstatieren, handelt es sich um eine explorative Analyse, die als Basis für kontrollierte Studien dient, die spezifisch den Einfluss von Ubrogepant auf Prodromal-Symptome als primären Studienendpunkt untersuchen.“
Behandlung von Aura-Symptomen
„Für die Behandlung der Migräneaura gibt es keine Akutmedikation. Migräneauren können zum Beispiel über medikamentöse Migräneprophylaxen reduziert werden. Wichtig ist es, eine Migräneaura, also zum Beispiel Seh- und Gefühlsstörungen nicht mit den Prodromal-Symptomen der Migräneattacke wie oben genannt zu verwechseln.“
Wirkung von Ubrogepant auf den Kopfschmerz
„Indirekte vergleichende Analysen zeigen die Effekte von Ubrogepant in der Akuttherapie der Migräne als weniger stark im Vergleich zu den Effekten von zum Beispiel Eletriptan [1].“
Zukunft und Zusatznutzen von Ubrogepant
„Eine Zulassung durch die EMA wird aktuell nicht erwartet. Diese Ergebnisse wären nicht ausreichend, um Ubrogepant als Medikament gegen die Migräne-Prodromal-Symptome zu empfehlen.“
Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie, Neurologische Intensivmedizin, Kopfschmerzzentrum Frankfurt
Über die Prodromal-Symptome
„Der Ablauf eines Migräneanfalls wird in eine Prodromal-Phase, die fakultative Aura-Phase, die Kopfschmerz-Phase und eine Postdromal-Phase gegliedert. Prodrome sind dabei Symptome, an denen Patienten erkennen, dass in den nächsten Stunden eine Migräneattacke einsetzen wird. Typische Prodromal-Symptome sind Heißhunger oder Gähnen, aber auch Konzentrationsstörungen und Lichtempfindlichkeit. Definitionsgemäß gelten solche Symptome nur dann als Prodromal-Symptome, solange noch keine Kopfschmerzen eingesetzt haben, denn Lichtempfindlichkeit oder Konzentrationsstörungen sind in der Migräneattacke auch häufige Begleitsymptome, wenn die Kopfschmerzen bestehen. Mittlerweile konnte wiederholt gezeigt werden, dass die Prodromal-Symptome ihren Ursprung im Bereich des Hypothalamus haben, sie belegen also die These eines zentralen Ursprungs einer Migräneattacke. Es wäre wünschenswert, wenn es gelänge, durch eine Behandlung bereits in der Prodomalphase das Auftreten der Migräneattacken zu verhindern oder abzuschwächen.“
Relevanz der Prodromal-Symptome
„Prodromal-Symptome wie Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Benommenheit oder Konzentrationsstörungen sowie Nackenschmerzen beeinträchtigen Betroffene mit Migräne erheblich. Die Lichtempfindlichkeit wird in vielen Studien zur Migräneattacken als am meisten störendes Symptome (‚Most bothersome symptom‘; MBS) angegeben. Benommenheit und Konzentrationsstörungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit im Alltag zum Beispiel auch im beruflichen Kontext erheblich.“
Über die Gepante
„Gepante sind oral einzunehmende Medikamente, die den Rezeptor für CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) blockieren und so auf Migräneattacken und zur Migräneprophylaxe wirken können. CGRP ist ein Neuropeptid, das eine zentrale Bedeutung in der Entstehung der Migräne hat. Die erste Generation der Gepante wurde vor 15 Jahren untersucht, wurde aber wegen Leberwerterhöhungen bei einem kleinen Teil der Studienteilnehmer nicht zugelassen und eingeführt. Mittlerweile ist in Deutschland Atogepant erhältlich: Die Zulassung gilt nur zur Migräneprophylaxe, Studien zur Wirksamkeit im akuten Migräneanfall werden aktuell durchgeführt. Die Markteinführung von Rimegepant wird in Deutschland erwartet. Es ist zugelassen zur Prophylaxe der episodischen Migräne und zur Akuttherapie. Bislang in Deutschland nicht zugelassen sind Zavegepant (ein Gepant-Nasenspray) und Ubrogepant, das bislang zur Akuttherapie der Migräne untersucht wurde. Gepante zeichnen sich durch eine gute Verträglichkeit aus und könnten in der Akuttherapie vor allem für Betroffene interessant sein, die Triptane nicht vertragen oder bei denen Triptane keine Wirkung zeigen.“
Inhalt der Studie
„Die Studie stellt eine explorative Analyse der 2023 im Lancet publizierten PRODROME-Studie [I] dar, in dieser Studie wurde untersucht, inwiefern die Einnahme von 100 Milligramm Ubrogepant in der Prodromal-Phase einer Migräneattacke in der Lage ist, das Auftreten der Kopfschmerzen als Hauptsymptom einer Migräneattacke zu verhindern. Die Studienteilnehmer führten zunächst ein prospektives Tagebuch, um zu belegen, dass sie ihre Attacken in den nächsten ein bis sechs Stunden vorhersagen konnten. Dann wurde je eine Attacke mit 100 Milligramm Ubrogepant und eine Attacke mit Placebo behandelt. Innerhalb von 24 Stunden konnten moderate oder schwere Kopfschmerzen mit Ubrogepant bei 46 Prozent der Einnahmen und bei 29 Prozent der Einnahmen von Placebo verhindert werden. Die Verträglichkeit von Ubrogepant war gut.“
Ergebnisse
„Die jetzt vorgelegte explorative Analyse untersuchte, inwieweit Prodromal-Symptome erfolgreich beseitigt werden konnten. Lichtempfindlichkeit bestand zwei Stunden nach Einnahme der Studienmedikation bei 19,5 Prozent der mit Ubrogepant und bei 12,5 Prozent der mit Placebo behandelten Attacken nicht mehr. Drei Stunden nach Einnahme bestand keine Fatigue mehr bei 27,3 Prozent der mit Ubrogepant und bei 16,8 Prozent der mit Placebo behandelten Attacken. Nackenschmerz bestand nicht mehr bei 28,9 Prozent (Ubrogepant) beziehungsweise 15,9 Prozent (Placebo) der Attacken. Geräuschempfindlichkeit bestand vier Stunden nach Einnahme nicht mehr bei 50,7 Prozent (Ubrogepant) und 35,8 Prozent (Placebo) nach Einnahme. Verbesserungen konnten auch für Konzentrationsstörungen und Benommenheit gezeigt werden.“
„Die Behandlung mit Ubrogepant war also im Vergleich zur Behandlung mit Placebo häufiger in der Lage, störende Prodromal-Symptome zu beseitigen.“
„Die Einnahme von Ubrogepant bei von Patienten vorhersagbaren Migräneanfällen kann – wie in den beiden Veröffentlichungen der PRODROME-Studie gezeigt – zum Teil sowohl das Auftreten des voll ausgeprägten Migräneanfalls verhindern [I] als auch die störenden Prodromal-Symptome selbst verringern oder verhindern. Dies stellt für Migränebetroffene eine deutliche Verbesserung dar, sollen doch die aktuell verfügbaren Migränemittel – die Triptane – erst bei Eintreten des Kopfschmerzes eingenommen werden. Außerdem zeichnet sich Ubrogepant durch eine gute Verträglichkeit aus.“
Methodik und Aussagekraft hinsichtlich der Wirksamkeit
„Explorative Analysen können prospektive, randomisierte klinische Studien nicht ersetzen, aber in Zusammenschau mit der Wirkung auf die Kopfschmerzen selbst bei Einnahme von Ubrogepant bereits in der Prodromal-Phase wirken die Daten überzeugend. Letztlich werden die Patienten im Alltag berichten, ob das Konzept tragfähig ist.“
Wirkung von Ubrogepant auf den Kopfschmerz und auf die Aura
„Prodromal-Symptome dürfen nicht mit der Migräne-Aura verwechselt werden, zur Aura wird in der Studie keine Aussage gemacht. Die Wirksamkeit von Ubrogepant bezüglich des Endpunktes Kopfschmerzfreiheit zwei Stunden nach Einnahme [II] [III] ist wie die von anderen untersuchten Gepanten im indirekten Vergleich der Studienergebnisse der Wirksamkeit von zum Beispiel Eletriptan 40 Milligramm oder Rizatriptan 10 Milligramm unterlegen – diese erreichten Raten von circa 35 Prozent Schmerzfreiheit zwei Stunden nach Einnahme. Mit den Gepanten werden rund 20 Prozent Schmerzfreiheit nach zwei Stunden im Vergleich zu Placebo (circa zehn Prozent) erreicht. Die Gepante zeigen jedoch in den Studien insgesamt eine sehr gute Verträglichkeit und können auch bei einer Subgruppe von Patienten wirksam sein, die keine Wirkung von Triptanen verspüren oder auf diese mit Nebenwirkungen reagieren.“
Zukunft und Zusatznutzen von Ubrogepant
„Aktuell wissen wir nicht, ob es geplant ist, Ubrogepant auch in Europa auf den Markt zu bringen. Es bleibt zu hoffen, dass vielleicht ähnliche Effekte mit Rimegepant, das bald verfügbar sein wird, und Atogepant, das aktuell als Akutmedikation im Migräneanfall untersucht wird, auch erreicht werden können.“
„Wahrscheinlich wird im Sommer 2025 Rimegepant verfügbar werden, für das eine ähnliche Untersuchung bislang nicht vorliegt. Aktuell wird auch die Wirkung von Atogepant auf die akute Migräneattacke untersucht, die Ergebnisse dieser Studie liegen allerdings noch nicht vor und auch für Atogepant liegen Studien zur Wirkung auf Prodromal-Symptome noch nicht vor. Sollten beide Substanzen in Europa zur Akuttherapie der Migräne verfügbar sein, ist die zusätzliche Einführung von Ubrogepant eher unwahrscheinlich.“
Fazit
„Die Wirkung auf Prodromal-Symptome und den Kopfschmerz schon bei Einnahme in der Prodromal-Phase ist ein spannender Aspekt, der für Migränepatienten ein deutlicher Fortschritt werden kann, eine Wirkung auf die Aura wurde bislang nicht untersucht. Jede zusätzliche Behandlungsoption verbessert die Situation für die Betroffenen.“
„Keine Interessenkonflikte bezüglich Ubrogepant. Ich bin Gründerin der Migräne-App headacy und habe Vorträge für Novartis, Teva, Abbvie, Organon, Lundbeck gehalten.“
„Interessenkonflikte habe ich nicht.“
„Ich habe institutionelle Mittel und keinerlei persönliche Vergütung erhalten für: Vorträge und Teilnahme an Advisory Boards von Abbvie, Novartis, Lilly, Lundbeck, Pfizer und TEVA.
Ich habe Funding für eine Prüfer-initiierte Studie von Novartis erhalten (an die Charité). Ich bin Vize-Präsident der European Headache Federation. Ich bin associate Editor des Journal of Headache and Pain.“
„Ich habe finanzielle Unterstützung für Vortragstätigkeiten/Advisory Boards Lundbeck, Novartis, TEVA, Organon, Sanofi, Reckitt erhalten.“
“Ich erhielt Honorare für Vorträge oder Beratung von Abbvie, Lilly, Novartis, Hormosan, Sanofi-Aventis, Lundbeck, Perfood, Vectura Fertin Pharma, Chordate, Pfizer, Dr. Reddys, Merz, Reckitt-Benckiser und TEVA. Des weiteren erhielt ich Forschungsunterstützung durch die DFG. Ich besitze keine Aktien oder Anteile pharmazeutischer Unternehmen.“
Primärquelle
Goadsby PJ et al. (2025): Ubrogepant for the treatment of migraine prodromal symptoms: an exploratory analysis from the randomized phase 3 PRODROME trial. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-025-03679-7.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Karlsson WK et al. (2024): Comparative effects of drug interventions for the acute management of migraine episodes in adults: systematic review and network meta-analysis. BMJ. DOI: 10.1136/bmj-2024-080107.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Dodick DW et al. (2023): Ubrogepant for the treatment of migraine attacks during the prodrome: a phase 3, multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, crossover trial in the USA. The Lancet. DOI: 10.1016/S0140-6736(23)01683-5.
[II] Dodick DW et al. (2019): Ubrogepant for the treatment of migraine. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1813049.
[III] Lipton RB et al. (2019): Effect of Ubrogepant vs Placebo on Pain and the Most Bothersome Associated Symptom in the Acute Treatment of Migraine: The ACHIEVE II Randomized Clinical Trial. JAMA. DOI: 10.1001/jama.2019.16711.
Prof. Dr. Dagny Holle-Lee
Leiterin Westdeutsches Kopfschmerzzentrum und Oberärztin für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Keine Interessenkonflikte bezüglich Ubrogepant. Ich bin Gründerin der Migräne-App headacy und habe Vorträge für Novartis, Teva, Abbvie, Organon, Lundbeck gehalten.“
Prof. Dr. Hartmut Göbel
Chefarzt, Schmerzklinik Kiel
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Interessenkonflikte habe ich nicht.“
Prof. Dr. Uwe Reuter
ärztlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender, Universitätsmedizin Greifswald, und Leitung der Arbeitsgruppe Kopfschmerzen und der Kopfschmerzambulanz, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe institutionelle Mittel und keinerlei persönliche Vergütung erhalten für: Vorträge und Teilnahme an Advisory Boards von Abbvie, Novartis, Lilly, Lundbeck, Pfizer und TEVA.
Ich habe Funding für eine Prüfer-initiierte Studie von Novartis erhalten (an die Charité). Ich bin Vize-Präsident der European Headache Federation. Ich bin associate Editor des Journal of Headache and Pain.“
Prof. Dr. Gudrun Goßrau
Generalsekretärin im Präsidium der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und Leiterin der Kopfschmerzambulanz, UniversitätsSchmerzCentrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe finanzielle Unterstützung für Vortragstätigkeiten/Advisory Boards Lundbeck, Novartis, TEVA, Organon, Sanofi, Reckitt erhalten.“
PD Dr. Charly Gaul
Facharzt für Neurologie, Spezielle Schmerztherapie, Neurologische Intensivmedizin, Kopfschmerzzentrum Frankfurt
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
“Ich erhielt Honorare für Vorträge oder Beratung von Abbvie, Lilly, Novartis, Hormosan, Sanofi-Aventis, Lundbeck, Perfood, Vectura Fertin Pharma, Chordate, Pfizer, Dr. Reddys, Merz, Reckitt-Benckiser und TEVA. Des weiteren erhielt ich Forschungsunterstützung durch die DFG. Ich besitze keine Aktien oder Anteile pharmazeutischer Unternehmen.“